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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Die Rente vor dem Kollaps wegen dem Geburtenrückgang und der steigenden "Altenlast" in Deutschland?

 
       
   

Eine Bibliografie der Debatte um die Finanznot der Rentenversicherung (Teil 8)

 
       
       
     
   
     
 

Vorbemerkung

Die Rente steht seit Jahrzehnten vor dem Kollaps. Immer ist es die Altenlast, die zum Bankrott führen soll. Aber stimmt das überhaupt? Die folgende Bibliografie soll zeigen, dass der ewig währende Zusammenbruch des Rentensystems viele Ursachen hat, der demografische Wandel ist bislang kein Faktor gewesen. Der Zusammenbruch wurde bereits auf das Jahr 2000, auf 2010, auf 2020 und nicht zuletzt auf das Jahr 2030 datiert. Das Rentensystem hat sich tatsächlich verändert, aber war das eine Notwendigkeit der demografischen Entwicklung? Man darf das bezweifeln, wenn man die Debatte über die Jahrzehnte verfolgt und mit den Fakten vergleicht. Das soll diese Dokumentation ermöglichen. Die Kommentare spiegeln den Wissensstand des Jahres 2014 wieder. 

Kommentierte Bibliografie (Teil 8 - 2015 bis heute)

2015

SCHMIDT, Christoph M. 2015), Der demografische Wandel als große Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft - ein Überblick. In: Franz-Xaver Kaufmann & Walter Krämer (Hg.) Die demografische Zeitbombe. Fakten und Folgen des Geburtendefizits, Paderborn: Ferdinand Schöningh, S.39-77

"In der zweiten Hälfte des laufenden Jahrzehnts wird die Bevölkerungszahl deutlich schrumpfen und gleichzeitig wird der Bevölkerungsanteil der höheren Altersgruppen immer weiter zunehmen" (S.39),

verkündet uns Christoph M. SCHMIDT, der in einer nur ein Jahr später erscheinenden Publikation zum Miterfinder eines "demografischen Zwischenhochs" werden wird. Wie kommt es zu dieser Behauptung, die zum damaligen Zeitpunkt völlig überholt war? Der Beitrag fußt auf einem Zahlenwerk des Sachverständigenrats aus dem Jahr 2011 ("Herausforderungen des demografischen Wandels"), das gemäß Anmerkungen nahezu unverändert übernommen wurde und dem SCHMIDT angehört. Dort wird aufgrund der Fehleinschätzungen zur Bevölkerungsentwicklung die Kopplung des Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung folgendermaßen empfohlen:

"So gilt es zunächst zwingend, die vorgesehene Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre im Jahr 2029 umzusetzen. Darüber hinaus sollte eine sich an der Entwicklung der ferneren Lebenserwartung orientierende regelgebundene Anpassung des Renteneintrittsalters eingeführt werden. Denn die fernere Lebenserwartung wird auch über das Jahr 2029 hinaus steigen, sodass sich die absolute Rentenbezugsdauer weiter verlängert. Dabei sollte die regelgebundene Anpassung zu einer Konstanz der relativen Rentenbezugsdauer führen. Das gesetzliche Renteneintrittsalter wird dann mit der höheren Lebenserwartung allmählich in den Jahren von 2030 bis 2060 ansteigen. Eine solche Anpassung hätte im Jahr 2045 vermutlich ein gesetzliches Renteneintrittsalter von 68 Jahren und im Jahr 2060 von 69 Jahren zur Folge, wobei für spezielle Berufe besondere Lösungen geprüft werden können." (S.3) 

BUNDESREGIERUNG (2015): Beitrag bleibt, Rente steigt.
Rentenversicherungsbericht 2015: Die Rentenbeiträge für 2016 bleiben voraussichtlich bei 18,7 Prozent. Die Rente könnte nach Berechnungen des Rentenversicherungsberichts zum 1. Juli 2016 um 4,4 Prozent in den alten und um 5 Prozent in den neuen Bundesländern steigen. Den Bericht hat das Bundeskabinett beschlossen,
in:
bundesregierung.de v. 18.11.

Der neue Rentenversicherungsbericht verspricht einen gleichbleibenden Beitragssatz von 18,7 % bis 2019. Anhand der vergangenen Rentenversicherungsberichte (RV) lässt sich sehen inwiefern prognostizierte und tatsächliche Beitragssatzentwicklung übereinstimmen bzw. auseinanderfallen:

Jahr Beitragssatz in Prozent RV 2000 RV 2005 RV 2010 RV 2011 RV 2012 RV 2013 RV 2014 RV 2015

 Prognostizierter Beitragssatz in Prozent

2000 19,3 19,3              
2001 19,1 19,1              
2002 19,1 19,0              
2003 19,5 18,8              
2004 19,5 18,9              
2005 19,5   19,5            
2006 19,5   19,5            
2007 19,9   19,9            
2008 19,9   19,9            
2009 19,9   19,9            
2010 19,9     19,9          
2011 19,9     19,9 19,9        
2012 19,6     19,9 19,6 19,6      
2013 18,9     19,9 19,2 18,9 18,9    
2014 18,9     19,3 19,0 18,9 18,3 18,9  
2015 18,7       19,0 18,9 18,3 18,7 18,7
2016           18,9 18,3 18,7 18,7
2017             18,3 18,7 18,7
2018               18,7 18,7
2019                 18,7

Lässt sich daraus etwas über den Zusammenhang zwischen demografischem Wandel und Beitragsfinanzierung der Rentenversicherung ablesen? Im Jahr 2000 lag der Altenquotient bei 42,7 und ist bis 2005 um 2,8 auf 45,5 gestiegen. Bis zum Jahr 2010 ist er um 2,1 bis 47,6 gestiegen. Dagegen ist der Beitragssatz zwischen 2000 und 2005 um 0,2 % gestiegen, während er zwischen 2005 und 2010 um 0,4 % gestiegen ist, obwohl der Altenquotient weniger stark angestiegen ist. Der Zusammenhang zwischen Beitragssatzentwicklung und demografischem Wandel ist also weniger eng als gemeinhin behauptet wird. Entscheidender ist die Entwicklung des Rentner-Quotienten, der auch nicht-demografische Faktoren berücksichtigt.

Jetzt könnte eingewandt werden, dass dabei der Bundeszuschuss nicht berücksichtigt sei. Gemäß Deutscher Rentenversicherung lag der Bundeszuschuss im Jahr 1960 - also zu Zeiten des Babybooms - bei 28,8 %, während er im Jahr 2013 bei 27,3 % lag.

Ist das Rentenniveau vom demografischen Wandel abhängig? Auch hier spielt nicht der Altenquotient, sondern der Rentnerquotient, d.h. das Verhältnis von Rentenempfängern und Beitragszahlern, die entscheidende Rolle.

Im Vergleich der Rentenversicherungsberichte 2010 (12. Bevölkerungsvorausberechnung) und 2015 (13. Bevölkerungsvorausberechnung) zeigt sich, dass sich das Verhältnis von Rentenempfängern und Beitragszahlern positiver entwickelt hat als noch vor Jahren erwartet: Während der Rentenversicherungsbericht 2010 für das Jahr 2015 einen Rentnerquotienten von 0,5532 prognostiziert hatte, geht der aktuelle Rentenversicherungsbericht von 0,5224 aus. (Differenz von 0,03). Das erscheint nur auf den ersten Blick wenig. Im Rentenversicherungsbericht 2005 (10. Bevölkerungsvorausberechnung) lag der Rentnerquotient für das Jahr 2015 noch bei 0,5809 (Differenz von 0,059). Hier zeigt sich deutlich, dass aufgrund der Bevölkerungsvorausberechnungen, die lediglich den Altenquotienten fortschreiben und der Fortschreibung eines gleichbleibenden Rentnerquotienten - wie er in den Rentenversicherungsberichten praktiziert wird - innerhalb eines Zeitraums von nur 10 Jahren durchaus Änderungen stattfinden können, die das Rentenniveau beeinflussen. Weder die Fortschreibung des Altenquotienten in Bevölkerungsvorausberechnungen, noch jene des Rentnerquotienten in Rentenversicherungsberichten, ermöglichen also langfristige Voraussagen über die Rentenentwicklung.

2016

SIEVERS, Markus (2016): Trügerisches Zwischenhoch.
Noch profitiert Deutschland von der Demografie,
in:
Frankfurter Rundschau v. 03.08.

Markus SIEVERS heult uns die Ohren voll, obwohl wir bereits seit einem Jahrzehnt schrumpfen müssten und alle Sozialsysteme längst kollabiert sein müssten, hätten die Apokalyptiker des demografischen Wandels Recht. Wir wollen diese bevölkerungspolitische Theologie nicht mehr hören. Jetzt sollen wir uns in einem demografischen Zwischenhoch befinden? Haben unsere Prognostiker dieses Zwischenhoch verschlafen oder warum bemerkt man dies erst jetzt post hoc?

"Experten wie der Sachverständigenrat de Wirtschaftsweisen sprechen von einem »demografischen Zwischenhoch«, in dem sich die Bundesrepublik entgegen der allgemeinen Wahrnehmung noch befindet."

Ach nee? Allgemeine Wahrnehmung? Sind damit unsere blinden Ökonomen und Journalisten gemeint? Und wann hat man dieses "demografische Zwischenhoch" aus dem Ärmel gezaubert?

Der Begriff findet sich erst im Jahresgutachten 2013/14 (Bundestagsdrucksache 18/94 vom 15.11.2013), als die Ökonomen erschreckt feststellten, dass sich der demografische Wandel nicht an die Bevölkerungsvorausberechnungen gehalten hat, die durchschnittlich alle 3 Jahre erneuert werden müssen, weil sich die Realität nicht an die bevölkerungspolitisch motivierten Annahmen der Bundesstatistiker hält.

Der Begriff findet sich lediglich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Rentenzugangszahlen und damit mit den Ausgaben der Rentenversicherung. Im Kapitel 7 des Jahresgutachtens heißt es deshalb:

"Deutschland befindet sich mit Blick auf die öffentlichen Finanzen derzeit demografisch in einer besonderen Zwischenphase. Während bereits in den Jahren unmittelbar nach der Jahrtausendwende der Anteil der Rentner und Pensionäre an der Gesamtbevölkerung angestiegen war und langfristig weiter sehr deutlich zunehmen wird, waren die Zuwächse in den fünf vergangenen Jahren spürbar geringer. Betrachtet man die Bevölkerung im Alter von 65 Jahren und älter, so zeigt sich, dass in den Jahren 1999 bis 2006 der jährliche Zuwachs dieser Bevölkerungsgruppe bei durchschnittlich 404.000 Personen lag. In den Jahren 2007 bis 2018 wird er gemäß der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts jedoch nur bei durchschnittlich 164.000 Personen liegen. Ab dem Jahr 2019 ist zu erwarten, dass die jährlichen Zuwächse ansteigen (2013, S.315)."

Zwischen dem demografischen Wandel, den Rentenzugangszahlen und den Ausgaben der Rentenversicherung besteht jedoch gar nicht der starke Zusammenhang, den uns SIEVERS weismachen will.

"Demographischer Wandel" ist in diesem Zusammenhang lediglich ein ideologischer Sündenbockbegriff. Die Frage stellt sich nämlich, ob sich die Rentenzugangszahlen und der Anteil der 65-Jährigen und Älteren, der vom Sachverständigenrat hier unterstellt wird, auch in der Realität wieder findet oder ob nicht ganz andere Faktoren ausschlaggebend für die Kostenstruktur sind.

Man darf also gespannt sein, was in den nächsten Jahren aus dem "demografischen Zwischenhoch" tatsächlich wird. Dem Geschwafel von Ökonomen und Journalisten glauben wir jedenfalls schon lange nicht mehr, sondern wir werden überprüfen inwiefern dieser Zusammenhang tatsächlich besteht.

"Die niedrigen Rentenzugangszahlen sind trügerisch, weil aktuell die geburtenschwachen Jahrgänge der Nachkriegsjahre das Rentenalter erreichen. Diese werden jedoch etwa ab dem Jahr 2020 von der Generation der Babyboomer abgelöst, so dass der demografische Übergang dann voll zuschlagen wird",

zitiert SIEVERS aus dem Jahresgutachten, das noch auf der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes basiert. Diese ist inzwischen bereits durch die 13. Bevölkerungsvorausberechnung überholt, die wiederum bereits veraltet ist. SIEVERS bombardiert uns also mit Fakten, die längst von der Realität überholt wurden. Wo bleiben neue Fakten?

Stattdessen jammert uns SIEVERS die Ohren voll wegen der Rente ab 63 und der Mütterrente, die im Zeichen dieses angeblichen "demografischen Zwischenhochs" beschlossen wurden und deshalb fatal seien.

Die Absurdität des Begriffs "demografisches Zwischenhoch" wird dann sichtbar, wenn es heißt:

"Erschwerend kommt hinzu, dass die schwarz-roten Reformen das demografische Zwischenhoch verkürzen. Vor allem die Rente mit 63 animiert ältere Berufstätige, früher aus dem Arbeitsleben auszuscheiden."

Seit wann können politische Entscheidungen die Demografie beeinflussen? Damit wird deutlich: wir haben es hier mit einer Demografisierung gesellschaftlicher Probleme zu tun. Nicht der demografische Wandel, d.h. die Alterung der Bevölkerung, sondern die Steuerung des Rentenzugangs und deren politischen Parameter sind das Thema. Aus einem bevölkerungspolitischen Thema muss wieder ein gesellschaftspolitisches Thema werden. Aber solche Debatten hassen unsere Eliten, die lieber Politik per Gutsherrenart machen möchten und deshalb den angeblichen Sachzwang "demografischer Wandel" präsentieren.

HANDELSBLATT-Titelgeschichte: Die Last der Demografie.
Das Bundesfinanzministerium hat die Folgen des demografischen Wandels für die öffentlichen Haushalte berechnen lassen. Das Ergebnis: Die alternde Bevölkerung wird das Steueraufkommen in den nächsten Jahrzehnten dramatisch mindern

GREIVE, Martin & Jan HILDEBRAND (2016): Der große Steuerschwund.
Das Bundesfinanzministerium hat die Folgen des demografischen Wandels für die öffentlichen Haushalte berechnen lassen. Das Ergebnis: Die alternde Bevölkerung wird das Steueraufkommen in den nächsten Jahrzehnten dramatisch mildern,
in:
Handelsblatt v. 24.10.

GREIVE & HILDEBRAND blähen ein nicht einmal öffentlich zugängliches Pamphlet zur Titelgeschichte auf. Von Dramatik kann keine Rede sein, denn die Steuereinnahmen steigen auch zukünftig. Die Demografie ist nicht unser Schicksal, sondern die Effekte politischer Entscheidungen sollen dem demografischen Wandel zugeschrieben werden. Eine solche Umkehrung der Kausalursachen wird hier als Demografisierung gesellschaftlicher Probleme bezeichnet und ist Kennzeichen unserer Ära der Postdemokratie und Austeritätspolitik.

GREIVE, Martin (2016): Vorsicht Steuerfalle.
Ein interner Regierungsbericht zeigt: Durch die Demografie werden nicht nur die Ausgaben steigen, sondern auch die Einnahmen schwinden,
in:
Handelsblatt v. 24.10.

Martin GREIVE zitiert aus einem unveröffentlichten, vom Finanzministerium dem Handelsblatt zugespielten Pamphlet, das den Titel Herausforderungen für das Steuerrecht durch die demografische Entwicklung in Deutschland - Analyse einer Problemstellung trägt. Man muss dieses Pamphlet als Versuch der Demografisierung gesellschaftlicher Probleme lesen. Es zielt auf unerwünschte Reformbestrebungen in Sachen Rente ab. Dazu werden dem demografischen Wandel negative Effekte zugeschrieben, die im Grunde politische Entscheidungen waren.

Herzstück des Pamphlets ist eine Bevölkerungsvorausberechnung, deren 3 Varianten das Etikett "Basis", "pessimistisch" und "optimistisch" aufgeklebt wurden. Die Basisvariante ist identisch mit der Variante 2 der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung).  Das pessimistische Szenario entspricht der Variante 3 (relativ alte Bevölkerung), das positive Szenario entspricht der Variante 6 (relativ junge Bevölkerung). Problematisch ist, dass diese Bevölkerungsvorausberechnung bereits zum Zeitpunkt ihrer Erstellung veraltet war. Dies betrifft insbesondere die Geburtenentwicklung. Bereits im Basisjahr 2013 lag diese über den angenommenen 1,4 Kindern pro Frau, mittlerweile liegt sie bei 1,5. Das Mantra von GREIVE lautet:

"die Größe der Arbeitnehmerschaft wie der Rentner steht für die nächsten 25 Jahre nahezu unumstößlich fest."

Dies stimmt für die Arbeitnehmerschaft nicht, weil die Geburtenrate zu niedrig angesetzt wurde und heute schon mehr Kinder geboren werden als im Basisszenario angenommen. Hinzu kommt die Ungewissheit des Wanderungssaldos. Es stimmt auch nicht für die Rentner, denn auch die weitere Entwicklung der Lebenserwartung ist alles andere als sicher, wie die aktuelle Sterbetafel zeigt. Der entscheidende Satz des Artikels lautet:

"Absolut werden die Einnahmen selbst im pessimistischen Szenario von 290 Milliarden im Jahr 2015 auf 390 Milliarden Euro im Jahr 2060 steigen."

Mit dem Pamphlet soll also ein Popanz aufgebaut werden, um berechtigte Forderungen in Sachen Rente zurückzuweisen. Das ist offenbar nicht so recht gelungen. Die Lage ist besser als Neoliberale das zugeben, denn es liegt in ihrem Interesse die Lage schlechtzureden.

Inzwischen ist der Endbericht und der Methodische Anhang zum Endbericht im Internet als PDF-Datei abrufbar.

CREUTZBURG, Dietrich (2016): Große Koalition schnürt neues Rentenpaket.
Nahles setzt höhere Erwerbsminderungsrente auf den Arbeitsplan. Reform der Betriebsrente wird ergänzt,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.10.

Aus der nachfolgenden Tabelle sind die von Dietrich CREUTZBURG und Peter THELEN ("Countdown für die große Rentenreform", Handelsblatt 31.10.2016) erwähnten restlichen Rentenreformen dieser Legislaturperiode und ihre Einschätzungen dazu ersichtlich:

Reformvorhaben Dietrich CREUTZBURG Peter THELEN
Stärkung der Betriebsrenten Details sollen heute beim Rentendialog besprochen werden THELEN nennt eine Reihe von Punkten, auf die sich geeinigt wurde
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente "(D)er CDU-Sozialflügel macht sich dafür stark und will die bisher üblichen Abschläge bei dieser Rentenart streichen" "Gewerkschaften und Sozialverbände fordern (...) den Frührentenabschlag (...) abzuschaffen.  Dazu ist die Arbeitsministerin nicht bereit. Stattdessen wird sie wahrscheinlich vorschlagen, die Zurechnungszeit zu erhöhen."
Angleichung Ostrentenniveau "Widerstände der Ost-CDU" "Am Freitagabend wollten die Unionsspitzen das Streitthema eigentlich beilegen. Doch der Versuch ist gescheitert. In der CDU wachsen die Befürchtungen, dass am Ende weder die Mütterrente noch die Rentenangleichung kommen werden."
Verbesserung bei der Mütterrente "kurzfristig (...) wenig Chancen"
Leistungen für langjährig, erwerbstätige Niedrigverdiener "Freibetrag für gesetzliche Renten" "Vom Projekt der Lebensleistungsrente für langjährig Versicherte hat (...) sich (Nahles) verabschiedet. Stattdessen will sie Niedrigverdiener besser absichern. Zwei Optionen sind im Gespräch: (...) Rente nach Mindestentgeltpunkten (...) Oder ein Zuschlag auf die Grundsicherung".
Stabilisierung bzw. Anhebung des Rentenniveaus "kurzfristig (...) wenig Chancen" "Längst gilt in der Koalition, dass es eine neue Haltelinie geben muss." 

Am Schluss erwähnt CREUTZBURG noch einen Vorschlag der SPD-Generalsekretärin Katarina BARLEY, die für eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze plädiert. Dazu wird nur angemerkt, dass unklar ist, ob dadurch auch höhere Renten für Spitzenverdiener vorgesehen sind.

KRÄMER, Walter (2016): Der demographische Abgrund.
Der Volkswirt: Noch immer werden viel zu wenige Kinder geboren, um die Rentenkasse zu stabilisieren. Die Zuwanderungswelle nützt wenig. Ein Debattenbeitrag,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 31.10.

Walter KRÄMER hat als Mitherausgeber des Pamphlets Die demografische Zeitbombe sein Faible für die Apokalypse unter Beweis gestellt. Nun schwadroniert er in der FAZ über das angebliche "demographische Desaster" den der demografische Wandel darstellen soll. Im Gegensatz zu Thomas STRAUBHAAR, der davon ausgeht, dass es eine relevante Schrumpfung der Bevölkerung auch in Zukunft nicht geben wird, schwadroniert KRÄMER von einer "starken Bevölkerungsschrumpfung". Hätte er die vergangenen Bevölkerungsvorausberechnungen seit den 1990er Jahren zur Kenntnis genommen, dann wäre ihm klar geworden, dass keine der Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung auch nur annähernd eingetroffen ist. Im Gegenteil: Deutschland hätte schon längst schrumpfen müssen.

Mit Hinweis auf veraltete Berechnungen des Familienfundamentalisten Martin WERDING will KRÄMER Panik schüren. Dreist spricht er von Beitragssätzen, deren Höhe so gewählt wurden, dass sie die Unfinanzierbarkeit des Rentensystems suggerieren. Die Annahmen, die hinter diesen Berechnungen stehen, werden jedoch verschwiegen. Selbst Neoliberale wie Axel BÖRSCH-SUPAN halten die Berechnungen von WERDING für wenig stichhaltig. Mit dem nationalkonservativen Familienfundamentalisten Hans-Werner SINN sieht KRÄMER die Gerontokratie drohen. Auch dafür gibt es keine Belege.

Angesichts dieser wenig stichhaltigen Argumentation verwundert es kaum, dass KRÄMER am Schluss nochmals kräftig die Apokalypse beschwört:

"Allenfalls eine nicht nur moderate, sondern starke Erhöhung des Rentenalters etwa nach der Formel »Lebenserwartung minus zwölf Jahre« könnte verhindern, dass die Rentenlasten die nachfolgenden Generationen erdrücken. Die Konsequenzen der jahrzehntelangen Geburtenlücke werden drastisch sein."

Fazit: Es ist wenig verwunderlich, dass die Wissenschaft ob solcher Demagogie rapide an Glaubwürdigkeit verliert. Visualisiert wird der Artikel mittels einer Bevölkerungspyramide, die Kopf steht - was bereits für die 1970er Jahre prognostiziert wurde. Stattdessen ging es damals der Rentenversicherung so gut wie nie, was einmal mehr zeigt, was von Langfristvorausberechnungen zu halten ist.   

BMAS (2016): Rentenversicherungs- und Alterssicherungsbericht 2016.
Arbeiten 4.0: Arbeitsministerin Andrea Nahles will, dass die Tarifparteien die Digitalisierung gestalten,
in:
Pressemitteilung Bundesministerium für Arbeit und Soziales v. 30.11.

SOZIALBEIRAT (2016): Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2016 und zum Alterssicherungsbericht 2016,
in: sozialbeirat.de v. 30.11.

OECHSNER, Thomas (2016): Zehn Wahrheiten über die Rente.
Wie lange müssen die Deutschen künftig arbeiten? Reicht die Alterssicherung? Ist alles gar nicht so dramatisch, sagen die einen. Die Rente wird ein großes Problem, sagen die anderen. Die wichtigsten Fakten und Folgen,
in: Süddeutsche Zeitung
v. 03.12.

Wahrheit und Lüge liegen eng beieinander, denn bei der Rente gibt es keinen Wahrheiten, sondern lediglich Gesetze und deren Spielräume, die immer wieder neu ausgelotet, erweitert oder eingeengt werden können.

Thomas ÖCHSNER betrachtet die gesetzliche Rente und die Alterssicherung einseitig aus der Perspektive eines Verfechters der Kapitaldeckung, wodurch es bei seinen 10 Wahrheiten zu gewissen Einseitigkeiten kommt:

1) Die Rente sinkt nicht: Was nützt es einem Rentner, wenn Rentenkürzungen untersagt sind und schlimmstenfalls Nullrunden möglich sind? Gar nichts! Entscheidend ist dagegen ob Rentner gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen abgehängt werden und dies ist der Fall.

2) Das Rentenniveau sinkt: Hier heißt es in neoliberaler Sicht, dass dies lediglich bedeute, dass die Löhne stärker steigen als die Renten, was dazu führt, dass der Lebensstandard von Rentnern mit der Zeit immer mehr hinter dem Lebensstandard der Erwerbstätigen zurückbleibt.

3) Altersarmut nimmt zu: Das bestreitet nicht einmal ÖSCHNER:

"Selbst einer, der 11,60 Euro pro Stunde verdient und damit deutlich über dem Mindestlohn von 8,50 Euro liegt, wird als Rentner zum Sozialamt gehen müssen. Derzeit müssen drei Prozent der über 65-Jährigen von der staatlichen Grundsicherung im Alter leben. Dieser Anteil dürfte in Zukunft deutlich zunehmen. Auch das Armutsrisiko wird für Rentner steigen."

Das ist noch schönfärberisch, weil weder Obdachlose noch Heimbewohner bei dieser Rechnung mitberücksichtigt sind. Zudem kann sich glücklich schätzen, wer arm ist und überhaupt das Rentenalter erreicht. Das sind nur sehr wenige, weshalb die 3 Prozent die glücklichen Überlebenden sind und die Frühverstorbenen die Statistik besser dastehen lassen als dies der Fall wäre, wenn Arme genauso langlebig wären wie die Nicht-Armen.

4) Der Osten ist benachteiligt: Dieses Märchen wurde von ÖCHSNER schon öfters widerlegt.

5) Mehr Rente bringt nicht mehr Kinder:

"1992 beschloss die Bundesregierung (...) das Kinderkriegen durch eine höhere Rente für Frauen attraktiver zu machen. Statt eines Beitragsjahres und Rentenpunkts wurden nun pro Kind drei gutgeschrieben - selbstverständlich nicht rückwirkend. Die Kinder sollten ja dadurch erst geboren werden",

erklärt uns ÖCHSNER die Sicht der nationalkonservativen Bevölkerungspolitiker und Ökonomen. In dieser Sicht sind erwerbstätige Mütter Rabenmütter, während das Heimchen am Herd und die traditionelle Mutter an seiner Seite propagiert wurde. Der Ausbau der Kinderbetreuung war damals kein Thema, im Gegenteil: im Osten wurde die Kinderbetreuung sogar zurückgefahren. Mütter sollten gefälligst zuhause bleiben und nicht den Männern die Jobs streitig machen. Das ging bekanntlich schief. Das lesen wird jedoch nicht bei ÖCHSNER, sondern ihm geht es nur darum die Mütterrente zu diffamieren, weil ja die Kinder, die vor 1992 geboren wurden, mittlerweile dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Warum sollte man also solche Mütter auch noch nachträglich belohnen? Neoliberale blicken NUR in die Zukunft: z.B. auf die Ungeborenen, die man gegen die Geborenen gut ausspielen kann.

6) Die Riester-Rente kann sich lohnen:

"Für den Einzelnen kann die Riester-Rente (...) attraktiv sein, sofern sie oder er alles richtig macht: Der Sparer muss kontinuierlich bis zur Rente in einen kostengünstigen Vertrag einzahlen, und das immer so, dass die maximale staatliche Förderung herausspringt. Das lohnt sich vor allem für Kinderreiche und Geringverdiener",

erklärt uns heute ÖCHSNER, nachdem er uns gestern noch aufgezeigt hat, dass dies nicht ausreicht, um den Lebensstandard zukünftig zu halten.

7) Zuwanderung löst nicht alle Probleme: Diesen Blödsinn hat sowieso niemand behauptet. Andererseits ist Zuwanderung nicht Zuwanderung, sondern muss differenziert betrachtet werden - und hier leistet ÖCHSNER keine Aufklärung, sondern schreibt gegen eine Position an, die er zuvor als Popanz erst aufgebaut hat

8) Mit Beamten wird nicht alles besser: ÖCHSNER ist gegen eine Erwerbstätigenversicherung, weshalb er die Beamten und nicht z.B. die Selbständigen oder jene oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze als Beispiel für seine Argumentation herausgreift.

9) Die Deutschen müssen länger arbeiten: Neoliberale plädieren statt für eine Erwerbstätigenversicherung für eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Dazu werden uns neue Märchen aufgetischt:

"Das Rentenniveau würde nicht unter 42 Prozent sinken. So könnte man - ohne zusätzliche Steuermilliarden - das Rentenniveau auf 46 Prozent halten."

Die einzige aktuelle Berechnung zu einer Kopplung stammt von Axel BÖRSCH-SUPAN u.a. Nur bei einem sehr optimistischen und voraussetzungsreichen Szenario, würde das Rentenniveau nicht unter 42 Prozent sinken. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass dazu eine permanente Neudefinition des Standardrentners vonnöten ist. Dies ist gleichbedeutend mit einer impliziten Rentenkürzung, denn bei einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren, müssten auch 47 statt 45 Beitragsjahre erreicht werden. Die Kluft zwischen Arm und Reich würde damit noch größer werden. Dies wird uns von ÖCHSNER wohlweislich verschwiegen.

10) Die Jüngeren sind schlechter dran: Auch das ist keineswegs sicher, denn die Kluft zwischen armen und reichen Rentnern ist heute schon gewaltig, weshalb Durchschnittswerte keine Aussagekraft haben. Die Zunahme der Millionäre unter den Rentnern wird nicht adäquat berücksichtigt.

"Von der Ost-West-Renten-Einheit profitieren vor allem Rentner im Osten und rentennahe Jahrgänge",

behauptet ÖCHSNER, obwohl noch gar kein Gesetzesentwurf vom Kabinett beschlossen wurde und Verhandlungen noch zu Korrekturen führen könnten. Der Wegfall der Höherbewertung bedeutet vor allem, dass Spitzenverdiener in ostdeutschen Betrieben, die bereits durch Tarifverträge mit westdeutschen Betrieben gleichgestellt sind, ihre Vorteile verlieren. Hier geht es weniger um Generationengerechtigkeit, sondern um einen Klassenkampf von oben.

"Wenn das Rentenniveau sinkt, dann trifft das vor allem die Jüngeren."

Warum also wehren sich Neoliberale wie ÖCHSNER also gegen eine Stabilisierung des Renteniveaus bei über 48 Prozent? Sie müssten im Namen der Jungen für ein höheres Rentenniveau plädieren.

2017

HANDELSBLATT-Serie: Reformstau in Deutschland

RÜRUP, Bert (2017): Die vergebliche Hoffnung auf den großen Wurf.
Die nächste Bundesregierung muss eine weitere Rentenreform auf den Weg bringen. Dabei sollte sie die steuerliche Kofinanzierung neu regeln, der Altersarmut vorbeugen und den Kreis der Beitragszahler ausweiten,
in:
Handelsblatt v. 08.03.

Bert RÜRUP, einer der Architekten der Agenda 2010 auf dem Felde der Rentenpolitik, will die gesetzliche Rentenversicherung auf die Armenfürsorge reduzieren. Dazu polemisiert er gegen diejenigen, die eine Stärkung der Rentenversicherung anstreben. RÜRUP erklärt die Lebensstandardsicherung zur Illusion und die Erhöhung des Rentenniveaus als zum ungeeigneten Mittel, um die Altersarmut zu bekämpfen. Weder die Linkspartei noch die Sozialverbände sehen in der Rentenniveauerhöhung eine Bekämpfung der absoluten Armut, sondern nur ein Mittel zur Bekämpfung der relativen Armut, was RÜRUP unterschlägt, denn statt einer Grundsicherung im Alter fordern sie eine Mindestsicherung ohne Bedürfnisprüfung. Aber Polemiken zielen ja nur auf die Diffamierung des politischen Gegners per Falschdarstellung.

Dass RÜRUP momentan gegen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters eintritt, darf man getrost als Finte bezeichnen, um die eigenen Vorschläge harmloser aussehen zu lassen. Sie sind aber das Gegenteil:

"Der erste Punkt auf der rentenpolitischen Agenda der nächsten Bundesregierung sollte eine Neuordnung der steuerlichen Kofinanzierung sein. (...). Eine saubere Antwort wäre, zu einem festen prozentualen Anteils an den Gesamtausgaben überzugehen, was dem Bund auch mehr Mitspracherechte in der Selbstverwaltung geben würde. (...). Der Preis dafür wäre eine Schwächung der Beitragsäquivalenz. Im Gegenzug würde aber der Weg geebnet, um das Alterssicherungssystem in Zeiten demografisch und technologisch bedingter Finanzierungsschwierigkeiten auf die Verhinderung von Altersarmut zu konzentrieren."

Das ist eine euphemistische Umschreibung für einen Paradigmenwechsel, an dessen Ende die gesetzlichen Rente lediglich noch eine Armenfürsorge wäre und die Lebensstandardsicherung der kapitalgedeckten Altersvorsorge obliegen würde.

Mit einer Festschreibung des Bundeszuschuss auf einen festen Prozentanteil könnte die Senkung des Rentenniveaus durch Aufbürdung von versicherungsfremden Leistungen auf die Beitragszahler noch reibungsloser erfolgen, ohne dass es eines "großen Wurfs" bedürfte.

RÜRUP plädiert für die Einbeziehung aller Selbständigen, die nicht über eigene Versorgungswerke abgesichert sind, in die gesetzliche Rentenversicherung. Einziger Grund: Damit könnte die Selbstständigkeit zur Regelerwerbsform im digitalen Zeitalter werden.

Bei RÜRUP wird deutlich, dass die Neoliberalen nunmehr nicht mehr vorrangig auf die Demografie als Begründung ihrer Sozialpolitik setzen, sondern auf die Digitalisierung bzw. Roboterisierung. Dies ist darin begründet, dass die Demografie als Argument wegzubrechen droht oder wie es bei RÜRUP anklingt:

"Rentenpolitik reagiert stets auf geänderte Präferenzen und wirtschaftliche wie demografische Rahmenbedingungen: Sie ist immer Verteilungspolitik und stets geprägt von den sich in der Demokratie ändernden Verteilungsnormen der wechselnden politischen Mehrheiten. »Gerechtigkeit« ist in einer Demokratie nun einmal die jeweilige Diagnonale im Parallelogramm der politischen Kräfte. Geänderte Rahmenbedingungen können in neuen amtlichen Vorausberechnungen zur Bevölkerungsentwicklung oder Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt bestehen."

Man kann dies dahingehend interpretieren, dass die "Arbeitswelt 4.0" zukünftig die Rolle der "Demografie" einnehmen könnte, sollte diese keine Handhabe mehr zur Reform der Rentenversicherung bieten. Aber auch die generelle Kritik am Neoliberalismus könnte den Rentenreformern als "veränderte Gerechtigkeitsnormen" entgegenstehen.

HANDELSBLATT-Titelthema: Gefährliches Spiel mit der Rente.
Mehr als 100 Milliarden Euro kostet nach exklusiven Berechnungen die neue Rentenpolitik der Regierung. Doch damit nicht genug: Die Wahlkämpfer versprechen bereits weitere Wohltaten. Bezahlen müssen das Arbeitnehmer und Unternehmen

THELEN, Peter (2017): Die Kosten der schwarz-roten Rentenpolitik.
Wahlkampf um die Rente: Neue Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft belegen: Schon die Rentenpolitik in dieser Legislatur belastet künftige Generationen mit einem dreistelligen Milliardenbetrag. Dabei hat der der Rentenwahlkampf noch gar nicht begonnen,
in:
Handelsblatt v. 14.03.

Weil sich der SPD-Kanzlerkandidat Martin SCHULZ bislang zur Rentenpolitik nicht konkret geäußert hat, bläst das Handelsblatt nun Berechnungen der Arbeitgeberlobby IW Köln zu den angeblichen Kosten des Rentenpakets 2014 zum Titelthema auf. Basis ist das IW Policy-Paper Kosten der schwarz-roten Rentenpolitik – eine Heuristik von Jochen PIMPERTZ.

Die Annahmen zur Berechnung von PIMPERTZ werden von Peter THELEN unterschlagen, sodass die Unsicherheiten sowohl hinsichtlich der Mütterrente als auch - insbesondere bei der abschlagsfreien Rente ab 63 - einfach ausgeblendet werden. Bei der Mütterrente übernimmt PIMPERTZ einfach die impliziten Annahmen der Bundesregierung aus deren Gesetzesentwurf, wobei diese nochmals vereinfacht werden:

"Wie hoch die nominalen Ausgaben für die zusätzliche Anerkennung der Kindererziehungszeiten ausfallen, lässt sich zwar nicht anhand tatsächlicher Fallzahlen überprüfen, aber immerhin über eine Hochrechnung der ursprünglich erwarteten Fallzahlen mithilfe der Entwicklung des Aktuellen Rentenwertes realitätsnäher bestimmen, als es im ursprünglichen Gesetzentwurf dokumentiert wird.
Dazu wird – so die vereinfachende Annahme – die Entwicklung des Aktuellen Rentenwerts West laut Rentenversicherungsbericht 2016 ins Verhältnis gesetzt zu dem ab 1. Juli 2014 gültigen Aktuellen Rentenwert, um so eine Umrechnung der ursprünglichen Werte auf den jeweils aktuellen nominalen Wert zu ermöglichen (BMAS, 2016a, 46). Mit diesem vereinfachten Verfahren wird implizit unterstellt, dass sich das Verhältnis der Inanspruchnahme durch west- und ostdeutsche Rentner nicht verändert und auch das Verhältnis der Aktuellen Rentenwerte für West- und Ostdeutschland über die betrachtete Zeit konstant bleibt." (2017, S.6f.)

PIMPERTZ rechnet mit dem höheren Rentenwert (West), der am 01.07.2014 28,61 Euro betragen hat. Ostdeutsche Mütter erhielten jedoch 2,22 Euro weniger, sodass bereits bei dieser Annahme von überhöhten Kosten ausgegangen wird. Im Jahr 2016 beträgt der Abstand immer noch 1,79 Euro, die unterschlagen werden.

Durch das beschlossene Gesetz zur Ostrentenangleichung soll sich der Rentenwert bis 2025 angleichen, was bei der Berechnung von PIMPERTZ ebenfalls nicht berücksichtigt wird, stattdessen wird die Differenz fortgeschrieben. Da die Mütterrente der Hauptkostentreiber des Rentenpakets war, führen falsche Annahmen zu krassen Fehlern bei den Kosten.

Bei den Kosten zur abschlagfreien Rente ab 63 versucht THELEN die Berechnungen des IW schönzufärben:

"Die Kosten der Rente ab 63 kann das IW nicht ganz so präzise vorhersagen. (...). Dabei geht es um die Menschen, die seit 2014 vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ohne den eigentlich vorgeschriebenen Rentenabschlag von 3,6 Prozent in Rente gingen. Der sprunghafte Anstieg der Zugänge bei der Rente für besonders langjährig Versicherte spricht (...) dafür, dass ohne die Abschlagsfreiheit die meisten nicht vorzeitig in Rente gegangen wären.
2013, im Jahr vor dem Inkrafttreten der Reform, bezogen 16.197 Männer und Frauen erstmals eine Rente für langjährig Versicherte. 2014 waren es über 151.000 und 2015 bereits fast 275.000. Zwischen 2014 und 2017 machten laut Schätzung des IW über 925.400 von der Möglichkeit Gebrauch, abschlagsfrei jenseits des 63. Lebensjahrs in Frührente zu gehen. Allein die Gewährung der Abschlagsfreiheit kostete die Beitragszahler über 2,5 Milliarden in den vier Jahren, davon 1,2 Milliarden Euro allein im Wahljahr 2017."

Man kann diese Darstellung als Versuch sehen, die Anzahl der Reformgewinner künstlich zu erhöhen. Das Jahr 2013 ist kein realistischer Maßstab, weil viele natürlich ihren Renteneintritt aufgeschoben haben, um in den Genuss besserer Konditionen zu kommen. Die Differenz ist also verzerrt. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzesentwurf für das Jahr 2017 mit 2 Milliarden Euro Kosten rechnete, das wären also 800 Millionen Euro mehr als das was uns THELEN nun als sensationelles Ergebnis präsentiert.

Fazit: TEHLEN produziert in seiner Titelgeschichte viel heiße Luft. Die Kosten der Mütterrente werden vom IW zu hoch angesetzt und bei der abschlagsfreien Rente ab 63 zeichnet sich eher eine geringere Inanspruchnahme ab als vom Gesetzgeber angenommen.

STOCKER, Frank (2017): Am demografischen Scheideweg.
Die Alterung der Bevölkerung hat eine neue Phase erreicht. Nun drohen den Staaten Minuswachstum und Kostenlawinen. Doch es gibt Profiteure,
in:
Welt v. 15.04.

Frank STOCKER, Jahrgang 1968, greift sich aus den widersprüchlichen Theorien zum demografischen Wandel jene heraus, die seiner PR am besten entspricht. Er präsentiert uns Zahlen zur Entwicklung der Weltbevölkerung, deren Herkunft er verschweigt:

"So wird die Zahl der erwerbsfähigen Personen in Deutschland, also der Menschen zwischen 15 und 65 Jahren, von 53,4 Millionen im Jahr 2014 bis 2030 auf rund fünf Millionen zurückgehen, in den folgenden Jahren dann nochmals um über zehn Millionen."

Bei den Zahlen ist auffällig, dass die Definition der erwerbsfähigen Bevölkerung nicht mit der aktuellen 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes übereinstimmt, die mit den Altersgrenzen 20-60, 20-65 und 20-67 Jahren operiert. Die Konsequenz der Wahl von STOCKER ist, dass der Rückgang des Erwerbsfähigenpotenzials dramatisiert wird, zumal Zahlen für 2060 reine Kaffeesatzleserei ist.

STOCKER behauptet, dass der Rückgang der Erwerbsfähigen nicht durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters, der Frauenerwerbsquote oder der Zuwanderung kompensiert werden könne. Die Möglichkeiten der Produktionssteigerung durch Digitalisierung und Roboterisierung bleiben also unberücksichtigt.

STOCKER macht sich die Position der Bank of America und ihrer Ökonomin Evelyn Hermann zu eigen, die Investitionshemmnisse auf den demografischen Wandel zurückführt. Das passt zu STOCKERs Polemik gegen den deutschen Sozialstaat und insbesondere der Rentenpolitik. STOCKER verkündet "griechische Verhältnisse" in Deutschland - und (fast) der ganzen Welt. Als Ausweg wird uns Indien gepriesen:

"Geldanlagen in den indischen Aktienmarkt könnten daher auch für deutsche und europäische Anleger ein Ausweg aus der Demografiefalle in eigenen Land oder anderen westlichen Ländern werden."

Als eine weitere Alternative wird uns der "Silver Economy Index" der Investmentbank Société Génèrale gepriesen, der auf Unternehmensgröße und Wirtschaftssektoren setzt, die angeblich vom demografischen Wandel profitieren sollen. Man fragt sich hier höchstens, ob STOCKER für diese PR auch noch Geld bekommt.

Fazit: Seriöser Journalismus sieht anders aus!

PLICKERT, Philip (2017): Bremst die Überalterung das Wirtschaftswachstum?
Ökonomen warnen vor Stagnation - doch eine neue Studie sieht einen Ausweg durch Automatisierung,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.04.

Philip PLICKERT verspricht Aufklärung über die Sicht der Ökonomen auf den demografischen Wandel, ein Thema, das die Welt bereits am Samstag einseitig in dramatisierender Absicht  präsentiert hat.

"Bundesbankpräsident Jens Waldmann hat vor einiger Zeit den Satz des Demographen Herwig Birg zitiert, die Gesellschaft gleiche immer mehr einem Ruderboot mit einer schrumpfenden Zahl an Ruderern und immer mehr Passagieren. Viele langfristige Prognosen gehen von künftig weniger Wachstum aus, weil die demographische Basis ungünstiger wird."

Schon die Ruderboot-Metapher ist mehr als albern. Seit wann sind das Passagierschiffe? Richtiger wäre es von einer Galeere zu sprechen, denn bei der Demografisierung gesellschaftlicher Probleme geht es um Krieg und Ausbeutung.

"(Das) Schlagwort »säkulare Stagnation« (ist) schon fast 70 Jahre alt. Geprägt hat es der Keynesianer Alvin Hansen 1938 in seiner Rede als Präsident der American Economic Association (AEA)",

erklärt uns PLICKERT die Begriffsherkunft. Bekanntlich ist der Keynesianismus das Gegenteil vom Neoliberalismus, was nicht verhindern konnte, dass das Schlagwort die Seiten gewechselt hat.

"In den kommenden Jahren gehen die Babyboomer in Rente. Das könnte die Wirtschaft ausbremsen, so die Pessimisten. Doch eine neue Studie des MIT-Ökonomen Daron Acemoglu und seines Kollegen Pascual Restrepo von der Boston University stellt diese These radikal in Zweifel. Die empirischen Daten aus einer großen Zahl von Ländern zeigten überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Alterung und Wirtschaftswachstum pro Kopf",

erklärt uns PLICKERT die optimistische Sicht auf den demografischen Wandel. Als Ursache wird die Kompensation des demografischen Wandels durch die Automatisierung genannt. Zum Schluss revidiert PLICKERT diese Sicht wieder durch eine andere Studie:

"Eine 2016 veröffentlichte Studie von Nicole Maestas (Harvard Medical School) sowie Kathleen Mullen und David Powell (beide Rand Corporation) kam zu einem anderen Ergebnis."

Im Gegensatz zur Welt kann sich hier der Leser ein eigenes Bild machen, denn was die Auswirkungen betrifft, wird der demografische Wandel gerne ideologisch vereinnahmt. 

PLICKERT, Philip (2017): Die Alterung der Bevölkerung bremst die Wirtschaft.
Die Bundesbank erwartet deutliche Wachstumseinbußen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 25.04.

Philip PLICKERT berichtet über den Monatsbericht April der Bundesbank, wobei er die negativen Aspekte der angeblichen Auswirkungen der Demografie auf das Wirtschaftswachstum hervorhebt. Bekanntlich sind die Auswirkungen unter den Ökonomen umstritten, wie uns PLICKERT erst kürzlich darlegte.

RASCH, Michael (2017): Die Alterung dämpft das Wachstum.
Deutsche Bundesbank rechnet mit deutlichem Rückgang des Potenzialwachstums,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 26.05.

FRIESER, Michael (2017): Unehrliche Rentendebatte.
Gastkommentar: Der demografische Wandel ist längst noch nicht abgesagt,
in:
Handelsblatt v. 08.05.

Michael FRIESER, der als "Beauftragter für den demografischen Wandel" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorgestellt wird, ist so etwas wie der Demografiepolizist (mehr auch hier). Welch ein Unsinn! Man kann den demografischen Wandel nicht absagen, denn der demografische Wandel ist ein Begleitumstand jeder Bevölkerung. Nur wer den demografischen Wandel auf angeblich negative Aspekte reduziert, kann solch einen Blödsinn behaupten.

FRIESER ist es gar nicht Recht, dass die aktuellen Bevölkerungsvorausschätzungen keine schrumpfende Bevölkerung mehr für die nächsten Jahrzehnte erwarten lassen. Man hatte sich schließlich seit Jahrzehnten ideologisch darauf ausruhen können. Das neoliberale Kartenhaus wurde darauf gebaut und nun droht es einzustürzen. Die Welt war schon Anfang März entsetzt über diese Wende. Weil die Schrumpfung als Argument weggebrochen ist, muss nun die Alterung als letztes verbliebenes Bollwerk herhalten:

"Für die Tragfähigkeit der Sozialsysteme von Bedeutung ist der Altenquotient: Im Jahr 2040 werden auf jeden Rentner zwei Arbeitnehmer kommen",

erklärt uns unser Demografiepolizist. Dumm nur, dass 2015 bereits das Verhältnis der Rentner zu den Beitragszahlern bei 1 zu 1,92 lag und dennoch ist das Rentensystem nicht kollabiert. Der Altenquotient ist nicht aussagekräftig, sondern einzig und allein das Verhältnis von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Durchschnittslohn zu den Rentnern mit Durchschnittsrente. Dieses aber hängt von vielen Faktoren ab - die Anzahl der 65-Jährigen und Älteren ist die Unbedeutendste davon!

HANDELSBLATT-Titelgeschichte: Das Milliarden-Loch.
Finanzminister Schäuble rechnet für das kommende Jahr mit weniger Einnahmen und hohen Zusatzausgaben. Im Budgetentwurf fehlen 8,3 Milliarden Euro. Doch statt Sparvorschläge zu machen, melden viele Bundesminister weitere Wünsche an

GREIVE, Martin & Jan HILDEBRAND (2017): Teures Team.
Viele Minister melden neue treure Budgetwünsche an. Kassenwart Wolfgang Schäuble wehrt sich und warnt: Die Finanzlage ist angespannter als gedacht,
in: Handelsblatt
v. 09.02.

GREIVE & HILDEBRAND produzieren in ihrer Titelgeschichte Das Milliarden-Loch viel heiße Luft. Um "Wahlgeschenke" zu verhindern, wird vom Handelsblatt immer wieder einmal der Bundeshaushalt arm gerechnet. Und auch die Politiker kennen dieses Spielchen zur Genüge:

"Ständig rechne sich Schäuble arm - um dann am Ende wieder mehrere Milliarden aus dem Hut zu zaubern, wenn es ihm gerade passt".

Auf die Fadenscheinigkeit des Berichts weisen die Autoren deshalb auch zum Ende hin:

"Natürlich wissen auch Schäubles Beamte, dass die Diskussion um das Haushaltsloch 2018 in Wahrheit eine Luxusdebatte ist. Die Lücke könnte ohne weitres (...) geschlossen werden. Schäubles Leuten geht es um etwas anderes: Sie wollen verhindern, dass im Wahljahr Geld zum Fenster rausgeworfen wird."

Fazit: Die Titelgeschichte hätte man sich sparen können. Wenn es um Steuererleichterungen für Spitzenverdiener und Reiche geht, ist plötzlich jede Menge Geld übrig!

Das Handelsblatt: Ich mach' mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt

HANDELSBLATT-Titel vom 9. Februar:
Staatseinnahmen wegen Furcht vor
Rentenwahlkampf weggezaubert
HANDELSBLATT-Titel vom 11. Mai:
Staatseinnahmen sprudeln wie noch
nie wegen Forderung nach Steuerentlastung
für Spitzenverdiener

GREIVE, Martin/HILDEBRAND, Jan/SIGMUND, Thomas  (2017): Der nimmersatte Staat.
Neue Zahlen des Bundesfinanzministeriums zeigen: Bereits 3,9 Millionen Deutsche zahlen den Spitzensteuersatz. Forderungen nach einer Entlastung der Bürger werden immer lauter - zumal Steuereinnahmen weiter steigen
in:
Handelsblatt v. 11.05.

Wenn es um Rentenpolitik geht, versiegen plötzlich alle Steuereinnahmen (siehe Titelgeschichte vom 9. Februar), wenn es um die Entlastung der Spitzen- und Besserverdienenden geht, dann sprudeln sie wie eine Ölquelle. Das Handelsblatt hievt wieder den geizigen Finanzminister auf das Cover und macht mit einer Zahl auf, die längst kursiert: 3,9 Millionen. Damit sind jedoch keineswegs Arbeitnehmer gemeint. Bereits am 19. April brachte das IW Köln eine Falschmeldung, wonach 4,2 Millionen Menschen in Deutschland den Spitzensteuersatz zahlen müssten. Die neoliberale Presse griff das begierig auf, z.B. auch die FAZ. Nun kommt uns also das Handelsblatt mit 3,9 Millionen. Diese Zahl ist jedoch nirgends außer beim Handelsblatt zu finden. Die heutige FAZ liefert niedrigere und detaillierte Angaben zum Spitzensteuersatz. Auf n-tv heißt es dagegen:

"Nach aktuellen Schätzungen des Bundesfinanzministeriums fallen in diesem Jahr etwa 2,69 Millionen Steuerpflichtige unter den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Unter Berücksichtigung der Zusammenveranlagung von Eheleuten betrifft dies damit 3,73 Millionen einkommensteuerpflichtige Personen."

Es wird auch nicht von Arbeitnehmern gesprochen, d.h. auch Selbständige und Unternehmer sind in dieser Zahl enthalten. Haushalte von Ehepaaren werden zudem als zwei Personen gezählt.

Fazit: Was das Handelsblatt bei der Rentenpolitik geißelt, das praktiziert sie bei den Steuern selber: Dramatisierende Darstellungen in Umlauf bringen. So etwas könnte man auch als die typische neoliberale Doppelmoral in der Medienberichterstattung bezeichnen. Dazu passt auch, dass das Handelsblatt rechtzeitig vor der NRW die Geschichte Das Rentner-Debakel bei Mannesmann über den SPD-Bürgermeister in Mühlheim lanciert, bei dem es um einen Betriebsrenten-Skandal geht. In seinem neoliberalen Flaggschiff interessiert sich das Handelsblatt dagegen nicht annähernd so rührend um die Interessen der Rentner. Im Gegenteil! Die Belange der Rentner werden mit Füssen getreten. Hauptsache die Profite der Finanzdienstleistungsbranche stimmen.

DESTATIS (2017): Altersdurchschnitt der Bevölkerung sank 2015 auf 44 Jahre und 3 Monate,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 13.06.

"Nach 24 Jahren steter Zunahme sank das durchschnittliche Bevölkerungsalter in Deutschland im Jahr 2015 erstmals seit der Wiedervereinigung. Zum Ende des Jahres 2015 lag das Durchschnittsalter aller Einwohnerinnen und Einwohner der Bundesrepublik Deutschland bei 44 Jahren und 3 Monaten. Im Vorjahr hatte es noch 44 Jahre und 4 Monate betragen.", meldet das Statistische Bundesamt.

PETER, Tobias (2017): Von 2036 an droht eine Explosion der Altersarmut.
Studie: Weder SPD noch CDU versprechen brauchbare Rentenreformen,
in:
Frankfurter Rundschau v. 27.06.

Die Schlagzeile spricht von einer Explosion der Altersarmut ab 2036, eine dreiste Irreführung, denn über die Zeit nach 2036 wird in der Studie Entwicklung der Altersarmut bis 2036 gar nichts ausgesagt. Zudem sind die Annahmen zur weiteren Entwicklung fragwürdig, denn Ausgangspunkt sind veraltete Daten zur Bevölkerungsvorausberechnung (Variante 2 der 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung vom Frühjahr 2015). Aufgesetzt wird auf das Jahr 2013, d.h. die positivere Entwicklung der Rentenversicherung der letzten 3 Jahre fließt nicht in die Annahmen ein.

"Die Schätzungen der Übergangswahrscheinlichkeiten – bspw. die Wahrscheinlichkeit, von Beschäftigung in Rente zu wechseln – beruhen auf Längsschnittdaten der Erhebungsjahre 2005 bis 2013. Die Verwendung von mehr als zwei Jahren ermöglicht aufgrund der höheren Fallzahlen präzisere Schätzungen der Übergänge" (2017, S.24),

heißt es in der Studie, d.h. die Änderungen durch das Flexirentengesetz, das Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist, sind in den Berechnungen nicht berücksichtigt. Die Haushaltseinkommen werden auch nicht angemessen berücksichtigt:

"Die Stichprobe wird auf Personen eingeschränkt, die im Ausgangsjahr 2013 in der Altersgruppe 44–66 sind. Dies sind also Personen, die zwischen 2014 und 2036 die Regelaltersgrenze von 67 Jahren erreichen. Partnerinnen und Partner außerhalb dieser Altersspanne werden mitgeführt, jedoch nur solange, bis die Personen unserer Zielaltersgruppe 67 Jahre alt sind. Lebt also z. B. ein 44-jähriger Mann mit einer 42-jährigen Partnerin, dann endet die Fortschreibung, sobald der Mann 67 Jahre alt ist, auch wenn die Partnerin noch zwei Jahre unter dieser Altersgrenze liegt." (2017, 24)

Vor allem die Alterseinkommen von Paaren, in denen ein Partner jünger ist, werden also unterschätzt. Die differenzielle Lebenserwartung wird ebenfalls nicht berücksichtigt:

"Die Personen im Ausgangsdatensatz werden bis zum 67. Lebensjahr (einschließlich) fortgeschrieben. Ein Ausscheiden aus der Fortschreibung erfolgt nur aufgrund des Alters; die Sterbewahrscheinlichkeit ist bis zum Alter von 67 Jahren annahmegemäß null." (2017, S.47)

Arme sterben in der Regel früher und viele erreichen deshalb das angenommene Renteneintrittsalter von 67 Jahren gar nicht. Noch gravierender ist die Fortschreibung des Familienstandes bei den Alleinerziehenden:

"Der Familienstand und die Zahl der Kinder bleiben in der Fortschreibung annahmegemäß auf ihrem Ausgangsniveau von 2013. Während diese Annahme im letzteren Fall angesichts der Altersspanne von 44–67 Jahren unproblematisch ist (laut der Geburtenstatistik des Statistischen Bundesamtes sind lediglich 0,3 % aller Geburten des Jahres 2015 auf über 44-jährige Mütter und 5,7 % der Geburten auf über 44-jährige Väter zurückzuführen), gilt dies für den Familienstand nur eingeschränkt. Es ist zwar noch wenig zur Dynamik und Dauer der Alleinerziehenden- Phasen bekannt, jedoch deuten Auswertungen von Ott, Hancioglu und Hartmann (2011) auf Basis des SOEP 1984–2009 darauf hin, dass nur zwischen 10 und 35 % (je nach Gewichtung) der Personen länger als zehn Jahre alleinerziehend bleiben. Das Risiko der Altersarmut wird für die Alleinerziehenden also durch die Annahme eines konstanten Familienstands tendenziell überschätzt. Umgekehrt bedeutet die Annahme, dass die Armutsrisiken durch Trennung und Scheidung nach dem 44. Lebensjahr nicht mehr erfasst werden. Statistiken zeigen jedoch, dass in 42 % der Scheidungen im Jahr 2013 die Frau älter als 45 Jahre alt war; bei den Männern betrug der Anteil sogar 47 % (Statistisches Bundesamt 2014). Die Annahme des konstanten Familienstands ist dennoch üblich in der Literatur, da eine Fortschreibung des Familienstands den Aufwand der Simulation noch einmal erhöht (vgl. Heien, Kortmann und Schatz 2007). Die Unschärfe an dieser Stelle muss bei der Interpretation der Ergebnisse jedoch mitbedacht werden." (2017, S.47)

In keiner der Medienberichte wird jedoch diese Problematik auch nur erwähnt, sondern die Zahlen werden einfach als unstrittig angesehen. Dass sich auch die Haushaltsform im ganzen Zeitraum nicht ändert ist eine sehr fragwürdige Annahme.

Die Studie endet mit dem Jahr 2036 und macht also keinerlei Aussagen über die weitere Entwicklung der Altersarmut. Zum Vorgehen heißt es:

"Im Folgenden werden zunächst die Entwicklung der Armutsrisikoquote und der Grundsicherungsquote über die Zeit beschrieben. Dazu gruppieren wir die Fortschreibungsperiode in vier Intervalle: 2015–2020, 2021–2025, 2026–2030 und 2031–2036. Wie oben beschrieben, weisen wir das Armutsrisiko für eine bestimmte Gruppe der älteren Bevölkerung aus: Wir beschränken uns für jedes Fortschreibungsjahr auf Haushalte, in denen eine Person – entweder der Haushaltsvorstand oder der Partner/die Partnerin – 67 Jahre alt ist. Diese Definition erlaubt es, über die Jahre eine vergleichbare Gruppe von Rentnerinnen und Rentnern abzubilden und den Trend im Armutsrisiko zu untersuchen. Die Auswertungen beziehen sich demnach auf die Kohorten, die zwischen 1947 und 1969 geboren wurden." (2017, S.69)

Die Altersarmut wird anhand zweier Indikatoren gemessen: Der Armutsrisikoquote (60 % des Medianeinkommens) und der Grundsicherungsquote. Bei der Grundsicherungsquote wird auch die verdeckte Armut berücksichtigt - wobei dazu auch die Vermögenswerte wie z.B. Immobilienbesitz mitberücksichtigt werden muss. Dazu heißt es:

"Wir schreiben den Immobilienbesitz konstant fort. Diese Annahme scheint plausibel, da laut Analysen der Bundesbank die Quote der Immobilienbesitzer zwischen dem 25. und 44. Lebensjahr stark ansteigt, danach aber nur geringere Steigerungen verzeichnet (Deutsche Bundesbank 2016)." (2017, S.45)

Der Immobilienbesitz der 67-Jährigen wird also unterschätzt. Dies gilt umso mehr, da die jüngeren Generationen sich Immobilien eher erst im späteren Lebensalter leisten werden. Darauf deutet zumindest die derzeitige Situation hin.

PETER konzentriert sich im Gegensatz zu EUBEL auf die Solidarrente, deren Eckpunkte mindestens 35 Beitragsjahre und 10 Prozent über dem Grundsicherungsniveau sind. Die Studie berücksichtigt zwar diese Kriterien, aber nicht die regional differenzierten Wohnkosten, die durch Durchschnittswerte verzerrt werden. Hinzu kommt, dass die Stichprobe nicht ausreichend groß ist, damit die Wirkung überhaupt geschätzt werden kann. Dies interpretieren die Autoren dahingehend, dass nur sehr wenige davon betroffen sein werden. Da keine Angaben zu den Größenordnungen gemacht werden, ist der Leser nicht in der Lage sich selber ein Bild zu machen. Nicht viel könnte heißen: Hunderte, Tausende oder gar 10.000 und mehr.

SIEMS, Dorothea (2017): Rentner, Geld und die Gerechtigkeit.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos hat die Folgen der SPD-Pläne bis 2040 durchgerechnet. Und warnt vor Ungleichheiten,
in:
Welt v. 01.07.

SIEMS, Dorothea (2017): Deutschland droht chronische Wirtschaftsschwäche.
Als Folge der Bevölkerungsalterung wird sich das Wachstum mehr als halbieren. Einige Faktoren können den Sinkflug noch verhindern,
in:
Welt v. 07.07.

Die Arbeitgeberlobbyorganisation IW Köln macht Wahlkampf für Schwarz-Gelb. Mit ihrer Studie Perspektive 2035 greift sie die unter Ökonomen umstrittene These von der Säkularen Stagnation auf, um eine Erhöhung des Renteneintrittsalters bis 2030 auf 68 Jahre zu fordern. Sie flankieren damit Forderungen von CDU-Politikern nach einer Rente mit 70.

Wie absurd die naive Fortschreibung der Vergangenheit in die Zukunft ist, zeigen die Berechnungen der Studie:

"Die Anzahl der über 67-Jährigen wuchs von 9,6 Millionen im Jahr 1990 auf 14,5 Millionen Personen im Jahr 2015, also um rund 4,9 Millionen. Damit lag im Jahr 2015 der Anteil der über 67-Jährigen an der Gesamtbevölkerung bei 17,7 Prozent (1990: 12,1 Prozent)." (2017, S.15)

Obwohl also die Bevölkerung im Alter von über 67 Jahren innerhalb von 27 Jahren um 5,6 Prozent zugenommen hat, ist dadurch nicht etwa die Wirtschaft zusammengebrochen, sondern im Gegenteil war die Wirtschaftslage seit 1990 nie besser. Die zugenommene Ausbeutung der Arbeitskraft hat den Unternehmen hohe Profite beschert, während die Arbeitnehmer Lohneinbußen hinnehmen mussten. Mit Demografie hat das nichts zu tun, sondern mit einer Politik zugunsten des Kapitals. Die Demografisierung gesellschaftlicher Probleme soll davon ablenken. Bis 2035 erhöht sich der Anteil der über 67-Jährigen kaum mehr als seit 1990:

"Der Anteil der über 67-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wächst bis 2035 von derzeit 17,7 auf 25,8 Prozent" (2017, S.15)

Die Prognose des IW Köln berücksichtigt den Anstieg der Geburtenrate der in den 1970er Jahren geborenen Frauen nicht angemessen, sodass der Anteil der unter 20-Jährigen unterschätzt wird. Hätte man den Demografen Anfang der Jahrtausendwende geglaubt, dann müsste Deutschland bereits seit einem Jahrzehnt schrumpfen. Bei der Geburtenrate wurde noch in den 1990er Jahren ein Rückgang auf 1,2 als nicht unwahrscheinlich angesehen. Dies zeigt, dass Bevölkerungsvorausberechnungen - je länger die Zeiträume sind - keineswegs treffsicher sind.  

CREUTZBURG, Dietrich & Kerstin SCHWENN (2017): Beschäftigungsaufschwung füll Lücken der Rentenkasse.
Das Defizit dürfte sich in diesem Jahr auf 900 Millionen Euro halbieren - der Beitragssatz bleibt stabil,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.07.

Positive Entwicklungen bei der Rentenkasse sind den Neoliberalen ein Ärgernis, weshalb Kaffeesatzleserei betrieben werden muss, um die Entwicklung schlecht zu reden. Nur klappt das nicht so recht:

"Die neue Vorausberechnung legt nun nahe, dass der Beitragssatz selbst im Jahr 2022 nur um 0,1 Punkte auf 18,8 Prozent steigen muss.
Die vorige Schätzung im April hatte für 2022 noch einen Satz von 19,1 Prozent erwarten lassen."

Als das Rentenpaket 2014 beschlossen wurde, sahen die Prognosen noch düsterer aus:

"Im Gesetzgebungsverfahren zum Rentenpaket 2014 hatte die Regierung erwartet, dass die Reserve nur bis 2018 reichen werde; schon 2019 hätte dann der Beitragssatz auf 19,7 Prozent steigen müssen.
Seither ist jedoch die Zahl der beitragspflichtigen Arbeitnehmer um zwei Millionen auf 32 Millionen gestiegen, deutlich stärker als erhofft. Allein von Januar bis Mai 2017 hat die Rentenkasse daher 89,7 Milliarden Euro an Beiträgen eingenommen. 3,8 Milliarden Euro mehr als im Vorjahreszeitraum."

Aufgrund politischer Vorgaben darf die Nachhaltigkeitsrücklage einen bestimmten Betrag nicht überschreiten, sodass dadurch die Plünderung der Rentenkasse zu Lasten der Arbeitnehmer als Sachzwang verkauft werden kann. So sind sowohl die Mütterrente und die Ostrentenangleichung als gesamtgesellschaftliche Aufgaben nicht aus Steuern finanziert worden, sondern durch die Beiträge der Arbeitnehmer. Dieser Skandal aber wird von CREUTZBURG & SCHWENN ausgeblendet.

Am Schluss wird auf den Beschluss des Betriebsrentenstärkungsgesetzes, der Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente und der Ostrentenangleichung hingewiesen. Wie bei Neoliberalen üblich, wird dabei der Stärkung der privaten Altersvorsorge der größte Raum gewidmet. Die Bekämpfung der Altersarmut gilt Neoliberalen als nachrangiges Problem.

BILD-Titelgeschichte: Neue Rentenpläne
Welcher Jahrgang bekäme am meisten? Die große Tabelle!

Obwohl die Prognos-Auftragsstudie Generationengerechte Rentenpolitik? Gewinner und Verlierer aktueller Reformvorschläge der neoliberalen Lobbyorganisation INSM erst am Mittwoch vorgestellt wird, hat die Bildzeitung bereits die Ergebnisse präsentiert und die Nachrichtenagentur dts ebenfalls Ergebnisse in Umlauf gebracht.

Die neoliberale Kampagne richtet sich zum einen gegen die Mütterrente der CSU und zum anderen gegen die Stabilisierung des Rentenniveaus der SPD. Dem Leser wird durch solche Vorabinformationen in der Öffentlichkeit die Möglichkeit genommen, die Annahmen zu überprüfen, denn diese sind entscheidend, wenn es um angebliche Gewinner- und Verlierergenerationen geht. Die Mütterrente spaltet z.B. nicht nur Generationen, sondern auch Kinderlose und Eltern, was bei den Vorabinformationen unberücksichtigt bleibt.  

EHRENTRAUT, Oliver & Stefan MOOG (2017): Generationengerechte Rente?.
Gewinner und Verlierer aktueller Rentenvorschläge,
in:
insm.de v. 30.08.

Das Prognos-Institut hat die Gewinne und Verluste nur bis zum Jahr 2045 gerechnet, während die Bild-Zeitung die höchsten Verluste bei der Alterssicherung beim Geburtsjahrgang 2015 sieht.

Da die Berechnungen nur bis 2045 gehen, in dem der Geburtsjahrgang 2015 erst 30 Jahre alt ist, bleiben dessen Rentenhöhe und damit die eine Seite der Bilanz unberücksichtigt. Oder anders formuliert: Für die jüngeren Geburtsjahrgänge werden tendenziell nur die Beitragslasten berücksichtigt, während die Rentenleistungen unter den Tisch fallen.

"Als heutige Generation betrachten wir die Geburtsjahrgänge 1915 und früher (heute 100-Jährige und älter) bis 2015 (heute 0-Jährige/Neugeborene). Zur Bestimmung der Netto-Zahllasten in den einzelnen Szenarien werden für jeden Geburtsjahrgang die zukünftig zu leistenden durchschnittlichen Zahlungen an die GRV sowie die im Gegenzug empfangenen durchschnittlichen Leistungen ermittelt" (2017, S.13),

heißt es dazu in der Studie. Der Pferdefuß bei der Sache, offenbart jedoch die Fußnote:

"Die zukünftig noch zu leistenden Zahlungen bzw. noch zu empfangenden Leistungen umfassen für jeden Jahrgang jeweils den gesamten verbleibenden Lebenszyklus. In der Vergangenheit liegende Zahlungen werden bei dieser Betrachtung nicht berücksichtigt" (2017, Fn14 S.13)

Oder anders formuliert: Die Beitragszahlungen der älteren Geburtsjahrgänge werden in der Bilanz einfach wegdefiniert. Eine seriöse Generationenbilanz hätte alle Beitragszahlungen und Leistungen über die gesamten Lebensabschnitte der Geburtsjahrgänge zu betrachten, statt nur jene zwischen 2015 und 2045.

Die Berechnungen enden zudem merkwürdigerweise genau zu jenem Zeitpunkt, wo der Altenquotient nach der Variante 2-A der Bevölkerungsvorausberechnung sinkt, d.h. ein Wendepunkt der Be- und Entlastungen in der Rentenversicherung stattfinden würde.

Anders als die FAZ gestern berichtete, spielt die Lebenserwartung und damit die Rentenbezugsdauer eines Geburtsjahrgangs keinerlei Rolle, weil lediglich der Zeitraum 2015 bis 2045 und nicht die Lebensspannen der Geburtsjahrgänge die Berechnungsgrundlagen sind. 2015 geborene Jungen werden ca. 78 Jahre alt, Mädchen dagegen 83 Jahre.

Fazit: Wären die Gewinn- und Verlustbilanzen von PROGNOS seriös, dann müssten die Berechnungen bis 2083 durchgeführt werden, denn bis dahin kassiert eine durchschnittlich 2015 geborene Frau Rentenleistungen. Stattdessen bleiben die Jahre 2045 bis 2083 in den Berechnungen außen vor. Bevölkerungsvorausberechnungen bis 2083 wären zudem nicht mehr als Kaffeesatzleserei. Die angeblichen Generationenbilanzen sind also nichts als Fake-News!

Die Annahmen der Prognos AG werden in der Studie insgesamt nur rudimentär dargestellt, sodass deren Ausblendungen nur teilweise sichtbar werden. Für den Leser ist es deshalb nicht möglich z.B. die Umlegung der Kosten und Leistungen auf die einzelnen Geburtsjahrgänge nachzuprüfen. Auch das ist nicht wissenschaftlich seriös, sondern die Konsequenz, dass mit den Berechnungen ein Unternehmen beauftragt wurde, das in Marktkonkurrenz zu anderen Privatinstituten steht und deshalb zentrale Annahmen geheim gehalten werden.

Ein Vergleich der Rentenausgaben mit früheren Prognos-Studien zeigt zudem weitere Unplausibilitäten. Für 2015 rechnet die jetzige Studie mit Rentenausgaben von 277,2 Mrd. Euro (vgl. 2017, S.4)). Das liegt um 32 Mrd. Euro über einer Studie vom Januar 2017 und selbst noch fast 2 Mrd. über eine Studie vom Oktober 2016. Auch bei den Status Quo-Szenarien für das Jahr 2040 ergeben sich gravierende Unterschiede: Während bei der jetzigen Studie von 472 Mrd. Euro ausgegangen wird (vgl. 2017, S.8), lagen frühere Berechnungen zwischen 450 Mrd. und 669 Mrd. Euro. Selbst innerhalb der Studie widersprechen sich die Zahlenangaben. So werden einmal 524 Mrd. Euro für das Jahr 2045 angegeben (vgl. 2017, S.4), dann wieder 515 Mrd. Euro (vgl. 2017, S.8). Allein diese Vergleichszahlen zeigen, dass die Berechnung von Gewinnern und Verlierern eine gewisse Willkür der jeweiligen Annahmen unterliegt.

SCHWENN, Kerstin (2017): Was, wenn die Babyboomer in Rente gehen.
Höheres Rentenniveau, Mindest- und Garantierente, aber keinesfalls Rente mit 70: Das sind die Konzepte der Parteien für die Altersvorsorge,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.09.

Kerstin SCHWENN jammert uns die Ohren voll, weil Angela MERKEL der Rente mit 70 eine Absage erteilt hat. Deswegen kann nun nach Meinung von SCHWENN die Rentenkommission nicht mit den neoliberalen Ökonomen von Axel BÖRSCH-SUPAN über Lars FELD, Marcel FRATZSCHER, Michael HÜTHER und Bernd RAFFELHÜSCHEN bis zu Reinhold SCHNABEL besetzt werden. Das aber wäre nicht schlimm, denn dann kämen vielleicht endlich einmal renommierte Rentenexperten wie z.B. Gerhard BÄCKER zum Zuge. Bert RÜRUP, Architekt der Agenda 2010, zählt SCHWENN dagegen nicht zu jenen, die die Rente mit 70 unbedingt schnell umsetzen wollen.

Besonders schlimm findet SCHWENN die gute Finanzlage, weshalb der Druck zu schnellen Reformen fehle. Man kann das auch anders sehen, nämlich, dass die Prognosen allzu pessimistisch waren und der demografische Wandel nicht jene Wucht hat wie Neoliberale das jahrzehntelang beschwört haben. Dafür spricht die dämliche Rede von einem "demografischen Zwischenhoch", das verdecken soll, dass die Demografen mit ihren Bevölkerungsvorausberechnungen voll daneben lagen. Es wird endlich Zeit die Vorherrschaft der Symbiose von nationalkonservativen Bevölkerungsdemagogen und neoliberalen Panikmachern zu brechen, damit der demografische Wandel endlich seriös und unvoreingenommen betrachtet werden kann. Stattdessen schwadronieren SCHWENN & Co. über fiktive Generationenlasten in Jahrzehnten als ob die Zukunft nicht offen wäre.

Fazit: Der Artikel bringt keine neuen Fakten, sondern betet schlicht das übliche neoliberale Mantra herunter als ob sich in den letzten Jahren nicht eine Fehlprognose an die andere Fehlprognose gereiht hätte. Einsichtsfähigkeit? Fehlanzeige!     

ÖCHSNER, Thomas (2017): Sieben gute und sieben schlechte Jahre.
Wie geht's der gesetzlichen Rente? Die Bundesregierung wagt in einem Bericht den Blick in die Zukunft. Danach wird das Altersgeld um durchschnittlich gut zwei Prozent steigen. Doch von 2024 an geht es mit den Beiträgen abrupt abwärts,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 22.11.

SOZIALBEIRAT (2017): Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2017,
in: sozialbeirat.de v. 29.11.

Das Gutachten des Sozialbeirats übt keine Kritik an den Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung. Er verdoppelt lediglich die BMAS-Annahmen. Es müsste eigentlich erstaunen, dass lediglich auf den Altenquotient auf Basis der 65-Jährigen, statt der 67-Jährigen verwiesen wird:

"Der Sozialbeirat hält die genannten Annahmen grundsätzlich für nachvollziehbar und plausibel. Im Ergebnis steigt der Altenquotient (hier definiert als das Verhältnis der Anzahl der 65-Jährigen und Älteren zur Anzahl der Jüngeren im Alter von 20 bis 64 Jahren) in den Vorausberechnungen etwas langsamer als bislang und fällt im Jahr 2031 mit 49,0 Prozent um 1,2 Prozentpunkte niedriger als in der ursprünglichen Schätzung der Basis des Jahres 2013 aus." (S.3)

Bekanntlich liegt das Renteneintrittsalter ab 2030 bei 67 Jahren, d.h. das Gutachten zum Rentenversicherungsbericht 2017 rechnet die Entwicklung schlecht. Im Rentenversicherungsbericht selber wird dagegen gar nicht auf den Altenquotienten eingegangen, denn dieser ist keineswegs die relevante Größe für die zukünftige Rentenentwicklung.

Lediglich bei den Annahmen zur Rendite der Riester-Rente wird eine weitere Variante zur Zinsentwicklung und eine Evaluation der Entwicklung angemahnt. Der Sozialbeirat wurde im Vorfeld der Teilprivatisierung Anfang des Jahrtausends zu einem zahnlosen Tiger zurechtgestutzt wie bei Diana WEHLAU ("Lobbyismus und Rentenreform") nachgelesen werden kann.

SIEMS, Dorothea (2017): Für Senioren lohnt sich Arbeit zu wenig.
OECD-Studie: Die Flexirente ist nicht hilfreich. Anreize für längere Erwerbstätigkeit sind nötig,
in:
Welt v. 06.12.

Die Neoliberale Dorothea SIEMS bringt nur die Interessen von Wirtschaft und Besserverdienenden zur Sprache. Altersarmut ist kein Thema. Die drei Grafiken sind mit Rapide Alterung, Rente wird immer teurer und Wie viel das Arbeiten im Rentenalter bringt überschrieben, was bereits die angeblichen Probleme der deutschen Alterssicherung suggerieren soll.

Die Grafik Rapide Alterung nennt als Quelle die OECD. Der OECD-Report Pensions at a Glance 2017 wiederum verweist auf die UN und die World Population Prospects Revision 2017. Angegeben wird nicht etwa der Altenquotient für 67-Jährige und Ältere, was für 2050 der gegenwärtig gültige Rahmen wäre, sondern nur für 65-Jährige und Ältere. In der Grafik werden nur 10 der 35 OECD-Länder dargestellt. Aus der folgenden Tabelle sind die 10 OECD-Länder mit dem höchsten Altersquotienten im Jahr 2050 ersichtlich (vgl. OECD-Bericht 2017, S.123):

Rang Land Welt-Grafik Altenquotient
im Jahr 2050
1 Japan vorhanden 77,8
2 Spanien vorhanden 77,5
3 Griechenland fehlt 73,4
4 Portugal fehlt 73,2
5 Italien vorhanden 72,4
5 Südkorea vorhanden 72,4
7 Slowenien fehlt 66,8
8 Polen fehlt 60,8
9 Österreich fehlt 59,4
10 Deutschland vorhanden 59,2

Neun OECD-Länder altern schneller als Deutschland bei dieser UN-Bevölkerungsvorausberechnung. Entscheidend für die Alterung im Jahr 2050 sind die Annahmen für die Geburtenentwicklung. Die UN ist für Deutschland von folgenden Annahmen ausgegangen (vgl. UN 2017, S.327):

Deutschland Geburtenrate (TFR)
2015 - 2020 1,47
2025 - 2030 1,54
2045 - 2050 1,63

Diese Annahmen bleiben hinter der tatsächlichen Geburtenrate zurück. Die Kinderzahl des Frauenjahrgangs 1973 lag in Deutschland bereits 2014, also im Alter von 41 Jahren bei 1,54. Sollten die Geburten bis zum Ende der Gebärfähigkeit noch genauso hoch sein wie die Frauenjahrgänge der letzten Jahre, dann wird die endgültige Kinderzahl mindestens bei 1,57 liegen und könnte sogar 1,6 erreichen, wenn der gegenwärtige Trend zu mehr Geburten in immer höheren Lebensaltern weiter anhält. Aufgrund der Fehlanreize des Elterngeldes hat sich der Anstieg noch weiter verstärkt. Im Jahr 2006 lag der Höhepunkt der Fruchtbarkeit noch im Alter von 29 Jahren (Frauenjahrgang 1975), im Jahr 2007 als das Elterngeld eingeführt wurde, sprang der Höhepunkt der Fruchtbarkeit auf das Alter von 31 Jahren (Frauenjahrgang 1976). Bei den Frauenjahrgängen 1977 - 1980 verharrte er auf diesem Level. Für die jüngeren Frauenjahrgänge deutet sich ein weiterer Anstieg an.

2018

BÖNKE, Timm/KEMPTNER, Daniel/LÜTHEN, Holger (2018): Wege zur Stabilisierung des Rentensystems: Abschläge auf die Frührente sind besser als Nullrunden,
in:
DIW-Wochenbericht Nr.8 v. 21.02.

Unter Marcel FRATSCHER ist das DIW wieder stärker zum Hort des Neoliberalismus geworden. Insbesondere auf dem Feld der Rentenpolitik nimmt die Demografisierung gesellschaftlicher Probleme und die Dramatisierung der kommenden Entwicklung ideologische Züge an.

"Eine Maßzahl für diese Entwicklung ist der Altenquotient, der den Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen ins Verhältnis zu den erwerbsfähigen 20- bis 64-Jährigen setzt (...). Für Deutschland dokumentiert die OECD eine Verdopplung von 16,2 Prozent im Jahr 1950 auf 34,8 Prozent im Jahr 2015 und prognostiziert einen weiteren Anstieg auf circa 60 Prozent bis zum Jahr 2050"
(2018, S.126),

erklären uns BÖNKE/KEMPTNER/LÜTHEN. Das mag auf den ersten Blick erschreckend sein, weil ein Maßstab zur Einordnung dieser Zahlen fehlt. Die Autoren verweisen bei ihren Zahlen auf den OECD-Bericht Pensions at a glance 2017. Auf Seite 123 befinden sich Zahlen für andere OECD-Länder und deren Anstieg des Altenquotienten, der aus der folgenden Tabelle ersichtlich ist:

Land 1950 2015 2050
Deutschland 16,2 % 34,8 % 59,2 %
Italien 14,3 % 37,8 % 72,4 %
Griechenland 12,3 % 33,0 % 73,4 %
Spanien 12,8 % 30,6 % 77,5 %
Japan 9,9 % 46,2 % 77,8 %

Es zeigt sich, dass andere europäische Länder und Japan viel schneller altern als Deutschland, wobei die Zahlen für 2050 sowieso Kaffeesatzleserei sind. Während sich die Alterung in Japan gegenüber 1950 bis 2050 fast verachtfachen soll, sind es in Deutschland noch nicht einmal vier mal so viel. In Japan vollzog sich dieser Anstieg um das Vierfache bereits zwischen 1950 und 2015. In Japan müssten sich die Rentenprobleme also längst gezeigt haben, die Deutschland erst 2050 drohen sollen. Neoliberale blicken dagegen auf Japan und wollen uns erzählen, dass erst das Japan der Zukunft mit unseren heutigen Problemen identisch sei. Das aber entspricht nicht der Faktenlage.   

Außer dem Hinweis auf den Anstieg des Altenquotienten bleibt der Artikel jeden Beleg für ein Finanzierungsproblem schuldig. Der Hinweis auf die "Babyboomer-Generation" genügt mittlerweile, um ein Finanzierungsproblem zu behaupten. Auf dieser Webseite wird dies als Demografisierung gesellschaftlicher Probleme kritisiert. Dahinter steht die Ideologie, dass die Frage der Problematik gar nicht mehr erörtert werden muss, weil die zukünftige demografische Entwicklung angeblich vorprogrammiert ist. Weder die These von der Vorprogrammierung, noch die Tatsache, dass die weitere Finanzierung der Renten von nicht-demografischen Faktoren wesentlich stärker beeinflusst wird, wird noch breit diskutiert. Dies wird auf dieser Website als das eigentliche Problem betrachtet.

SIEMS, Dorothea (2018): Geschenke für fünf Billionen.
SPD und Union treiben die versteckte Verschuldung in die Höhe. Finanzexperten fordern stattdessen die Rente mit 70,
in: Welt v. 20.06.

Dorothea SIEMS betreibt heute Gegenaufklärung im Namen der neoliberalen Lobbyorganisation Stiftung Marktwirtschaft. Die Nennung großer Summen soll uns einschüchtern und mithelfen den Sozialstaat weiter abzubauen. Seriöse Berichterstattung würde den Zeitraum nennen, in dem die fiktiven Verschuldungssummen fällig würden. Das aber unterlässt SIEMS. Der Leser hat dadurch keinerlei Möglichkeit die Bewertung des Artikels nachzuprüfen, sondern ist auf die Gottheit SIEMS als Interpretationsinstanz zurückgeworfen. Zudem soll Prominenz für die Güte der Aussagen herhalten. Die Marke RAFFELHÜSCHEN steht für den Versuch mithilfe von Generationenbilanzen, also fiktiven Summen zu nur unter ganz bestimmten Annahmen fälligen Zahlungen, den Sozialabbau unhinterfragbar zu machen.

Nimmt man sich die Originale vor, dann wird zum einen deutlich, dass die implizite Staatsverschuldung um 0,5 Billionen Euro von 2017 bis 2018 gesunken ist, was SIEMS verschweigt, weil es ihr nicht ins Konzept passt. Auch auf der Website werden die Zeiträume nicht explizit genannt. Die Bevölkerungsentwicklung wird jedoch bis 2086, also über einen Zeitraum von 70 Jahren, aufgeführt. Nimmt man an, dass auch die Zahlen zur impliziten Staatsverschuldung für diesen sehr langen Zeitraum berechnet wurden, dann schmelzen die bislang als gigantisch wahrgenommenen Zahlen plötzlich auf normale Dimensionen zusammen. Ein Anstieg der Rentenausgaben auf 173 % gerät dann z.B. zu einem jährlichen Anstieg von nicht einmal 2,5 %. Bei einer Produktivitätssteigerung von 2,5 % pro Jahr ergäbe sich sogar keinerlei Mehrbelastung!

Fazit: Wer die Zeiträume verschweigt, die bei Berechnungen angenommen werden, der will nicht aufklären, sondern verdummen!  

SCHWENN, Kerstin (2018): Arbeitgeber: Rentenpläne "teuer, ungerecht, kurzsichtig".
Scharfe Kritik an Heils Paket. IWH-Studie: Steuerzuschuss erreicht 160 Milliarden Euro im Jahr 2030,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.07.

Seit der Vorstellung des RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetzes bedankt sich die Arbeitgeberlobby mit ganzseitigen Anzeigen für die Loyalität der neoliberalen Mainstreampresse, die durch Anzeigenschwund auf solche Zuwendungen besonders angewiesen ist. Es wundert also kaum, dass SCHWENN einen völlig einseitigen Bericht liefert, bei dem sich die Arbeitgeberlobbyisten BDA und INSM - kaum verwunderlich ergänzen. Während die BDA eine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf mit den üblichen Argumenten abgegeben hat, lässt sie sich von ein INSM-Auftragsstudie ihre Sicht bestätigen. Diesmal wurde das IWH gesponsert.

Während üblicherweise Neoliberale behaupten, dass ihnen die Erwerbsminderungsrentner besonders am Herzen liegen, weil hier Verbesserungen einer Gruppe zukommen, die besondere Armutsrisiken ausgesetzt sind, werden sie schnell zu Gegnern solcher Maßnahmen, wenn es Ernst wird:

"Auch mit den Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner schieße der Gesetzgeber über das vertretbare Maß hinaus, weil diese danach künftig bei sonst gleicher Versicherungsbiographie deutlich höhere Renten als Altersrentner erhielten".

Das Argument ist natürlich pure Augenwischerei, weil auch die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente bei den vorangegangenen Reformen mit dem gleichen Argument hätten abgelehnt werden müssen! Meist werden Verbesserungen aber damit abgelehnt, dass Missbrauch unterstellt wird. Die Art der Argumentation des IWH ist nur etwas subtiler - kommt aber auf dasselbe hinaus.

Das IWH-Gutachten arbeitet mit völlig veralteten EUROSTAT-Daten aus dem Jahr 2017, obgleich die Variante 2A von DESTATIS zur Verfügung gestanden hätte. Aber offensichtlich war den Wissenschaftlern selbst diese relativ pessimistische Bevölkerungsvorausberechnung zu optimistisch. Es wird auch nicht mit realitätsnahen Zahlen gearbeitet, sondern mit realitätsfernen Altersquotienten. Schließlich soll die Entwicklung der Rentenausgaben möglichst hoch sein, um den Interessen der Arbeitgeberlobby zu entsprechen, denn schließlich möchte man das nächste Mal auch wieder beauftragt werden!        

SCHWENN, Kerstin (2018): Die Mütterrenten treffen Steuerzahler immer härter.
Die Beiträge für die Kindererziehungszeiten steigen in Milliardenschritten. 2019 muss der Bundesfinanzminister schon 15,4 Milliarden Euro an die Rentenkasse überweisen. Gleichzeitig kommen immer mehr Babys in Deutschland auf die Welt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.08.

In den Nuller Jahren erklärte uns der neoliberale Meanstreamjournalismus, dass ohne einen Geburtenanstieg die Sozialsysteme vor dem Kollaps stehen. Nun, da der Geburtenanstieg da ist, erscheint er als großes Übel.

Seit 2014 die Mütterrente für Kinder, die vor 1992 geboren wurde, in Kraft trat, hetzen Neoliberale gegen solche Leistungsverbesserungen für Mütter. Nun haben Neoliberale entdeckt, dass auch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei Müttern, der Kinder 1992 und später geboren wurden, unser Sozialsystem ruiniert!

"Die Zahl der Neugeborenen stieg zwischen 2011 und 2016 um insgesamt 20 Prozent",

hat Kerstin SCHWENN plötzlich entdeckt! Deutschland hat den Geburtenanstieg verschlafen, weil den Mainstreammedien die interessengeleiteten Bevölkerungsvorausberechnungen gut ins Sozialabbaukonzept passten. Die Amtsstatistiker leugneten bis vor kurzem, dass nicht nur die Anfang der 1970er Jahre geborenen Frauen mehr Kinder bekommen. Immer noch pochen sie darauf, dass der Geburtenanstieg einfach ausgesessen werden kann. Das kaputt gesparte Erziehungs- und Schulsystem soll deshalb mittels kurzsichtigen Maßnahmen auf einen kurzzeitigen Geburtenberg reagieren. Dieser ist angeblich 2025 wieder abgebaut. Dies könnte klappen, weil verärgerte Frauen dann einfach wieder weniger Kinder bekommen - dank neoliberaler Politik.

Nun wird es ganz perfide: Nachdem FAZ & Co. in den Nuller Jahren Deutschland am Abgrund sahen, weil zu wenig Kinder geboren wurden, kommt nun die Kehrtwende: Deutschland steht am Abgrund, weil zu viele Kinder geboren werden. Und wer ist schuld? Der Anstieg der Löhne und die damit verbundene Kopplung der Bewertung von Erziehungszeiten:

"Im Jahr 2000, dem ersten vollen Jahr der Übernahme der »Mütterrente«, kostete dies den Bund knapp 11,5 Milliarden Euro. (...). 2014 lag er bei 11,8 Milliarden. Euro. Von 2015 an aber sind Kostensprünge zu beobachten (...) bis auf 15,4 Milliarden im nächsten Jahr.
Eine Ursache dafür ist der Anstieg der Löhne in Deutschland, an dem die Entwicklung der Erziehungsbeiträge des Bundes anknüpft."

Anders formuliert: Die Kopplung ans Rentenniveau wird uns als Übel beschrieben. Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist Neoliberalen ein Dorn im Auge. Weshalb also das Rentenniveau nicht abschaffen? Neoliberale wollen einen neuen Indikator einführen. Damit soll die Alterarmutsdebatte entschärft werden. Erste Schritte wurden bereits - ohne dass ein Aufschrei erfolgte - umgesetzt, wie der Beitrag von Johannes STEFFEN zeigt. Die nun ins Visier genommenen Anrechungsmodalitäten für Kindererziehungszeiten sind ein weiterer Schritt, um den Indikator bzw. die Stellschraube Rentenniveau zu diffamieren. Man kann sicher sein, dass alle Bemühungen der Neoliberalen auf das Ziel hinauslaufen, unerwünschte Debatten zu verhindern und geräuscharme Wege zu eröffnen, um weiteren Abbau der Sozialleistungen vorzubereiten.

Am 22. August soll gemäß SCHWENN das Rentenpaket vom Bundestag beschlossen werden.

FRIESER, Michael (2018): Auf Kosten der künftigen Generationen?
Die Gegenwart: Der demographische Wandel ist keine Floskel. Die Alterung der Bevölkerung wirkt sich auf viele Bereiche von Gesellschaft und Staat aus. Das ist jedoch kein Grund zu verzagen. Denn wer stets nur negative Szenarien darstellt, der gestaltet nicht die Zukunft. Ergreifen wir die Chancen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 03.09.

STOCKER, Frank (2018): Wachstum trotz alternder Gesellschaft.
Obwohl der demografische Wandel fortschreitet, kann der Wohlstand steigen - wenn Regierung und Industrie vorsorgen,
in:
Welt v. 12.09.

"Daron Acemoglu und Pascal Restrepo vom National Bureau of Economic Research in den USA (...) stellten das Wachstum der Volkswirtschaften zwischen 1990 und 2015 der jeweiligen demografischen Entwicklung gegenüber.
Dabei erkannten sie erstaunt, dass es »entgegen einer ganzen Reihe von Theorien, inklusive jener einer demografisch bedingten säkularen Stagnation, keine negative Beziehung zwischen der Alterung der Bevölkerung und einem langsameren Pro-Kopf-Wachstum gibt«",

erzählt uns Frank STOCKER, der den Ersatz der Ungeborenen durch Roboterisierung und andere technologische Innovationen als Erklärung anbietet. Möglicherweise liegt es aber an der mangelnden Erklärungskraft der Demografie selber, die uns von Journalisten wie STOCKER nahe gelegt wird:

"Der Jahrgang 1964 umfasst beispielsweise 1,4 Millionen Personen, die in rund zwölf Jahren das Rentenalter erreichen. Der Jahrgang 2010, dessen Angehörige dann 20 Jahre alt sind, umfasst jedoch gerade mal halb so viele Menschen. Es fehlen 700.000 potenzielle Arbeitnehmer".

Das könnte man auch als Demographismus bezeichnen, denn Jahrgänge verändern ihre Größen durch Wanderungs- und Sterbeprozesse. Das kann man anhand der aktualisierten Bevölkerungsvorausberechnung ersehen. Der Geburtsjahrgang 1964 wurde im Jahr 2015 51 Jahre alt und umfassten damals rund 1,401 Millionen Menschen. Zwölf Jahre später werden sie 63 Jahre alt und umfassen nur noch 1,333 Millionen Menschen. Der Jahrgang 2010 wurde dagegen 2015 5 Jahre alt und umfasste rund 699.000 Menschen. 2027 werden es jedoch voraussichtlich bereits 759.000 Menschen sein.

Fazit: Der Verweis auf die Ungeborenen, der dem nationalkonservativen Gedankengut zu eigen ist, vernachlässigt sowohl Wanderungs- als auch Sterbeprozesse, die in den üblichen Berechnungen der angeblich zukünftig fehlenden Fachkräfte vernachlässigt werden. Die Berechnungen, die mit Geburtsjahrängen argumentieren, verzerren unseriöserweise die wirklichen demografischen Gegebenheiten, die in einem Land zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt herrschen.

SCHWENN, Kerstin & Dietrich CREUTZBURG (2018): Koalition lässt Beitragssenkung ausfallen.
Der Rentenbeitrag kann auf 18,2 Prozent sinken - doch das Rentenpaket verhindert diese Entlastung,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 07.11.

SCHWENN, Kerstin (2018): Rentenkassen sind prall gefüllt.
Finanzpolster von 38 Milliarden Euro wird bald aufgezehrt,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.11.

 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 05. März 2014
Update: 13. Februar 2019