2016
LESSENICH, Stephan
(2016): Die Volksmaße.
SZ-Serie Was ist Deutsch?: Die
Ungleichheit ist groß, und doch ging es Deutschland nie so gut wie
heute. Wer die Angst vor einer nationalen Krise herbeireden will,
sollte ein paar Zahlen kennen,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
25.01.
"Insbesondere für Männer lässt sich (...) ein deutlicher
Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung feststellen:
nur sieben von zehn Männern aus Armutshaushalten (aber neun von
zehn aus den obersten Einkommensgruppen) erleben überhaupt ihren
65. Geburtstag. Ihre Lebenserwartung bei Geburt ist gegenüber
jener der Bestverdienenden um durchschnittlich zehn Jahre, die
sogenannte »gesunde Lebenserwartung« sogar um fast 15 Jahre
reduziert. Deutschland altert also, aber äußerst
»differenziell«, wie die Sozialstrukturanalyse das frühe
Erkranken und Sterben in Armutsmilieus elegant umschreibt",
hält der Soziologe Stephan
LESSENICH den Krankenkassen und Lebensversicherern entgegen, die
über die Alterung der Gesellschaft klagen. Oder anders formuliert:
Die so genannten "schlechten Risiken" nehmen in einer stark sozial
ungleichen Gesellschaft der Langlebigen wie Deutschland ab statt
zu.
HE, Wan/GOODKIND,
Daniel/KOWAL, Paul (2016): An Aging World: 2015. International
Population Reports, U.S. Census Bureau, März
DESTATIS (2016): Lebenserwartung für Jungen 78 Jahre, für Mädchen 83
Jahre,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 04.04.
LAMPERT, T./HOEBEL, J./KUNTZ, B./FUCHS, J./SCHEIDT-NAVE, C,
NOWOSSADECK, E (2016) Gesundheitliche Ungleichheit im höheren
Lebensalter, Robert Koch – Institut, Berlin, GBE kompakt Nr.1 v.
08.03.Lampert T, Kroll LE (2014) Soziale Unterschiede in der
Mortalität und Lebenserwartung. Hrsg. Robert Koch-Institut, Berlin.
GBE kompakt 5(2) www.rki.de/gbe-kompakt (Stand: 16.06.2016)
Die Autoren berichten, dass der
Forschungsstand zur Lebenserwartung in Deutschland im internationalen
Vergleich hinter dem in Skandinavien oder Großbritannien zurück
bleibt:
"Der Forschungsstand in Deutschland
ist zwar nicht gleichermaßen entwickelt wie z. B. in Großbritannien
und Skandinavien, einzelne aussagekräftige Studien liegen aber
zwischenzeitlich vor. Beispielsweise belegen Daten des
Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) für den Untersuchungszeitraum
1984-2010 deutliche Unterschiede in der Lebenserwartung älterer
Menschen in Abhängigkeit vom Einkommen (Kroh et al. 2012). Den
Ergebnissen entsprechend beträgt die Differenz in der ferneren
Lebenserwartung ab 65 Jahren zwischen der niedrigen und hohen
Einkommensgruppe 3,5 Jahre bei Frauen und etwas mehr als 5 Jahre bei
Männern. Diese Unterschiede lassen sich der Studie zufolge zumindest
teilweise auf eine erhöhte psychische und physische Belastung im
Lebenslauf, insbesondere im Erwerbsleben, sowie auf geringere
materielle, kulturelle und soziale Ressourcen in der unteren
Einkommensgruppe zurückführen. Soziale Unterschiede in der ferneren
Lebenserwartung zuungunsten älterer Menschen mit geringem Einkommen
bestanden bereits in der westdeutschen Bevölkerung der 1980er und
1990er Jahre, wie eine Auswertung von Daten des
Lebenserwartungssurveys des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung
verdeutlicht (Luy et al. 2015). Spätere Daten der Deutschen
Rentenversicherung belegen, dass die fernere Lebenserwartung im Alter
von 65 Jahren von Männern in West- und Ostdeutschland mit der Anzahl
der in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Entgeltpunkte
(als Indikator für das Lebenseinkommen) ansteigt (von Gaudecker,
Scholz 2007, Shkolnikov et al. 2008, Kibele et al. 2013). Dabei zeigte
sich auch, dass sich die Unterschiede im Zeitverlauf vergrößert haben,
da Männer mit hohem Lebenseinkommen stärker von einer steigenden
Lebenserwartung profitierten als Männer mit sehr niedrigem Einkommen (Kibele
et al. 2013). (...).
Deutschlandweite Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in
Deutschland aus den Jahren 2008 bis 2011 (DEGS1) machen deutlich, dass
Gebrechlichkeit im Alter ebenfalls mit der sozialen Lage
zusammenhängt. So weisen 65- bis 79-Jährige mit niedrigem Sozialstatus
deutlich häufiger Anzeichen von Gebrechlichkeit auf als Gleichaltrige
mit mittlerem und hohem Status (Buttery et al. 2015)."
Die Autoren diskutieren drei
Hypothesen zur Entwicklung der Gesundheit im Alter und der ferneren
Lebenserwartung im höheren Lebensalter. Während einige Forscher von
einem "unveränderten Fortbestehen (»Kontinuität«)" der Ungleichheit
ausgehen, deuten andere Befunde auf eine "Ausweitung (»Divergenz«)"
bzw. "Verringerung oder sogar Angleichung (»Konvergenz«)" hin. Da die
Gesundheit im Alter ein komplexes Geschehen ist, können alle drei
Hypothesen richtig sein, je nachdem welcher Aspekt im Vordergrund
steht.
Fazit: Im Gegensatz zur Entwicklung
der Lebenserwartung ist die Forschung zur Entwicklung der Gesundheit
in Deutschland eher unterentwickelt.
BORSTEL, Stefan von (2016): Wo leben die Deutschen am längsten?
Am Starnberger See werden die
Menschen am ältesten. Am niedrigsten ist die Lebenserwartung im
strukturschwachen Pirmasens,
in:
Welt v. 31.03.
Stefan von BORSTEL berichtet über
eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sabine ZIMMERMANN
(Linkspartei) zur Lebenserwartung in Deutschland. Nach den Daten des
BBSR unterscheidet sich die Lebenserwartung deutlich zwischen
strukturschwachen Regionen, in denen viele Menschen mit geringem
Einkommen leben und Gegenden, in denen viele reiche Menschen leben.
Jedoch gibt es auch große geschlechtsspezifische Unterschiede bei
der Lebenserwartung. Eine Grafik zeigt uns die Unterschiede in der
Lebenserwartung für einige ausgewählte kreisfreie Städte und
Landkreise, wobei nicht kenntlich gemacht wurde, ob die kreisfreie
Stadt oder der Landkreis gleichen Namens gemeint ist.
Tabelle: höchste und
niedrigste geschlechtsspezifische
Lebenserwartung in Deutschland |
|
Quelle: Grafik in
der Welt v. 31.03.2016 |
RÖTZER, Florian (2016): Selber schuld: Arm, kränker und früher Tod.
Sozioökonomische Bedingungen
stehen hinter Unterschieden in der Lebenserwartung von bis zu 10
Jahren, die Bundesregierung sieht Chancengleichheit lediglich durch
Prävention,
in:
Telepolis v. 07.04.
MOHR, Reinhard (2016): Richtig schön alt werden.
Für den Mann, der sich den besten
Jahren nähert, ist der Starnberger See das Paradies: Hier hat er die
höchste Lebenserwartung (aber meiden Sie bloß Pirmasens),
in:
Welt am Sonntag kompakt v.
10.04.
Reinhard MOHR, alternder Ex-Spiegel-Mitarbeiter
und Autor des Buches Generation Z, in dem er das
privilegierte Altern seiner Generationseinheit beschreibt, berichtet
anlässlich einer Studie des Robert Koch Instituts (Welt
31.03.) zu Gesundheit und Lebenserwartung in Deutschland. Nicht die
sozioökonomischen Unterschiede in der
Lebenserwartung interessiert MOHR, sondern lediglich der
Starnberger See als Wohnort von Prominenten, die sich die Gegend
noch leisten können. Ein Artikel also, der auf die Zielgruppe der
People Magazine abzielt. In der Welt am Sonntag findet sich
der Artikel unter der Schlagzeile
Ommm am Wohlstrand.
SEIBEL, Karsten & Holger ZSCHÄPITZ (2016): Gut gemeint.
Das Vertrauen in die
Riester-Rente ist verloren: hohe Kosten, magere Renditen. Drei
Strategien, die Altersvorsorge umzubauen,
in:
Welt am Sonntag kompakt v.
24.04.
SEIBEL & ZSCHÄPITZ versprechen
den überlebenden Riester-Sparern goldene Riester-Zeiten angesichts
der von den Versicherungen zu hoch angesetzten Lebenserwartung:
"In den nächsten Jahrzehnten
müssten Riester-Sparer allein schon davon profitieren, dass
Versicherte früher sterben als angenommen. Für die Berechnung
der jährlichen Rentenzahlung nehmen die Anbieter eine bestimmte
Lebenserwartung an. Stirbt der Versicherte früher, gehen 90
Prozent der nun nicht mehr notwendigen Zahlungen laut Gesetz an
alle Kunden. Da der Großteil der Riester-Sparer nach maximal 25
Beitragsjahren vom Rentenalter noch ein Stück entfernt ist, kann
diese Gewinnquelle noch nicht sprudeln."
ENDT, Christian (2016): Die
Lücke.
Fast überall auf der Welt leben
Frauen mehrere Jahre länger als Männer. Aber warum variiert der
Unterschied von Land zu Land? Die Zahlen verraten einiges über die
Situation der Geschlechter in verschiedenen Gesellschaften,
in:
Süddeutsche Zeitung v.
27.04.
"Eine Frau,
die 2014 geboren wurde, wird im weltweiten Durchschnitt 73,6
Jahre zu leben haben. Ein Mann dagegen nur 69,4 Jahre - fast
vier Jahre weniger",
erklärt uns Christian ENDT.
Berechnet hat dies die Weltbank. Glücklicherweise wird das nie
jemand nachprüfen. Das haben Prognosen so an sich, dass sie mehr
als selten überhaupt nachgeprüft werden. Oder macht sie heutzutage
jemand die Mühe Prognosen von Mitte des 20. Jahrhunderts danach zu
untersuchen, ob sie mit der Realität übereinstimmen?
Die Prognose der Weltbank
könnte erst in fast 74 Jahren überprüft werden, abgesehen davon,
dass die Statistiken in den unterschiedlichen Ländern kaum auf dem
gleichen Niveau sind. Angesichts vieler Kriege weltweit, kann
davon ausgegangen werden, dass viele Statistiken fehlerhaft sind.
Die Exaktheit der genannten Zahlen soll offenbar darüber
hinwegtäuschen, dass es sich hier höchstens um ganz grobe
Unterschiede gehen kann.
"Am geringsten unterscheidet
sich die Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen in den
armen Ländern Afrikas",
fasst ENDT das Ergebnis für
einen ganzen Kontinent zusammen. Erstaunlicherweise kommt Krieg
als Erklärung nicht vor. Die Länder Südamerikas werden im
Gegensatz zu Afrika als Schwellenländer im Gegensatz zu
Entwicklungsländern bezeichnet. Uns wird also eine
modernitätstheoretische Sichtweise als Erklärung für Unterschiede
in der Lebenserwartung angeboten.
Mit Blick auf die
Nachfolgestaaten der Sowjetunion kommt dann die
geschlechterpolitische Dimension des Artikels in den Blick:
"Für Hausfrauen hat sich mit
dem Systemwechsel weniger verändert als für berufstätige
Männern, deren Arbeitswelt plötzlich vollkommen anders aussah."
Zum Schluss wird am Beispiel
von Europa, das ja so unterschiedliche Staaten wie die ehemaligen
Ostblockstaaten, die südländischen Krisenstaaten und die
wohlhabenden Nordeuropäer umfasst, eine simplifizierende
modernisierungstheoretische Perspektive untergejubelt:
"Während der Abstand in der
Lebenserwartung beim Schritt vom Entwicklungs- zum Schwellenland
wächst, geht es beim Aufstieg vom Schwellen- zum Industrieland
in die andere Richtung. Die Lücke schließt sich wieder."
Sollte ein Land nicht in dieses
Konzept passen, dann wird es als statistischer Ausreißer
klassifiziert. So einfach macht es sich die Modernitätstheorie.
Der Begriff taucht in dem Artikel nirgends auf. Stattdessen wird
uns erklärt, dass mit den Forschungen biologische von
gesellschaftlichen Ursachen getrennt werden sollen.
Vielleicht wäre es sinnvoller
genauer hinzuschauen, statt uns eine solche undifferenzierte,
westliche Modernitätsideologie vorzusetzen.
LAMBECK, Fabian (2016):
Rente mit 70: Jeder Fünfte stirbt vorher.
Besonders Geringerverdiener mit
schlechten Aussichten,
in:
Neues Deutschland v.
28.04.
Fabian
LAMBECK berichtet im Zusammenhang mit einer von SCHÄUBLE
angestoßenen Debatte eines höheren Renteneintrittsalters über eine
Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der
Bundestagsabgeordneten Sabine ZIMMERMANN von der Linkspartei:
"zwischen 2005 und 2014
(sind) fast 16 Prozent aller Verstorbenen höchstens 65 Jahre alt
(...)(gewesen). Rund 22 Prozent waren 70 Jahre oder Jünger."
Nicht nur die Lebenserwartung
von Armen ist niedriger, sondern auch die gesunden Jahre sind
kürzer, wird Rolf ROSENBROCK vom Paritätischen Wohlfahrtsverband
zitiert.
Hinzu kommt, dass
Arbeitsplätze, die für Ältere geeignet sind, rar sind. Der Artikel
endet deshalb mit einer Parole:
"Die, die uns bis 70 arbeiten
lassen wollen, und die, die keinen über 50 mehr einstellen, das
sind dieselben, oder?"
BUDRAS, Corinna & Sharon EXELER (2016): Pirmasens, abgehängt.
Arme Menschen haben wenig Geld
und sterben früher. Pirmasens hält den traurigen Rekord. Ein Besuch,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 22.05.
"Das Leben in Pirmasens ist
gefährlich. Das zeigt ein Blick in die Statistik. Nirgendwo in
Deutschland sterben die Menschen so früh wie hier in der
Westpfalz, auf den sieben Hügeln zwischen Kaiserslautern und der
französischen Grenze, direkt an der Bundesstraße 10. Nach
durchschnittlich 73 Jahren sind die Männer tot, mit 77 Jahren
die Frauen. Am Starnberger See hätten sie dagegen noch acht
Jahre länger zu leben, womöglich sogar die schönsten Jahre",
erzählen uns BUDRAS & EXELER.
Bringt uns dies schon in Verwirrung, wird es noch verwirrender,
wenn man den Text mit der Grafik vergleicht. Dort wird für
Pirmasens und Starnberg jeweils nur für die Männer eine
Lebenserwartung von 73 bzw. 81 Jahren angegeben. Gilt die
Lebenserwartung nun für die Westpfalz oder für Pirmasens und warum
leben Frauen nicht länger als Männer, wenn für Pirmasens oder
Westpfalz bereits ein Unterschied von 4 Jahren besteht? Gemäß
Wikipedia wird die kreisfreie Stadt Pirmasens vom Landkreis
Südwestpfalz umschlossen.
Die Verwirrung hat offenbar
eine dpa-Meldung Ende März ausgelöst. Seitdem sind Zahlen zur
regional unterschiedlichen Lebenserwartung im Umlauf, die mit
einer Anfrage von Sabine ZIMMERMANN (Linkspartei) in Verbindung
stehen. In einem Welt-Beitrag von Stefan von BORSTEL wird die
geschlechtsspezifische Lebenserwartung in den beiden Regionen
noch am differenziertesten dargestellt.
BUDRAS & EXELER beschreiben die
derzeitige Situation mit einer Arbeitslosigkeit von 13 Prozent
(ohne Jahresangabe) vor dem Hintergrund einer golden Epoche:
"Pirmasens war einmal eine
stolze Stadt, mit einer boomenden Schuhindustrie, die in der
ganzen Welt ihresgleichen suchte. Die Stadt mit der höchsten
Millionärsdichte und nahezu Vollbeschäftigung: 350
Schuhfabriken, die zu ihren Glanzzeiten 25.000 Menschen
beschäftigten, und das über Generationen hinweg und mindestens
bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts."
Das Bleiben eines
traditionsreichen Schuhherstellers wird dann zum Wendepunkt
stilisiert. Pirmasens wird jungen Familien und Rentnern als guter
Standort gepriesen:
"Pirmasens mag zwar eine
sterbende Stadt sein, aber eine, in der es sich leben lässt. Vor
allem billig. Das ist ein Standortvorteil in einem Land mit
explodierenden Immobilienpreisen. Rentner und Familien lieben
Pirmasens, sagt sie. Da pendelt man schon mal ins nahe gelegene
Daimler-Werk oder sogar nach Stuttgart, wie ihr eigener
Ehemann",
zitieren BUDRAS & EXELER eine
Immobilienmaklerin, die PR in eigener Sache betreibt und den
Niedergang von Pirmasens auf Ende der 1990er Jahre datiert.
"Seitdem bleiben sie
vornehmlich zu Hause, kassieren Hartz IV und bekommen Kinder,
die mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls zu Hause bleiben und
Hartz IV kassieren. Jedes dritte Kind unter 15 Jahren lebt hier
in einer Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft",
wird uns erzählt und die
niedrige Lebenserwartung in Pirmasens damit nicht nur erklärt,
sondern auch gleichzeitig die Verschärfung dieses Problems
suggeriert.
Das Hauptproblem solcher Daten
ist jedoch, dass nicht Lebensläufe, sondern die Korrelation von
Gebiet und Bevölkerung, Grundlage sind, d.h. eine niedrige
Lebenserwartung einer Region sagt erst einmal nichts über die
Lebenserwartung konkreter Menschen aus, denn dann dürfte es
innerhalb eines Menschenlebens keinerlei Mobilität in diesem
Gebiet gegeben haben. Wie also soll eigentlich aus solchen
Korrelationsdaten überhaupt sinnvoll die Lebenserwartung von
Menschen ermittelt werden? Sagen die Zahlen nicht viel mehr über
das Wanderungsgeschehen als über die Lebenserwartung aus? Deshalb
bemühen die Autorinnen zur Erklärung Studien des
Robert-Koch-Instituts, wobei deren Erkenntnisse sich offenbar
nicht auf die Stadt Pirmasens beziehen, sondern lediglich
allgemeine Zusammenhänge beschreiben:
"Nicht zuletzt dank des
Robert-Koch-Instituts ist das alles hinreichend erforscht. Und
doch verblüffen, gar empören die Befunde immer wieder aufs Neue.
Dass arme Menschen schlechter leben als reiche, ist bekannt und
wohl auch akzeptiert. Aber dass die Höhe des Einkommens und der
Stand der Bildung über die Länge des Lebens entscheiden, ist
nichts, woran sich eine Gesellschaft gewöhnt – oder gewöhnen
sollte. Denn die Konsequenzen sind riesig: Armut, vor allem
gepaart mit einem niedrigen Bildungsniveau, kostet rund zehn
Jahre des Lebens. Rauchen, Alkohol, Übergewicht sind bei
Hartz-IV-Empfängern weiter verbreitet als bei Menschen mit
höherem Einkommen. Arme kümmern sich weniger um gesundes Essen
und treiben weniger Sport, all das befördert
Herz-Kreislauf-Krankheiten und Atemwegsbeschwerden. Hinzu kommen
Stress und Frust über die eigene Situation. Auch das verkürzt
das Leben."
Diese Situation wird uns als
Grund für einen "Pakt für Pirmasens" präsentiert, der vor 7 Jahren
geschlossen wurde und nun für Abhilfe sorgen soll. BUDRAS & EXELER
präsentieren am Ende sogar noch Erfolge, die von dem Leser dem
Projekt zugeschrieben werden sollen:
"Langsam geht es vorwärts, im
vergangenen Jahr ist die Einwohnerzahl erstmals seit zwanzig
Jahren wieder gestiegen, die Arbeitslosenzahl gesunken. Wenn in
zwanzig Jahren 25 Prozent der betreuten Kinder eine Ausbildung
schaffen, wäre das ein Erfolg, sagt Oberbürgermeister Matheis in
einem Anflug von Pirmasenser Realismus."
SOMMERFELDT, Nando & Holger ZSCHÄPITZ (2016): Den Deutschen droht
die Rente mit 73.
IW-Prognose: Bleibt der
Beitragssatz konstant, müssen die Jungen deutlich länger arbeiten,
in:
Welt v. 27.05.
SOMMERFELDT &
ZSCHÄPITZ wollen uns schocken mit einer
IW-Berechnung über deren Annahmen die Autoren nichts
verlautbaren lassen. Kaffeesatzlesen ist eine beliebte Tätigkeit.
Seit Jahrzehnten werden uns "Schock-Prognosen" um
"Schock-Prognosen" vorgesetzt - eingetroffen ist nichts davon. Der
demografische Wandel muss dafür herhalten, um uns Sachzwänge
einzureden, die es nicht gibt, sondern lediglich die Interessen
von Lobbyisten darstellen. Rente mit 73? Da gab es schon vor zehn
Jahren Wissenschaftler, die uns die
Rente mit 90 als Sachzwang einreden wollten. Das IW macht
Prognosen nach Gutsherrenart. Wir brauchen eine Rente mit 73? Kein
Problem.
Wir brauchen einen Fachkräftemangel? Kein Problem! Wer uns
irgendwelche Berechnungen vorlegt, der sollte auch die
dazugehörigen Daten liefern, mit der die Berechnungen
nachvollzogen werden können. Alles andere ist unredlicher
Journalismus!
Die Berechnungen des IW werden
noch absurder angesichts der Tatsache, dass erst vor wenigen Tagen
eine neue Bevölkerungsprognose des IW Köln bis zum Jahr 2035
erschienen ist, die gravierend von der
vorangegangenen Bevölkerungsprognose des IW und auch von der 13.
koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen
Bundesamtes abweicht. Wie kann es also sein, dass uns nun
Berechnungen bis zum Jahr 2041 vorgelegt werden, für die es gar
keine aktuelle Bevölkerungsprognose des IW gibt?
BROEG, H. u.a. (2016):
Zehn Jahre
länger leben. Die neue Wissenschaft des Alterns.
Genanalyse, Blutverjüngung und
der vermeintliche Wunderwirkstoff Rapamycin: Während unsere
Gesellschaft immer älter wird, vermessen die Forscher die
Möglichkeiten, dem Menschen mehr Lebensjahre zu schenken,
in: Focus
Nr.24 v. 11.06.
KRISCHER, Markus (2016):
Was bedeutet es
für unsere Gesellschaft, wenn wir alle 100 werden?
Die Lebenserwartung steigt.
Geburtenraten sinken. Schon bald stellen die Alten die Mehrheit -
die Folgen sind dramatisch,
in: Focus
Nr.24 v. 11.06.
In welchem Jahrtausend werden wir
alle 100 müsste man angesichts dieser dummen Schlagzeile fragen.
Bislang werden gerade einmal 50 % der Menschen in Deutschland um die
80 Jahre alt. KRISCHER nervt mit Horrorszenarien Marke SCHIRRMACHER,
die vor allem eines sind: Kaffeesatzleserei!
FOCUS (2016): 31 Regeln für ein längeres Leben,
in: Focus Nr.24 v. 11.06.
Eine Sammlung von Banalitäten
GESTERKAMP, Thomas
(2016): Jungs, hier kommt der Masterplan.
Essay: Warum eine neue
Männerpolitik nötig ist, die im Dialog mit Frauen die Dinge
verändern will,
in:
Freitag Nr.25 v. 23.06.
Aufgrund der Maskulistenbewegung,
die in den vergangenen Jahren immer mehr Zulauf erhalten hat, soll
dem eine Alternative entgegengesetzt werden. So wie die CDU in der
Vergangenheit rot-grüne Themen erfolgreich besetzt hat, will nun
Thomas GESTERKAMP und seine Verbündeten vom Männerforum rechte
Männerthemen besetzen. Es geht dabei auch um Themen wie die
geringere Lebenserwartung von Männern im Gegensatz zu Frauen.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Rätselraten über die Rente mit 73.
Die Lebenserwartung steigt, die
Rentenbezugsdauer hat sich verdoppelt. Modellrechnung leuchtet
Folgen aus,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 26.07.
Die FAZ und die Welt garnieren
heute die gestrige
Meldung der Deutschen Rentenversicherung zur Rentenbezugsdauer
im Jahr 2015 mit einer
IW Köln-Berechnung von Susanna KOCHSKÄMPER vom 27. Mai dieses Jahres.
Die Berechnungen beziehen sich auf Prognosen, die
jedoch längst veraltet sind und nicht mehr dem aktuellen Stand der
Bevölkerungsentwicklung entsprechen. Ein Renteneintrittsalter von 73
Jahren wäre erst im Jahr 2041 notwendig und auch nur, wenn alle
Parameter unverändert bleiben würden. Das aber ist über einen solche
langen Zeitraum lediglich Kaffeesatzleserei. Es geht hier einzig und
allein um die Meinungshoheit in der Öffentlichkeit im Vorfeld der
Veröffentlichung des diesjährigen Rentenversicherungsberichts und
der Flankierung der geplanten Rentenreformen, die insbesondere die
Profite der Versicherungswirtschaft zu Lasten der Beitragszahler und
Rentenempfänger steigern sollen.
BRACHAT-SCHWARZ, Werner (2016): Warum leben Frauen im Landkreis
Breisgau-Hochschwarzwald am längsten?
Zu möglichen Ursachen für die
regional unterschiedliche Lebenserwartung in Baden-Württemberg,
in:
Statistisches Monatsheft
Baden-Württemberg, Heft 8
Werner BRACHAT-SCHWARZ erklärt
uns die Probleme bei der Berechnung der durchschnittlichen
Lebenserwartung einer Bevölkerung. Er unterscheidet zwischen
Kohortensterbetafeln und Periodensterbetafeln. Üblicherweise werden
letztere verwendet, obwohl sie einen gravierenden Nachteil haben:
Ihre Werte stimmen nur bei gleichbleibender Lebenserartung. Ein
Sinken/Anstiegen der Lebenserwartung führt zur Falscheinschätzung.
Ein Anstieg führt zur Unterschätzung, ein Sinken zur Überschätzung
der Lebenswartung. BRACHAT-SCHWARZ weist jedoch nur einseitig auf
die Probleme beim Anstieg hin weil dies scheinbar das gegenwärtige
Problem ist, von dem Demografen ausgehen.
"Frauen ernähren sich im
Schnitt gesünder, sie setzen sich im Alltag weniger Gefahren aus,
verüben deutlich seltener Suizid und nehmen häufiger
Gesundheitsvorsorgeuntersuchungen in Anspruch",
erklärt uns BRACHAT-SCHWARZ die
Gründe für die höhere Lebenserwartung von Frauen. Doch können
Sterbetafeln angesichts der Zunahme von Wanderungen bzw. ihrer
Eigenheiten zu Fehleinschätzungen hinsichtlich der Lebenserwartung
führen:
- Der 3-jährige Zeitraum kann bei
niedrigen Fallzahlen zu kurz sein:
"Bis zum Alter von unter 65
Jahren sterben nämlich relativ wenige Menschen, sodass hier
mögliche Zufallseinflüsse besonders groß sein könnten."
- Das Vorhandensein bzw.
Nichtvorhandensein von Pflegeeinrichtungen führt dazu, dass einer
falschen Region die Ursachen zugeschrieben werden:
"Dort, wo es
überdurchschnittlich viele vollstationär untergebrachte
Pflegebedürftige gibt, ist die Lebenserwartung tendenziell
geringer."
- Veränderungen der Bildungs- und
Einkommensverhältnisse haben Einfluss auf die Lebenserwartung eines
Gebiets.
Die aktuelle
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Landesamtes geht für
Baden-Württemberg bis 2060 von einer Abschwächung des Anstiegs der
Lebenserwartung aus. Außerdem wird von größeren Unterschieden im
Land ausgegangen:
"Zielgebiete inter- oder
intraregionaler Wanderung (haben) nach Untersuchungen von Luy und
Caselli in der Regel eine geringere Sterblichkeit als
Abwanderungsgebiete. Damit spricht einiges dafür, dass die
regionalen Unterschiede in der Lebenserwartung wieder größer
werden könnten."
SCHERFF, Dyrk (2016):
Rente mit 73.
Die Deutschen leben immer länger.
Und immer gesünder. Was spricht dagegen, auch immer länger zu
arbeiten?
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 21.08.
Dyrk SCHERFF
verteidigt den Bundesbank-Vorschlag einer Rente mit 69 gegen Sigmar
GABRIEL. Dazu reiht er den Vorschlag in die Phalanx jener
Neoliberaler ein, die im Interesse von Finanzdienstleister und
Arbeitgeber bereits ähnliche Vorschläge unterbreitet haben.
"Länger arbeiten ist der
Königsweg, um die Renten zu stabilisieren",
lautet das Credo von SCHERFF, der
sich bislang nur als Befürworter der Kapitaldeckung hervorgetan hat.
Unsicherheiten der Prognosen wischt SCHERFF einfach beiseite. Seine
Expertenschar, die uns präsentiert wird, kennen wir bereits als
Hausexperten der FAZ/FAS: Axel BÖRSCH-SUPAN, Andreas KRUSE, Jürgen
PIMPERTZ und Jim VAUPEL. Man könnte meinen dass dies die einzigen
Experten wären, die zu den Fragen arbeiten. Zumindest vertreten sie
aber die richtigen Interessen. Aufklärung ist nicht die Sache von
SCHERFF, sondern Kanalisierung. Wir sollen nicht nach links oder
rechts schauen, sondern den Tunnelblick der Finanzdienstleister und
Arbeitgeber, die nur ihren Profit im Blick haben, übernehmen.
Soziale Ungleichheit? Sozialer Ausgleich? Das sind Fremdwörter -
höchstens sie kommen den Profitinteressen gelegen - also als
Rhetorik und nicht als Umsetzung in die Praxis.
"Schon jetzt übertrumpfen sich die Parteien mit Vorschlägen,
das Rentenniveau bei 45 oder sogar 50 Prozent einfach
festzuschreiben. Das würde 16 beziehungsweise 41 Milliarden Euro
kosten, hat der renommierteste deutsche Ökonom für Altersfragen,
Axel Börsch-Supan errechnet.
(...) Höhere Beiträge von bis zu 27 Prozent wären die Folge.",
erzählt uns SCHERFF. In der
morgigen FR liest sich das bei Karl DOEMENS dagegen
folgendermaßen:
"Das
Prognos-Institut hatte bereits in der vergangenen Woche
errechnet, dass ein Verzicht auf die beschlossenen Einschnitte
bereits im Jahr 2030 mit jährlich 26,7 Milliarden Euro zu Buche
schlagen würde. Wirtschaftswissenschaftler Börsch-Supan beziffert
nun in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« die
Mehrausgaben im Falle einer Anhebung des Rentenniveaus auf 50
Prozent gar auf 41 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2060 würde nach
seinen Berechnungen der Beitragssatz von heute 18,7 auf 27,5
Prozent steigen."
Schon
Mitte Mai diesen Jahres wurden uns von Jochen PIMPERTZ vom IW
Köln nicht nur 41 Milliarden, sondern sogar 51 Milliarden Euro
Kosten für eine Stabilisierung des Niveaus der gesetzlichen Rente
auf 50 Prozent vorgerechnet. Diese Zahlen wurden dann wieder Anfang
Juli zu polemischen Zwecken gegen ein Positionspapier der SPD-Linken
in Stellung gebracht.
Die Zahlen zur notwendigen
Beitragssatzsteigerung, die uns DOEMENS präsentiert, finden sich
nicht im Text, sondern nur in der Grafik Rente und
Lebenserwartung der FAS. Als Quellen werden IW und MEA genannt.
Inwiefern die Berechnung auf BÖRSCH-SUPAN zurückgehen, kann der
Leser gar nicht nachvollziehen. Man müsste dazu wissen, dass
BÖRSCH-SUPAN Direktor des Munich Center for the Economics of Aging (MEA)
ist. Berechnungen bis 2060 sind reine Kaffeesatzleserei. Das
Statistische Bundesamt hat kürzlich die Treffsicherheit von
Bevölkerungsvorausberechnungen untersucht und dabei nur einen
Zeitraum von maximal 17 Jahren überprüft (vgl. Olga PÖTZSCH "(Un-)sicherheiten
der Bevölkerungsvorausberechnungen", Wirtschaft und Statistik,
Heft 4/2016) . Schon in diesem Zeitraum gab es eklatante
Fehleinschätzungen bei den Annahmen zur Entwicklung der Zuwanderung
und der Geburtenrate. Das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen
im Jahr 2060 hängt aber entscheidend von diesen beiden Faktoren ab.
Die Differenz zwischen dem erwarteten Beitragssatz (ohne Reformen)
und einer Stabilisierung bei 50 % beträgt für das Jahr 2060 gerade
einmal 4 % (27,5 % statt 23,5 %). In Anbetracht der gravierenden
Unsicherheiten solcher Berechnungen sind diese Differenzen geradezu
lächerlich gering. Nur so viel also zum Umgang mit Zahlen bei den
vermeintlichen Qualitätszeitungen.
Der Gerontologe Andreas KRUSE,
Verfechter eines Altersbildes, das den fitten Alten der oberen
Mittelschicht zum Ausgangspunkt seines Gesellschaftsideals nimmt,
wird uns als Gegenspieler von Sigmar GABRIEL in Sachen
Arbeitsfähigkeit im Alter von Verkäuferin, Krankenschwester und
Altenpfleger vorgestellt. Diese Frauenberufe werden uns als
Beispiele für Berufsgruppen genannt, die nicht so lange durchhalten
wie Bundesbanker. Wobei der Dachdecker, der bei der Rente mit 67 die
tragende Rolle im Kampf gegen deren Einführung spielte, außen vor
bleibt:
"»15 bis 20 Prozent der
Erwerbstätigen haben Berufe, die körperlich im Alter schwer
auszuüben sind«, sagt der Altersforscher Andreas Kruse von der
Universität Heidelberg. Das heißt, für 80 Prozent der
Beschäftigten gibt es zunächst einmal keinen Grund, nicht länger
zu arbeiten."
Uns wird nicht verraten, welche
Berufe das sind und auf welcher Stichprobe dieser Befund basiert.
Möglicherweise sind die meisten Menschen bereits vorher an einer
Berufskrankheit gestorben. Uns werden also wichtige Informationen
zur Beurteilung der Sachlage vorenthalten. Nicht einmal eine Studie
wird uns als Beleg genannt. Einzig die Expertenautorität muss uns
genügen. Als Wissenschaftler lassen wir uns dagegen mit solcher
Polemik nicht abspeisen. Zu jedem Experten existieren Gegenexperten.
Aufklärung verlangt solche Gegenexperten vorzustellen - alles andere
ist unseriös!
Zuletzt werden wir Deutschen im
Vergleich zum Ausland als rückständig diffamiert. Denn uns werden
selbst im Vergleich zur Vielzahl von Industriestaaten nur ein paar
Ausnahmen von der Regel präsentiert, die jedoch mit dem Prädikat
"fortschrittlich" geadelt werden:
"Schweden, Polen, Lettland,
Italien haben ein System, in dem die Beschäftigten ihr Rentenalter
frei wählen können und dann mehr oder weniger Rente bekommen,
abhängig von ihren Einzahlungen."
Nach Rente mit 73 sieht das nicht
aus. Und Polen als Vorbild? Sonst wird uns die nationalkonservative
Regierung in Polen als eine Art Teufel präsentiert! Italien.
Bankenkrise?
Schweden?
Sonst eine Ausgeburt des Sozialdemokratismus!
"Die Niederlande heben das
Rentenalter gleitend auf mehr als 70 Jahre an. Dänemark und
Norwegen planen die Einführung von Regelaltersgrenzen, die mit der
Lebenserwartung steigen, Frankreich hat so etwas schon."
Bloße Absichtsbekundungen zu
Reformen werden uns als Vorbilder verkauft? Offenbar sind die
berechtigten Widerstände gegen eine Erhöhung des
Renteneintrittsalters - oder gar einen Automatismus der Kopplung an
die Lebenserwartung - so groß, dass SCHERFF kaum fündig wird.
Fortschrittliche Positionen sehen anders aus! Danach werden uns die
Kopplungsvorstellungen von BÖRSCH-SUPAN schmackhaft gemacht:
"Steigt die Lebenserwartung um
drei Jahre, würde die Rente ein Jahr später beginnen. Zwei Jahre
bekäme der Rentner »geschenkt«. Nach diesem System würde die Rente
2060 mit 69,5 Jahren beginnen."
Rente mit 73? Fehlanzeige. Im
Übrigen wurden uns in den vergangenen Monaten schon diverse
Vorschläge - selbst in dieser Zeitung - präsentiert, die auf größere
Einschnitte hinausliefen. Offenbar hat die Debatte bewirkt, dass
einige Verfechter einer Erhöhung des Renteneintrittsalters ihre
Strategie geändert haben: Salamitaktik, statt Dampfhammermethode.
Erst mal die Rente mit 100 fordern, dann klingt die Rente mit 69
richtiggehend human! Dieses Spielchen unserer Neoliberalen werden
wir wohl vor der Wahl noch öfters vorgesetzt bekommen.
SCHÖNBERGER, Birgit (2016): Große Freiheit oder großes Loch?
Der Gedanke an die Rente weckt
Hoffnung auf ein freies Leben ohne Leistungsdiktat. Doch wenn es
dann so weit ist, kommt für viele ein böses Erwachen,
in:
Psychologie Heute,
September
Das Bild vom "jungen Alten" ist
die Vision einer oberen Mittelschicht, die Medien, Politik und
Wissenschaft dominiert. SCHÖNBERGER definiert diese Gruppe als
60-75-Jährige und bleibt damit weit unterhalb jenen Neoliberalen,
die diese Gruppe eigentlich bis zum Tode ausdehnen möchte. Dass sie
keinen Widerspruch zwischen dieser Definition und der Tatsache
sieht, dass sie die Lebenserwartung von 65-Jährigen nennt, liegt
wohl daran, dass die Lebenserwartung von 60-Jährigen nicht
publiziert wird. Erst recht nicht die Lebenserwartung von
50-Jährigen. Die Frage ist nämlich, inwieweit die so genannte
Restlebenserwartung durch positive Selektion verzerrt ist. Solche
Fragen passen jedoch nicht zur Fiktion des Durchschnittsalten.
Der Renteneintritt soll ein
kritisches Lebensereignis sein. Dazu wird uns eine allgemeine
Taxonomie von 40 "belastenden Lebensereignissen" genannt, deren
genaue Zusammensetzung uns vorenthalten wird, sodass sie für den
Leser nicht nachvollziehbar ist. Uns soll genügen, dass der
Renteneintritt Platz 10 belegt, um uns zu ängstigen. Danach werden
uns zwei Studien von Ursula STAUDINGER genannt, die auf den Slogan:
"Frühe Rente schadet der
Gesundheit und reduziert die Lebensfreude"
verkürzt wird. Dies dürfte jedoch
in erster Linie den Typus "Menschen, die beruflich sehr eingespannt
waren" betreffen.
KUNTZ, Michael (2016): Wer früher geht, lebt
kürzer.
Wissenschaftler haben
herausgefunden, dass das Sterberisiko wächst, wenn Berufstätige
vorzeitig in den Ruhestand wechseln: Viele fallen in ein Loch, weil
sie nicht mehr gefragt sind, der Frust wächst. Familie, Freunde und
Hobbys können helfen, den neuen Lebensabschnitt zu genießen,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 13.09.
Neoliberale flankieren ihre Forderung nach einem
höheren Renteneintrittsalter mit Forschungsergebnissen, die
angeblich beweisen sollen, dass ein Frührentnerdasein die
Lebenserwartung verkürzt. Michael KUNTZ präsentiert uns nur
Fallbeispiele aus der oberen Mittelschicht, speziell der
Managerriege, denn der so genannte Ruhestandstod ist eher Problem
jener, die ihren Machtverlust nicht verkraften. Mehr als die
üblichen Studien, die das Phänomen auch bei anderen Rentnergruppen
belegen sollen, liefert uns KUNTZ nicht (vgl.
Die Zeit
v. 30.07.2015).
"Mit jedem Jahr vorgezogenem
Ruhestand steige die Wahrscheinlichkeit, vor dem 68. Geburtstag zu
sterben, um 13,4 Prozent",
zitiert KUNTZ ein Studie von
Andreas KUHN, Jean-Phnilippe WUELLRICH und Josef ZWEIMÜLLER, die im
August 2010 als Diskussionspapier
Fatal
Attraction? Access to Early Retirement and Mortality
erschienen ist. Dort heißt es:
"For males,
instrumental-variable estimates show a significant 2.4 percentage
points (about 13%) increase in the probability of dying before age
67."
Die Aussage gilt lediglich für
österreichische, männliche Arbeiter der Geburtsjahrgänge 1929 -
1941) und ist mit äußerster Vorsicht zu genießen, da es sich hier
nur um ein Diskussionspapier handelt und nicht um Erkenntnisse, die
einer Überprüfung durch weitere Forschungen standgehalten haben. Die
Aussagen haben also einen sehr eingeschränkten Aussagebereich, und
sind nicht - wie KUNTZ suggeriert - verallgemeinerbar.
"Von den in den 1960er Jahren
geborenen Babyboomern hat ein Drittel keine Kinder",
lügt uns KUNTZ an, denn diese
Fehleinschätzung von Herwig BIRG Anfang des Jahrtausends ist längst
durch Erhebungen widerlegt. Ledig rund 20 % dieser Babyboomer
bleiben kinderlos. Dass dies ein Problem sei, ist allenfalls
Spekulation und kein empirischer Beleg.
DFAEH
(2016): Lebenserwartung: Trends bei Hochgebildeten weisen den Weg.
Unterschiede zwischen gut und
wenig Gebildeten nehmen zu,
in:
Demografische Forschung aus
erster Hand, Nr.3 v. 26.09.
Bei der Rentenpolitik gilt seit längerem die
Kopplung des Renteneintrittsalters an die durchschnittliche
Lebenserwartung. Nicht nur die Untersuchung von JASILIONIS &
SHKOLNIKOV zeigen, dass sich die Lebenserwartung unterschiedlicher
Bevölkerungsgruppen stark unterscheiden. Eine
Rentenpolitik, die das nicht
berücksichtigt, privilegiert die obere Mittelschicht und
diskriminiert das Nicht-Akademikermilieu.
Die Forschungen zeigen aber auch,
dass die Unterschiede möglicherweise noch wesentlich krasser sind
als die amtliche Statistik behauptet. Allein schon die Feststellung
von Bildungsunterschieden ist ein Problem:
"Werden etwa Zensusdaten und
Sterbedaten verwendet, tritt oft das Problem auf, dass der höchste
Bildungsabschluss zum Todeszeitpunkt ein anderer sein kann als in
der Zensusbefragung. Zudem gibt es international unterschiedliche
Bildungsklassifikationen, die einen Vergleich erschweren. Und
schließlich ändern sich die Anteile der unterschiedlichen
Bildungsklassen an der Gesamtbevölkerung",
werden uns die Probleme
geschildert. Tatsächlich ist das nur die halbe Wahrheit, denn
Bildung ist meist nur ein Indikator für Einkommensunterschiede.
Dabei wird naiverweise davon ausgegangen, dass hohe Bildung sich in
hohe Einkommen umsetzt. Dies ist längst nicht mehr der Fall seit
sich die Selektivität vom Bildungssystem in das Arbeitssystem
verlagert hat. Nicht Bildung, sondern soziale Herkunft ist die
ausschlaggebendere Variable. Die Forschungen zur Lebenserwartung
berücksichtigen dies nicht.
Bei der hier vorgestellten
Untersuchung wird die Situation in Deutschland gar nicht erst
erwähnt, denn bei uns ist hier die Datenlage ähnlich katastrophal
wie Anfang des Jahrtausends in Sache Kinderlosigkeit. Die Politik
verhindert jegliche Forschung, die ihre Pläne durchkreuzen könnte.
So wurde die Erhebung der Kinderlosigkeit erst nach Durchsetzung des
Elterngelds verbessert. Zuvor wurde diese Durchsetzung jedoch mit
weit überhöhten Kinderlosenzahlen erst als alternativlos
dargestellt. Inzwischen stellt sich heraus, dass die niedrige
Geburtenrate in Deutschland zu zwei Dritteln auf dem Rückgang der
Kinderreichen beruht. Bei der Rentenpolitik droht nun das gleiche
Spielchen. Mit überhöhten durchschnittlichen Werten zur
Lebenserwartung wird die Kopplung des Renteneintrittsalters an diese
falsch berechnete Lebenserwartung betrieben.
EUROSTAT (2016): Beinahe 27 Millionen Menschen in der Europäischen
Union sind 80 Jahre oder älter.
Lebenserwartung von fast 10
Jahren für 80-Jährige,
in:
Pressemitteilung des
statistischen Amt der Europäischen Union v. 29.09.
Aus der Pressemitteilung
ergeben sich folgende Zahlen für die 80-Jährigen und älteren
(31.12.2014) und die Lebenserwartung der 80-Jährigen im Jahr 2014
Land |
Anzahl der
80-Jährigen |
Prozentanteil der
80-Jährigen an der
Gesamtbevölkerung
(Rangfolge) |
Prozentanteil
der Frauen an der
Bevölkerung
ab 80 Jahren |
Lebenserwartung der
80-Jährigen (in Jahren) |
Insgesamt |
Frauen |
Männer |
Belgien |
611.388 |
5,3 % (7) |
64,4 % |
9,7 |
8,5 |
10,4 |
Bulgarien |
331.193 |
4,6 % (17) |
64,2 % |
7,0 |
6,4 |
7,3 |
Tschechien |
418.698 |
4,0 % (22) |
67,2 % |
8,3 |
7,4 |
8,9 |
Dänemark |
239.409 |
4,2 % (19) |
62,5 % |
9,1 |
8,2 |
9,8 |
Deutschland |
4.544.298 |
5,6 % (6) |
65,1 % |
9,3 |
8,4 |
9,8 |
Estland |
65.292 |
5,0 % (11) |
75,2 % |
8,9 |
7,3 |
9,5 |
Irland |
141.566 |
3,1 % (27) |
61,5 % |
9,1 |
8,2 |
9,8 |
Griechenland |
680.969 |
6,3 % (2) |
59,2 % |
9,4 |
9,1 |
9,6 |
Spanien |
2.732.405 |
5,9 % (3) |
63,3 % |
10,4 |
9,2 |
11,2 |
Frankreich |
3.850.802 |
5,8 % (4) |
65,0 % |
11,0 |
9,5 |
12,0 |
Kroatien |
197.164 |
4,7 % (16) |
68,4 % |
7,7 |
6,9 |
8,1 |
Italien |
3.977.449 |
6,5 % (1) |
64,4 % |
10,0 |
8,8 |
10.9 |
Zypern |
27.506 |
3,2 % (26) |
58,9 % |
8,8 |
8,4 |
9,2 |
Lettland |
96.615 |
4,9 % (13) |
75,9 % |
8,2 |
7,0 |
8,6 |
Litauen |
149.111 |
5,1 % (8) |
73,4 % |
8,3 |
7,1 |
8,8 |
Luxemburg |
22.294 |
4,0 % (22) |
64,2 % |
10,1 |
8,5 |
11,2 |
Ungarn |
418.295 |
4,2 % (19) |
70,5 % |
7,9 |
6,9 |
8,4 |
Malta |
17.129 |
4,0 % (22) |
64,0 % |
9,4 |
8,6 |
10,0 |
Niederlande |
734.976 |
4,3 % (18) |
63,8 % |
9,3 |
8,3 |
10,0 |
Österreich |
429.851 |
5,0 % (11) |
65,6 % |
9,5 |
8,6 |
10,1 |
Polen |
1.525.896 |
4,0 % (22) |
69,4 % |
9,0 |
7,9 |
9,7 |
Portugal |
595.570 |
5,7 % (5) |
64,6 % |
9,2 |
8,0 |
10,0 |
Rumänien |
815.899 |
4,1 % (21) |
64,5 % |
7,6 |
7,0 |
7,9 |
Slowenien |
99.523 |
4,8 % (14) |
69,5 % |
9,3 |
8,1 |
10,0 |
Slowakei |
168.459 |
3,1 % (27) |
69,7 % |
7,9 |
7,0 |
8,4 |
Finnland |
277.477 |
5,1 % (8) |
66,2 % |
9,4 |
8,4 |
10,1 |
Schweden |
499.408 |
5,1 % (8) |
61,9 % |
9,3 |
8,4 |
10,0 |
Großbritannien |
3.093.013 |
4,8 % (14) |
61,4 % |
9,5 |
8,7 |
10,0 |
BÖRSCH-SUPAN,
Axel/BUCHER-KOENEN, Tabea/RAUSCH, Johannes (2016): Szenarien für
eine nachhaltige Finanzierung der Gesetzlichen Rentenversicherung,
in:
ifo Schnelldienst Nr.18 v.
29.09.
Abdruck des
gleichnamigen
MEA-Diskussionspapier vom 19. August 2016. BÖRSCH-SUPAN/BUCHER-KOENEN/RAUSCH
verfolgen mit dem Artikel drei Ziele:
1) Eine Vorausschätzung der Entwicklung bis 2060
2) Auswirkungen einer Stabilisierung des Rentenniveaus bei 45, 46
und 50 Prozent aufzeigen
3) Plädoyer für eine kostensenkende Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung und eine
Neudefinition der Standardrente
Die Vorausschätzung bis 2060
basiert auf einer ganzen Reihe von Annahmen zur
1) Bevölkerungsentwicklung: Orientierung an der Variante 2 der
13ten koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen
Bundesamtes. Die angenommene Konstanz der Geburtenziffer von 1,4
Kinder pro Frau war bereits zum Zeitpunkt der Erstellung der
Bevölkerungsvorausberechnung überholt.
2) Arbeitsmarktentwicklung: Orientierung an den kurzfristigen
Annahmen der mittleren Variante des Rentenversicherungsberichts
2015, wobei mangels fehlender Information lediglich die
Erwerbsquote in Abhängigkeit zur Anhebung des gesetzlichen
Regelrentenalters fortgeschrieben wird. Außerdem wird eine
teilweise Angleichung der Erwerbsquoten bei Frauen und
Ostdeutschen angenommen
3) Einkommensentwicklung: Orientierung an der mittleren Annahme
des Rentenversicherungsberichts 2015, wobei keine weitere
Angleichung der Einkommen zwischen Ost und West angenommen wird
Die Autoren erklären uns, dass
bei heute gültig bleibenden Regeln die Beitragsatzziele bis 2032
eingehalten werden können und zwischen 2037 und 2053 nur minimal
darüber bei 22,7 Prozent verharren würden. Danach sollen sie
weiter steigen, was reine Spekulation ist, weil bereits heute die
Konstanz der Geburtenziffer überholt ist. Das Mindestrentenniveau
von 43 Prozent würde danach im Jahr 2036 unterschritten und würde
dann oberhalb von 42 Prozent verharren.
Der - im Vergleich mit anderen
Berechnungen - niedrige Beitragssatz beruht gemäß den Autoren auf
ihren Annahmen zur Entwicklung der Hinterbliebenenrenten:
"So unterstellen wir einen
Rückgang der Hinterbliebenenrenten und ihrer Rentenhöhe, da
wegen der Anrechnungsregeln zunehmend andere Einkommensarten
diese vermindern. So schreiben wir die Ausgaben für die
Hinterbliebenenrente mit lediglich 1 % (durchschnittlicher
Anstieg der Rentenausgaben wegen Todes der vergangenen zwei
Jahrzehnte) fort." (2016, S.35)
Offenbar bestimmen also die
Annahmen entscheidend über die Ergebnisse von Berechnungen. Je
länger der Zeitraum um so größer werden deshalb die Abweichungen
bei den einzelnen Parametern.
BÖRSCH-SUPAN
u.a. gehen bei der Stabilisierung des Rentenniveaus einzig von
Auswirkungen auf die Entwicklung des Beitragssatzes aus. Diese
Sicht vernachlässigt alternative Möglichkeiten zur Stabilisierung
des Beitragssatzes auch bei höherem Rentenniveau: Erhöhung des
Bundeszuschusses, Entlastung der Beitragszahler von
versicherungsfremden Leistungen, die Einbeziehung
von Selbständigen in die
Rentenversicherung, Beendung der sozialabgabenfreien
Entgeltumwandlung auf Kosten der Rentenversicherung, Beendung der
Subventionierung der Kapitaldeckung. Dies sind nur wenige
Beispiele für Möglichkeiten, die bei den Autoren gar nicht erst in
Betracht gezogen werden, weil sie eine Rentenniveaustabilisierung
schlechtreden wollen.
Die Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung bedeutet eine
Rentenkürzung, weshalb Kostenersparnisse hier allein zu Lasten der
Rentenempfänger gehen. Während BÖRSCH-SUPAN diese Regelung in den
Mainstreamzeitungen schönfärberisch darstellt, wird hier
schonungslos sichtbar, was das wirklich bedeutet:
"Konkret bedeutet dies, dass
zwei Drittel der zusätzlichen Lebensjahre in Arbeit verbracht
werden sollen, während ein Drittel einer längeren
Rentenbezugszeit zugute kommt." (2016, S.34)
Dadurch ergibt sich bei einem
moderaten Anstieg der Lebenserwartung (Variante 2) folgende
Entwicklung:
"Das Regelrentenalter nimmt
(...) nach 2030 jährlich um etwas mehr als einen Monat zu und
läge 2060 bei etwa 69 Jahren und sieben Monaten. Damit ist es
unter diesen Annahmen zur Entwicklung der Lebenserwartung leicht
über dem von der Deutschen Bundesbank (2016) vorgeschlagenen
fixen Renteneintrittsalter von 69 Jahren im Jahr 2060".
Ziel dieser Methode ist nicht
etwa die Beitragssatzstabilität, sondern sogar die Senkung des
Beitragssatzes, denn die Ausgaben für die Rentenversicherung
sollen zwischen 2030 und 2054 um 8,8 Mrd. Euro pro Jahr gesenkt
werden. Dieser Vorschlag ist in dieser Form auch im Gutachten
Nachhaltigkeit in der sozialen Sicherung über 2030 hinaus zu
finden (vgl. Kapitel 5.1.2 Automatische Anpassung der
Regelaltersgrenze, 2016, S.15). Angaben zur Kostenersparnis werden
jedoch dort nicht gemacht.
Mit der Neudefinition der
Standardrente, die von den Autoren nur als Alternative nicht
jedoch in Kombination mit der Kopplung berechnet wird, könnte
zudem elegant die Rentenkürzung als Rentenniveausteigerung
vermarktet werden. Inwiefern zukünftig 47 Beitragsjahre und nicht
nur 45 Beitragsjahre wie bisher überhaupt erreichbar sind - diese
Frage wird ausgeklammert.
MEISSNER, Juliane (2016): Uralt und immer noch fit.
Warum leben Menschen in
bestimmten Gegenden besonders lang? Forscher rätseln,
in: Frankfurter
Rundschau
v. 06.10.
DÖRHÖFER, Pamela (2016): Viel zu Fuß über Stock und Stein.
Ulla Rahn-Huber beschäftigt sich
mit glücklich Gealterten auf
Sardinien,
die zum Teil auch heute noch ähnlich leben wie ihre Vorfahren in der
Bronzezeit,
in: Frankfurter
Rundschau
v. 06.10.
CEH
(2016): Lebenserwartung steigt um zehn Jahre in der Welt,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 08.10.
Bericht über eine Studie der
Global Burden of Disease (GBD) unter Leitung von Christopher MURRAY.
"Insgesamt steigerte sich die
Lebenserwartung in den Jahren 1980 bis 2015 weltweit (...) von
durchschnittlich 62 auf fast 72 Jahre",
schätzt die Studie.
DESTATIS (2016): Regionale Unterschiede in der Lebenserwartung haben
in den letzten 20 Jahren abgenommen,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 20.10.
Pressemeldungen lenken gerne von politisch
unkorrekten Sachverhalten ab und stellen gerne politisch korrekte
Sachverhalte in den Mittelpunkt. So auch diesmal. Der entscheidende
Satz befindet sich ganz am Ende der Pressemitteilung:
"Im Vergleich zur
vorangegangenen Sterbetafel 2012/2014 ist die Höhe der
Lebenserwartung bei Geburt im aktuellen Berechnungszeitraum
2013/2015 nahezu unverändert."
In der Rentenversicherung wird
die Erhöhung des Renteneintrittsalters als Königsweg zur
Kosteneinsparung betrachtet und
vom
Medienchor mit Berichten über sagenhafte Steigerungsmöglichkeiten
begleitet. Politisch korrekt wird uns die Methusalemgesellschaft
als Leitbild verkündet. Dass diese - wenn überhaupt - lediglich die
Verhältnisse in der oberen Mittelschicht und der Oberschicht -
wiederspiegelt, das wird uns verschwiegen.
Was aber, wenn längst eine
Gegenbewegung eingesetzt hat, die nur noch nicht in den Massendaten
deutlich erkennbar ist? Die Stagnation könnte bedeuten, dass die
gestiegene soziale Ungleichheit und die
Einkommensungleichheit bald auch bei der Entwicklung der
Lebenserwartung sichtbar wird.
Warum aber betont das
Statistische Bundesamt besonders die regionale Angleichung? Seit
einiger Zeit haben die Medien ihre Rhetorik in Sachen regionale
Unterschiede geändert.
Aufgrund der Wahlerfolge der AfD und wohl auch aufgrund des Brexit -
gelten nun regionale Unterschiede als brisant, die bislang ignoriert
oder gar begrüßt wurden. Meldungen, die scheinbare Angleichungen
verkünden, sind deshalb hochwillkommen.
THELEN, Peter (2016): Länger leben und arbeiten.
Diese Gleichung geht vor allem
für Geringverdiener nicht auf,
in:
Handelsblatt v. 21.10.
Peter THELEN verweist auf eine
Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2014, in der die
Entwicklung der Lebenserwartung gar nicht mehr so rosig aussieht:
"Frauen und Männer, deren
Einkommen unterhalb der Armutsrisikogrenze liegt, haben ein um das
2,4- bis 2,7-Fache erhöhtes früheres Sterberisiko als die mit dem
höchsten Einkommen. 84 Prozent der Frauen und 69 Prozent der
Männer werden nicht mal 65".
Peter THELEN zitiert jedoch die
Studie falsch, denn dort heißt es:
"Die Ergebnisse zeigen, dass
Frauen und Männer, deren Einkommen unterhalb der
Armutsrisikogrenze liegen, ein im Verhältnis zur höchsten
Einkommensgruppe um das 2,4- bzw. 2,7-Fache erhöhtes
Mortalitätsrisiko haben. Infolgedessen erreicht in der niedrigen
Einkommensgruppe ein deutlich geringerer Anteil der Frauen und
Männer das 65. Lebensjahr (...). Von den Frauen, die einem
relativen Armutsrisiko unterliegen, trifft dies auf 84 % zu,
während es von den relativ wohlhabenden Frauen 93 % sind. Bei
Männern betragen die Vergleichswerte 69 % in der niedrigen und 87
% in der hohen Einkommensgruppe."
(2014, S.2)
Nicht 84 Prozent der Frauen,
sondern 16 % sterben vor dem 65. Lebensjahr. Bei den Männern sterben
nicht 69 Prozent vor dem 65. Lebensjahr, sondern 31 Prozent. Das
aber ist auch kein zu vernachlässigbarer Anteil.
Mit der Armutsrisikogrenze ist
nicht etwa - wie
man angesichts der Rentendebatte glauben könnte - das
Existenzminimum (oder der Transferbezug Hartz IV/Grundsicherung im
Alter) gemeint, sondern 60 Prozent des Medianseinkommens, was gerne
unter dem verharmlosenden Begriff der "Armutsgefährdung" läuft. Selbst
kirchliche Organisationen wie die Caritas arbeiten an der
Wegdefinition dieser Armutsschwelle mit. Die Studie des
Robert-Koch-Instituts zeigt jedoch, dass diese Armutsschwelle
durchaus gerechtfertigt ist.
Gemäß THELEN ginge eine Politik
der Lebensarbeitszeitverlängerung zulasten der Geringverdiener, die
auch durch die Senkung des Rentenniveaus schon stärker belastet
wird.
BETHKE, Hannah (2016):
Lebenserwartung steigt geringfügig.
Baden-Württemberg bleibt
Spitzenreiter bei geringeren regionalen Unterschieden,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
v. 21.10.
Die FAZ, die vehement auf eine Erhöhung
des Renteneintrittsalters pocht, interpretiert "nahezu unverändert"
als "geringfügige Steigung". Hannah BETHKE zitiert sogar das
Statistische Bundesamt, das nicht gerade für fortschrittliche
Deutungen bekannt ist:
"Die geringe Veränderung sollte
man nicht überinterpretieren und die Ergebnisse der folgenden
Sterbetafeln abwarten, bevor Aussagen über eine etwaige Stagnation
getroffen werden können."
Aber bereits die letztjährige
Bevölkerungsvorausberechnung ging in ihrer mittleren Variante von
einem geringeren Anstieg bei der Lebenserwartung aus, was zeigt,
dass man durchaus von einer Stagnation sprechen könnte.
KAUFMANN,
Stephan
(2016): Geld und Leben.
Die Menschen in den wohlhabenderen
Bundesländern erreichen ein höheres Alter,
in:
Frankfurter Rundschau v. 21.10.
Die FR verschweigt die mögliche
Stagnation der Lebenserwartung
gleich ganz, denn unter dem neoliberalen Einpeitscher Karl
DOEMENS wird das Länger arbeiten zur Pflichtveranstaltung, da
kann man keine schlechte Nachrichten in Sachen Lebenserwartung
verbreiten!
SEI (2016): In
Baden-Württemberg leben Menschen am längsten.
Lebenserwartung insgesamt steigt
aber nicht an,
in: Welt
v. 21.10.
Die Welt begrüßt die mögliche Stagnation
der Lebenserwartung als Entlastung der Rentenversicherung:
"Die gesetzliche
Rentenversicherung und alle privaten Versicherer dürfte eine
andere Aussage besonders interessieren. Aktuell steigt die
Lebenserwartung in Deutschland nicht weiter an. Noch sieht das
Statistische Bundesamt darin nur eine Momentaufnahme. Sollte sich
diese Entwicklung allerdings in den kommenden Jahren bestätigen,
würde dies die Vorsorgesysteme der Zukunft zumindest ein wenig
entlasten."
PFEIFFER, Hermannus
(2016): Der Trick mit dem späten Tod.
Vorsorge: Die Deutschen werden
immer älter. Doch amtliche Zahlen und
Kalkulationen der
Versicherungswirtschaft klaffen um viele Jahre auseinander - zulasten
der Kunden,
in: TAZ
v. 21.10.
PFEIFFER, Hermannus
(2016): Statistik trügt.
Über Versicherer und amtliche
Lebenserwartung,
in: TAZ
v. 21.10.
DOEMENS, Karl
(2016): Länger arbeiten soll sich lohnen.
Flexi-Rente im Bundestag,
in:
Frankfurter Rundschau v. 21.10.
Der neoliberale Karl DOEMENS
erklärt uns in erster Linie die Arbeitgebersicht zur Flexirente, die
im krassen Gegensatz zur Gewerkschaftsposition steht. Während die
Arbeitgeber das Arbeiten über die Regelaltersgrenze hinaus
vorantreiben wollen, setzen die Gewerkschaften eher auf eine
Flexibilisierung des Ausstiegs ab 60 Jahren. Als einziger Kritiker
wird der Grüne Markus KURTH namentlich erwähnt. Die Forderungen von
Gewerkschaften und Arbeitgeber (wobei nur die Position des
Wirtschaftsflügel der CDU erwähnt wird) werden angeblich beide nicht
berücksichtigt. Welche Forderungen tatsächlich in den Gesetzesentwurf
eingegangen sind, das ist dem sehr selektiven Bericht nicht zu
entnehmen.
HERTLE, Matthias
(2016): Langlebigkeit ist nicht umsonst.
In Berlin streiten die Parteien
über die Zukunft der Rente. Ein Münchner Ökonom hat eine bestechende
Ideen,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 30.10.
Bei der FAS hat Axel
BÖRSCH-SUPAN das Interpretationsmonopol in Sachen Rente. Matthias
HERTLE trägt uns die schönfärberische FAS-Version des
ifo-schnelldienst-Beitrags von Ende September vor:
"Bei einem dynamischen an die
durchschnittliche Lebenserwartung angepassten Renteneintrittsalter
wird das Sicherungsniveau laut Börsch-Supan dauerhaft oberhalb von
43 Prozent liegen. Der Beitragssatz würde die 22 Prozent-Marke
nicht überschreiten",
erklärt uns HERTLE die angebliche
Wunderwaffe, mittels derer das Rentensystem gerettet werden soll.
Den Haken an der Sache
verschweigt uns HERTLE. Keineswegs würde allein die Kopplung an die
Lebenserwartung ausreiche, damit der Beitragssatz von 22 Prozent
nicht überschritten wird (vgl. 2016, S.38). Auch das
Sicherungsniveau würde nur bei den optimistischen Annahmen von
BÖRSCH-SUPAN u.a. nicht unter 43 Prozent sinken.
Weil also die Kopplung an die
Lebenserwartung die versprochene Leistung nicht erfüllen kann,
helfen die Autoren mit einem statistischen Trick nach: Sie
definieren sozusagen die Standardrente neu. Was die Bundesbank im
August vorschlug, nämlich die Heraufsetzung der Standardrente von 45
auf 47 Beitragsjahre, das wenden die Autoren nur subtiler an. Das
Ergebnis bleibt das Selbe: Sowohl bei der Bundesbank als auch bei
BÖRSCH-SUPAN u.a. würde bei einem Renteneintrittsalter von 69 Jahren
die Standardrente nicht mehr mit 45, sondern mit 47 Beitragsjahren
berechnet werden. Durch diesen statistischen Trick wird einerseits
die Rente für diejenigen gekürzt, die nicht mithalten können, und
andererseits das Rentenniveau auf 43 Prozent gehalten. Der
entscheidende Unterschied: 43 Prozent nicht nach 45 Beitragsjahren,
sondern erst nach 47 Beitragsjahren!
Fazit: Die Wunderwaffe
privilegiert die Spitzenverdiener, die sowieso länger leben doppelt,
während Geringverdiener, deren
Lebenserwartung wesentlich geringer ist, doppelt bestraft
werden. Die Kopplung an die Lebenserwartung mit Anpassung der
Standardrente verschärft die soziale Ungleichheit im Alter
zusätzlich und ist damit eine dreiste Umverteilung von unten nach
oben.
Als Alternative zu dieser
dreisten Umverteilung von unten nach oben wäre stattdessen
sinnvoller die Beitragsbemessungsgrenze abzuschaffen und
gleichzeitig die Rentenhöhe zu deckeln - wie das in der Schweiz
bereits praktiziert wird. Diese Maßnahme wäre angesichts der
Tatsache, dass die Lebenserwartung mit dem Einkommen steigt, die
gerechtere Lösung. Denn warum sollten die Geringverdiener die
längere Rentenbezugsdauer von Spitzenverdienern mitfinanzieren?
KANNING, Tim (2016): Das
Zinstief lässt die private Altersvorsorge bröckeln.
Wegen der niedrigen Anleihezinsen
funktionieren viele Vorsorgemodelle nicht mehr. Die DWS schließt
mehrere Fonds und schraubt auch an den Riesterverträgen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.11.
"Nun müssen sich gut eine
Million Kunden, die insgesamt mehr als 2 Milliarden Euro in ein
Fondsprodukt der Deutschen Bank gesteckt haben, nach einer
Alternative umschauen. Denn die Fondstochter DWS schließt mehrer
ihrer Garantieprodukte vorzeitig, mit denen Sparer für ihr Alter
vorsorgen wollten. (...). Vor allem über fondsgebunde
Lebensversicherungen sind viele Anleger in den Fonds investiert.
(...). Sie sind also in der Regel nicht direkt Kunden der DWS,
sondern haben entsprechende Versicherungen bei großen Anbietern
wie Allianz, Zurich oder Nürnberger abgeschlossen",
erklärt uns Tim KANNING zum
Scheitern des Altersvorsorgeprodukts Flexpension.
Anfang September hat Philipp KROHN den gepriesenen MAP-Report
2016 vorgestellt. Darin wurden Anbieter wie Allianz und Zurich
gelobt, die auch Flexpension-Produkte in ihrem Angebot haben. Da uns
die FAZ/FAS vor allem ans Herz legt - nicht nur - bei
fondsgebundenen Lebensversicherungen auf die Gebühren zu achten,
erscheint das Flexpension-Produkt als hervorragend, denn die
Fondsgesellschaft DWS hat die Verwaltungsgebühren für dieses Produkt
von "ursprünglich 1,1 Prozent auf zuletzt 0,1 Prozent" abgesenkt.
Das könnte man also auch als vorletzten Schritt vor dem endgültigen
Scheiterns eines Produkts interpretieren.
Bei Rentenversicherungen der DWS
wird dagegen die Mindestlaufzeit der Verträge um 5 Jahre erhöht:
"So muss die DWS Basisrente
Premium von Mitte November an mindestens 15 Jahre laufen, die DWS
Toprente 20 Jahre und die DWS Riesterrente Premium sogar 25 Jahre
lang."
Dies ist lediglich eine Wette auf
die Zukunft. Sollte diese nicht aufgehen, weil sich die
Niedrigzinsphase so nicht aussitzen lässt, dann drohen auch bei
diesen Produkten Verluste. Im übrigen befinden sich die
Finanzdienstleister mit ihrer Wette auf die Zukunft in guter
Gesellschaft, denn auch die Bundesregierung geht in ihren
schönfärberischen
Annahmen des Alterssicherungsberichts 2016 nur von einem
kurzfristigen Renditetief der kapitalgedeckten Altersvorsorge.
Verschwörungstheoretiker könnten dahinter ein System sehen, aber
eher stecken dahinter die jeweiligen Eigeninteressen, die zu Lasten
der Versicherten gehen.
POELCHAU, Simon (2016): Unsere Kinder sollen bis 71
arbeiten.
Sogenannte Wirtschaftsweise fordern
Anhebung des Rentenalters. Offizielle Erwerbslosigkeit sinkt,
in:
Neues Deutschland v. 03.11.
Das
Kapitel 7 des aktuellen Jahresgutachten des Sachverständigenrats
befasst sich mit der Altersvorsorge:
"Geht es nach dem Willen der
sogenannten Wirtschaftsweisen, dann müssen die jetzigen
ABC-Schützen bis 71 arbeiten. Das (...) Ökonomengremium schlägt
nämlich (...) vor, ab dem Jahr 2030 das Renteneintrittsalter an
die steigende Lebenserwartung zu koppeln."
Entweder wird das
Renteneintrittsalter auf 71 Jahre erhöht oder aber es wird an die
Lebenserwartung gekoppelt - beides geht jedoch nicht, wenn unsere
Ökonomen keine Hellseher sind. Im Kapitel 7 heißt es dagegen:
"In den Simulationen wird ein
Anstieg des gesetzlichen Renteneintrittsalters von jeweils einem
Monat pro Jahr über das Jahr 2029 hinaus umgesetzt. Bis zum Jahr
2060 würde dies zu einem Renteneintrittsalter von 69 Jahren
führen. Bis zum Jahr 2080 ergäbe sich ein Renteneintrittsalter von
71 Jahren bei einer bis dahin weiter steigenden Lebenserwartung
bei Geburt auf 87,7 Jahre für Männer und 91,3 Jahre für Frauen (Werding,
2016). Dieses Renteneintrittsalter würde für Geburtsjahrgänge ab
dem Jahr 2009 gelten." (2016, S.306)
Sind die Simulationen falsch -
was eher der Fall sein dürfte, dann stimmt auch das berechnete
Renteneintrittsalter von 71 Jahren nicht. Es könnte 2080 genauso bei
65 als auch bei 75 Jahren - oder ganz woanders liegen.
Viel gravierender ist dagegen ein
Satz, den POELCHAU ignoriert:
"Korrespondierend sollten alle
an das gesetzliche Renteneintrittsalter gebundenen Regelungen
entsprechend angepasst werden." (2016, S.305)
Der Sachverständigenrat nennt
lediglich die Erhöhung des Zurechnungszeitraums bei
Erwerbsminderungsrentnern weil dies ein positiver Effekt wäre,
dagegen läuft es für alle anderen auf eine Erhöhung der
Beitragsjahre bei der Standardrente - und damit auf eine
Rentenkürzung hinaus. Gerne wird dieser
unschöne Aspekt in lobpreisenden Zeitungsartikeln über die Kopplung
an die Lebenserwartung unter den Tisch fallen gelassen. Bei
einer Erhöhung auf 71 Jahre müsste der Eckrentner dann statt auf 45
auf ganze 51 Jahre durchschnittliche Beitragszahlungen kommen!
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Babys dürfen auf 28 Jahre Rente hoffen.
Lebenserwartung erklimmt
Höchststände. Vier von fünf Neugeborenen könnten das 22. Jahrhundert
erleben,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.11.
Dietrich CREUTZBURG versucht
seine Lieblingsidee - und jener von privilegierten Spitzenverdienern
- mit neuen Berechnungen zu stützen: die Kopplung des
Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung.
Dazu greift er auf einen noch
unveröffentlichten Beitrag in einer ungenannten Publikation des
Kölner Ökonomen Eckart BOMSDORF zurück, dessen Annahmen daher nicht
überprüfbar sind.
"Neugeborene Mädchen des
Jahrgangs 2016 werden demnach voraussichtlich im Durchschnitt 93
Jahre alt und damit zehn Jahre älter, als es die aktuelle amtliche
Sterbetafel derzeit nahelegt. Sogar Jungen können nun auf eine
durchschnittliche Lebensspanne von gut 90 Jahren hoffen."
CREUTZBURG behauptet, dass diese
Berechnungen realistischer seien als die amtliche Sterbetafel,
die kürzlich veröffentlicht wurde und
die eine Stagnation bei der Lebenserwartung ergab. Man darf dies
jedoch angesichts der folgenden Aussage bezweifeln:
"Geburtsjahrgang 2016 (...):
Die Babys von heute könnten selbst dann auf einen noch
ausgedehnten Ruhestand hoffen, wenn im Jahr 2076 eine Rente mit 70
gelten sollte. Zum einen wird selbst diese Altersgrenze dann von
93 Prozent der Mädchen erreicht. (...). Bliebe die Rente mit 67
auch nach 2030 an festgeschreiben, dann hätten die Frauen ein
Rentnerdasein von fast 28 Jahren",
erklärt uns CREUTZBURG. Allein
diese Angaben zeigen, dass Veränderungen der Einkommensstruktur
nicht berücksichtigt werden. Da jedoch ein enger Zusammenhang von
Einkommenshöhe und Sterblichkeitsrate besteht, müsste ehrlicherweise
nicht mit Durchschnittswerten, sondern mit Einkommensklassen
gerechnet werden. Die so genannte "Generationensterbetafel"
berücksichtigt solche Aspekte nicht, weshalb ihre Aussagekraft mehr
als beschränkt ist.
Die Spitzenverdiener könnten also wesentlich länger leben als
Menschen unterhalb der Armutsrisikoquote, worauf eine Studie
hinweist. Neoliberale Generationenkrieger wie CREUTZBURG
interessiert das jedoch nicht. Sollte die Ungleichheit zukünftig
weiter zunehmen, dann wären die Berechnungen von BOMSDORF noch
irreführender als sie selbst bei gleich bleibender
Einkommensstruktur schon sind.
GEYER, Johannes & Peter HAAN
(2016): Länger arbeiten.
Forum: Das kann nur mit einem
wirksamem Schutz vor Altersarmut funktionieren
in:
Süddeutsche Zeitung v. 14.11.
GEYER & HAAN
vom DIW greifen den mantramäßig wiederholten
Vorschlag des Finanzministers nach einer Kopplung des
Renteneintrittsalters auf, um ihn angeblich zu entschärfen. Wie die
FAS wird auch von ihnen verschwiegen, dass eine solche Kopplung
nur in Verbindung mit einer Neudefinition
der Standardrente (Anpassung der Beitragsjahre an die
Regelaltersgrenze) das Rentenniveau auf niedrigem Niveau (43
Prozent) "stabilisieren" würde.
Das begierige Eingehen auf den
Vorschlag, das bislang von SPD und Gewerkschaften blockiert wurde,
deutet darauf hin, dass unsere Deutungseliten meinen, dass sie durch
die Vorabinformationen aus Alterssicherungsbericht 2016 und
Rentenversicherungsbericht 2016 den Boden bereitet haben, um die
Debatte um eine Stabilisierung des Renteniveaus zu den Akten legen
zu können.
Der Vorstoß zielt auf die Debatte
um Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente ab, die auf der
Linie von Andrea NAHLES und
Karl-Josef LAUMANN liegen. Mit ihren Vorschlägen zu einer
Teilrente vor 63 kommen die Wissenschaftler jedoch zu spät, denn das
Flexi-Renten-Gesetz wurde bereits verabschiedet. Außerdem
plädieren GEYER
& HAAN für eine Erhöhung der Grundsicherung im Alter und
"Freibeträge für Einkommen aus
Vermögen und der gesetzlichen Rente."
Ob diese Maßnahmen geeignet sind
"Altersarmut künftig nicht
ansteigen zu lassen und das Vertrauen in die soziale Sicherheit zu
erhalten"
ist eher zu bezweifeln. Eher
handelt es dabei um den Versuch die
unsoziale Kopplung des Renteneintritts an die Lebenserwartung
sozialer aussehen zu lassen.
ÖCHSNER, Thomas (2016): 47 statt 45.
Wie viele Jahre arbeitet ein
Durchschnittsmensch bis zur Rente?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 17.11.
RÜRUP,
Bert (2016): Risiko Langlebigkeit.
Der Chefökonom: Die Rentenkasse ist
keine Autoversicherung,
in:
Handelsblatt v. 21.11.
Der neoliberale
Unternehmenslobbyist Bert RÜRUP polemisiert gegen die Umverteilung
von Reich zu arm, die aufgrund der krass unterschiedlichen
Lebenserwartung durchaus gerechtfertigt ist. Seine Polemik richtet
sich gegen einen Vorschlag von Karl LAUTERBACH &
Friedrich BREYER, der in der öffentlichen Debatte bislang gar
nicht vorkommt:
"Gemeinsam mit dem
SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach fordert Breyer (...), die
Rentenansprüche sollten mit steigendem Einkommen degressiv und
nicht wie derzeit proportional wachsen."
Der Vorschlag macht insofern
keinen Sinn, weil die Lebenserwartung nicht analog zur
Einkommenszunahme steigt, sondern eher durch Schwellenwerte
definiert ist. Deshalb wäre ein Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze
bei gleichzeitiger Deckelung der Rentenhöhe nach dem Vorbild der AHV
in der Schweiz sinnvoller.
RÜRUP aber geht es um den Versuch
das Problem zu verharmlosen, indem er darauf hinweist, dass es z.B.
auch regionale Differenzen und geschlechtsspezifische Differenzen
bei der Lebenserwartung gäbe. Regionale Differenzen lassen sich
jedoch weitgehend auf Einkommensunterschiede zurückführen und
Geschlechterdifferenzen wurden bereits durch Gerichtsurteile bei der
privaten Altersvorsorge als unzulässig erklärt. RÜRUP will das
Problem auf Beitragsgerechtigkeit reduzieren. Tatsächlich ist es
eine Frage der Sozialstaatlichkeit.
RÜRUP geht es darum, dass unsere
Gesellschaft zu einer Dienstbotengesellschaft mit großer sozialer
Ungleichheit wird, die ganz im Sinne der Unternehmen, aber nicht der
Arbeitnehmer wäre. Auf solch eine neoliberale Klassengesellschaft
will RÜRUP die Rentenversicherung einschwören:
"Wer die Rentenversicherung
wirklich (...) fit machen will für unser postindustrielles
Zeitalter mit einer breiten Lohnspreizung, einem großen
Niedriglohnsektor, einer schleichenden Abnahme der dauerhaften
Vollzeitbeschäftigung zugunsten befristeter, oft freiberuflicher
Projektarbeit (...) darf eine weitere Anhebung des Rentenalters
jenseits des Jahres 2030 nicht (ausschließen)".
Eine solche Gesellschaft wird
nicht zu einer Erhöhung der Lebenserwartung führen, sondern zu noch
krasseren Unterschieden zwischen der Lebenserwartung von Armen und
Reichen.
ALBERTI, Manfred
(2016): Angst vor der
Armut.
Ältere Arbeitlose sind schlecht
geschützt,
in: Frankfurter
Rundschau v. 25.11.
"Eine soziale Absicherung der Lebensphase zwischen Arbeitsende und
Renteneintritt muss eine Vorbedingung sein für alle Überlegungen, das
Renteneintrittsdatum nach hinten zu verschieben", fordert Manfred
ALBERTI.
THELEN, Peter & Martin GREIVE
(2016): Die Zeit der Überschüsse ist vorbei.
Sozialversicherung: Reformen
treiben die Sozialkassen 2017 immer mehr ins Defizit. Die Rentenpläne
von Ministerin Nahles fallen da kaum ins Gewicht,
in:
Handelsblatt v. 28.11.
Das Handelsblatt hat sich
von Jens BOYSEN-HOGEFE vom Institut für Weltwirtschaft eine
Schätzung bestellt, um ihrer Polemik gegen den Sozialstaat einen
wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen. Das wird gerne so
praktiziert.
Trifft die Schätzung nicht ein, dann erinnert sich sowieso niemand
mehr daran!
Als Ergebnis des Gesamtkonzepts
der Alterssicherung, bzw. dessen was überhaupt davon noch umgesetzt
wird, sind THELEN & GREIVE hoch erfreut: denn die Reformen kosten so
gut wie nichts: Die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente wird bis
2024 gestreckt.
Der
Finanzierungsstreit um die Angleichung der Ostrenten bis 2025 ist
für THELEN & GREIVE eine Farce:
"Bis dahin dürfte der
Rentenwert Ost sich aber sowieso ans Westniveau angeglichen
haben",
zitieren sie Joachim RAGNITZ vom
Ifo-Institut.
Weil
das Handelsblatt
Anfang Juli mit ihrer von der Arbeitgeberlobby in Umlauf
gebrachten Prophezeiung, dass die Sozialabgaben nächstes Jahr über
40 Prozent steigen werden, daneben lag, müssen nun irgendwelche
angeblich unseriösen Machenschaften herhalten, um zu erklären, warum
dies doch nicht passiert.
Der Unternehmenslobbyist RAGNITZ
sieht gar "Spielraum für eine Beitragssenkung". Das ist eine
Lieblingsfloskel, denn durch Beitragssenkungen soll im Grunde nur
der "Spielraum für Sozialleistungen" eingeschränkt werden. Das
klingt aber natürlich allzu offensichtlich.
BEEGER, Britta
(2016): Lücke in der
Rentenversicherung.
Die Ausgaben steigen stärker als
die Einnahmen,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung
v. 29.11.
Britta BEEGER erklärt uns, dass die Renteneinnahmen und -ausgaben in
den nächsten 25 Jahren nur im gleichen Maße wie in den letzten 25
Jahren steigen. Und das obwohl die Babyboomer noch gar nicht in der
Rente sind. Daraus lässt sich ermessen in welchem Maße bei der Rente
gespart werden soll. BEEGER lässt den CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt
REHBERG die Haltelinie von 46 Prozent kritisieren, die Andrea NAHLES
in ihrem
Gesamtkonzept der Alterssicherung vorgeschlagen hat.
LOOMAN, Volker
(2016): Indexfonds sind Gift für ra(s)tlose Anleger,
in: Frankfurter Allgemeine
Zeitung
v. 29.11.
In der Frankfurter
Millionärszeitung widmet sich Volker LOOMAN heute den Geldsorgen
eines Zahnarztes:
"Ein Zahnarzt ist 55 Jahre alt.
Die Praxis war von Anfang an eine Goldgrube. Im Privatleben hat es
erst im dritten Versuch geklappt. Die beiden Fehlversuche haben
den Mann viel Geld gekostet. Trotzdem besteht kein Anlass zum
Jammern. Auf dem Girokonto liegen 200.000 Euro. Im Depot der
Hausbank befinden sich Anleihen im Wert von 150.000 Euro. Der
Barwert der Versorgungsansprüche - monatlich 3.000 Euro ab dem 65.
Lebensjahr - beträgt 400.000 Euro und gehört zu den Anleihen, weil
die Versorgungsansprüche von Medizinern typischerweise durch
festverzinsliche Wertpapiere kapitalgedeckt sind. Das Eigenheim
und die Praxis-Immobilie sind 900.000 Euro wert. Das Aktiendepot
der Standesbank enthält 45 Titel mit einem Kurswert von 1.350.000
Euro."
Der arme Schlucker kommt also nur
auf 3 Millionen Euro, weshalb er sich fragt, ob er sich einen
Vorruhestand mit 60 Jahren finanziell überhaupt leisten kann. Für
LOOMAN ist der Vorruhestand jedoch eher eine Sinnfrage. Bekanntlich
droht gemäß FAS/FAZ dann der frühe Ruhestandstod! So weit
geht LOOMAN natürlich nicht...
SOMMERFELDT, Nando & Holger ZSCHÄPITZ (2016): 71 lautet die Lösung.
Eine Analyse offenbart: Das
Rentensystem kann nur funktionieren, wenn die Deutschen deutlich
später in den Ruhestand gehen,
in: Welt
v. 29.11.
SOMMERFELDT &
ZSCHÄPITZ hofieren heute den neoliberalen Ökonom Lars FELD mit einer
Analyse, der Entstehungsdatum verschwiegen wird. Die geschieht meist
dann, wenn die Daten hoffnungslos überaltert sind. Denn sonst gäbe
es ja keinen Grund das zu verschweigen, oder? Zudem werden Grafiken
präsentiert, die nicht Lars FELD als Quelle angeben, sondern Martin
WERDING. Will man also mit Prominenz punkten?
"In Felds Schockprognose werden
die Deutschen im Jahr 2080 erst mit 71 Jahren abschlagfrei in
Rente gehen können."
Schock? Wo leben die Autoren
denn? Schon seit Jahrzehnten werden uns Schockprognose um
Schockprognose präsentiert. Unser Rentensystem hätte längst
untergegangen sein müssen, hätten wir jeden Blödsinn geglaubt, den
uns Ökonomen prophezeit haben. Die Bundesbank hat uns erst
im August erklärt, dass wir 2064 erst mit 69 Jahren in Rente
gehen dürfen. Und kurz vor Ende des Artikels wird aus der
angeblichen Schockprognose sogar eine gemäßigte Prognose:
"Dabei ist die Vorstellung der
Rente mit 71 sogar noch eine gemäßigte Prognose. So empfahl etwa
das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) im Mai dieses Jahres
ein Renteneintrittsalter von 73. Nur so könne das Rentensystem der
demografischen Krise finanziell trotzen."
Dass diese "Schockprognose"
Ende Mai auch von
SOMMERFELDT & ZSCHÄPITZ verbreitet wurde,
verschweigen sie uns lieber. Die Autorin dieser angeblichen
Schockprognose unter der Fragestellung
Wie lange arbeiten für ein stabiles Rentenniveau?, Susanne
KOCHSKÄMPER, hat auf nur 3 Seiten ihre "Berechnungen" hingerotzt,
die auf der Annahme beruhen, dass eine Stabilisierung des
Rentenniveaus auf dem heutigen Stand, ein Renteneintrittsalter ab
2041 von 73 Jahren voraussetze. Berechnungen hat KOCHSKÄMPER aber
gar nicht angestellt, sondern es handelt sich lediglich um ein
"Gedankenexperiment", das zur "Kurzstudie" aufgeblasen wurde. Je
mehr Schock, desto mehr Medien stürzen sich auf solche
scheinwissenschaftlichen Texte. Dann spielt offenbar keine Rolle
mehr, wie realistisch das ist.
Auffällig ist nur eines: Solche
Schockprognosen werden uns immer nur dann präsentiert, wenn es um
die Stabilisierung des Rentenniveaus geht. Das ist auch hier der
Fall:
"Feld hat in seiner Studie auch
durchgerechnet, welche fiskalischen Folgen es hätte, sollte sich
Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles mit ihrer Idee
durchsetzen, das Rentenniveau bei 46 Prozent stabil zu halten. In
diesem Fall würde der Beitragssatz auf weit über 25 Prozent
steigen. Der Bundeszuschuss, der heute noch bei rund drei Prozent
der Wirtschaftsleistung liegt, würde dann gen fünf Prozent
streben",
zitieren die Autoren. Was aber
heißt "weit über 25 Prozent" - offenbar nicht weit genug, denn sonst
hätten sie uns ja die Prozentzahl bestimmt genannt, oder? Das käme
dann NAHLES' Gesamtkonzept wohl sehr nahe. Wo also ist das Problem?
Wie FAZ-Liebling Axel
BÖRSCH-SUPAN plädiert Lars FELD natürlich auch für eine Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung:
"Der Zugewinn an Lebenszeit
könnte im Verhältnis von 3:2 auf die Erwerbsarbeit und Rentenzeit
aufgeteilt werden. Steigt die Lebenszeit um drei Monate, würde
sich der Renteneintritt automatisch um zwei Monate nach hinten
verschieben."
Aus Sicht der Arbeitnehmer würde
man das weniger schönfärberisch formulieren: 2:1. Für einen Monat
Rente muss ich zwei Monate länger arbeiten. Oder wie es
im Original von BÖRSCH-SUPAN u.a. heißt, von dem das Konzept
ursprünglich stammt:
"Konkret bedeutet dies, dass
zwei Drittel der zusätzlichen Lebensjahre in Arbeit verbracht
werden sollen, während ein Drittel einer längeren Rentenbezugszeit
zugute kommt." (2016, S.34)
Dieser Automatismus müsste als
postdemokratisch bezeichnet werden, denn er hat nur einen Zweck: Die
Rentendebatte demokratischen Prozessen der politischen Debatte zu
entziehen.
Offenbar hat die Kritik an den
Printmedien in Zeiten der Glaubwürdigkeitskrise geholfen, denn der
Lobbyist von der DIA wird uns nun folgendermaßen vorgestellt:
"Sein Institut, das von
privaten Finanzdienstleistern wie der Deutschen Bank, Blackrock
oder der Allianz unterstützt wird".
Da weiß man nun wenigstens wer da
welche Interessen vertritt. Das wäre vor 10 Jahren als es nötig
gewesen wäre, so nicht kommuniziert worden.
ÖCHSNER, Thomas (2016): Zehn Wahrheiten über die Rente.
Wie lange müssen die Deutschen
künftig arbeiten? Reicht die Alterssicherung? Ist alles gar nicht so
dramatisch, sagen die einen. Die Rente wird ein großes Problem, sagen
die anderen. Die wichtigsten Fakten und Folgen,
in: Süddeutsche
Zeitung
v. 03.12.
BUTTERWEGGE, Christoph (2016): Verelendung per Gesetz.
Die Teilprivatisierung der Rente
unter SPD und Grünen hat das Problem der Altersarmut noch verschärft.
Eine Lösung boten auch die jüngsten Beratungen der Bundesregierung
nicht. Dabei gibt es eine Alternative: eine solidarische
Bürgerversicherung für alle,
in:
junge Welt
v. 05.12.
Christoph BUTTERWEGGE wendet sich
nicht nur - wie bereits
in der aktuellen Ausgabe der Blätter für deutsche und
internationale Politik - gegen das
Betriebsrentenstärkungsgesetz, sondern auch gegen die Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung:
"Ulrich Grillo, Präsident des
Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), hatte bereits im
Oktober 2015 verkündet, dass ein Renteneintrittsalter von 85
Jahren angemessen sei, wenn die Menschen eines Tages
durchschnittlich 100 Jahre alt würden. – Nur Arbeiten bis zum Tod
käme die Rentenkasse noch billiger. Abgesehen davon, dass die
durchschnittliche Lebenserwartung der Männer und der Angehörigen
bestimmter Berufsgruppen – man denke nur an Dachdecker,
Altenpflegerinnen und Straßenarbeiter – deutlich nach unten
abweicht, was unberücksichtigt bliebe, wird schon jetzt mit der
schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre eine
genau 100 Jahre alte Errungenschaft aufgegeben, was ein sozialer
und kultureller Rückschritt sondergleichen ist: 1916, mitten im
Ersten Weltkrieg, wurde das unter Bismarck geltende
Renteneintrittsalter von 70 Jahren nämlich auf 65 Jahre
herabgesetzt. Und die um ein Vielfaches reichere Gesellschaft der
Bundesrepublik soll es sich nicht leisten können, ihre Bürgerinnen
und Bürger im selben Lebensalter wie das kriegführende Kaiserreich
aus dem Arbeitsleben in den Ruhestand zu entlassen? Natürlich
werden die Rentnerinnen und Rentner heute in der Regel älter und
beziehen daher auch über einen längeren Zeitraum eine
Altersversorgung. Entscheidend für die Leistungsfähigkeit der
Volkswirtschaft ist jedoch die gegenwärtig und zukünftig erheblich
höhere Arbeitsproduktivität und nicht der Rentenbezugszeitraum."
BUTTERWEGGE plädiert für eine
weitgehende Rückgängigmachung der rot-grünen bzw. rot-schwarzen
Reformen:
"Gegenstrategien müssen vor
allem an den beiden Kardinalfehlern (Destabilisierung der
Rentenversicherung und Deregulierung des Arbeitsmarktes) ansetzen.
Die in Zukunft eher wachsende Altersarmut muss mit einer
Rückbesinnung auf das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes
beantwortet werden. Dazu gehören die Durchsetzung des früheren
bestehenden sozialversicherungspflichtigen
Normalarbeitsverhältnisses (nicht nur für Männer) sowie eine
Rückabwicklung der mit den Namen von Walter Riester (SPD) und Bert
Rürup verbundenen Rentenreformen. Zu rehabilitieren ist die
Lohnersatzfunktion der gesetzlichen Rente, also das
Lebensstandardsicherungsprinzip. Außerdem muss das gesetzliche
Renteneintrittsalter bei 65 Jahren bleiben und die Bundesagentur
für Arbeit verpflichtet werden, für Hartz-IV-Bezieherinnen und
-Bezieher wieder (ausreichend hohe) Beiträge in die Rentenkasse
einzuzahlen."
DAS PARLAMENT-Themenausgabe:
Rentenpolitik im Visier.
Streit um Niveau der Altersversorgung |
WAIS, Rudi (2016): Einzige Stellschraube.
Gastkommentare: Das
Renteneintrittsalter anheben? Pro,
in:
Das Parlament Nr.49-50 v. 05.12.
"Aus der Rente mit 67 (...)
wird spätestens im übernächsten Jahrzehnt die Rente mit 69 oder 70
werden müssen",
predigt uns Raudi WAIS von der
Augsburger Allgemeinen Zeitung.
THELEN, Peter (2016): Seelenlose Rechnerei.
Gastkommentare: Das
Renteneintrittsalter anheben? Contra,
in:
Das Parlament Nr.49-50 v. 05.12.
Peter THELEN weist auf die soziale Ungleichheit
bei der Lebenserwartung zwischen Arm und Reich hin, wendet sich
jedoch nicht explizit gegen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters,
sondern nur gegen hohe Abschläge bei einem früheren Renteneintritt:
"Es wäre zynisch diese Menschen
auch noch mit höheren Rentenabschlägen dafür zu bestrafen, dass
sie mit ihrer kürzeren Lebenszeit die Rentenkasse weniger belasten
als langlebige Gutverdiener."
ZSCHÄPITZ, Holger (2016): Armut kostet Lebenszeit.
Egal ob wir künftig mit 71 oder 73
in Rente gehen: Viele Menschen mit niedrigem Einkommen werden den
Ruhestand nicht erleben,
in:
Welt v. 05.12.
"Die Daten des Versicherers
dürften die aktuelle Diskussion um die Anhebung des gesetzlichen
Renteneintrittsalters (...) anheizen (...)(:) Denn die Studie der
Zurich birgt sozialen Sprengstoff. Sie ruft in Erinnerung, dass
arme Leute so kurz leben, dass eine pauschale Ausweitung des
Renteneintrittsalters kaum möglich ist. Armutsgefährdete Männer in
Deutschland haben eine Lebenserwartung von gerade mal 70,1 Jahren.
Bei Frauen liegt diese bei knapp 77 Jahren. Dagegen können reiche
Männer auf 81 Jahre Lebenszeit hoffen, Frauen auf 85. Als
armutsgefährdet gelten hierzulande Bürger, die weniger als 60
Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung haben.
Reich ist laut Statistik derjenige, der über mehr als 150 Prozent
des durchschnittlichen Einkommens gebietet.",
berichtet Holger ZSCHÄPITZ über
die nicht öffentlich verfügbare Studie Ist Langlebigkeit in
Deutschland ein versicherbares Risiko? der Zurich
Lebensversicherung. Die Studie bezieht sich auf
Berechnungen des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2014. Die
Konsequenzen für die Armen beschreibt ZSCHÄPITZ folgendermaßen:
"Bei einer Ausweitung des
Renteneintrittsalters auf 71 oder gar 73 Jahre hätten ärmere
Bundesbürger keine Zeit mehr, den Ruhestand in Würde zu
verbringen. Reichere Deutsche könnten hingegen zehn oder mehr
Jahre ihre Rente verprassen. Damit würde die Rentenbezugsdauer
ärmerer Menschen auf den niedrigsten Wert in der Geschichte der
Bundesrepublik fallen. Sogar in den 60er-Jahren, als der
Sozialstaat längst noch nicht so weit ausgebaut war, erhielten
Männer im Schnitt 9,9 Jahre staatliche Altersbezüge und Frauen
immerhin fast elf Jahre. Aktuell liegt der Wert für Männer im
Durchschnitt bei 19,3 Jahren, für Frauen bei 21,4 Jahren."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Wirtschaftsthema:
Später in den Ruhestand.
Die
bisherige Formel geht nicht mehr auf, denn die Lebenserwartung
wird immer höher |
ÖCHSNER, Thomas (2016): Aufhören - aber wann?
Männer und Frauen leben länger -
und beziehen länger als früher Altersgeld. Müssen sie deshalb auch
länger arbeiten? Das Für und Wider einer Rente mit 69, 71 oder gar 73,
in: Süddeutsche
Zeitung
v. 06.12.
Nachdem uns Thomas
ÖCHSNER bereits
am 17.11. die Neudefinition der Standardrente
präsentiert hat, kommt nun die Kopplung des
Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung als
Lieblingsprojekt unserer postdemokratischen Neoliberalen an
die Reihe. Mit Verweisen auf Wolfgang SCHÄUBLE, Bundesbank,
Wirtschaftsweise, den wissenschaftlichen Beirat des
Bundesministeriums für Wirtschaft und den Beitrag von Franz
RULAND ("Vorsicht bei Wahlgeschenken", SZ 25.10.2016) nennt
uns ÖCHSNER die Befürworter
im Schlepptau von Axel BÖRSCH-SUPAN. Selbst Horst
SEEHOFER zählt ÖCHSNER nun zu den Freunden dieser
neoliberalen Lösung:
"Politiker in der CDU
und CSU-Chef Horst Seehofer können sich mit so einem
Modell offenbar zunehmend anfreunden".
Damit ginge es nur noch
darum die SPD auf diese Seite zu ziehen. Um dies
durchzusetzen, präsentiert uns ÖCHSNER deshalb die
Vorstellungen von Johannes GEYER & Peter HAAN, die diese
bereits
in der SZ v. 14.11. darstellen durften. Die
DIW-Forscher wollen die unpopuläre Lösung durch eine
"sozialverträgliche Gestaltung" popularisieren.
Eine neue Studie eines
Lebensversicherers zeigt nun erneut auf, dass solche
Lösungen zu Lasten der Armen gehen, die vielfach nicht
einmal den Ruhestand erreichen - und wenn, dann sind sie
bereits ernsthaft krank. Während uns ÖCHSNER mit der
durchschnittlichen Lebenserwartung und Rentenbezugszeit
abspeist, zeigt sich, dass die Kluft zwischen Arm und Reich
im Alter - aufgrund der neoliberalen Politik - weiter
drastisch steigen wird. Es wird Zeit dieser Politik für die
Reichen endlich Grenzen zu setzen.
Fazit: Die Kopplung des
Renteneintrittsalters an die durchschnittliche
Lebenserwartung lässt die krassen Unterschiede zwischen Arm
und Reich im Alter außer Acht. Sozialverträgliche Lösungen
wollen dieses Problem lediglich verharmlosen.
LAMBECK,
Fabian
(2016): Arme haben kaum was von der Rente.
Studie eines Versicherungskonzerns
belegt die gewaltigen Unterschiede bei der Lebenserwartung in
Deutschland,
in: Neues
Deutschland
v. 07.12.
Fabian LAMBECK berichtet
über den Welt-Artikel
von Holger ZSCHÄPITZ, in dem dieser eine unveröffentlichte
Studie eines Versicherungsunternehmen zur differentiellen
Lebenserwartung in Abhängigkeit vom Einkommen vorstellte.
LAMBECK weist darauf hin, dass dies bereits seit längerem
bekannt sei, weil das Robert-Koch-Institut dazu regelmäßig
berichtet:
"Tatsächlich
veröffentlicht das Institut entsprechende Zahlen schon
seit Jahren, nur stören diese in der neoliberal geprägten
Debatte um das Renteneintrittsalter."
LAMBECK weist darauf hin,
dass Rolf ROSENBROCK vom Paritätischen Wohlfahrtsverband
bereits im Frühjahr auf Unterschiede bei der gesunden
Lebenserwartung hingewiesen haben:
"Menschen aus dem
unteren Fünftel seien »im Durchschnitt 3,5 Jahre früher im
Leben von chronisch degenerativen Erkrankungen betroffen«.
Somit betrage der Unterschied in der gesunden
Lebenserwartung, also die Anzahl der Jahre, die man ohne
Krankheit verbringe, »über 14 Jahre«".
LAMBECK präsentiert uns
dann noch verschiedene Stellungnahme zum
Renteneintrittsalter, die von Finanzminister Wolfgang
SCHÄUBLE über Wolfgang STEIGER ("CDU-Wirtschaftsrat") bis zu
Annelie BUNTENBACH (DGB) reichen.
WINKLER, Peter (2016): Sinkende Lebenserwartung in den USA.
Mehr Amerikaner sterben an einer
Überdosis als bei Verkehrsunfällen,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 12.12.
DROST, Frank M. (2016): Bafin greift nicht bei
Fondsgebühren ein.
Vermögensverwaltung: Die Anbieter
von Publikumsfonds müssen keine Regulierung ihrer Preisstruktur
fürchten. Doch die Finanzaufsicht verpflichtet die Branche zu mehr
Transparenz,
in:
Handelsblatt v. 22.12.
Die
Lobbyisten des Fondsverbands BVI haben wieder einmal ihre
Interessen gegen diejenigen der Kunden durchgesetzt. Mit der
verordneten Transparenz ist es auch nicht weit her. Erst ab
Mitte 2017 werden Publikumsfonds mit einem Aktienanteil von
mindestens 51 Prozent (wieviel Marktanteil diese Fonds
haben, wird uns nicht mitgeteilt. Aktienfonds soll es
lediglich 600 geben) überhaupt Transparenzvorschriften
unterworfen. Diese sind dann so gestaltet, dass die
Fondsgesellschaften kaum befürchten müssen, dass Anleger mit
den vorgeschriebenen Informationen (Vergleichsindex und
Entwicklung in der Vergangenheit) viel anfangen können, um
zukünftige Entwicklungen abschätzen zu können. Die
Kriterien, die einen Indexfonds (passiv gemanagt) von einem
aktiv gemanagten Fonds unterscheiden können, sind nicht
genau vorgegeben sondern Ermessenssache. Was eine
gerechtfertigte Preisstruktur ist, dürfte je nach
Interessenlage durchaus differieren.
Die Bafin hat zudem nicht
selber die Initiative ergriffen, sondern sich nur aufgrund
der bereits bestehenden Verunsicherungen durch
"Auffälligkeiten" in Skandinavien genötigt gesehen, dieser
möglichen Verunsicherung der Kunden im Interesse der
Finanzmarktakteure entgegenzutreten. Die Bafin ist keine
Verbraucherschutzorganisation, sondern sie soll die
Finanzmarktakteure schützen.
ZURICH (2016): Ist Langlebigkeit (in Deutschland) ein
versicherbares Risiko? v. 14.12.
SAUER, Stefan
(2016):
Unerreichbarer Ruhestand.
Fast die Hälfte der
Erwerbstätigen geht nicht davon aus, bis 67 arbeiten zu
können,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 23.12.
Stefan SAUER berichtet über
das 4-seitige Papier der
Befragung
Arbeitsfähig bis zur Rente? des DGB,
das als "Untersuchung" tituliert wird, obwohl lediglich die
Frage Meinen Sie, dass Sie unter den derzeitigen
Anforderungen Ihre jetzige Tätigkeit bis zum gesetzlichen
Rentenalter ohne Einschränkung ausüben könnten?
ausgewertet wurde, bei der es nur 3 Antwortmöglichkeiten gab.
Weil die Stichprobe von nur
einer Befragung für differenziertere Auswertungen zu klein
gewesen wäre, wurden die Antworten aus den jährlichen
Befragungen aus den Jahren 2012 - 2016 zu einer Stichprobe
zusammengefasst. Wie das geschehen ist, das wird uns
verschwiegen. Besonders problematisch ist, dass hierbei
Beschäftigte mit nur 10 Wochenstunden mit
Vollzeitbeschäftigten zusammengefasst wurden, als ob dies
keinen Einfluss auf die Antwort hätte.
SAUER gibt lediglich die
Ergebnisse wieder, ohne die Auswertung zu hinterfragen.
Aufklärung sieht anders aus!
ESSLINGER, Detlef
(2016): "Das moralische Bauchgefühl".
Die Linguistin Elisabeth
Wehling aus Berkeley über die Macht des Unbewussten und
Wörter, die in den USA und in Deutschland Politik und Wahlen
prägen,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 31.12.
Der
Begriff "abschlagfreie Rente mit 63" wird von Elisabeth
WEHLING als Beispiel dafür verwendet, warum die SPD von ihren
Erfolgen nicht profitiert. Angeblich sei der Begriff zu
kompliziert als, dass man ihn erfolgreich kommunizieren
könnte.
Vielleicht liegt es jedoch
nicht am Framing bzw. am falschen Begriff, sondern an der
Tatsache, dass von der Rente ab 63 nur wenige profitieren,
während die Mehrzahl neidisch ist, weil sie nicht in den
Genuss dieser Vergünstigung kommt. Dies zumindest war der
Tenor der neoliberalen Propaganda in den Medien.
"Nach der Einführung der
Rente mit 63 belief sich die Zahl der Zugänge im zweiten
Halbjahr 2014 auf 136.000. Im Jahr 2015 gab es insgesamt
274.000 Zugänge in diese Rente für besonders langjährige
Versicherte" (2016, S.7),
heißt es in der Broschüre
Blickpunkt Arbeitsmarkt: Situation von Älteren der
Bundesagentur für Arbeit. Insgesamt gab es 2015 rund 942.000
Rentnerzugänge. Lediglich 29,1 % der Neurentner konnten also
2015 von der abschlagfreien Rente profitieren.