2016
SCHMERGAL, Cornelia
(2016): Popcorn für alle.
Soziales: Die Gewerkschaften wollen
die Rente zum Thema des nächsten Bundestagswahlkampfs machen. Die
Frage ist nur: Wie soll die Reform aussehen, die sie fordern?
in:
Spiegel Nr.13 v. 26.03.
Cornelia SCHMERGAL berichtet über
die von den Gewerkschaften geplante Rentenkampagne, die im August
starten soll:
"Die Gewerkschaften wollen den
Fall des Rentenniveaus stoppen, im Zweifel auch durch höhere
Beitragssätze. Es wäre die Rückabwicklung vergangener Reformen."
Aufgrund der Niedrigzinspolitik
der EZB, ein Wort, das SCHMERGAL meidet, sieht inzwischen auch die
jüngere Generation in einer Stabilisierung des Rentenniveaus die
bessere Alternative zur Privatisierung der Altersvorsorge. SCHMERGAL
setzt auf die Durchsetzung der zurückhaltenden
Gewerkschaftsfraktionen im DGB, wenn sie schreibt, dass
Beitragssätze bis 2030, die auf über 22 Prozent auch innerhalb der
Gewerkschaften nicht konsensfähig seien.
Angeblich lässt sich die
Entwicklung des Rentensystems bis 2030 bereits heute ausrechnen, was
der Versuch ist die Alternativlosigkeit der rot-grünen Agendapolitik
zu behaupten. Angesichts der Unsicherheiten der weiteren
Arbeitsmarktentwicklungen ist das nichts weiter als der wiederholte
Versuch der Demografisierung gesellschaftlicher Probleme.
KRÜGER, Anja (2016): Angst vor Altersarmut.
Versicherungsbranche: Die Gewinne
sind hoch, die Auszahlungen für die Versicherten dagegen mickrig.
Trotzdem schließen viele Menschen private Rentenversicherungen ab,
weil sei keine Alternative sehen. Linkspolitiker Matthias W. Birkwald
will das ändern,
in:
TAZ v. 06.04.
Anja KRÜGER stellt anlässlich der Geschäftszahlen
der Versicherungswirtschaft die Sicht von Matthias W. BIRKWALD, dem
rentenpolitischen Sprecher der Linkspartei und Kritiker der privaten
Altersvorsorge, sowie des Sozialwissenschaftlers Stefan SELL vor, der
vom "Cappucino"-Modell à la Schweiz schwärmt. Außerdem wird auf die
geplante Kampagne der Gewerkschaften zur Stabilisierung des Rentenniveaus
der gesetzlichen Rente bzw. die weitreichendere Forderung der IG
Metall nach Rückgängigmachung der Rentenkürzungen von 2002
eingegangen.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Höheres Rentenniveau wird teuer.
Die CSU stellt die Riester-Reform
infrage und will die gesetzliche Rente wieder ausbauen. Das
Arbeitsministerium erwartet Kosten von 28 Milliarden Euro im Jahr,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.04.
Dietrich CREUTZBURG wertet den Anstieg der
abgeschlossenen Riesterverträge um 200.000 im Jahr 2015 gegenüber
2014 als Erfolg des Modells - und nicht wie
die taz als Angst vor Altersarmut und fehlende
Alternativen. CREUTZBURG unterstellt deshalb SEEHOFER, dass er ohne
Kenntnis dieses "Erfolgs" des Riester-Modells die Riester-Rente zum
Auslaufmodell erklärte. Weiter werden die Aussagen SEEHOFERs als
Abkehr der Rentenreform aus dem Jahr 2002 interpretiert.
Der großen Koalition schreibt
CREUTZBURG dagegen den Ausbau der betrieblichen Altersvorsorgung zu,
die das schaffen soll, was die Riester-Rente nicht schafft: die
Kürzungen bei der gesetzlichen Rente zu kompensieren.
Nachdem dieses Kampffeld
abgesteckt wurde, wird die Gewerkschaftskampagne zu einer
"Kehrtwende hin zu einem höheren Niveau der gesetzlichen Rente"
aufgegriffen. Es werden zuerst die hohen Kosten eines höheren
Rentenniveaus hervorgehoben, wobei diese Berechnungen aus der FAZ
wohlgesinnten Kreisen im Arbeitsministerium stammen.
CREUTZBURG kritisiert zweitens,
dass von der Anhebung des Rentenniveaus nicht nur "armutsgefährdete
Rentner" profitieren würden, wobei die FAZ nicht gerade als
Anwalt der kleinen Leute bekannt ist. Und nicht zuletzt wird die
Ansicht, dass die Altersarmut ein großes Problem werden könnte, als
umstritten hervorgehoben.
Zum Abschluss wird Peter WEIß,
der als "Rentenfachmann der CDU" charakterisiert wird, dahingehend
zitiert, dass die Prognosen zur Entwicklung des Rentenniveaus nur
bis zum Jahr 2030 reichen, also auch ein weiteres Absinken nach
diesem Zeitraum nicht auszuschließen sei, und deshalb das Thema
Rentenniveau auf die Tagesordnung gehöre.
Tenor des Artikels: das
Rentenniveau wird auf der Tagesordnung bleiben, CREUTZBURG
favorisiert jedoch keine Stabilisierung des Niveaus der gesetzlichen
Renten, sondern eine kapitalgedeckte Lösung.
PICHLER,
Thomas (2016): Ein Wunschkonzert bei der Rente.
StZ-Tagesthema: Der CSU-Vorsitzende
Horst Seehofer stellt plötzlich frühere Rentenreformen infrage. Die
Koalition will in den nächsten Monaten prüfen, wie sich Einbußen bei
künftigen Rentnern vermeiden lassen. Wie höhere Leistungen finanziert
werden, ist offen,
in:
Stuttgarter Zeitung v. 13.04.
Zu den Kosten einer
Stabilisierung des Niveaus der gesetzlichen Rente äußert sich Thomas
PICHLER eher kryptisch:
"Nach einer Faustformel würde
die Stabilisierung des Rentenniveaus auf dem jetzigen Stand dazu
führen, dass der Beitrag dauerhaft um rund 1,5 Prozentpunkte höher
ausfallen müsste."
PICHLER kritisiert, dass auch
ohne eine Stabilisierung des Rentenniveaus die Belastungen zu hoch
seinen. Außerdem weist er darauf hin, dass der Bundeszuschuss
bereits 84 Milliarden Euro pro Jahr beträgt. Vergisst jedoch
hinzuzufügen, dass dies angesichts der gewaltigen Summen, die
versicherungsfremde Leistungen (z.B. Mütterrente, Kosten der
Deutschen Einheit) verschlingen, noch viel zu wenig ist.
BERLINER
ZEITUNG-Tagesthema:
Im Alter zu wenig Geld?
Derzeit geht
es Rentnern in Deutschland vergleichsweise gut, doch vielen
Beschäftigten von heute droht Altersarmut. CSU und SPD versprechen
nun eine große Reform |
DOEMENS, Karl
(2016): Die Renten-Verunsicherung.
Altersversorgung: Ausgerechnet in
Zeiten, in denen die Seniorenbezüge klar steigen, flammt eine alte
Diskussion neu auf. Muss das Absinken des Rentenniveaus gestoppt
werden? Droht eine Altersarmut? Was von den Reform-Versprechen zu
halten ist,
in:
Berliner Zeitung v. 14.04.
DOEMENS, Karl
(2016): Renten-Rolle rückwärts.
Gabriel und Seehofer positionieren
sich für den Wahlkampf,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 14.04.
Der inzwischen aus dem Netz
genommene Artikel Rentenkapriolen bei SPD und CSU und der
Artikel der Print-Ausgabe waren identisch. Die Artikel von Karl
DOEMENS in der Berliner Zeitung ("Die
Renten-Verunsicherung") und der FR unterscheidet sich
folgendermaßen:
"Würde das Niveau bei 50
Prozent festgeschrieben, müssten die Beiträge von derzeit 18,7
Prozent bis 2030 auf über 24 Prozent steigen. Eine solche
Botschaft wäre den Bürgern schlecht zu verkaufen."
Der letzte Satz fehlt in der
Berliner Zeitung. Ist dies einem Unterschied der Leserschaft
bei der Beurteilung der Rente geschuldet?
DOEMENS, Karl (2016): Effizient, rentabel, transparent.
Handlungsoptionen für eine große
Rentenreform: Selbständige und Beamte in die gesetzliche
Versicherung einbeziehen, betriebliche Altersversorgung stärken,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 14.04.
Unter der Rubrik Abschaffung
der Kürzungsfaktoren fasst DOEMENS die Positionen des
Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Linkspartei zusammen:
"Das DGB-Modell sieht eine
Abschaffung des Nachhaltigkeitsfaktors, Verbesserungen bei der
Erwerbsminderungsrente und eine Aussetzung der Rente mit 67 vor.
Dadurch würden laut DGB-Berechnungen die Rücklagen der
Rentenkassen bis 2030 komplett abgeschmolzen, dann müsste – auf
dem Höhepunkt der demografischen Krise – der Beitragssatz
deutlich über 22 Prozent steigen. Die Linkspartei will im Grunde
zurück zum Status quo von 1998. Sie fordert ein Sicherungsniveau
von 53 Prozent, will die Riester-Verträge ins gesetzliche System
überführen und plant weitere Leistungsausweitungen. Sie erwartet
für 2030 einen Beitragssatz von 28 Prozent, der aber hälftig vom
Arbeitgeber getragen werden soll."
Erstaunlich ist wie schnell
sich der demografische Wandel verflüchtigen kann! Im Jahre 2003
erzählte uns Karl DOEMENS im Artikel
Vorruhestand (vgl. FR 25.04.2003):
"Erst im Jahr 2020 erreicht
das demografische Problem in Deutschland seinen Höhepunkt."
Nun ist der Höhepunkt der
demografischen Krise ins Jahr 2030 gewandert. Gäbe es den
demografischen Wandel als schnell weiterwandernde Drohkulisse
nicht, man müsste ihn erfinden!
EUBEL, Cordula & Rainer WORATSCHKA (2016): Die Rente kommt in die
Jahre.
Fragen des Tages: Die
Bundestagswahl naht - Zeit, die Altersvorsorge wieder zum Thema zu
machen. Bisherige Gewissheiten kommen auf den Prüfstand. Was könnte
sich ändern?
in:
Tagesspiegel
v. 14.04.
Cordula EUBEL & Rainer
WORATSCHKA sehen das Rententhema vom demografischen Wandel und von
den Erfolgen der AfD getrieben. Ausgiebig rücken die Autoren die
Darstellung des WDR-Fernsehens zurück, wonach die Altersarmut im
Jahr 2030 jeden zweiten Bundesbürger betreffen könnte. Sie folgen
dabei der Argumentation von nicht genannten Experten der Deutschen
Rentenversicherung. Diese weisen darauf hin, dass bei der Frage
nach der Altersarmut der Haushaltskontext und rentensteigernde
Leistungen (Kindererziehung oder Pflege) mitberücksichtigt werden
müssen. Warum Durchschnittswerte der gesetzlichen Rente die
tatsächliche Rentensituation von Haushalten nicht widerspiegeln,
das erklären die Autoren - wie auch ihre Journalistenkollegen -
jedoch nicht. In der Rentenstatistik werden nämlich lediglich
Renten, aber nicht Personen betrachtet, sodass Personen mehrere
Renten beziehen können, wodurch sich ihr Rentenniveau erhöht.
EUBEL & WORATSCHKA erläutern dies nur an einem Beispiel:
"Auch der Blick auf die
tatsächliche Rentenhöhe ist den Versicherern zufolge verzerrend.
Schließlich handle es sich bei vielen Niedrigrentenbeziehern um
Selbständige oder Beamte, die nur kurz Rentenbeiträge
eingezahlt, sich dann anderweitig abgesichert hätten und von
ihrer gesetzlichen Mini-Rente nicht leben müssten."
Auch die Nichtberücksichtigung
rentensteigernder Leistungen, die insbesondere
Teilzeitbeschäftigte und nicht-berufstätige Hausfrauen betrifft,
beruht auf dieser statistischen Beschränkung der
Betrachtungsweise. Feministinnen und ihre männlichen Mitstreiter,
die gegen abgeleitete Rentenansprüche kämpfen, klären darüber aus
ideologischen Gründen nicht auf. Auch Verfechter der
Kapitaldeckung haben kein Interesse an Aufklärung, wenn es um die
Stärkung von Argumenten zugunsten der Kapitaldeckung geht.
Umgekehrt gilt das auch für die Befürworter der gesetzlichen
Rente, die ein höheres Rentenniveau anstreben und dafür das
Altersarmutsargument in den Vordergrund rücken.
Obwohl also in der
Rentendebatte aus unterschiedlichen ideologischen Gründen das
Niveau der gesetzlichen Rentenansprüchen oftmals zu niedrig
angegeben wird, ist die Altersarmut durch die rot-grünen
Rentenreformen drastisch gestiegen:
"Aus 260.000 im Jahr 2003
sind inzwischen fast doppelt so viele geworden; die Quote
erhöhte sich binnen zehn Jahren von 1,7 auf drei Prozent. Und
die Dunkelziffer der „verschämten Alten“, die trotz Armut keine
Leistungen beantragen, kommt noch hinzu."
EUBEL & WORATSCHKA sehen diese
Entwicklung jedoch von der Regierung bereits in ihrer
mittelfristigen Finanzplanung ausreichend berücksichtigt.
Richtschnur für die Entwicklung
des Rentenniveaus sind für EUBEL & WORATSCHKA die rot-grünen
Zielvorgaben der Riester-Reform:
"Bis 2030 sollte der
Rentenbeitrag nicht über 22 Prozent steigen, das Rentenniveau
sollte 43 Prozent nicht unterschreiten."
Während
Karl DOEMENS
darauf hinweist, dass das derzeitige Rentenniveau mit 47,5 %
oberhalb des vor 10 Jahren prognostizierten Rentenniveaus liegt,
vergleichen EUBEL & WORATSCHKA die heutige Situation mit dem
Rentenniveau des Jahres 2008:
"2008 lag das Rentenniveau
noch bei 50,5 Prozent, aktuell beträgt es 47,5 Prozent."
Vor diesem Hintergrund wird die
derzeitige Rentensituation als Ausnahme aufgrund guter
Lohnentwicklung beschrieben, wozu auch der Rentenanstieg ab Juli
zählt.
Bei der
Frage nach den Mitteln, das Rentenniveau zu stoppen, gehen EUBEL &
WORATSCHKA zuerst auf eine nicht näher gekennzeichnete Forderung
der "SPD-Linke" ein, wonach das Niveau der gesetzlichen Rente auf
50 Prozent angehoben werden soll. Danach wird mit einer Schätzung
argumentiert, deren Herkunft ungenannt bleibt:
"Schätzungen zufolge würde
das bis 2030 rund 28 Milliarden Euro kosten. Der Rentenbeitrag
müsste dann auf 24 Prozent steigen. Eine enorme Zusatzbelastung
für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die derzeit 18,7 Prozent
zahlen."
In
der FAZ dagegen wird folgende Schätzung vorgestellt:
"Wie teuer es wurde, haben
Fachleute von Arbeitsministerin Andrea NAHLES (SPD) schon
ausgerechnet, wie diese Zeitung aus dem Ministerium erfuhr.
Ergebnis: Ein Niveau von 50 Prozent würde die Rentenkassen im
Jahr 2030 mit Mehrausgaben von 27,6 Milliarden Euro belasten;
der Beitragssatz müsste von derzeit 18,7 Prozent auf 24,3
Prozent des Bruttolohns steigen und damit um 2,3 Prozentpunkte
stärker als vorgesehen."
Während EUBEL & WORATSCHKA
darauf hinweisen, dass alternativ auch der Steuerzuschuss des
Bundes erhöht werden könnte, wird diese Möglichkeit von CREUTZBURG
gar nicht erst zur Debatte gestellt.
EUBEL & WORATSCHKA zitieren als
Kritik zum Vorschlag der "SPD-Linken" namentlich den
Rentenexperten der Grünen-Fraktion Markus KURTH, der die
Schwächung der Rentenkasse durch die Falschfinanzierung des
Rentenpakets anprangert (gemeint ist die Mütterrente und die Rente
ab 63, die von EUBEL & WORATSCHKA als Rente mit 63 falsch
etikettiert wird).
Warum funktioniert die
Riester-Rente nicht? fragen EUBEL & WORATSCHKA. Ihre Antwort: die
fehlende Zwangsverpflichtung führt zu einer zu geringen
Verbreitung, was bereits darauf hindeutet, dass der Riester-Rente
eine mangelnde Attraktivität innewohnt, denn sonst bräuchte es
keinen Zwang. Die desolate Lage der Riester-Rente beschreiben die
Autoren folgendermaßen:
"Aktuell haben nach
Statistiken des Sozialministeriums nur knapp 16 Millionen
Deutsche eine Riester-Rente abgeschlossen, das sind lediglich 40
Prozent des geschätzten Riester-Potenzials. Etwa jeder fünfte
Vertrag ruht außerdem, es werden also keine Beiträge gezahlt."
Es wird die Kritik von
Verbraucherschützern, die Unattraktivität für Geringervdiener
(Anrechnung der Riester-Rente auf die Grundsicherung) und die
Niedrigzinsen als Probleme genannt. Namentlich wird als Politiker
die Einschätzung von Karl-Josef LAUMANN ("Vorsitzender der
CDU-Sozialausschüsse") zitiert.
Als Alternativen zur
Riester-Rente wird die Stärkung der Betriebsrenten (Anliegen von
Andrea NAHLES) und die Deutschland-Rente zur Sprache gebracht.
Zuletzt wird die geplante
Lebensleistungsrente von NAHLES als Mittel zum Schutz vor
Altersarmut als ungeeignet kritisiert, weil sie
Langzeitarbeitslosigkeit und Solo-Selbständigkeit (vor allem
Freiberufler) nicht ausreichend berücksichtigt.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Widerstand in der CDU gegen neue
Rentenpläne.
Hessens Finanzminister Schäfer
nennt Vorstöße von SPD und CSU für höheres Rentenniveau "unbezahlbar",
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung
v. 14.04.
DETTMER, Markus/NEUBACHER, Alexander/NEUKIRCH,
Ralf/PFISTER, René/SAUGA, Michael
(2016): Operation Gießkanne.
Union: CSU-Chef Seehofer startet
die nächste Provokation: Mit seinem Plan, die Rentenformel der letzten
Jahre zurückzudrehen, belastet er die junge Generation - und bringt
große Teile der CDU gegen sich auf. Kann die Kanzlerin ihn stoppen?
in: Spiegel
Nr.16 v. 16.04.
Forderungen nach einer Stärkung
der gesetzlichen Rente bügeln die Autoren mit dem Kostenargument ab:
"Wer die Ansprüche der Senioren
nur um einen Prozentpunkt anhebt, belastet die Alterskasse mit
etwa 6 Milliarden Euro. Würde das Rentenniveau also auf dem
gegenwärtigen Stand von knapp 48 Prozent eingefroren, wären pro
Jahr zweistellige Milliardenbeträge zusätzlich fällig."
Woher diese Zahlen kommen, die
zudem mehr als vage sind ("zweistellige Milliardenbeträge" reichen
von 10 bis 99 Milliarden Euro!), legen die Autoren jedoch nicht
offen. Sie stehen im Raum und einzig das ist wohl ihr Zweck! Als
Beispiel der von Altersarmut bedrohten Risikogruppe stellt uns der
Spiegel die Verkäuferin und den Selbständigen vor.
Zum Schluss werden uns eine Reihe
von Experten genannte, die eine Stärkung der gesetzlichen Rente
ablehnen und stattdessen die private Altersvorsorge umbauen wollen:
Von Gert G. WAGNER über Manfred WERDING bis zu Marcel FRATZSCHER und
Clemens FUEST reicht dieses mehr oder weniger neoliberale
Experten-Spektrum.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Das Märchen von der Altersarmut.
CSU und SPD wollen das Rentenniveau
steigern. Dabei stehen bis 2029 ohnehin Rentenerhöhungen um mehr als
40 Prozent bevor,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung
v. 16.04.
DOEMENS, Karl (2016): "Wir brauchen einen Kurswechsel".
DGB-Vorstandsmitglied Annelie
Buntenbach über eine verlässliche Altersabsicherung, Wolfgang
Schäuble und das Scheitern von Riester,
in:
Frankfurter Rundschau v. 22.04.
Annelie BUNTENBACH will das
Niveau der gesetzlichen Rente zuerst bei 48 % einfrieren und danach
im Rahmen einer Erwerbstätigenversicherung unter Einbeziehung von
Selbständigen und Beamten anheben. Dazu müsste der Beitragssatz über
die im
Rentenversicherungsbericht 2015 bis 2020 angegebenen 18,7 %
ansteigen. BUNTENBACH sieht angesichts der guten Lage jetzt
Handlungsbedarf:
"Wenn die Regierung diese Chance
verspielt, steigen die Beiträge wegen der Demografie sprunghaft an,
während das Rentenniveau weiter absackt."
Ob sich die Demografie daran
hält, ist ungewiss! Zur Finanzierung erklärt BUNTENBACH:
"Der DGB hat ein Rentenmodell
entwickelt, nach dem das in kleinen Schritten zu verkraften ist.
Durchschnittsverdiener müssten gerade einmal 7,50 Euro mehr im Monat
zahlen – mit stabilen Renten als Gegenleistung, auch für junge
Generationen. Entscheidend ist auch, dass die Arbeitgeber die Hälfte
zahlen. Zudem muss die Mütterrente schnellstens aus Steuermitteln
finanziert werden. Allein dadurch würden sieben Milliarden Euro
jährlich frei."
BUNTENBACH lehnt sowohl die
Riester-Rente als auch die Deutschland-Rente ab.
BORSTEL, Stefan von (2016): Arbeitgeber verteidigen Riester-Rente.
"Sinkendes Rentenniveau führt nicht
zu Altersarmut",
in:
Welt v. 23.04.
Stefan von BORSTEL zitiert aus einem der Welt
zugespielten Argumentationspapier des Arbeitgeberverbands (BDA).
Dass der Arbeitgeberverband die Riester-Rente verteidigt ist wohl
kein Wunder. Das Interesse der Arbeitgeber besteht in der Senkung
der Beitragssätze zur gesetzlichen Rente. Dass diese für
Arbeitnehmer Einkommen darstellen, spielt dabei keine Rolle.
"Im schlimmsten Fall werde der
Anteil derjenigen, die ab 2030 auf eine Grundsicherung angewiesen
sein werden, von heute knapp drei Prozent auf etwa fünf Prozent
steigen",
erklärt uns BORSTEL. Man sollte
genau lesen: "Ab 2030" heißt es und nicht im Jahr 2030! Man müsste
schon Hellseher sein, um eine solche Aussage machen zu können.
DOEMENS, Karl (2016): Auch
CDU schraubt an der Rente.
Fraktionsexperte fordert
Zwölf-Milliarden-Reform. Betriebsrente soll Pflicht werden,
in:
Frankfurter Rundschau v. 27.04.
Karl
DOEMENS referiert die Position von Karl SCHIEWERLING
("sozialpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion"), der
eine Stabilisierung des Niveaus der gesetzlichen Rente bei 45 statt
bei 43 Prozent in die Rentendebatte einbringt:
"Allerdings würde auch eine
Stabilisierung des Niveaus bei 45 Prozent rund zwölf Milliarden
Euro kosten, die entweder aus dem Bundeshaushalt überwiesen oder
von den Beitragszahlern gestemmt werden müssten. Rein rechnerisch
entspricht das einer Anhebung des langfristig erwarteten
Beitragssatzes von 22 auf 23 Prozent",
wirft DOEMENS ein. Lieber ist ihm
die Stärkung der Betriebsrente, die SCHIEWERLING befürwortet.
ÖCHSNER, Thomas (2016): Lebensfragen.
Buch zwei: Was man über die
gesetzliche Rente und die zusätzliche Altersvorsorge wissen muss,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 30.04.
Hinsichtlich möglicher Reformen der
gesetzlichen Rentenversicherung, sieht ÖCHSNER vor allem Chancen für
den Vorschlag einer neuen Untergrenze bei der
gesetzlichen Rente von 45 statt 43 %, den Karl SCHIEWERLING
("einflussreiche CDU-Sozialexperte") in die Debatte eingebracht hat.
Würde sich die positive Arbeitsmarktentwicklung der letzten Jahre
fortsetzen, dann wären diese 45 % auch ohne irgendeine Änderung
erreichbar. Es wäre also eine Art Plazebo, die uns ÖCHSNER hier als
Reform verkauft. Lediglich bei einer schlechteren zukünftigen
Arbeitsmarktentwicklung würde die Festschreibung greifen. Es könnte
aber auch ein Vorgriff auf eine Debatte für die Entwicklung nach 2030
sein. Danach wird nämlich mit einer weiteren Senkung gerechnet, wenn
die Beiträge stabil bleiben sollen. Eine Absenkung auf 43 % z.B. erst
im Jahr 2035 könnten Politiker dann wieder als einen Erfolg verbuchen.
CREUTZBURG,
Dietrich
(2016): Rentenniveau stabiler als erwartet.
DIW-Gutachten für die Grünen-Bundestagsfraktion,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 04.05.
Dietrich
CREUTZBURG berichtet über das
Gutachten zu Entwicklungen von Beitragssatz und Niveau in der
Gesetzlichen Rentenversicherung des DIW im Auftrag der
Bundestagsfranktion Bündnis 90/Die Grünen.
CREUTZBURG berichtet zwar über die Veränderung
von Beitragssatz und Rentenniveau bis 2040, aber verschweigt dabei,
dass die Annahmen der Prognose auf der
13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes vom April
2015 basieren. Sowohl die Annahmen zur Zuwanderung
(Wanderungsüberschuss von 200.000 pro Jahr) als auch zur
Geburtenrate (TFR = 1,4 Geburten pro Frau) sind unrealistisch.
Mit dem Gutachten soll eine
Debatte über die Entwicklung des Rentenniveaus und des
Beitragssatzes nach 2030 vor Veröffentlichung des neuen
Rentenversicherungsberichts angestoßen werden. CREUTZBURG vergleicht
deshalb die Berechnungen nur mit einer Studie der Prognos AG im
Auftrag der Versicherungswirtschaft, ohne genauere Angaben zum
Erhebungs- bzw. Veröffentlichungszeitpunkt zu machen. Die
Berechnungen des Rentenniveaus vom DIW liegen um ca. 3 Prozent über
dem der Prognos AG.
"Das DIW rechnet nun mit einem
Rentenniveau von 45 % im Jahr 2030. Auf der anderen Seite steigt
der Rentenbeitragssatz von heute 18,7 Prozent laut DIW auf 21,9
Prozent im Jahr 2030."
Eine Untergrenze des
Rentenniveaus von 45 % wurde vor kurzem
von Karl SCHIEWERLING in die Debatte eingebracht, was auf dieser
Website als Verabreichung eines Placebo bezeichnet wurde. Die
Berechnungen des DIW würden dies bestätigen. Auf der anderen Seite
sind solche Prognosen aber Kaffeesatzleserei, weil Prognosen zur
Arbeitsmarktentwicklung sehr unsicher sind.
SPECHT,
Frank (2016): Die Bremse für sinkendes Rentenniveau,
in:
Handelsblatt v. 04.05.
Frank SPECHT berichtet zuerst darüber, dass der
DGB-Bundesvorstand am Dienstag ihre Kampagne gegen das sinkende
Rentenniveau beschlossen hat.
Das Rentenniveau soll demnach auf
dem jetzigen Stand stabilisiert und langfristig wieder angehoben
werden.
Die Position von Bündnis90/Die
Grünen wird als Stabilisierung des Rentenniveaus bei 46 Prozent -
also ein Prozent über dem CDU-Vorschlag von Karl SCHIEWERLING -
beschrieben
PIMPERTZ, Jochen (2016): Reform der Alterssicherung - Populäre Thesen,
empirische Befunde und normative Ableitungen. Gutachten für die
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
Die Kostenberechnung von Jochen
PIMPERTZ findet sich hier.
SCHWENN, Kerstin (2016): Mehr Rentenniveau kostet 52 Milliarden Euro.
Wer ein höheres Rentenniveau
verlangt, darf die Rechnung nicht ohne den Wirt machen: Der
Beitragssatz könnte dann schon 2024 auf mehr als 22 Prozent steigen,
hat das IW ausgerechnet,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.05.
Bildzeitung und FAZ marschieren
heute gemeinsam. Beide adeln den Extremwert des INSM-Gutachtens von
Jochen PIMPERTZ zur Schlagzeile, um gegen die Stabilisierung des
Niveaus der gesetzlichen Rente Front zu machen.
"Ein Einfrieren des
Rentenniveaus auf dem heutigen Stand von 47,7 Prozent ließe die
Rentenausgaben im Jahr 2029 auf 477 Milliarden Euro steigen – 28
Milliarden Euro mehr als heute von der Bundesregierung angenommen.
Würde das Niveau wieder auf 50 Prozent angehoben, wie es
Gewerkschaften und Linke fordern, stiegen die zusätzlichen Kosten
sogar auf 52 Milliarden Euro",
zitiert Kerstin SCHWENN aus dem
einseitig neoliberal geprägten INSM-Gutachten. Daneben wird ein
Positionspapier des BDA erwähnt, das nur die Argumente der INSM
verdoppelt. Am Rande wird das heutige Treffen von Andrea NAHLES mit
der "jungen Generation" und der Monatsbericht der Bundesbank erwähnt
der Rentenprognosen über das Jahr 2030 hinaus anmahnt.
BUNZENTHAL, Roland
(2016): Das Niveau sinkt
weiter.
Neoliberale Denkfabrik will
Beschäftigte noch länger für ihre Rente arbeiten lassen,
in:
Neues Deutschland v. 18.05.
Roland BUNZENTHAL streut Gerüchte
über eine geplante Rentenreform von Andrea NAHLES. Danach soll das
derzeitige Rentenniveau von 47,6 Prozent als neue Untergrenze
gelten, die Riester-Rente langfristig abgeschafft und zuletzt wird
noch eine Rente mit 68 ins Spiel gebracht, eine Forderung, die auch
der INSM zugeschrieben wird. BUNZENTHAL will darin Eckpunkte für
Koalitionsverhandlungen nach der nächsten Bundestagswahl sehen.
"Pro Prozentpunkt, den das
künftige Niveau nach oben von geltendem Recht abweicht, betragen
sie rund sechs Milliarden Euro, hat die Rentenversicherung
errechnet",
behauptet BUNZENTHAL. Diese
Zahlen kursieren auch in anderen Mainstream-Zeitungen, wo sie jedoch
nicht der Rentenversicherung zugeschrieben werden. Unkritisch
werden auch die Berechnungen des INSM-Gutachtens wiedergegeben.
Am Ende wird die Position der Linkspartei (Rentenniveau von 53 %;
Ausbau des Rentensystems zu einer Erwerbstätigenversicherung)
skizziert und als Hemmnis die "Privilegien der Beamten und
Politiker" genannt.
RIEXINGER, Bernd (2016): Gefährliche Entsolidarisierung.
Gastbeitrag: Die Demokratie kann
dauerhaft nur erfolgreich verteidigen, wer ihre sozialen Grundlagen
verteidigt,
in:
Frankfurter Rundschau v. 27.05.
Bernd RIEXINGER, einer der beiden
Parteivorsitzenden, fordert mehr soziale Gerechtigkeit, jedoch mit
einer Rhetorik die über weite Strecken von vorgestern stammt und
höchstens noch stramme Linke ansprechen kann. Er zeigt damit das
ganze Dilemma der sozialen Linken, die von der Schwäche der SPD
nicht profitieren kann und dem Erstarken der Rechtspopulisten
tatenlos zuschauen müssen.
"Heute reichen selbst 45 Jahren
ununterbrochener Arbeit in Vollzeit mit einem Bruttolohn von 2500
Euro gerade mal für eine Rente knapp über der Grundsicherung. Wer
weniger als zwölf Euro pro Stunde bekommt, geht trotz lebenslanger
Arbeit sicher in die Altersarmut. Um die Renten zu stabilisieren,
braucht es höhere Löhne, einen Mindestlohn von zwölf Euro und eine
Abkehr von der Agenda-2010-Politik. Statt aber das Rentenniveau
wieder auf mindestens 53 Prozent zu erhöhen – wie vor den
Rentenkürzungen unter Rot-Grün – und eine armutsfeste Mindestrente
einzuführen, flüchtet sich die Regierung in Scheinlösungen",
schreibt RIEXINGER zur
Rententhematik. Aber wer versteht das überhaupt? Gemäß Deutscher
Rentenversicherung lag das Gehalt des so genannten Eckrentners 2015
im Westen bei ca. 2.900 Euro, im Osten dagegen bei ca. 2.500 Euro.
Ein Westrentner hätte dafür 2015 ca. 1.300 Euro, der Ostrentner 100
Euro weniger bekommen. Die Grundsicherung im Alter liegt derzeit bei
ca. 773 Euro. Aktuell gilt also das Gesagte nicht. RIEXINGER geht
jedoch davon aus, dass dies z.B. nach 2030 so sein könnte wenn das
Rentenniveau so bleibt oder gar sinkt. Je nach Anhebung der
Grundsicherung im Alter schrumpft dann der Abstand tatsächlich
zusammen, wenn an der gegenwärtigen Rentenformel nichts geändert
wird und sich die Arbeitsmarkt- und Bevölkerungsentwicklung nicht
grundlegend ändert. RIEXINGER kann sich hier auch auf die
umstrittenen Berechnungen des WDR berufen, während sich die
Verfechter einer Stärkung der privaten Altersvorsorge die
Verharmlosung des Altersarmutsproblems auf ihre Fahnen geschrieben
haben.
Mit seiner Forderung auf Anhebung
des gesetzlichen Rentenniveaus auf mindestens 53 Prozent liegt
RIEXINGER derzeit weit über den Forderungen der anderen Parteien -
ausgenommen der Parteilinken in der SPD oder dem DGB.
KOCHSKÄMPER, Susanna (2016): Wie lange arbeiten für ein stabiles
Rentenniveau?
Gesetzliche
Rentenversicherung: Ein stabiles Rentenniveau in der Gesetzlichen
Rente lässt sich mittelfristig nur mit einer höheren Belastung der
Erwerbstätigengeneration erreichen – vorausgesetzt die
Regelaltersgrenze bleibt auf dem politisch festgelegten Niveau. Das
Rentenniveau könnte theoretisch stabilisiert werden, wenn die Menschen
länger arbeiteten. Die Frage ist nur: wie viel länger?
in: IW-Kurzbericht Nr.27 v. 27.05.
MÜHLBAUER, Peter (2016): Rente mit 73?
Schock-Rechnung des Instituts der
Deutschen Wirtschaft,
in:
Telepolis v. 31.05.
Peter MÜHLBAUER liefert einen unkritischen Bericht
über den Kurzbericht
Wie lange
arbeiten für ein stabiles Rentenniveau? von Susanna
KOCHSKÄMPER.
MATTHEIS, Hilde/BARTHEL, Klaus/BÜLOW, Marco
(2016): Wir können soziale Gerechtigkeit.
Gastbeitrag: In einer Welt voller
Ungleichheit wird die SPD dringend gebraucht. Doch sie muss ihr
soziales Profil schärfen,
in:
Frankfurter Rundschau v. 04.06.
Nachdem der
Internationale Währungsfonds - Inbegriff des Neoliberalismus -
ebendiesen totgesagt hat, hängen sich 3 SPDler nun im Vorfeld eines
Parteikonvents an diese rhetorische Wende des IWF an:
"die europäische
Sozialdemokratie (hatte sich) zu sehr dem Neoliberalismus
angenähert und die Alternativen zu wenig deutlich gemacht",
lullen uns die SPDler mit
Phrasendrescherei ein. Neoliberale Phrasen wie "das Land
zukunftsfest machen" deuten jedoch darauf hin, dass die Parole
weiter so heißt. Auch sonst findet sich nichts, was nicht bereits
irgendwo gesagt worden wäre:
"In der Rentenpolitik muss die
SPD die umlagefinanzierte, solidarische Rente (GRV) wieder zur
Hauptsäule der Altersvorsorge machen. Das Rentenniveau ist
deutlich oberhalb von 50 Prozent zu stabilisieren. Es darf nicht
sein, dass man immer länger arbeiten muss, um der Armut im Alter
zu entgehen."
Man darf bezweifeln, dass davon
am Ende mehr bleibt, als schöne Worte. Die SPD wird so ihre Agenda
2010 nicht los. Wie wäre es mit einer neuen Partei, die nicht die
Bürde einer neoliberalen Partei mit sich herumschleppen muss?
Verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen ist weit schwieriger als
gewonnenes Vertrauen zu zerstören. Ob die SPD das noch kapiert?
PROGNOS (2016): Perspektive 2040 - Fakten zur Rentendebatte.
Pressegespräch vom 13.06.2016
Mit einem
4seitigem Papier, das zur "Kurzstudie" stilisiert wird, greift
die Lobbyorganisation der Versicherungswirtschaft GDV in die
Rentendebatte ein - nicht uneigennützig, denn schließlich ist die
Senkung des Rentenniveaus eine Lizenz zum Gelddrucken für die
Lebensversicherer. Bestrebungen das Rentenniveau zu stabilisieren
werden deshalb massiv bekämpft.
DOEMENS, Karl (2016): Rentenniveau stürzt bis 2040 um knapp sechs
Prozent.
Eine neue Studie des Freiburger
Prognos-Instituts beschäftigt sich mit der Zukunft des Rentenniveaus.
Dabei wurden mehrere Szenarien durchgerechnet. Das Fazit: Das
Rentenalter anzuheben bringt wenig,
in: Berliner
Zeitung v. 14.06.
Im Gegensatz zu den anderen Medienberichten, gibt
es zur GDV-Auftragsstudie Perspektive 2040 der Prognos AG eine
Stellungnahme von Matthias W. BIRKWALD (Linkspartei), der sowohl eine
Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters, als auch eine weitere
Förderung der Riester-Rente ablehnt. Eine Auseinandersetzung mit den
Berechnungen gibt es jedoch auch hier nicht.
DRIBBUSCH, Barbara (2016): Kleine Brötchen für
Minirentner.
Alter: Der linke Flügel der SPD
fordert, das Rentenniveau anzuheben, Arbeitsministerin Andrea Nahles
will über Reformen sprechen, denkt aber eher an kleinere Schritte,
in:
TAZ v. 08.07.
Die taz kommt uns wie
die FAZ nur mit Berechnungen des arbeitgebernahen IW Köln,
wobei Barbara DRIBBUSCH von 52 Milliarden Euro Kosten im Jahr 2029
spricht, während uns Kerstin SCHWENN
von jährlich 52 Milliarden Euro Kosten berichtet. Angesichts der
Tatsache, das die Zahl der Rentner zunimmt, ist also eine der
Zahlen auf alle Fälle falsch (mehr
hier). Rainer WORATSCHKA
wiederum nennt uns Zahlen für das Einfrieren auf dem Niveau von
47,7 Prozent:
"Schon das (...) würde,
Berechnungen der gesetzlichen Rentenversicherung zufolge, rund
18 Milliarden verschlingen."
Die IW Köln-Zahlen von
DRIBBUSCH und SCHWENN stammen dagegen von Jochen PIMPERTZ, der im
Auftrag der neoliberalen INSM in einem Gutachten vom
17. Mai folgende Kosten veranschlagt hat:
"Bei einem Sicherungsniveau
vor Steuern von dauerhaft 47,5 Prozent übertreffen die
jährlichen Ausgaben die bislang von der Bundesregierung
unterstellte Entwicklung im Jahr 2029 um 28 Milliarden Euro. Bei
einem höheren Sicherungsniveau von 50 Prozent sind dann sogar 52
Milliarden Euro mehr zu schultern als ursprünglich erwartet."
PIMPERTZ entnimmt die Annahmen
zur weiteren Entwicklung dem
Rentenversicherungsbericht 2015 der Bundesregierung:
"Weil aber nicht die
Diskussion unterschiedlicher Annahmen im Fokus der Untersuchung
steht, sondern vielmehr die Abweichungen der Ausgabenentwicklung
in den beiden Szenarien gegenüber dem Status quo, bedient sich
die folgende Schätzung direkt der Berechnungen zur finanziellen
Entwicklung im langfristigen Zeitraum 2015 bis 2029 im
Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung (BMAS, 2015, 37
ff.). Dort sind die Ergebnisse für die Entwicklung der Ausgaben,
der Einnahmen, des Sicherungsniveaus vor Steuern sowie des
Beitragssatzes in der mittleren Variante beschrieben (zu den
Annahmen siehe BMAS, 2015, 37 ff., 45 ff.)."
PIMPERTZ kommt aufgrund dieser
Annahmen auf folgende Mehrausgaben zwischen 2015 und 2029:
Tabelle: Entwicklung
der Rentenausgaben bei den Szenarien Status quo, Einfrieren
des Rentenniveaus auf 47,5 % und Anhebung des Rentenniveaus
auf 50 % |
Jahr |
Ausgaben gemäß
RV 2015
(Status quo) |
Ausgaben bei
Rentenniveau von 47,5 % |
Ausgaben bei Anhebung
auf 50 % |
Ausgaben-differenz bei
Anhebung auf 50 % |
2015 |
272 Mrd. € |
272 Mrd. € |
286 Mrd. € |
14 Mrd. €
|
2016 |
283 Mrd. € |
282 Mrd. € |
296 Mrd. € |
13 Mrd. € |
2017 |
295 Mrd. € |
292 Mrd. € |
307 Mrd. € |
12 Mrd. € |
2018 |
304 Mrd. € |
304 Mrd. € |
319 Mrd. € |
15 Mrd. € |
2019 |
315 Mrd. € |
314 Mrd. € |
330 Mrd. € |
15 Mrd. € |
2020 |
326 Mrd. € |
326 Mrd. € |
342 Mrd. € |
16 Mrd. € |
2021 |
338 Mrd. € |
338 Mrd. € |
355 Mrd. € |
17 Mrd. € |
2022 |
351 Mrd. € |
353 Mrd. € |
370 Mrd. € |
19 Mrd. € |
2023 |
366 Mrd. € |
370 Mrd. € |
389 Mrd. € |
23 Mrd. € |
2024 |
380 Mrd. € |
388 Mrd. € |
408 Mrd. € |
28 Mrd. € |
2025 |
392 Mrd. € |
404 Mrd. € |
424 Mrd. € |
32 Mrd. € |
2026 |
405 Mrd. € |
420 Mrd. € |
441 Mrd. € |
36 Mrd. € |
2027 |
419 Mrd. € |
438 Mrd. € |
460 Mrd. € |
41 Mrd. € |
2028 |
434 Mrd. € |
456 Mrd. € |
479 Mrd. € |
45 Mrd. € |
2029 |
449 Mrd. € |
477 Mrd. € |
500 Mrd. € |
51 Mrd. € |
|
Quelle:
Reform der Alterssicherung v. 17.05.2016, Abbildung 4-2,
S.15 |
Von 52 Mrd. Euro Mehrausgaben
im Jahr wie von SCHWENN behauptet, kann also keine Rede sein.
Inwiefern die Annahmen des Rentenversicherungsberichts 2015
überhaupt realistisch sind, das wäre noch eine ganz andere Frage.
Von der taz hätte man
sich eigentlich Zahlen gewünscht, die nicht der neoliberalen
Unternehmenslobby entstammen, aber die Zeiten der
Gegenöffentlichkeit sind eben längst vorbei und die taz
gehört wie die FAZ zum neoliberalen Establishment in
Deutschland
ÖCHSNER, Thomas (2016): Mehr Rente, bitte!
Die IG Metall fordert einen
Kurswechsel bei der gesetzlichen Alterssicherung. Auch Beamte sollen
in die Kasse einzahlen,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 21.07.
Thomas ÖCHSNER berichtet über das Diskussionspapier
Neuaufbau einer solidarischen Alterssicherung
der IG Metall.
Das 3-Phasen-Modell der IG
Metall wird von ÖCHSNER eher unübersichtlich dargestellt. Es wird
nicht ersichtlich, dass das Einfrieren des Rentenniveaus auf 47,5
Prozent bis 2021 ausreichend sein soll und erst danach die weiteren
Schritte geplant sind. Genauer wird das dreistufige Reformkonzept
von Pascal BEUCKER in der taz dargestellt:
"In einer
»Stabilisierungsphase« soll zunächst das Rentenniveau bis 2021 bei
47,5 Prozent belassen werden. In der darauf folgenden "
»Ankopplungsphase« sollen die Renten wieder mit der
Lohnentwicklung verknüpft und auf die bislang vorgesehenen
Dämpfungsfaktoren soll verzichtet werden. Schließlich soll in
einer »Anhebungsphase« schrittweise das Leistungsniveau der
gesetzlichen Rente erhöht werden."
Thomas ÖCHSNER erzählt uns
heute, dass die
IG Metall das "Rentenniveau schrittweise auf mehr als 50 Prozent
erhöhen will" Karl DOEMENS zitiert in der Frankfurter Rundschau
dazu Hans-Jürgen URBAN:
"Man peile am Ende für das
Jahr 2030 ein Rentenniveau von etwa 50,5 Prozent an, antwortet
Urban auf Nachfrage."
Peter THELEN bezieht sich
heute ebenfalls auf URBAN:
"Die IG Metall sei bereit
über den genauen Umfang in einem »Dialog der Generationen« zu
diskutieren, so Urban. Doch was sie will, ist klar: Das
gesetzliche Rentenniveau soll am Ende genauso hoch sein, wie das
Gesamtversorgungsniveau, das laut Rentenbericht erreicht würde,
wenn alle riestern würden und jeder Riester-Vertrag vier Prozent
Rendite hätte: 50 Prozent vor Steuern. Das sind in aktuellen
Preisen 1450 Euro im Monat für einen Rentner, der während des
gesamten Erwerbslebens immer zum Durchschnittsverdienst gearbeitet
hat. Diese 1450 Euro soll es künftig aber bereits nach 43 statt
nach 45 Beitragsjahren geben".
Das Diskussionspapier der IG
Metall lässt dagegen das Rentenniveau der Anhebungsphase offen:
"Mit dem Stopp der weiteren
Absenkung und der Kopplung an die Lohnentwicklung ist gleichwohl
noch nicht wieder ein angemessenes Leistungsniveau in der
gesetzlichen Rentenversicherung erreicht. Daher sollte in einer
dritten Phase eine schrittweise Anhebung des Leistungsniveaus der
gesetzlichen Rente auf ein neues Sicherungsziel erfolgen. Dessen
Höhe wäre ebenso in einer gesellschaftlichen Debatte zu definieren
wie die Geschwindigkeit, mit der dieses Ziel erreicht werden
soll." (2016, S.12)
ÖCHSNER präsentiert uns die
Kosten des IG Metall-Rentenkonzeptes folgendermaßen:
"Rentenexperten schätzen die
Kosten für das IG-Metall-Konzept auf 25 Milliarden Euro jährlich.
Allein elf Milliarden entfallen dabei auf den Vorschlag, die Zahl
der notwendigen Beitragsjahre für die Standardrente von 45 auf 43
Jahre zu reduzieren.
Peter THELEN präsentiert uns
dagegen eine andere Rechnung:
"In Euro und Cent würde die
jährliche Zusatzbelastung bis 2030 auf 36 Milliarden ansteigen."
Karl DOEMENS kommt auf die
höchsten Kosten:
"Die Kosten dürften nach
Expertenschätzungen zwischen 35 und 40 Milliarden Euro liegen."
Wie kommt er auf diesen
Betrag?
"50,5 Prozent (...). Das
wären 6,5 Prozentpunkte mehr als in der Kalkulation der
Bundesregierung. Nach einer Faustformel kostet jeder Prozentpunkt
beim Niveau etwa 6 Milliarden Euro",
erzählt uns DOEMENS. Die
anderen Zeitungen halten sich nicht mit solchen Zahlen auf, sondern
stellen den Finanzierungsmix in den Mittelpunkt.
Neben einer Erhöhung des
Beitragssatzes auf höchstens 25 Prozent bis 2030, einen höheren
Bundeszuschuss und den Aufbau einer Demografiereserve (ÖCHSNER
spricht hier von "Finanzreserve"), geht es um den Ausbau zur
Erwerbstätigenversicherung. Während ÖCHSNER dies nur am Rande
erwähnt, differenzieren hier FRESE und DOEMENS, da die Einbeziehung
von Beamten nur langfristig möglich sei. Taz und Neues
Deutschland heben besonders die Soloselbständigen und
Parlamentarier/Politiker hervor.
Als Kritiker der Pläne nennt
ÖCHSNER einzig den BDA.
FRESE, Alfons (2016): IG Metall will die Rente retten.
Zukunftskonzept sieht höheres
Rentenniveau vor, aber auch höhere Beiträge und mehr Beitragszahler,
in:
Tagesspiegel v. 21.07.
BEUCKER, Pascal (2016): IG
Metall will Rentenniveau nicht weiter absinken lassen.
Rente: Gewerkschaft warnt vor
Altersarmut und legt ein eigenes Konzept zur Alterssicherung vor,
in:
TAZ v. 21.07.
DOEMENS, Karl (2016): IG Metall fordert höhere
Renten.
Die Altersbezüge sollen möglichst
bald wieder ungebremst wie die Löhne steigen,
in:
Frankfurter Rundschau v. 21.07.
DOEMENS, Karl (2016): Wahlkampf mit der Rente.
Kommentar,
in:
Frankfurter Rundschau v. 21.07.
"Nun kann es
keinen Zweifel mehr geben: Den Bundesbürgern steht im nächsten
Jahr ein Rentenwahlkampf bevor",
plustert sich Karl DOEMENS
angesichts des IG
Metall-Diskussionspapiers auf. Peter THELEN sieht im
Handelsblatt dagegen nur einen heißen Debattensommer auf uns
zukommen.
Besonders dramatisiert wird die
von der IG Metall maximal vorgesehene Erhöhung des Beitragssatzes
auf 25 Prozent. DOEMENS spricht von "um gut sechs Punkte auf 25
Prozent hochschießen", was bereits eine Verzerrung darstellt, denn
2030 würde der Beitragssatz auch so auf 22 Prozent ansteigen, d.h.
es gibt lediglich ein Unterschied von 4 Prozent und das über eine
sehr lange Zeitdauer. Von "Hochschießen" kann also gar keine Rede
sein.
"Spätestens beim nächsten
Konjunktureinbruch müsste die Regierung die Notbremse ziehen - so
wie Anfang des Jahrtausends",
will uns DOEMENS Angst machen.
Damals gab es jedoch nicht nur einen Konjunktureinbruch, sondern
eine hohe, langandauernde Massenarbeitslosigkeit und politisch zu
verantwortende Sparziele zu Lasten der Rentenversicherung, was
DOEMENS verschweigt.
THELEN, Peter (2016): Mehr
Rente für alle.
Rentenreform: Mit einem
Paukenschlag startet die IG Metall die Rentendebatte. Sie fordert die
Rückabwicklung der Riester-Reformen,
in:
Handelsblatt v. 21.07.
Peter THELEN erwähnt neben der BDA-Kritik auch
die Kritik des Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführers Oliver ZANDER und
eine Studie der Uni Bochum, die Einwände gegen den Ausbau zur
Erwerbstätigenversicherung hätte, deren Überlegungen jedoch
unverständlich bleiben. Dazu heißt es:
"Eine
Erwerbstätigenversicherung sei (...) nicht demografiefest. Dagegen
spricht eine Studie der Universität Bochum. Danach könnte durch
eine Rentenversicherungspflicht für alle Erwerbstätigen der
Rentenbeitrag bis 2060 auch bei einem auf über 52 Prozent erhöhten
Rentenniveau um über zwei Prozentpunkte gesenkt werden."
Berechnungen bis 2060 sind nichts
anderes als Kaffeesatzleserei!
Weiterhin werden Peter WEIß (CDU)
und Martin ROSEMANN (SPD) erwähnt sowie das Konzept, das Andrea
NAHLES im Herbst vorstellen will und den Schwerpunkt auf die
betriebliche Altersversorgung legt.
THELEN sieht die IG Metall durch
ihre Basis unter Druck:
"In internen Debatten hatten IG
Metall-Funktionäre eine Erhöhung auf bis zu 69 Prozent beim
Rentenniveau gefordert."
Angesichts solcher Forderungen
erscheint das vorgelegte Rentenkonzept sehr moderat.
KROHN, Philipp (2016): Deutsche trauen der Politik ein stabiles
Rentenniveau nicht zu.
Umfrage: 62 Prozent zweifeln an
Umsetzungschance,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 05.08.
"Wie aus
einer repräsentativen
Befragung des Finanzvertriebs MLP unter 1.683 Deutschen
hervorgeht, glauben 62 Prozent, die Politik könne nichts dagegen
tun, dass das Rentenniveau sinke. Zweifelt also ein Mehrheit der
Deutschen daran, dass eine Stabilisierung realistisch ist, halten
es sogar fast genauso viel nicht einmal für wünschenswert",
interpretiert Philipp KROHN eine
YouGov-Umfrage im Auftrag des Finanzdienstleisters MLP. Dabei wurden
die Fragen schon so gestellt, dass sie den Interessen der Verfechter
einer kapitalgedeckten Altersvorsorge nicht zuwiderlaufen können.
Die angebliche Mehrheit, die eine Stabilisierung nicht für
wünschenswert hält, bezieht sich auf die Antwortmöglichkeiten:
Höherer Beitragssatz als 18,7 %, länger arbeiten als 67 Jahre oder
Stärkung der betrieblichen Altersversorgung. Alternativen dazu wie
z.B. Erhöhung der Steuerfinanzierung, Ausweitung des
Beitragszahlerkreises usw. wurden gar nicht erst als
Antwortmöglichkeiten vorgegeben.
Die Antworten müssen auch als
Reaktion auf die Rentendebatte der letzten Monate gesehen werden, in
der vor allem die Befürworter einer kapitalgedeckten Altersvorsorge
zu Wort kommen konnten, wie diese Website deutlich zeigt.
Die Umfrage ist zudem eine
Online-Umfrage, d.h. Menschen mit Online-Zugang sind dadurch
überrepräsentiert, während gerade von Altersarmut betroffene
Menschen kaum die Möglichkeit zu einer Teilnahme hatten.
Fazit: Die Frage danach, ob eine
Stabilisierung des Rentenniveaus wünschenswert sei, wurde nicht
erfragt, sondern ist zum einen durch die vorgegebenen
Antwortmöglichkeiten und zum anderen durch die Durchführung der
Umfrage als Online-Befragung zweifach verzerrt. Sie spiegelt aber
auch die Meinungshoheit der Finanzdienstleistungsbranche und der
Arbeitgeber in der Rentendebatte wieder.
REHAGE, Ruben & Cornelia SCHMERGAL (2016): Das 600-Milliarden-Ding.
Rente: Neue Berechnungen enthüllen
die wahren Kosten der Reformvorschläge von Horst Seehofer, Sigmar
Gabriel & Co. Wer das Rentenniveau stabilisieren will, muss die junge
Generation stark belasten - und richtet dabei nur sehr wenig gegen
Altersarmut aus,
in:
Spiegel Nr32 v. 06.08.
REHAGE & SCHMERGAL sehen ihre Leser als staunende
Kinder oder zahlenehrfürchtige Erwachsene, die sich schnell durch
die Präsentation von Milliarden-Beträgen einschüchtern lassen. Sie
stellen deshalb einen "Rentenfachmann" der neoliberalen Prognos AG
in den Mittelpunkt. Nicht dessen treffsichere Prognosen werden uns
als Ausweis von Befähigung präsentiert, was wohl auch kaum möglich
wäre, sondern die reine
Koinzidenz von Prognos-Prognosen und großen Reformvorhaben, was
uns nötigen soll zu glauben, dass hier alternativlose Sachzwänge
vorhanden gewesen wären.
Während es dabei um die Herstellung von
Generationengerechtigkeit gegangen sei, gehe es dagegen nun um
Wohltaten für Senioren. Damit ist die Stabilisierung des Niveaus der
gesetzlichen Rente gemeint. Damit ist aber implizit auch klar: Der
Begriff "Generationengerechtigkeit" steht bei Autoren gar nicht für
Gerechtigkeit zwischen unterschiedlichen Kohortenjahrgängen, sondern
nur für "jeweils Junge" im Sinne von Beitragszahlern im Vergleich zu
den "jeweils Alten" im Sinne von Transferempfängern.
Generationengerechtigkeit wird damit zur Altersgruppengerechtigkeit
umdefiniert. Diese implizite Umdefinition soll verschleiern, dass
eine Stabilisierung des Niveaus der gesetzlichen Rente auch
nachfolgenden Generationen zu Gute käme statt nur den jetzigen
Rentnern, die davon sogar weniger profitieren würden, denn derzeit
ist ja das Rentenniveau noch relativ hoch. Vor allem aber geht es
nicht um die Arbeitnehmer, denn Beitragssatzstabilität ist vor allem
den Arbeitgebern wichtig, denn steigende Beiträge gefährden
angeblich den Wirtschaftsstandort Deutschland. Aber erst einmal
zurück zu den Zahlen, die uns die Prognos AG liefert:
"Würde man das Rentenniveau
tatsächlich auf dem heutigen Niveau einfrieren, könnte das die
Steuer- und Beitragszahler bis zum Jahr 2040 die unglaubliche
Summe von insgesamt fast 600 Milliarden Euro kosten.
Gut 460 Milliarden Euro hätten die Beitragszahler zu tragen,
weitere über 130 Milliarden Euro kämen auf die Steuerzahler durch
einen höheren Bundeszuschuss und mehr Ausgaben für
Kindererziehungszeiten zu."
Was heißt hier "unglaubliche
Summe"? 600 Milliarden Euro sollen Ehrfurcht einflößen, denn kaum
jemand wird je in seinem Leben so viel verdienen.
In Anbetracht von rund 80 Millionen Menschen und über einen Zeitraum
von 25 Jahren betrachtet, schrumpft die unglaubliche Summe schnell
auf ein kleines Sümmchen zusammen. Pro Bundesbürger machen die 600
Milliarden Euro (bei konstanter Bevölkerungszahl) je Monat lediglich
25 Euro aus. Um sie richtig einordnen zu können, wäre ein Vergleich
mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dessen Entwicklung bis 2040
notwendig - dies aber wird uns vorenthalten. Ohne relevanten
Vergleichsmaßstab sind aber die uns präsentierten Zahlen lediglich
Demagogie.
Bereits Mitte Mai hat die neoliberale INSM die
Kosten von Stabilisierungsmaßnahmen immerhin bis zum Jahr 2029
berechnen lassen. Eine Auflistung der Kostendifferenz findet sich
hier. Eine weitere
Fortschreibung bis 2040 wie sie die Prognos AG vornimmt, gerät - je
länger der Zeitraum - immer mehr zur Kaffeesatzleserei.
Über den Nutzen schweigen die Autoren, außer dass
sie ihren impliziten Maßstab nennen: Die gesetzliche Rente soll in
Zukunft nur noch für die Armutsfürsorge aufkommen - also ein
Grundsicherungsniveau leisten, denn darauf läuft es hinaus, wenn
Lebensstandardsicherung kein Ziel mehr ist. Dieses Ziel wird dann
konsequenterweise den "linken" Gewerkschaften und ihrem Dachverband
vorgeworfen. Dazu wird IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen-Urban zitiert.
Auch hinsichtlich der Entwicklung
des Altenquotienten, der uns im Schaubild "Lastenwechsel" grafisch
vor Augen geführt wird, handelt es sich um Demagogie. Es fehlen
Angaben zum Jahr der Prognose und zur Variante der Vorausberechnung
- stattdessen wird als Quelle lediglich das Statistische Bundesamt
angegeben. Als Ausgangspunkt wird das Jahr 2010 mit einem
Altenquotienten von 34 bezogen auf die 20- 64-Jährigen genannt. Im
Jahr 2040 soll er auf 58 gestiegen sein.
Die
aktuelle 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des
Statistischen Bundesamtes beginnt mit dem Basisjahr 2013 und einem
Altenquotienten von 34,2. Das Statistische Bundesamt hat mehrere
Varianten berechnet. Lediglich die Variante 1 (vgl. DESTATIS 2015,
S.7) mit schwächerer Zuwanderung (Wanderungssaldo 100.000 Menschen)
weist für 2040 einen Altenquotienten von 57,6 aus - und entspricht
damit dem Spiegel-Szenario.
Warum aber nimmt der Spiegel nicht die Variante mit
Wanderungssaldo 200.000, die doch unter den gegenwärtigen
Zuwanderungsbedingungen wahrscheinlicher ist? Und warum wird die
Altersgrenze bei 65 und nicht bei 67 gesetzt, obwohl die Rente mit
67 derzeit Gesetz ist? Man will offenbar die Rentensituation der
Zukunft schlechtreden. Statt eines Altenquotient von 58 ergäbe sich
selbst bei geringer Zuwanderung ein Altenquotient von nur 51 (vgl.
DESTATIS 2015, S.7).
Bei 200.000 Menschen pro Jahr läge der Altenquotient sogar nur bei
49 (vgl.
DESTATIS 2015, S.36)
Bei allen diesen Varianten wurde jedoch von einer Geburtenrate von
1,4 Kinder pro Frau ausgegangen, die jedoch bereits im Jahr 2014 bei
1,47 lag und 2015 weiter gestiegen sein dürfte, d.h. 2040 wird es
mehr Berufsanfänger geben als in der Bevölkerungsvorausberechnung
angenommen.
Noch unübersichtlich wird es,
wenn uns die Prognos-Zahlen präsentiert werden. Auf welchen
Vorausberechnungen basieren diese? Nirgendwo findet sich ein Hinweis
darauf. Die Autoren tun so, als ob diese Zahlen aktuell berechnet
worden wären. Dagegen weist eine Grafik das Jahr 2014 als Jahr aus,
auf denen die genannten Zahlen basieren oder veröffentlicht wurden.
Warum werden wir in dieser Hinsicht angelogen? Angesichts der
Spannbreite der Altenquotienten, die unterschiedliche Varianten der
Vorausberechnung zulassen und der Tatsache, dass der Spiegel
auf Demagogie setzt, muss auch hier mit Annahmen gerechnet werden,
die die Kosten hochtreiben sollen, um die Stabilisierung des
Rentenniveaus zu diffamieren. Warum sonst sollte uns der Spiegel
nachvollziehbare Fakten vorenthalten wollen? Seriöse
Berechterstattung sieht anders aus.
Die Daten des Spiegel zu
Rentenniveau (41,7 %) und Beitragssatz (23,7 %) im Jahr 2040 nach
der derzeitigen Gesetzeslage entsprechen haargenau dem Status
Quo-Szenario, das von Prognos im Auftrag des Gesamtverbands der
Deutschen Versicherungswirtschaft berechnet wurde, das
am 13. Juni dieses Jahres vorgestellt
wurde. Dieses Szenario basiert wiederum auf der Variante 2, also
einem Wanderungssaldo von 200.000. Warum also werden uns vom
Spiegel Daten präsentiert, die sich aus ganz unterschiedlichen
Annahmen zur Bevölkerungsvorausberechnung ergeben ohne diese
Differenz zu erwähnen?
Als Durchschnittsverdiener mit Angst vor Altersarmut wird uns
ein 45-Jähriger Single folgendermaßen vorgestellt:
"Biermanns Einkommen ist
typisch für die Deutschen. Brutto verdient er mit vielen
Überstunden und Nachtzuschlägen knapp 2.400 Euro im Monat, netto
bleiben davon etwa 1.600 Euro. Das ist ziemlich genau die Summe,
die Statistiker heute als Medianeinkommen eines Singles nennen:
Würde man alle Einwohner bitten, sich nach der Höhe ihres
Einkommens in einer Linie aufzureihen, stünde Biermann genau in
der Mitte",
verdummen uns
REHAGE & SCHMERGAL. Beim Medianeinkommen fallen
im Gegensatz zum Durchschnittseinkommen die Superreichen in
Deutschland nicht ins Gewicht, weshalb es niedriger ist. Was aber
soll bitte der Blödsinn vom "Medianeinkommen eines Singles". Dem
Wortsinn entsprechend, müsste es eigentlich die Einkommensverteilung
innerhalb der Single-Bevölkerung meinen, dann macht jedoch der Bezug
auf alle Einwohner keinen Sinn. Die Autoren wollen uns offenbar
suggerieren, dass das Einkommen dieses Singles typisch für die
deutsche Mittelschicht sei. Aber leben wir in einer
Single-Gesellschaft wie das hier unterstellt wird? Und warum dann
ein Single? Weil dessen Abgabenlast am höchsten ist im Vergleich zu
Verheirateten?
Die Autoren suggerieren weiter,
dass dem Mediandeutschen 2038 ein Einkommen "nur knapp über der
Grundsicherung" drohe. Was der WDR kann, dass kann der
Spiegel offenbar genauso gut.
Die Agendareform wird uns von den
Autoren in einer verfälschten Fassung präsentiert:
"Nicht mehr die Renten für die
Älteren sollen seither stabil bleiben, sondern die Beiträge der
Jungen."
Ersetzt man die Jungen durch die
Arbeitgeber, dann ist das richtig. Niemals ging es Rot-Grün um die
Probleme der Jungen, sondern um die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Wirtschaft im neoliberalen Standortwettbewerb. Die
Beiträge
der Jungen zu ihrer Alterssicherung wurden stattdessen abgekoppelt
sowohl von der Rentenversicherung als auch von der
Arbeitgeberbeitragsatzentwicklung. Dies war Sinn und Zweck der
Riester-Rente für die schließlich allein die Arbeitnehmer
zusätzliche Beiträge errichten müssen.
Andrea NAHLES wird von den
Spiegel-Autoren zur Anwältin der Neoliberalen stilisiert, die
sich heroisch gegen die Verfechter einer Stabilisierung des
Rentenniveaus stemmt:
"Nahles arbeitet nun an einem
eigenen Konzept (...). Dabei geht es vor allem darum, die
Betriebsrente auch für kleinere Einkommen zugänglich zu machen,
Minirenten aufzustocken und jene Selbständigen besser abzusichern,
die als Clickworker oder Kurierfahrer nur ein bescheidenes
Einkommen haben. Von Eingriffen in das allgemeine Sicherungsniveau
wollen ihre Experten bislang die Finger lassen."
Mit "Minirenten aufstocken" ist
die im Koalitionsvertrag vereinbarte "solidarische
Lebensleistungsrente" gemeint, die merkwürdigerweise von den Autoren
nicht kritisiert wird.
In diesem
Zusammenhang rechnen uns die Autoren nochmals die Kosten einer
Stabilisierung des Rentenniveaus folgendermaßen vor:
"Wer heute 40 Jahre alt ist und
3.000 Euro brutto im Monat verdient, müsste - gerechnet in Preisen
von 2015 - bis 2040 insgesamt 9.090 Euro mehr an
Arbeitnehmerbeiträgen in die Rentenkasse einzahlen als nach
geltender Rechtslage. Wer mit 6.000 Euro das Doppelte verdient,
zahlt 18.180 Euro mehr. Wer allerdings mit 9.000 Euro zu den sehr
gut Verdienenden im Lande zählt, wird lediglich im selben Umfang
belastet. Dafür sorgt die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze, mit
der die Abgabenlast der Bessergestellten gedeckelt wird."
Die hohe Zahl von 9.090 Euro soll
abschreckend wirken. Rechnet man sie auf einen monatlichen Beitrag
um, dann sind das gerade einmal 30 Euro. Demgegenüber steht jedoch
eine höhere Rente, deren Höhe uns vorenthalten wird (Das
Rentenkonzept der IG Metall könnte hier weiterhelfen). Denn erst
der Vergleich zum Nutzen, also der daraus sich ergebenden
Rentenerhöhung wäre aussagekräftig.
Außerdem zeigt die Berechnung ein
anderes Problem, das die Autoren einfach ignorieren. Man könnte ja
die Beitragsbemessungsgrenze entfallen lassen und stattdessen die
Rentenhöhe für Spitzenverdiener deckeln. Damit würde einerseits die
Einnahmesituation der gesetzlichen Rente verbessert und andererseits
die Ausgaben gedämpft.
Dies
wird z.B. in der Schweiz so gehandhabt und auch in Deutschland
gibt es Vorschläge in diese Richtung.
Stattdessen kommen uns die
Autoren mit Axel BÖRSCH-SUPAN, dem es um die Schwächung der
gesetzlichen Rente geht. Uns wird dann der angeblich typische
deutsche Facharbeiter vorgestellt:
"Thöne war 17 Jahre alt, als er
seine Ausbildung zum Mess- und Regelmechaniker bei der Bayer AG
begann, er bildete sich zum Techniker weiter und arbeitet heute
als freigestellter Betriebsrat bei der Bayer-Tochter Currenta, die
den Chemiepark Uerdingen betreibt. (...).
Er (...) erhält einen Tariflohn von 5.500 Euro brutto monatlich.
Der Branchentarifvertrag gesteht allen Beschäftigten der
Chemieindustrie eine Betriebsrente zu - und dazu kommt irgendwann
auch das Geld aus der Pensionskasse, die die Bayer-Mitarbeiter
fast zärtlich »Penka« nennen. Die Gewerkschaften haben lang dafür
gestritten.
Wenn Thöne seine Zukunft überschlägt, dann kann er als Rentner mit
einem Bruttoeinko9mmen von 4.000 Euro rechnen - trotz aller
Reformen."
Thöne wird uns als Beispiel für
jenes Klientel beschrieben, für das die abschlagfreie Rente ab 63 im
Jahr 2014 geschaffen wurde. Im krassen Gegensatz dazu werden uns
dann die wirklich Bedürftigen beschrieben: jene die mit einer
Erwerbsminderungsrente und zusätzlicher Grundsicherung zurecht
kommen müssen:
"Das größte aller Altersrisiken
tragen nicht (...) die normalen Ruheständler, sondern jene
Menschen, die eine Krankheit aus dem Berufsleben gedrängt hat -
die knapp 1,8 Millionen Erwerbsminderungsrentner. Fast 15 Prozent
von ihnen sind darauf angewiesen, ihre karge Überweisung aus der
Rentenkasse mit Stütze vom Amt aufzustocken. Zum Vergleich: bei
den normalen Altersrentnern sind es nur 3 Prozent",
erzählen uns die Autoren. Bei
diesem Vergleich werden sozusagen Äpfel mit Birnen verglichen. Denn
die 15 Prozent beziehen sich auf die Gruppe der
Erwerbsminderungsrentner, während sich die 3 Prozent auf die
Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren beziehen - obwohl von
diesen nicht alle Rentner sind und diejenigen, die hinzuverdienen
müssen, weil ihr Geld sonst nicht ausreicht - ebenfalls ausgeblendet
werden.
In diesem Zusammenhang wird uns
erneut ein "Singlerentner" präsentiert, einem ungelernten Bauhelfer,
natürlich aus
"Pirmasens, der Stadt mit der niedrigsten Lebenserwartung
Deutschlands". Damit wird erneut auf das Rentenpaket des Jahres
2014 abgezielt:
"Die höheren Mütterrenten
flossen an Zahnarztwitwen genau wie an reifere Damen in der
Grundsicherung. Mit einem Unterschied: Die
Sozialhilfeempfängerinnen hatten meistens nichts davon. Sie
mussten den Zuschlag mit der Stütze vom Amt verrechnen.
Die abschlagsfreie Rente mit 63 wiederum half vor allem solide
abgesicherten Industriearbeitern, nicht aber Hilfskräften."
Die Absicht solcher gezielt
ausgesuchten Beispiel ist klar: Arbeitnehmer sollen mittels
Neidkampagne gegeneinander ausgespielt werden, um davon abzulenken,
dass beides notwendig ist: Verbesserungen bei armutsbedrohten
Bevölkerungsgruppen und ein ausreichender Lebensstandard für alle.
Die Stabilisierung des Niveaus der gesetzlichen Rente ist notwendig,
weil die kapitalgedeckte Altersvorsorge ihre vollmundigen
Versprechen vom Anfang des Jahrtausends nicht halten kann.
Stattdessen werden uns Placebo-Pillen verabreicht:
"Wenn man bei der Bildung
ansetzt, dem Rentenalter oder den Chancen von Frauen, ließe sich
das Sicherungsniveau stabilisieren, ganz ohne Verteilungskämpfe
zwischen den Generationen."
Dieses Mantra wird uns seit der
Jahrtausendwende ständig verkündet. Warum also ist das immer noch
notwendig? Offenbar, weil mehr Bildung kein Allheilmittel ist, wenn
entsprechende Arbeitsplätze fehlen. Und auch die Erhöhung der
Müttererwerbsarbeit gerät ins Stocken. Auch die gerne propagierte
Erhöhung des Renteneintrittsalter ist lediglich eine Rentenkürzung,
wenn die notwendig zu schaffenden Arbeitsplätze fehlen oder die
Menschen arbeitsunfähig sind.
Richtig ist, was Gert G. WAGNER
sagt, dass es keinen gesellschaftlichen Konsens über die mögliche
Beitragsbelastung und das anzustrebende Sicherungsniveau gibt. Durch
die Demografisierung gesellschaftlicher Probleme wurde eine solche
Debatte verhindert und stattdessen durch als alternativlos
dargestellte Sachzwänge ersetzt. Diese Ära scheint langsam vorbei zu
Ende zu gehen.
ROHRBECK, Felix
(2016): Kämpft für diese Rentenformel.
Denn sie schützt uns Jüngere vor
den Forderungen älterer Politiker auf Wählerfang,
in:
Die ZEIT Nr. 34 v. 11.08.
Felix ROHRBECK hat
den
Spiegel gelesen und haut nun in die gleiche Kerbe. Die
Rentenformel wird uns mit ihren drei Komponenten Lohnkomponente,
Riester-Faktor und Nachhaltigkeitsfaktor als Gleichung präsentiert:
"Verwirrt? Macht nichts. Es reicht zu verstehen, warum diese Formel
wichtig ist" steht unter dieser Gleichung, weshalb auch nicht die
Funktionstüchtigkeit belegt wird, sondern lediglich Begründungen und
Wirkungen als Ersatz.
"Der Nachhaltigkeitsfaktor hat
bewirkt, dass das Renteniveau von 52,6 Prozent in 2005 auf 47,9
Prozent des Durchschnittsgehalts gesunken ist. Und es wird weiter
sinken, auf voraussichtlich 44 Prozent in 2030. Das ist keine
überraschende Entwicklung, sondern war vorhersehbar und politisch
genau so gewollt",
erzählt uns ROHRBECK. Dass dies
vorhersehbar war, genau das bestreitet jedoch jener Ökonom, dem die
Erfindung dieser Formel zugeschrieben wird: Axel BÖRSCH-SUPAN:
"Bei den Rentenreformen der
Jahre 2001 bis 2007 sind wir nicht von einer höheren Einwanderung
ausgegangen. Als wir an unserem Institut den Nachhaltigkeitsfaktor
für die Rentenberechnung entwickelt haben, dachten wir: Er wird
das Rentenniveau ganz allmählich senken, in Abhängigkeit von der
schrumpfenden Erwerbsbevölkerung. Passiert ist das Gegenteil. In
den vergangenen Jahren ist die Zahl der Erwerbstätigen stark
gestiegen, nicht zuletzt durch die starke Einwanderung. Auch
deshalb erhöhen sich die Renten in diesem Jahr um fünf Prozent",
hat BÖRSCH-SUPAN in einem
Interview mit Ralph BOLLMANN (FAS 24.01.2016) erklärt. ROHRBECK
erklärt uns dagegen, dass die Rentenerhöhung Ausdruck der
gestiegenen Durchschnittsgehälter seien - und nicht etwa auch
Konsequenz der Fehleinschätzung der Bevölkerungsentwicklung.
Die Funktionsunfähigkeit der
Rentenformel zeigte sich bereits vor einem Jahrzehnt, weshalb die
Rentenformel, die uns die ZEIT präsentiert, in ihrer Reinform
gar nicht mehr angewandt wird. Im Jahr 2008 wurde der erst im Jahr
2005 in Kraft gesetzte Nachhaltigkeitsfaktor durch die
Rentengarantie bei drohenden Rentenkürzungen außer Kraft gesetzt und
der seit 2002 in Kraft getretene Riester-Faktor wurde modifiziert.
Der Satz von ROHRBECK:
"Eine schlichte Formel kann
(...) Eskalationen verhindern, weil ihr Automatismus gegen
populistische Forderungen immunisiert."
Ist nichts als Augenwischerei.
Mangelnde Funktionsfähigkeit ist das Hauptproblem der Rentenformel,
weshalb sie von diversen anderen Mechanismen flankiert werden muss.
Von Automatismus kann also keinerlei Rede sein.
ROHRBECK will wie der Spiegel
die staatliche Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung auf die
Bekämpfung der Alterarmut reduzieren. Alles was über diese
unmittelbare Bekämpfung der Altersarmut hinausgeht, wird von ihm als
"gut situierten Rentnern einen zusätzlichen Urlaub" ermöglichen,
diffamiert, während die Jungen dafür ausgebeutet werden müssen. Wie
im Spiegel wird die angebliche Generationengerechtigkeit auf
eine Neiddebatte und Altersgruppengerechtigkeit reduziert (siehe
dort).
ROHRBECK treibt das Ausspielen
der Arbeitnehmer gegeneinander jedoch noch weiter: junge Beamte
sollen genauso wie junge Selbständige ("ganz ohne Vorsorge in Saus
und Braus leben" und dann die Grundsicherung abzocken) in die
gesetzliche Rentenversicherung eingegliedert werden. ROHRBECK zeigt
damit nur, dass ihm "Generationengerechtigkeit" egal ist -
Hauptsache die Interessen der Unternehmens- und der
Finanzdienstleisterlobbyisten bleiben gewahrt.
Die ZEIT erwähnt ausdrücklich,
dass der Autor 35 Jahre jung ist - man könnte ihn ja sonst mit
älteren Beamten wie Roman HERZOG oder Bernd RAFFELHÜSCHEN
verwechseln.
BUNZENTHAL, Roland (2016):
Was soll es kosten, wer soll es bezahlen?
Die Vorstellungen der Parteien zur
Rente gehen weit auseinander - ein kurzer Überblick vor dem Wahlkampf,
in:
Neues Deutschland v. 16.08.
Der Überblick ist nicht nur kurz,
sondern sehr selektiv. Solidarrente, Garantierente, Mindestrente und
Lebensleistungsrente werden uns als Modelle verkauft, die eine
Grundsicherung ohne Zwänge gewährt. Die Stabilisierung des
gesetzlichen Rentenniveaus wird von Seiten der SPD als zu teuer
dargestellt. Es "fehlten der Rentenkasse 2029 rund 18 Milliarden
Euro". Die Linkspartei wird dagegen mit Forderungen zu einem
Rentenniveau von 53 Prozent und einer damit verbundenen
Beitragssteigerung "bis auf 28 Prozent" vorgestellt. Die Erhöhung
des Bundeszuschusses wird von Roland BUNZENTHAL nicht als
Alternative gesehen, sondern lediglich die Ausweitung des
Beitragszahlerkreises zu einer Erwerbstätigenversicherung. Der Union
wird lediglich Wolfgang SCHÄUBLEs Forderung nach einer Kopplung des
Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung und
SEEHOFERs im April gemachter Vorstoß zur Stabilisierung des
Rentenniveaus zugeschrieben.
"Insgesamt vier
Interessengruppen ringen um die Reform der Altersversorgung:
Rentner, Versicherte, Arbeitgeber und Steuerzahler."
Dies lässt wesentliche Akteure
wie die Gewerkschaften und die Finanzdienstleister außen vor. Es
wird aber verständlich, wenn es dann heißt:
"Jede der vier Gruppen hat
einen Brückenkopf im Parlament. LINKE und Wohlfahrtsverbände
machen sich für Rentner der unteren Einkommensklasse stark. Die
SPD versucht, das Gleichgewicht zwischen Beitragszahlern und
Rentnern zu wahren. Die Union bringt zusätzlich ein höheres
Renteneintrittsalter ins Spiel. Das heißt: Die künftigen
Ruheständler sollen ihr Scherflein für die
Null-Schulden-Haushaltspolitik der Union beitragen."
Die Gewerkschaften werden uns vor
diesem Hintergrund mit ihrer geplanten Rentenkampagne als eine Art
außerparlamentarischer Opposition beschrieben. Dabei sind sie bei
den geplanten Verbesserungen im Bereich der betrieblichen
Altersvorsorge ein wichtiger Akteur mit eigenen Machtinteressen.
PICHLER, Roland (2016):
"Flüchtlingskrise ist schlecht gemanagt".
Interview: Rainer Dulger, Präsident
von Gesamtmetall, warnt die Regierung in der Zuwanderungsfrage vor
einem Schwarzen-Peter-Spiel,
in:
Stuttgarter Zeitung v. 29.08.
Rainer DULGER sieht in den Rentnern nur einen
Kostenfaktor, der reduziert werden muss.
"Zurzeit liegt das Rentenniveau
bei 47,5 Prozent. Wenn man dieses Niveau konstant halten wollte,
würde das bis 2030 nochmals rund 30 Milliarden Euro pro Jahr
kosten. Das ist nicht zu bezahlen",
lügt uns DULGER an.
Das Institut der Wirtschaft hat im Mai die Kosten einer solchen
Stabilisierung berechnet.
Danach belaufen sich die Kosten für die gesamten
nächsten 9 Jahre auf Mehrkosten einer einzigen Milliarde. Erst ab
2023 würde die Belastung von 8 Milliarden Euro im Jahr 2024 bis auf
28 Milliarden Euro im Jahr 2029 steigen - vorausgesetzt die
Bevölkerungsentwicklung hält sich an die pessimistischen Annahmen
des Statistischen Bundesamtes und die Wirtschaftsentwicklung an die
pessimistischen Annahmen des arbeitgebernahen IW. Die Kosten könnten
deshalb auch geringer ausfallen.
DGB (2016): DGB startet Rentenkampagne.
Kurswechsel: Die gesetzliche
Rente stärken! Unter diesem Motto starten die DGB-Gewerkschaften
ihre Rentenkampagne mit Blick auf die Bundestagswahl 2017,
in:
Pressemitteilung Deutscher
Gewerkschaftsbund v. 06.09.
NEUES DEUTSCHLAND-Titelgeschichte:
Perspektive Altersarmut.
Der DGB will
die gesetzliche Rente mit einer Kampagne sicher machen |
POELCHAU, Simon (2016): Nach 40 Jahren nur 820 Euro.
Gewerkschaftsbund will
Rentenniveau stabilisieren,
in:
Neues Deutschland v. 07.09.
Simon POELCHAU berichtet zum Start der DGB-Rentenkampagne
Kurswechsel: Die gesetzliche Rente stärken!
durch Rainer HOFFMANN.
"Eine Köchin (...), die (2030)
(...) nach 40 Arbeitsjahren mit 2.250 Euro Monatslohn in Rente gehen
würde, hätte nach Angaben des DGB nur noch eine Rente von 820 Euro",
erklärt uns POELCHAU. Die
üblichen Rechnungen gehen von 45 Beitragsjahren aus. Die Bundesbank
rechnete in
ihrem umstrittenen Monatsbericht August ("Zur längerfristigen
Entwicklung der Alterssicherung") sogar mit 47 Beitragsjahren, um
das zukünftige Niveau der gesetzlichen Rente schön zu reden. Martin
W. BIRKWALD von der Linkspartei wird dahingehend zitiert, dass die
kapitalgedeckte Altersvorsorge gescheitert sei - also auch die von
der Gewerkschaft favorisierte betriebliche Altersvorsorge.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): CDU will Rentenniveau nach 2030 stabil
halten.
Bundesfachausschuss der Partei legt
Marschroute fest,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.09.
Dietrich CREUTZBURG zitiert aus dem unveröffentlichten Beschlusspapier
Generationengerechtigkeit stärken, Vertrauen sichern des
Bundesfachausschuss Arbeit und Soziales der CDU. Die Aussagen sind
mehr als vage und begnügen sich mit Absichtserklärungen. So soll es
eine Untergrenze für das Niveau der gesetzlichen Rente über 2030
hinaus geben - Stillschweigen jedoch zur Höhe. Außerdem wird die im
Koalitionspapier festgelegte Lebensleistungsrente genannt. Viel Wind
um nichts!
SIEMS, Dorothea
(2016): Falsches Spiel mit der Angst vor Altersarmut.
Mit ihrer Rentenkampagne wollen die Gewerkschaften Politiker zur
Kurskorrektur zwingen. Doch Modellrechnungen hantieren mit
zweifelhaften Annahmen und lassen Parameter außer acht,
in:
Welt
v. 15.09.
Dorothea SIEMS präsentiert uns die
folgende Modellrechnung, die angeblich in der DGB-Broschüre
Kurswechsel zu finden sei:
"Eine Köchin mit 2250 Euro
Monatslohn wird 2030 nach 40 Arbeitsjahren 820 Euro Rente bekommen.
Würde die Köchin heute nach 40 Beitragsjahren in Rente gehen, wären es
immer noch 890 Euro."
In der Broschüre heißt es dagegen:
"Eine Köchin mit 1.943 Euro
Monatslohn bekäme, wenn sie 2030 nach 40 Arbeitsjahren in Rente ginge,
nur noch 630 Euro Rente. Heute wären es noch 700 Euro und vor den
Rentenreformen, also im Jahr 2000, noch 770 Euro gewesen.
Wer aus den geburtenstarken Jahrgängen kommt, also vor 1970 geboren
ist, und 2030 in Rente geht, könnte – wie die Köchin im Beispiel – mit
einem Rentenniveau von 43 Prozent dastehen, wenn es bei den heutigen
Weichenstellungen bleibt. Wäre die Köchin in den 40 Jahren für vier
Jahre arbeitslos gewesen und hätte acht Jahre lang nur halbtags
gearbeitet, wären heute rund 690 Euro Rente das Ergebnis – ginge sie
2030 in Rente, sogar nur noch 620 Euro." (2016, S.9)
SIEMS lässt also vom
Finanzmathematiker Werner SIEPE, der schon
in der Wirtschaftswoche eine andere
Gewerkschaftsaussage widerlegen durfte, eine Aussage dementieren, die
sich in der Broschüre gar nicht findet. Die Frage stellt sich also, wo
sich die Aussage, die auch in anderen Zeitungen verbreitet wurde,
tatsächlich findet. Auf der
Website zur DGB-Rentenkampagne heißt es:
"Dass das Rentenniveau sinkt, war
also eine bewusste politische Entscheidung. Bis heute ist das
Rentenniveau um etwa zehn Prozent gesunken. Nach Berechnungen der
Bundesregierung wird es bis 2030 um weitere acht Prozent fallen – und
wenn sich nichts ändert, wird sich der Sinkflug auch nach 2030 weiter
fortsetzen. Vor den Rentenreformen lag das Rentenniveau im Jahr 2000
bei ungefähr 53 Prozent, heute noch bei 47,7 Prozent, im Jahr 2030
wohl nur noch bei 44 Prozent.
Das hat erhebliche Folgen für die gesetzliche Rente: Eine Köchin mit
2.250 Euro Monatslohn wird 2030 nach 40 Arbeitsjahren 820 Euro Rente
bekommen. Würde die Köchin heute nach 40 Beitragsjahren in Rente
gehen, wären es immer noch 890 Euro. Vor den Rentenreformen wären es
noch 980 Euro gewesen. Für immer mehr Menschen ist Altersarmut so
vorprogrammiert."
(http://rente-muss-reichen.de/der-sinkflug-war-eine-bewusste-entscheidung-der-politik/)
Das Beispiel will also darauf
hinweisen, dass die Absenkung des Rentenniveaus Auswirkungen auf die
gesetzliche Rente hat. SIEPE reißt das Beispiel jedoch aus seinem
Kontext, wodurch es verfälscht wird. Das obige DGB-Beispiel sagt
folgendes aus:
Beispiel |
Monatslohn |
Renteneintritt |
Rentenniveau |
Monatsrente |
Köchin 1 |
2.250 |
2000 |
53 % |
980
€ |
Köchin 2 |
2.250 |
2015 |
47,7 % |
890
€ |
Köchin 3 |
2.250 |
2030 |
44 % |
820
€ |
SIEPE behauptet nun gemäß SIEMS,
dass Köchin 2 nicht nur 890
€ Monatsrente
bekäme, sondern 922
€. Das lässt sich uns nicht nachvollziehen, weil uns die
Berechnungsgrundlagen dazu fehlen.
Selbst wenn die Werte von SIEPE
richtig wären, wird die Argumentation dann falsch, wenn unterstellt
werde, dass Köchin 2 identisch mit Köchin 3 sei, denn nur dann würde
die Behauptung greifen, dass die Rentengarantie von 2009 eine Kürzung
verhindern würde. Das behauptet der DGB aber gar nicht, sondern es
geht um zwei unterschiedliche Köchinnen mit unterschiedlichem
Geburtsjahr. Es ist dann höchstens kritisierbar, dass der Monatslohn
in den nächsten Jahren bis 2030 voraussichtlich steigen wird, dann
müssten aber eventuelle Kaufkraftverluste ebenfalls berücksichtigt
werden.
Fazit: Die Kritik von SIEPE,
zumindest in der Weise wie sie uns von SIEMS präsentiert wird, führt
uns in die Irre, weil sie die Auswirkungen einer Senkung des Niveaus
der gesetzlichen Rentenversicherung negiert und die Argumentation des
DGB verfälscht, indem so getan wird, als ob wir es nicht mit 3
verschiedenen Köchinnen unterschiedlicher Geburtsjahrgänge zu tun
hätten, sondern lediglich mit einer Köchin, deren Rente angeblich
gekürzt wird, was natürlich purer Nonsens ist. SIEMS will damit das
Problem drohender Altersarmut für künftige Rentner verharmlosen. Wenn
also jemand ein falsches Spiel mit der Altersarmut treibt, dann SIEMS!
Am Schluss geht SIEMS noch auf
das CDU-Papier Generationengerechtigkeit stärken - Vertrauen
sichern ein:
"Die im Gesetz festgeschriebene
Untergrenze von 43 Prozent gelte bisher nur bis 2030 und sollte
deshalb verlängert werden."
Während uns SIEMS eine
Fortschreibung der heutigen Untergrenze über 2030 hinaus suggeriert,
lässt die Formulierung von Dietrich CREUTZBURG
in der FAZ dagegen offen, wo
die Untergrenze festgelegt werden soll. Diese Offenheit entspricht
auch der Formulierung im Beschluss, wo es heißt:
"Die Zusicherung der
Mindest-Rentenniveauhöhe endet aber nach geltender Rechtslage im Jahr
2030 (§ 154 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VI), lange bevor die heute
30-Jährigen das Renteneintrittsalter erreichen. Die Zusicherung eines
Mindestrentenniveaus muss daher über 2030 hinaus verlängert werden." (2016,
S.3)
SIEMS verfälscht also die
"Zusicherung eines Mindestrentenniveaus" zum Mindestrentenniveau von
43 Prozent. Seriöser Journalismus sieht anders aus!
ÖCHSNER, Thomas
(2016): Nahles will die Talfahrt stoppen.
Ministerin fordert "Haltelinie" für
weiter sinkendes Rentenniveau,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 21.09.
Thomas ÖCHSNER berichtet über die gestrige
Rententagung der DGB, wo Andrea NAHLES die Stabilisierung des
Rentenniveaus für die Zeit nach 2030 versprochen hat.
"Dass sich die große Koalition
in dieser Legislaturperiode noch auf Korrekturen beim Rentenniveau
einigt, ist aber unwahrscheinlich. Dies gilt eher als Aufgabe für
die nächste Bundesregierung",
meint ÖCHSNER, der uns den
katholischen Familienfundamentalisten Karl SCHIWERLING mit seiner
Vorstellung einer Untergrenze von 45
Prozent nennt.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Nahles plant neue Haltelinie für das
Rentenniveau.
Die Gewerkschaften trommeln für
einen Kurswechsel in der Alterssicherung. Nun fahren sie erste Erfolge
ein: Renten sollen bald stärker steigen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.09.
THELEN, Peter (2016):
Rentenpolitik am Scheideweg.
Die
Gewerkschaften drängen mit Macht auf ein höheres Rentenniveau. Sie
reagieren damit auf ein Versagen der Politik. Doch fordern sie die
richtige Medizin?
in:
Handelsblatt v. 22.09.
Die SZ hat ihre 26teilige
Rentenserie
kürzlich beendet, nun beginnt das Handelsblatt seine
Serie. Anlass war die Rententagung des DGB, auf der Andrea NAHLES
das Einziehen einer Haltelinie beim Niveau der gesetzlichen Rente
gefordert hat. Damit hat sie für das Handelsblatt die
No-go-Area betreten. Das Handelsblatt will nun mit ihrer
Serie NAHLES wieder auf den richtigen Weg bringen. In seinem
Leidartikel gibt Peter THELEN die Leitlinie des Handelsblatts
und der Rentenserie vor:
"Der beste Ausgleich für ein
sinkendes Rentenniveau (...) wäre eine bessere betriebliche
Altersversorgung. Alle anderen Vorhaben sollte Nahles zu den Akten
legen. Warum, das versucht das Handelsblatt in den kommenden
Wochen in einer Reihe von Beiträgen zu beleuchten."
Den Vorschlag für ein Mindestrentenniveau, den THELEN macht, muss
man als zynisch einordnen:
"Noch hat sich Nahles (...)
nicht festgelegt, wo sie ihre Haltelinie ziehen will. Sie wäre gut
beraten, das in der Nähe der Prozentzahl zu tun, bei der das
Niveau bis 2060 nach Schätzungen ohnehin landen dürfte: etwa 40
Prozent."
Der Bericht über die Rententagung
des DGB bringt nichts Neues. Uns wird der Ökonom Winfried SCHMÄHL,
den Gerhard SCHRÖDER aus dem Weg räumte, um 2001 die
Riester-Rentenreform durchpeitschen zu können, als Kritiker der
kapitalgedeckten Altersvorsorge präsentiert:
"Er teilte den damals
verbreiteten Glauben nicht, dass am Kapitalmarkt höhere Renditen
zu erzielen wären als in einem Umlagesystem. Nach fünf Jahren
Niedrigzinsen sieht es so aus, als sei diese Skepsis berechtigt
gewesen",
erklärt uns THELEN, nur um uns
dann mit Franz RULAND einen Verteidiger der kapitalgedeckten
Altersvorsorge zu präsentieren:
"In der Theorie hätte jeder
Arbeitnehmer, wenn alle geriestert hätten und jeder eingezahlte
Euro die 2001 angenommenen vier Prozent Rendite gebracht hätte,
heute sogar ein etwas höheres Versorgungsniveau als vor der
Riesterreform. Das rechnete Franz Ruland, ehemaliger Chef des
Verbands Deutscher Rentenversicherer und einer der Nachfolger
Schmähls an der Spitze des Sozialbeirats, am Mittwochabend auf
einer Veranstaltung in München vor."
Theorie ist das nicht nur - wie
THELEN suggeriert - weil nicht alle geriestert haben, sondern vor
allem weil die vier Prozent Rendite ein Märchen waren, das bald nach
in Kraft treten der Riesterreform wie eine Seifenblase platzte.
Wie andere Mainstreamzeitungen
auch, kritisiert THELEN die Köchin-Modellrechnung des DGB, jedoch ohne deren Quelle zu
nennen. Im Gegensatz zu unseriösen Darstellungen, kritisiert THELEN
nur, dass eventuell mögliche Rentenerhöhungen beim DGB
unberücksichtigt bleiben. Dafür könnte man THELEN für die perverse
Wortschöpfung "Nettorentenniveau vor Steuern" kritisieren, denn
dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass von "Nettorentenniveau" im
Grunde keine Rede sein kann, denn je nach Geburtsjahrgang muss diese
angebliche Nettorente bis zu 100 Prozent versteuert werden, weshalb
die von den DGB-Kritikern genannten Zahlen nicht weniger
unrealistisch sind als die DGB-Zahlen.
"Bleibe es beim geltenden Recht
werde das Rentenniveau bis 2060 gegenüber heute um weitere sechs
Prozentpunkte auf 42 bis 41 Prozent sinken",
zitiert THELEN den Kritiker
RULAND. Die Wirtschaftswoche erklärte uns dagegen unlängst, dass das Rentenniveau bis 2045 unter 40 Prozent sinken
könnte (vgl. TUTT & CASPAR 16.09.2016). Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem
Monatsbericht August folgende Rechnung aufgemacht:
"In den Simulationen sinkt
dabei das GRV-Versorgungsniveau bis zum Jahr 2060 auf etwa 40½ %,
sofern – wie im Rentenversicherungsbericht – die Beitrags- und
Ansparphase auf 45 Jahre begrenzt bleibt. Bei einer Verlängerung
auf 47 Jahre parallel zu der beschlossenen Erhöhung des
gesetzlichen Rentenalters liegt das GRV-Niveau ab Erreichen der
letzten Anhebungsstufe um etwa 2 Prozentpunkte höher und damit bei
gut 42% im Jahr 2060." (2016, S.74)
Die Kritik von RULAND an
Lebensleistungsrente, Ostrentenangleichung (Vorhaben gemäß
Koalitionsvertrag), Mütterrente (CSU-Forderung) und Stabilisierung
des Rentenniveaus als Bundestagswahlkampfthema stimmt mit der
Handelsblatt-Linie überein.
THELEN, Peter (2016): Die
Gretchenfrage bei der Rente.
Leidartikel zur HB-Serie Zukunft
der Rente (1): Genug der Wahlgeschenke in der Rentenpolitik!
in:
Handelsblatt v. 22.09.
Nach Lesart der
Generationenkrieger ist die Stabilisierung des Niveaus der
gesetzlichen Rente Ausdruck einer Gerontokratie bzw.
Rentnerdemokratie. Peter THELEN erklärt uns dagegen, dass vor allem
die junge Generation ein Interesse an der Stabilisierung hat:
"Denn diese trifft die
bisherige Rechtslage weit heftiger als die heutigen Rentner (...).
Denn erst ab 2021 (...) wächst demografiebedingt die Zahl der
Rentner an. Die Folge wird eine Beschleunigung des Rückgangs des
Rentenniveaus sein."
Meist wird der jungen Generation
nur die halbe Wahrheit präsentiert und den Jungen lediglich ein
Interesse an einem stabilen Beitragssatz unterstellt. Durch die
Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung wird der Beitragssatz
jedoch stabilisiert, selbst wenn er moderat steigt. Das Rentenniveau
wird dadurch jedoch stärker als in den Schönfärbereien der
Befürworter einer kapitalgedeckten Altersvorsorge abgesenkt.
MEYER, Jörg (2016): Dem
Empörungsgestus entgegentreten.
Ver.di-Chef Frank Bsirske über die
AfD, die DGB-Rentenkampagne und den SPD-Beschluss zu CETA,
in:
Neues Deutschland v. 26.09.
Frank BSIRSKE berichtet, dass es im DGB bis
Januar eine Einigung über das anzustrebende Rentenniveau geben soll.
Dabei wird es auch um die Höhe des Beitragssatzes gehen.
"Wenn wir heute schon ein
Rentenniveau von 43 Prozent hätten, müsste jemand, der 80 Prozent
des Durchschnittsverdienstes erhält, das wären rund 2.400 Euro
brutto, rund 40 Jahre lang arbeiten, um eine Rente auf
Grundsicherungsniveau zu erreichen",
erklärt uns der Ver.di-Chef, der
insbesondere Teilzeitbeschäftigte, Minijobber, Menschen im
Niedriglohnsektor und westdeutsche Frauen, die durchschnittlich nur
auf 30 Beitragsjahre kommen, als Problemgruppen ansieht.
"Die Bundesagentur für Arbeit
muss wieder für Langzeitarbeitslose Beiträge an die
Rentenversicherung zahlen",
fordert der Gewerkschafter, der
die Riester-Rente als gescheitert betrachtet.
BÖRSCH-SUPAN, Axel/BUCHER-KOENEN, Tabea/RAUSCH,
Johannes (2016): Szenarien für eine nachhaltige Finanzierung der
Gesetzlichen Rentenversicherung,
in:
ifo Schnelldienst Nr.18 v. 29.09.
Abdruck des gleichnamigen
MEA-Diskussionspapier vom 19. August 2016. BÖRSCH-SUPAN/BUCHER-KOENEN/RAUSCH
verfolgen mit dem Artikel drei Ziele:
1) Eine Vorausschätzung der Entwicklung bis 2060
2) Auswirkungen einer Stabilisierung des Rentenniveaus bei 45, 46 und
50 Prozent aufzeigen
3) Plädoyer für eine kostensenkende Kopplung des Renteneintrittsalters
an die Lebenserwartung und eine Neudefinition der Standardrente (mehr
hier)
ÖCHSNER, Thomas (2016): Dramatische Prognose für die Rente.
Nach 2030 wird das Rentenniveau
deutlich sinken - von heute 48 Prozent des Durchschnittslohns auf
knapp 42 im Jahr 2045,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 29.09.
Dramatische Prognose? Die Wirtschaftswoche
behauptete bereits
Mitte September, dass nach der Prognose des
Bundesarbeitsministeriums mit einem Sinken des Rentenniveaus bis 2045
unter 40 Prozent zu rechnen sei. Nun sind es "nur" 41,6 Prozent. Schon damals
wurde auf dieser Website auf Prognosen der Prognos AG und der
Bundesbank hingewiesen, die dieses Jahr in Umlauf gebracht wurden und
eine ähnliche Entwicklung wie jetzt das Bundesarbeitsministerium
aufzeigten.ÖCHSNER geht es um ein
Mindestrentenniveau, das möglichst niedrig angesiedelt ist:
"In der Koalition ist eine Grenze
von 45 Prozent im Gespräch",
behauptet er,
nur
weil sein Lieblingspolitiker, der katholische Familienfundamentalist
Karl SCHIEWERLING (CDU) diese Position vertritt.
Andere sind da jedoch
noch
unverschämter. Daneben werden uns die Positionen von BDA und VdK
genannt.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Beitrag zur
Rentenversicherung droht kräftig zu steigen.
Regierungsprognose bis 2045.
Rentenniveau sinkt. Beitragssatz überschreitet 23 Prozent,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.09.
CREUTZBURG, Dietrich (2016): Rentenfachleute fordern Obergrenze für
Beitragssatz.
Die Aussicht auf Beiträge von 25
Prozent löst Widerstand aus und den Ruf nach einer "Haltelinie" nicht
nur für das Rentenniveau,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 29.09.
DOEMENS, Karl (2016): Renten im freien Fall.
Sozialministerium legt Prognose zur
langfristigen Entwicklung vor,
in:
Frankfurter Rundschau v. 29.09.
SIEMS,
Dorothea
(2016): Nahles sitzt in der Rentenfalle.
Nach 2030 sinkt das
Sicherungsniveau deutlich. Doch jede Verbesserung ist enorm teuer und
treibt die Beiträge in die Höhe,
in:
Welt v. 29.09.
Dorothea SIEMS geht es zum einen darum die Altersarmut zu verharmlosen
und zum anderen den Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge zu
rechtfertigen. Die Stabilisierung des Rentenniveaus lehnt sie dagegen
ab.
Dazu hat sich SIEMS bei der Deutschen Rentenversicherung mit
Zahlenmaterial bedient, jedoch wird verschwiegen, wie viel Steuern
von der "Standardrente netto vor Steuern" (welch ein bürokratisches
Wortungetüm!) zu zahlen ist, denn jeder kommende Geburtsjahrgang
unterliegt einer höheren Besteuerung der Renten - bis die
100-Prozent-Marke erreicht wird. Dies geschieht gerade dann, wenn das
Rentenniveau dem Tiefstpunkt entgegenstrebt.
THELEN, Peter (2016): Es
geht steil bergab.
Rentenniveau,
in:
Handelsblatt v. 29.09.
Peter THELEN befasst sich nur in einer Kurzmeldung
mit den Zahlen des Bundesarbeitsministeriums. Wichtig ist ihm nur,
dass die Prognose nur bei einer langfristigen Zuwanderung von 200.000
Menschen pro Jahr zum richtigen Ergebnis kommt. THELEN zitiert Markus
KURTH von den Grünen, der eine Stabilisierung für finanzierbar hält,
wenn die Mütterrente durch Steuern finanziert würde und Selbständige
in die Rentenversicherung miteinbezogen würden.
NAKIELSKI, Hans (2016): DGB-Gewerkschaften starten
Rentenkampagne.
Kurswechsel in der Rentenpolitik
gefordert,
in:
Soziale Sicherheit, Heft 9
Hans NAKIELSKI erklärt uns die Differenzen zwischen
den dominierenden DGB-Einzelgewerkschaften:
"Die IG Metall hatte jüngst in
ihrem Rentenkonzept gefordert, dass das Rentenniveau schrittweise
auf mehr als 50 % angehoben werden müsse. Auch ver.di strebt eine
deutliche Anhebung des Niveaus an. Demgegenüber setzt die IG
Bergbau, Chemie und Energie vor allem auf Verbesserungen bei den
Betriebsrenten."
Um Spielraum für eine Erhöhung
des Rentenniveaus zu erhalten, macht der DGB folgende Vorschläge:
"Würden jetzt die
verschicherungsfremden Leistungen - wie z.B. die Mütter-Renten -
voll aus Steuermitteln bezahlt und der Beitragssatz zur gesetzlichen
Rentenversicherung (GRV) früher als sowieso notwendig »maßvoll«
angehoben und so eine Demografiereserve aufgebaut, wäre das
Rentenniveau bis in die 2030er Jahre stabil, ohne den Beitrag bis
dahin über 22 % steigen zu lassen."
SCHÄFER, Ingo (2016): Die Rente muss auch morgen
reichen!.
Zur Entwicklung der Löhne, Renten
und des Rentenniveaus,
in:
Soziale Sicherheit, Heft 9
Ingo SCHÄFER erklärt uns mit welchen Maßnahmen seit
1997 das Rentenniveau gesenkt wurde. Dazu gehört nicht nur die
Änderung der Rentenformel, sondern auch andere Leistungskürzungen,
die zur Verringerung von Renten unterhalb der Standardrente führten:
"Altersrenten, die auf mindestens
35 Versicherungsjahren beruhen, sind deutlich hinter dem verfügbaren
Durchschnittsentgelt zurückgeblieben. Besonders dramatisch ist die
Entwicklung bei den Erwerbsminderungsrenten (EM-Renten) für Männer."
(2016, S.347)
Von einer Politik der
Beitragssatzstabilisierung kann nicht gesprochen werden, sondern der
Beitragssatz wurde sogar stark gesenkt:
"Als Folge dieser massiven
Leistungskürzungen, einer aktuell guten wirtschaftlichen Entwicklung
sowie einer relativ günstigen demografischen Situation ist von 2005
bis 2016 der Beitragssatz um rund 4 % gesunken (seit 1999 sogar um 8
%). Und dies obwohl die Zahl der Rentner/innen in diesem Zeitraum um
rund eine Million gestiegen ist."
(2016, S.347)
Hinzu kommt noch die Umstellung
auf die nachgelagerte Besteuerung, die zu einer weiteren
Beitragssatzentlastung führt:
"Dies entspricht effektiv einer
Beitragssatzentlastung bei Durchschnittseinkommen von heute 2 und
künftig etwa 3 Prozentpunkten."
SCHÄFER weist darauf hin, dass
dies passierte, obwohl der Rentenversicherung seit 2010 über 30 Mrd.
Euro an Mitteln entzogen und damit den Beitragszahlern aufgebürdet
wurden:
"durch Kürzung der
Bundeszuschüsse, Streichung von Rentenversicherungsbeiträgen für
Bezieher von Arbeitslosengeld II oder die Nichterstattung von
versicherungsfremden Leistungen, z.B. bei der Mütterrente seit Juli
2014"
(2016, S.347)
Diese politischen Maßnahmen
führten dazu, dass die Durchschnittsrenten innerhalb von 10 Jahren
um über 10 Prozent hinter den Löhnen zurückblieben.
Im nächsten Schritt erläutert uns
SCHÄFER warum die private Altersvorsorge diese Rentenlücke nicht
schließen kann und welche Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssten,
um das Rentenniveau zu stabilisieren. Mit Hinweis auf die
Berechnungen des letzten Alterssicherungsberichts 2012, erklärt uns
SCHÄFER, dass eine Debatte, die sich allein auf den Beitragssatz der
gesetzlichen Rente fokussiert, der Belastung der Arbeitnehmer nicht
gerecht wird:
"Soll (...) im Drei-Säulen-Modell
ein Leistungsniveau bei Rentenzugang wie vor den Reformen erreicht
werden, ist nach Angaben der Bundesregierung im Jahr 2015 ein
Gesamtbeitrag von 24,1 % (18,7 GRV, 4 % Riester und 1,4 %
zusätzliche »Privat-Rente« nötig. Bis 2030 wird der
Gesamtbeitragssatz im Drei-Säulen-Modell nach Annahmen der
Bundesregierung auf rund 29 % (21,9 % GRV, 4 % Riester, 3,2 %
zusätzliche »Privat-Rente«) steigen müssen, wenn das
Gesamtversorgungsniveau gegenüber der Zeit vor den (Riester-)Reformen
nicht sinken soll. Davon müssten dann die Arbeitnehmer 18 % alleine
zahlen - ohne Arbeitgeberbeteiligung."
(2016, S.349)
Dabei ist noch nicht einmal
berücksichtigt, dass die private Altersvorsorge keine zusätzliche
Absicherung bei Erwerbsminderung oder für die Hinterbliebenen
beinhaltet. Von daher wäre eine Erhöhung des Beitragsatzes bei der
gesetzlichen Rente effektiver als die Profite der
Finanzdienstleistungsbranche zu subventionieren.
SCHÄFER fordert, dass ein Ausbau
der betrieblichen Altersvorsorge nicht zu Lasten der
Sozialversicherungen gehen darf, was bislang nicht der Fall ist.
NAKIELSKI, Hans (2016): "Gerade die 20- bis
40-Jährigen profitieren von unseren Vorschlägen.
Acht Fragen an Annelie Buntenbach
zur DGB-Rentenkampagne,
in:
Soziale Sicherheit, Heft 9
"Ein Koch mit 40 Beitragsjahren
bekommt heute eine Rente von 755 Euro. Läge das Rentenniveau heute
schon bei nur 43 Prozent, wären es 677 Euro",
variiert Annelie BUNTENBACH das
Köchinnen-Beispiel der DGB-Broschüre als Antwort auf eine Kritik der
BDA. Eine Tabelle zeigt uns folgenden Anstieg der Bezieher von
Grundsicherung im Alter:
Tabelle: Bezieher
von Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung 2003 - 2015 (jeweils am 31.12.) |
Jahr |
Grundsicherung
im Alter |
Grundsicherung bei
Erwerbsminderung |
Zusammen |
2003 |
257.743 |
181.097 |
438.831 |
2004 |
293.137 |
232.897 |
526.034 |
2005 |
342.855 |
287.440 |
630.295 |
2006 |
370.543 |
311.448 |
681.991 |
2007 |
392.368 |
340.234 |
732.602 |
2008 |
409.958 |
357.724 |
767.682 |
2009 |
399.837 |
364.027 |
763.864 |
2010 |
412.081 |
384.565 |
796.646 |
2011 |
436.210 |
407.820 |
844.030 |
2012 |
464.066 |
435.780 |
899.846 |
2013 |
497.433 |
464.754 |
962.187 |
2014 |
512.198 |
490.349 |
1.002.547 |
2015 |
536.121 |
501.887 |
1.038.008 |
|
Quelle: Soziale
Sicherheit 2016, Heft 9, S.351 |
Experten behaupten, dass wir
derzeit in einem "demografischen Zwischenhoch" leben. Dann dürften
eigentlich die Zahlen nicht steigen, wenn dem so wäre.
Die wirtschaftsnahen Lobbyisten
betonen, dass der Beitragsatz steigen muss, wenn das Rentenniveau
stabilisiert wird. BUNTENBACH zeigt, dass deren Rechnungen die
jetzigen Lasten der Arbeitnehmer verharmlosen:
"Wenn alle nicht
beitragsgedeckten und versicherungsfremden Leistungen voll aus
Steuermitteln erstattet würden, wären die Beitragszahler von den
ihnen aufgebürdeten gesamtgesellschaftlichen Aufgaben entlastet.
Und, was gerne vergessen wird: Wer riestert, zahlt ja schon heute
vier Prozent mehr Beitrag als sein Arbeitgeber - praktisch also
nicht nur 18,7 Prozent, sondern 22,7 Prozent. In 2030 also nicht 22,
sondern 26 Prozent."
KÖHLER-RAMA, Tim
(2016): Merkel und die Rente.
Kommentar: Der Rentenpolitik der
Regierung Merkel seit 2005 fehlt die Programmatik,
in:
Zeitschrift für Sozialreform, Heft 3, S.341-350
Tim KÖHLER-RAMA kritisiert, dass
die Untergrenze des Rentenniveaus weder geeignet sei den
Lebensstandard zu sichern, noch die Armutsvermeidung. Letzteres
folgt aus der Tatsache, dass der Standardrentner nicht repräsentativ
sei. Deutschland sei im OECD-Vergleich zu wenig armutsfest:
"Geringverdienende haben in
praktisch allen Ländern deutlich höhere Ersatzraten, d.h. bei der
Rentenberechnung werden niedrige Einkommen höher gewichtet. Dies
lässt sich nicht nur sozialpolitisch gut mit der durchschnittlich
kürzeren Lebenserwartung und damit kürzerer Rentenbezugszeit von
Geringverdienern begründen, sondern dient vor allem dem Ziel der
Armutsvermeidung."
KÖHLER-RAMA meint, dass dieses
Manko durch das Festhalten am des Versicherungsprinzips begründet
ist. Tatsächlich wird gerne mit dem Argument der
versicherungsfremden Leistungen argumentiert. Wenn jedoch solche
Fürsorgeelemente, die sowieso schon im gesetzlichen Rentensystem
vorhanden sind, steuerfinanziert werden, dann kann es dagegen auch
keine Einwände geben. Dies wird jedoch leider nicht so gehandhabt.
INSM
(2016): Vierköpfige Familie müsste fast 1.000 Euro mehr zahlen.
Studie zum Rentenniveau,
in:
Pressemitteilung der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft v.
05.10.
Pressemitteilung der neoliberalen Lobbyorganisation INSM, in der die
Studie Wie beeinflusst ein höheres Rentenniveau das Nettoeinkommen
der Beitragszahler? der neoliberalen Lobbyorganisation IW Köln
lanciert wird. Jochen PIMPERTZ & Martin BEZNOSKA haben eine "empirisch
fundierte Modellrechnung" vorgelegt, die nur 14 Seiten umfasst, obwohl
es sich dabei um ein sehr komplexes Problem handelt. Das liegt u.a.
daran, dass keine neuen Zahlen verwendet werden, sondern auf veraltete
Zahlen des
Rentenversicherungsberichts 2015 und bekannte Berechnungen von
PIMPERTZ zurückgegriffen wird:
"Das Status-quo-Szenario geht analog zum Rentenversicherungsbericht
der Bundesregierung von einem Absinken des Sicherungsniveaus vor
Steuern von 47,5 Prozent im Jahr 2015 bis auf 44,6 Prozent im Jahr
2029 aus, bei mittlerer Beschäftigungs- und Lohnentwicklung klettert
der Beitragssatz gleichzeitig bis auf 21,5 Prozent. Dem werden die
Szenarien mit einem künftig konstanten Sicherungsniveau vor Steuern
von 47,5 Prozent respektive von einem höheren Rentenniveau von 50
Prozent gegenüber gestellt (Pimpertz, 2016,
14)."(S.4)
Eine Kritik der unlauteren Berechnungen findet sich
hier.
SCHWENN, Kerstin (2016):
Nahles gegen stark steigende Rentenbeiträge.
Die Arbeitsministerin will bald
erklären, welches Rentenniveau sie langfristig für angebracht hält.
Ökonomen haben berechnet, dass schon ein konstantes Niveau zu starken
Belastungen führt,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 06.10.
Kerstin SCHWENN macht sich zum Sprachrohr des
INSM-Auftragskurzgutachtens
Wie beeinflusst ein höheres Rentenniveau das Nettoeinkommen der
Beitragszahler?
"So verringerte sich das Nettoeinkommen eines
Alleinstehenden ohne Kinder im Jahr 2030 um 277 Euro im Jahr, wenn
das Rentenniveau bei 47,5 Prozent und der Beitragssatz bei 23,5
Prozent lägen. Eine vierköpfige Familie mit zwei
Durchschnittsverdienern hätte sogar 560 Euro weniger im Jahr über",
erklärt uns
Kerstin SCHWENN die Berechnungen von Jochen PIMPERTZ & Martin
BEZNOWSKI im Auftrag der neoliberalen Lobbyorganisation INSM.
Man kann dieses Beispiel auf eine Ebene mit dem
in den Medien falsch dargestellten
Köchinnen-Beispiel des DGB und den umstrittenen WDR-Berechnungen
stellen, die insbesondere von der FAZ/FAS mit Vehemenz
kritisiert wurden. Auch hier wird mit Statistik gelogen bzw. eine
Darstellung gewählt, die bewusst verzerrt ist.
SCHWENNs Behauptung, dass es sich um eine Belastung
im Jahr 2030 handelt, ist irreführend, denn die Autoren schreiben in
ihrem Lesebeispiel, das analog auf das Beispiel mit 2 Kindern
angewandt werden kann:
"Würden die getroffenen Annahmen
zur Beitragssatzentwicklung bereits heute gelten, bedeutet das für
einen Paar-Haushalt ohne Kinder mit zwei
sozialversiche-rungspflichtig Beschäftigen bei einem für diese
Haushaltskonstellation durchschnittlichen Einkommen" (2016, S.13)
Wir haben es also mit einer Form von Berechnung zu
tun, die derjenigen des WDR im April entspricht, die einen Sturmlauf
der Arbeitgeberlobby ausgelöst hat. Dass nun IW Köln-Ökonomen uns
praktisch eine Kopie der WDR-Berechnungen - nur unter entgegen
gesetzten Vorzeichen vorsetzen, kann man eigentlich nur mit dreist
bezeichnen. Man darf also gespannt sein, ob diese Berechnungen
gleichfalls eine solch immense Medienaufmerksamkeit erhalten wie die
WDR-Berechnungen im April diesen Jahres.
Das arithmetische Mittel der Studie
ist nicht etwa repräsentativ für die Bevölkerung in Deutschland - noch
nicht einmal für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten,
sondern berechnet sich aus einer "Auswahl von
Haushaltskonstellationen", die nicht begründet wird und bei der auch
nicht klar wird, inwiefern diese Auswahl repräsentativ ist für die
Bevölkerung in Deutschland, die 2030 Renten erhalten wird.
"Neben dem arithmetischen Mittel
für das sozialversicherungspflichtige Bruttoeinkommen und das
Markteinkommen werden auch die entsprechenden Mittelwerte für die
Haushalte der unteren Hälfte der Verteilung respektive der oberen
Hälfte der Verteilung berechnet, um eine Spannbreite von möglichen
Einkommenseffekten darstellen zu können",
wird uns erklärt. Weder die
Annahmen zur unteren noch zur oberen Hälfte werden begründet, sondern
einfach nach Kriterien festgesetzt, die nicht nachvollzogen werden
können.
SCHWENN greift zwei
Beispielrechnungen aus 12 IW-Fallbeispielen heraus: Der kinderlose
Alleinstehende betrifft ca. 5,1 Millionen erwachsene Personen in
Deutschland. Das Doppelverdiener-Paar betrifft nur ca. 1,1 Millionen
erwachsene Personen. SCHWENN greift insgesamt ca. 6,2 Millionen
Betroffene von 19,2 Millionen erwachsenen Betroffenen heraus, für die
das IW Köln uns überhaupt Beispielrechnungen vorlegt. Davon sind
lediglich ca. 16,2 Millionen Personen sozialversicherungspflichtig
beschäftigt.
In Deutschland gibt es heutzutage ca. 30 Millionen
sozialversicherpflichtige Beschäftigte, d.h. die Berechnungen des
IW decken lediglich ca. 50 % dieser Personen ab. Das Beispiel des
kinderlosen Singles betrifft ca. 17 %. Das Doppelverdiener-Paar noch
nicht einmal 4 %.
Das jährliche Bruttoeinkommen der
ca. 17 Prozent kinderlosen Alleinstehender besitzt eine Spannbreite
von 20.866 Euro bis 54.182 Euro. Das Beispiel von SCHWENN mit 277 Euro
Belastung bezieht sich auf das Durchschnittseinkommen von 38.193 Euro.
Die Stabilisierung des Rentenniveaus kostet diesen Single also 0,7
Prozent seines Jahresbruttoeinkommens. Dafür erhöht sich jedoch die
Standardrente um 6 Prozent, von dem dieser Single ebenfalls
profitieren würde. Dieser Nutzen wird von den Autoren jedoch nicht
berechnet, weshalb hier von einseitiger Betrachtungsweise gesprochen
werden muss. Analog könnte man dies auch für alle weiteren Beispiele
durchrechnen.
Fazit: SCHWENN stellt uns die
Berechnungen erstens falsch dar und zweitens bleibt die Nutzenseite
der Rentensteigerung unberücksichtigt. Die Berechnungen selber sind
nicht seriös, weil sie weder repräsentativ sind, noch nachvollziehbar,
weil die Annahmen, die diesen Berechnungen zugrunde gelegt werden,
nicht offen gelegt werden. Wir haben es hier also mit Propaganda einer
Lobbyorganisation zu tun. Dass die FAZ diese Berechnungen
unkritisch veröffentlicht, spricht nicht für die Qualität dieser
Zeitung!
EUBEL, Cordula (2016): Was
bleibt.
Arbeitsministerin Andreas Nahles
will bald ein Konzept für eine Rentenreform vorstellen. Doch über
viele Punkte wird noch gestritten,
in:
Tagesspiegel v. 06.10.
Cordula EUBEL erzählt uns Bullshit über die
Rentenpolitik von Andrea NAHLES:
"Nach Seehofer und Gabriel
fordert nun auch Sozialministerin Nahles, die bereits geltenden
Zielwerte bis 2030 zu überdenken und beim Rentenniveau eine
»Haltelinie« einzuführen."
Davon kann keine Rede sein.
Lediglich das Rentenniveau nach 2030 bis 2045 steht bezüglich einer
Untergrenze derzeit zur Debatte. Nur Gewerkschaften, Linke und
Sozialverbände wollen das Niveau bereits vor 2030 stabilisieren.
Das Sozialministerium hat letzte
Woche auch keine Berechnungen, die über das Jahr 2030 hinausgehen,
veröffentlicht, sondern verweigert uns beharrlich Einblick in die
Berechnungen, aus denen nur Medien zitieren, sodass ein Nachvollzug
nicht möglich ist.
Fazit: Keine Neuigkeiten bei
EUBEL über die Rentendebatte, dafür aber Stimmungsmache gegen eine
Stärkung der gesetzlichen Rente vor der Tagung des
Koalitionsausschusses.
ARI (2016): Eine Anzahlung.
Kommentar: Rentenniveau,
in:
Tagesspiegel v. 06.10.
Der Kommentar sieht in Österreich hinsichtlich
des Rentenniveaus ein Vorbild.
"In dem Nachbarland zahlen auch
Selbständige in die Rentenversicherung, und außerdem wird die
Beamtenversorgung an die gesetzliche Rente angepasst",
wird uns erzählt. Warum aber wird
die Beamtenversorgung an die Rentenversicherung angepasst? Angeblich
ist diese doch besser. Wenn dem so wäre, dann müsste umgekehrt das
Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung der Beamtenversorgung
angepasst werden. Da ist also etwas oberfaul!
STEFFEN, Johannes (2016): Fürsorgebedarf und Rentenniveau.
Akzeptanz der Pflichtversicherung
steht auf dem Spiel,
in:
sozialpolitik-portal v. 07.10.
Johannes STEFFEN widerlegt die Sicht von Franz
RULAND, wonach sich der Abstand von Rente und Grundsicherung
vergrößert:
"Während der durchschnittliche
Bruttobedarf älterer Bezieherinnen und Bezieher von
Fürsorgeleistungen – nach Bundessozialhilfegesetz,
Grundsicherungsgesetz beziehungsweise Kapitel 4 SGB XII – im
Zeitraum von 2000 bis 2016 um 45 Prozent gestiegen ist, legte der
Zahlbetrag des aktuellen Rentenwerts um lediglich 16,3 Prozent zu.
Der Abstand zwischen Fürsorge und Netto-Standardrente (Rente aus
45 Entgeltpunkten nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung) verringerte sich von monatlich 474 Euro auf
391 Euro; lag der Ermittlung der Altersrente im Schnitt der 45
Beitragsjahre nur ein Verdienst von 75 Prozent des
Durchschnittsentgelts zugrunde, so sank die Differenz von 216 Euro
auf gerade noch 92 Euro. Der Abstand der Rente zur Grundsicherung
wird nicht größer, er schrumpft – und das in einem bedenklichen
Ausmaß und Tempo. Auch in Zukunft wird diese Entwicklung
voraussichtlich anhalten"
BEZNOSKA, Martin & Tobias HENTZE (2016): Die Wirkung des
demografischen Wandels auf die Steuereinnahmen in Deutschland.
Infolge der hohen Nettozuwanderung
wachsen derzeit die Bevölkerung und damit auch die Anzahl der
Erwerbsfähigen in Deutschland. Bereits in wenigen Jahren wird sich
die demografische Entwicklung jedoch umkehren,
in:
IW-Trends v. 11.10.
THELEN, Peter (2016): Die Zeit zurückdrehen.
Die Gewerkschaften wünschen sich
die "gute alte Rentenversicherung" zurück,
in:
Handelsblatt v. 13.10.
Peter THELEN passt die ganze Richtung der
DGB-Gewerkschaften nicht. Er nennt uns zwar die
Finanzierungsvorstellungen für die Stabilisierung des Rentenniveaus,
aber nur um sie mit einem Halbsatz vom Tisch zu wischen. Statt einer
begründeten Argumentation werden uns von Medien in Umlauf gebrachte
Zahlen als "erste amtliche Prognose" verkauft. Wo sind also diese
Zahlen? Bislang werden sie uns vorenthalten, sind also nicht
überprüfbar.
THELEN spricht von "unlauteren
Modellrechnungen" des DGB. Leider ist er auf einem Auge blind, denn
die Gegenseite ist genauso unlauter: nämlich bei den
Auswirkungen einer Stabilisierung auf die Nettoeinkommen. Diese
werden uns von THELEN unkritisch als Grafik präsentiert. Sollten wir
nicht kapiert haben, was unser Reaktion darauf zu sein hat, sagt uns
das THELEN noch explizit: Die Zahlen sollen erschrecken - also
Stimmungsmache statt Argumentation!
Denn nicht nur die Gewerkschaften fordern eine Stabilisierung,
sondern auch Christian BÄUMLER ("Chef der
CDU-Sozialausschüsse").
Während Kerstin SCHWENN am 6.
Oktober in der
FAZ noch überzeugt, war, dass es in dieser
Legislaturperiode keine Festlegung mehr auf eine Untergrenze beim
Rentenniveau geben wird, verkündet uns THELEN nun anderes:
"Nahles weiß, dass sie mit
ihren Zahlen der Kampagne hilft. Es kümmert sie wenig. Denn die
SPD-Politikerin ist längst entschlossen, wenn eben möglich noch in
dieser Legislaturperiode eine neue Haltelinie beim Rentenniveau
ins Gesetz zu schreiben. Sie soll an die Stelle der 43 Prozent
treten, unter die das Niveau nach geltendem Recht bis 2030 nicht
fallen darf. Je mehr bei der Rente jetzt schon geregelt werden
kann, um so weniger wird übrigbleiben für einen schmutzigen
Rentenwahlkampf 2017, ist ihre Devise."
SIEMS, Dorothea (2016): Steuerzahler können die
Rente nicht retten.
Alternde Gesellschaft führt ab 2025
zu einem Einbruch der Einnahmen. Gleichzeitig steigt der
Bundeszuschuss,
in:
Welt v. 13.10.
Dorothea SIEMS posaunt die PR der
Unternehmenslobby IW Köln hinaus, die die Haushaltsfinanzen in der
Broschüre
Die Wirkung des demografischen Wandels auf die Steuereinnahmen in
Deutschland
schlecht redet,
um Forderungen nach einer Stabilisierung des Rentenniveaus abzuwehren.
Unter welchen Vorrausetzungen der angebliche "Steuereinbruch"
eintritt, das verschweigt uns das Sprachrohr SIEMS.
THELEN, Peter (2016): Länger leben und arbeiten.
Diese Gleichung geht vor allem für
Geringverdiener nicht auf,
in:
Handelsblatt v. 21.10.
Gemäß THELEN ginge eine Politik der Lebensarbeitszeitverlängerung
zulasten der Geringverdiener, die auch durch die Senkung des
Rentenniveaus schon stärker belastet wird.
Eine
Stabilisierung des Rentenniveaus kommt für THELEN jedoch nicht infrage.
DETTMER, Markus/GODECK,
Daniel/SAUGA, Michael/SCHMERGAL, Cornelia (2016): Teure Aussichten.
Soziales: Kanzlerin Merkel hat die
Rente zur Chefsache erklärt. Um sich bei älteren Wählern beliebt zu
machen, plant die Koalition ein großes Rentenpaket. Es könnte
Milliarden kosten - und den Alterskassen neue Probleme schaffen,
in:
Spiegel Nr.43 v. 22.10.
Im Gegensatz zu Kerstin SCHWENN
in der
FAZ vom 06. Oktober
erklärt uns der Spiegel,
dass eine neue Untergrenze beim Rentenniveau doch noch geplant ist.
Damit lenken DETTMER u.a. elegant davon ab, dass die Gewerkschaften,
denen MERKEL angeblich entgegen kommt, eine Stabilisierung bereits
vor 2030 fordern und nicht erst nach 2030:
"Denkbar wäre, die Untergrenze
von 43 Prozent über das Jahr 2030 fortzuschreiben. Schon das würde
Geld kosten. Doch die Milliardenbeträge und Beitragssteigerungen
wären überschaubar im Vergleich zu den Forderungen, die bereits
auf dem Tisch liegen",
machen uns die Autoren eine
kosmetische Operation am Rentenniveau schmackhaft. Beim
Mindestniveau ringen Neoliberale um den niedrigsten,
kostengünstigsten Wert: Bislang liegt dieser bei 40 Prozent. Bietet jemand noch weniger?
Die Frage lautet nicht unbedingt,
wie hoch dieses Mindestniveau angesetzt werden muss, um einen
Rentenwahlkampf zu verhindern, sondern auf welchen anderen Feldern
kann den Gewerkschaften eine Kompensation angeboten werden. Hier
steht ganz oben der Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge auf der
Liste der kostengünstigsten Variante, mit der die Gewerkschaften
durch Machtausbau geködert werden können.
RÜRUP, Bert (2016): Falsches Spiel mit dem Rentenniveau.
Leidartikel: Der gegenwärtige
Streit über die Rentenpolitik ist bizarr,
in:
Handelsblatt v. 24.10.
Bizarr ist vor allem eines: Bert
RÜRUP widerlegt Argumente zum Rentenniveau, die uns untergeschoben
werden. Angeblich sind wir dumm und wissen nicht, was das
Rentenniveau ist. Wir hängen Irrlehren nach. Statt uns Zitate von
Diskutanten zu liefern, die nachprüfbar sind, wird ein Popanz
aufgebaut, um neoliberales Gedankengut in Umlauf zu bringen.
"Nun wird bald ein neuer, etwa
30 Jahre anhaltender massiver Alterungsschub Deutschland
erfassen",
lügt uns RÜRUP an. Das glauben
nicht einmal Neoliberale. Axel BÖRSCH-SUPAN geht dagegen davon aus,
dass der "Alterungsschub", der erst im nächsten Jahrzehnt einsetzt,
bereits 2045 endet. Ob dieser jedoch so "massiv" ist, hängt von
Unsicherheitsfaktoren der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung ab.
Die wahre Intention solcher Beschwörungen liegt woanders:
"Wer statt 45 Jahren nur 25
Jahre Beiträge zahlt, der bekommt eben wenig Rente (...). Wer
diesen Personen innerhalb des Rentenversicherungssystems helfen
will, muss das Äquivalenzprinzip infrage stellten."
RÜRUP spielt hier zwei Prinzipien
der Rentenversicherung gegeneinander aus: zum einen das
Versicherungsprinzip und zum anderen das Fürsorgeprinzip. Diese
beiden Prinzipien sind aber schon immer Teil des Rentensystems
gewesen und führte nicht zur Delegitimierung, denn solange
Fürsorgeelemente steuerfinanziert werden, gibt es keine Probleme.
Das gleiche gilt für versicherungsfremde Leistungen, die seit der
Wiedervereinigung den Beitragszahlern statt den Steuerzahlern
aufgebürdet wurden.
"Je steiler die These, desto
schauriger ließe und lässt sich der unmittelbar bevorstehende
Untergang Deutschlands an die Wand malen. Genau diese Zuspitzung
war aber letztlich die Stimmung, in der die »Agenda 2010« gedeihen
konnte" (2013, 16),
verkündet uns RÜRUP und sein
Co-Autor in dem Buch Fette Jahre. Neoliberale schrecken also
nicht davor zurück uns Lügen aufzutischen, nur um erwünschte
Reformen durchzupeitschen. RÜRUP gehört zu jenen, die für die
Teilprivatisierung der gesetzlichen Rentenversicherung und die
Kollateralschäden der kapitalgedeckten Altersvorsorge
mitverantwortlich sind. Sie würden uns deren Erfolg noch verkünden,
wenn dieses System des Finanzkapitalismus bereits in Trümmern läge.
LAMBECK,
Fabian (2016): Drei Säulen stützen die Rente nicht.
Volkssolidarität fordert
Neuorientierung und präsentiert eigene Vorschläge zu verlässlicher
Alterssicherung,
in:
Neues Deutschland v. 24.10.
Die
rentenpolitischen Leitlinien der Volkssolidarität sehen kurzfristig eine Stabilisierung
des Rentenniveaus und mittelfristig eine Anhebung auf 53 Prozent vor.
Die gesetzliche Rentenversicherung soll wieder eine
lebenstandardsichernde Funktion erhalten.
EUBEL, Cordula & Rainer
WORATSCHKA (2016): SPD will schnelle Einigung bei der Rente.
Union sieht dagegen keine
Notwendigkeit. Bundesregierung warnt vor wachsender Altersarmut,
in:
Tagesspiegel v. 27.10.
Dass der SPD-Politiker Thomas OPPERMANN vom rechten Seeheimer Kreis
gegen einen Rentenwahlkampf ist, ist keine Neuigkeit. Der
CDA-Vorsitzende Karl-Josef LAUMANN sieht dagegen keinen Bedarf an
einer schnellen Festlegung eines neuen Mindestrentenniveaus.
BUNTENBACH, Annelie
(2016): Weniger als eine Kinokarte.
Gastwirtschaft: Was die
Stabilisierung kosten würde,
in:
Frankfurter Rundschau v. 28.10.
"Und im Jahr 2025 würde es einen
Durchschnittsverdiener gerade mal 7,29 Euro im Monat kosten, wenn wir
das Rentenniveau stabilisieren. Das ist weniger als eine Kinokarte",
erklärt uns
Annelie
BUNTENBACH.
EUBEL, Cordula & Stephan HASELBERGER (2016): "SPD und Union müssen
handeln".
Der ehemalige SPD-Chef Franz
Müntefering wünscht sich eine Rentenreform vor der Wahl - und warnt
vor Angstmacherei,
in:
Tagesspiegel v. 28.10.
Franz MÜNTEFERING lässt sich erst
im dritten Anlauf überhaupt auf eine Frage zum richtigen
Mindestrentenniveau ein und das auch nur widerwillig:
"Die Haltelinie sollte auf
keinen Fall unter 43 Prozent liegen."
HAERDER, Max & Christian
RAMTHUN (2016): Was für ein Niveau.
Rentenpolitik: Die große Koalition
ringt um gleich mehrere Reformprojekte. Deren hervorstechende
Merkmale: teuer und meist auch überflüssig,
in:
Wirtschaftswoche Nr.45 v. 28.10.
Neoliberale
Mainstreamjournalisten haben sich inzwischen hinsichtlich des
Rentenniveaus auf ein Mantra geeinigt:
"Dass diese Kennziffer in den
kommenden Jahren nach unten drehen wird, bedeutet nur, dass die
Renten in Zukunft weniger stark steigen werden als die Löhne -
steigen werden sie aber trotzdem."
Dies ist nichts als eine
Verharmlosung drohender Altersarmut, denn die Kluft zwischen Löhnen
und Renten wird bereits seit Anfang des Jahrtausends immer größer.
Dieses neoliberale Mantra soll dies nur verschleiern. Ganz
gravierend ist die Lage für Niedrigverdiener, denn für sie bedeutet
das Absenken des Rentenniveaus, dass immer mehr auf die
Grundsicherung im Alter angewiesen sein werden.
HAERDER & RAMTHUN präsentieren
uns zudem noch veraltete Daten des
Rentenversicherungsberichts 2015,
der mit einer zu optimistischen Rendite der privaten Altersvorsorge
gerechnet hat. Der noch unveröffentlichte Alterssicherungsbericht
2016 geht dagegen von einer geringeren Rendite aus, was den Autoren
offensichtlich nicht zu ihrer Argumentation gepasst hat, denn sonst
hätten sie sich auf die neuen Zahlen gestützt.
Zum Stand der Rentenpolitik haben
uns HAERDER & RAMTHUN nichts Neues zu berichten. Kennzeichnend für
die Einseitigkeit der Berichterstattung ist, dass zur Stabilisierung
des Rentenniveaus lediglich der Unternehmenslobbyist
Michael FUCHS (CDU) zitiert wird.
MEYER, Jörg (2016): Die
Rente wird Wahlkampfthema.
Linke-Sozialpolitiker Matthias W.
Birkwald über notwendige Reformen, die Zukunft der Riester-Verträge
und betriebliche Vorsorge,
in:
Neues Deutschland v. 29.10.
Matthias W. BIRKWALD von der
Linkspartei setzt sich für eine Rente nach Mindestentgeltpunkten und
eine Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent ein. Er rechnet uns
vor, dass der Nutzen einer höheren Rente die Kosten der Anhebung
übersteigt:
"Das würde durchschnittlich
verdienende Beschäftigte mit 3.022 Euro brutto 33 Euro mehr im
Monat kosten. Die Zahlung von vier Prozent vom Brutto in einen
Riester-Vertrag könnte dann wegfallen - durchschnittlich 108 Euro
plus steuerliche Zulagen. Macht unterm Strich 75 Euro mehr im
Monat. Auf der anderen Seite kämen 130 Euro mehr Rente im Monat
für diejenigen raus, die 45 Jahre zum Durchschnittsverdienst
gearbeitet haben."
Die betriebliche Altersvorsorge
kritisiert BIRKWALD, weil die Entgeltumwandlung der gesetzlichen
Rente schadet. Solange dies nicht behoben wird, ist die betriebliche
Altersvorsorge nicht akzeptabel.
THELEN, Peter (2016):
Rentenniveau.
Nahles' neue Haltelinie,
in:
Handelsblatt v. 31.10.
Während von Peter THELEN bei den vom
Handelsblatt bevorzugten Reformen die Kosten kleingerechnet
werden, geht er beim Rentenniveau in die Vollen. Dabei schreckt er
auch nicht vor Lügen zurück:
"Seit 2000 ist das Niveau der
gesetzlichen Rente netto vor Steuern von über 50 auf aktuell knapp
unter 48 Prozent (...) gesunken. (...) Sozialverbände und
Gewerkschaften halten das für nicht akzeptabel. Sie wünschen sich
die alten 50 Prozent zurück."
Im Jahr 2000 lag das Rentenniveau bei 52,9 Prozent und nicht
nur bei
über 50 Prozent wie THELEN suggeriert. Die 50 Prozent wurden erst 2011
erreicht. Auf 53 Prozent anheben will die Linkspartei und der ostdeutsche Sozialverband
Volkssolidarität das Rentenniveau - Positionen, die THELEN nicht
erwähnt, um die DGB-Forderung höher erscheinen zu lassen als sie
tatsächlich ist. Zu den Kosten greift THELEN auf eine Berechnung der
Unternehmenslobbyisten vom IW Köln zurück, wobei
nur die Zahlen für das Jahr 2030 genannt werden, weil diese am
höchsten sind.
SPECHT, Frank
(2016): Doppelte Haltelinie.
Leidartikel: Warnung der Politik in
der Rentendebatte,
in:
Handelsblatt v. 02.11.
Als Sprachrohr der Unternehmenslobby wendet sich
Frank SPECHT gegen jegliche Form eines Mindestrentenniveaus. Dazu
nennt SPECHT Kosten, die nur auf den ersten Blick abschreckend
wirken, nämlich dann, wenn man die Argumentation nicht
auseinandernimmt:
"Allein das Rentenniveau auf
dem heutigen Stand von knapp 48 Prozent einzufrieren würde die
Rentenkasse bis 2029 insgesamt mehr als 100 Milliarden kosten."
Die Kosten verteilen sich jedoch
auf 15 Jahre, weshalb sie sich lediglich auf 7 Milliarden pro Jahr
belaufen würden - also kaum mehr als die von der CSU geforderte
Mütterrente,
die jedoch nur einem kleinen Teil der Rentner zugute kommen würde.
Während die Mütterrente sofort hohe Kosten verursachen würde, würde
eine Stabilisierung auf dem heutigen Niveau bis 2025 so gut wie
keine Kosten verursachen. Wie die Situation in 10 Jahren aussieht,
ist wieder eine ganz andere Sache, denn alle Berechnungen zur
weiteren Bevölkerungsentwicklung basieren auf zu pessimistischen
Annahmen.
Ganz vernachlässigt wird durch
die Fixierung auf die Kostenseite, der Nutzen
einer Stabilisierung des Rentenniveaus.
SPECHT behauptet nun, dass die
Stabilisierung des Rentenniveaus dazu führen könnte, dass die Pläne
zur Stärkung der Kapitaldeckung in der Schublade verschwinden
könnten. Dies ist Unsinn, da die Verhandlungen zum
Betriebsrentenstärkungsgesetz so gut wie abgeschlossen sind wie der
heutige Bericht der SZ zeigt. Vielmehr will SPECHT verhindern, dass
die Unternehmenslobby zu viel Zugeständnisse bei ihren
Lieblingsprojekten machen muss.
BOLLMANN, Ralph (2016): 10 Renten-Mythen.
Immer mehr Alte, immer weniger
Junge, und die Renten sinken unaufhaltsam: Vor dem Wahlkampf malen die
Parteien die Katastrophe an die Wand. Dabei sieht die Wahrheit anders
aus,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 06.11.
Ralph BOLLMANN hat die Greatest Hits der neoliberalen Interpretationen
zur Alterssicherung zusammengetragen. Die Aufmachung erinnert weniger
an eine seriöse Zeitung als an ein großes Boulevardblatt.
Als erster Mythos soll der Satz "Die Renten sinken weiter" entlarvt
werden. Niemand hat jedoch behauptet, dass die Rentenhöhe bei den
Bestandsrentnern sinkt, wie Neoliberale suggerieren wollen. Sie lenken
mit dieser Falschdarstellung davon ab, dass die Rentenhöhe im
Vergleich zu den Löhnen für Neurentner zukünftig sinkt, was etwas ganz
anderes ist.
GROTH,
Julia (2016): Klassiker mit Tücken.
Anlagekonzepte: Aktien-ETFs sind
die Favoriten unter den Indexfonds. Ganz so einfach, wie die Anbieter
gerne sagen, sind sie allerdings nicht,
in:
Handelsblatt v. 08.11.
Bei Fonds befehden sich die Anbieter von "aktiv"
gemanagten und passiven Fonds. Ein beliebter Köder, um unsere Gier
zu entfachen, ist der Blick zurück auf einen Aktienindex, und sich
eine Zeitspanne herauszugreifen, die mächtig Eindruck macht:
"Beim Blick auf den Verlauf des
deutschen Aktienindex Dax 30 in den vergangenen zehn Jahren wird
klar: (...). Insgesamt stieg das deutsche Aktienmarktbarometer in
diesem Zeitraum um 66,6 Prozent."
Das sind 6,6 Prozent pro Jahr und
dabei sind die Kosten noch nicht einmal enthalten. In anderen
Artikeln werden uns heutzutage sogar noch 7 oder 8 Prozent Rendite
versprochen. Skepsis ist vor allem dann geboten, wenn weder das
Einstiegsdatum, noch das Ausstiegsdatum genannt wird, denn dann
könnte man nachprüfen, ob das nicht gerade ein Tiefststand war, den
in der Praxis selten jemand erwischt. Aber es ist typisch für
solchen Finanzmarktjournalismus, der nicht auf Aufklärung, sondern
auf Verführung setzt. Welches Bild haben Journalisten von ihren
Lesern, die mit solchen Mitteln arbeiten?
"Markt schlägt Manager. Das
stimmt allerdings nicht immer wie Zahlen der Fondsratingagentur
Morningstar zeigen",
ist eine der Floskeln, die hier
Julia GROTH anwendet, mit denen uns aktiv gemanagte Fonds, an denen
die Anbieter bekanntlich mehr verdienen, schmackhaft gemacht werden.
DOEMENS, Karl
(2016): Überraschende Zahlen zum Rentenniveau.
Wert dürfte 2016 auf 48 Prozent
steigen und sich dann weiter erhöhen. Erst von 2021 an ist mit einem
Rückgang zu rechnen,
in:
Frankfurter Rundschau v. 09.11.
Karl DOEMENS, neoliberaler
Einpeitscher der FR, verspricht uns vollmundig angeblich überraschene Zahlen:
"Berechnungen für den neuen
Rentenversicherungsbericht, die Sozialministerin Andrea Nahles
(SPD) am Dienstag wenige Stunden vor einem Koalitionsgipfel zur
Alterssicherung öffentlich machte. (...)(Danach) dürfte das
Rentenniveau in diesem Jahr von 47,5 auf 48 Prozent steigen. Bis
2020 dürfte der Wert nach Informationen der Frankfurter Rundschau
weiter leicht steigen. Erst ab 2021 geht er dann zurück."
Bereits der
Rentenversicherungsbericht 2015 sah einen Anstieg des Rentenniveaus
für 2016 und 2017 vor (vgl. 2015, S.40). Bis 2030 soll das
Rentenniveau gemäß DOEMENS auf 44,5 Prozent zurückgehen. Im gerade
veröffentlichten Alterssicherungsbericht 2016 heißt es stattdessen
noch:
"Entwicklung des
Sicherungsniveaus vor Steuern (...), welches (...) nach den
Berechnungen des Rentenversicherungsberichts 2016 bis zum Jahr
2030 auf 44,3 Prozent zurück geht."
Da fragt man sich also höchstens,
inwiefern beim Rentenversicherungsbericht noch in letzter Sekunde
Korrekturen vorgenommen wurden, um die Situation noch stärker
schönzufärben. Man braucht offenbar dringend positive Meldungen, um
die drohende Altersarmut verharmlosen zu können.
DOEMENS will uns zudem mit einem
Langfristvergleich verdummen. Er nimmt sich jenen
Rentenversicherungsbericht heraus, der ihm argumentativ zu seiner
neoliberalen Argumentation passt. Ehrlicher wäre es jedoch, wenn
sowohl die positiven als auch die negativen Abweichungen bei den
Prognosen genannt würden. Es zeigt sich nämlich, dass die
Trefferquote nicht einmal über einen Zeitraum von 5 Jahren besonders
hoch ist, was daran liegt, dass eine Vielzahl von Faktoren die
Rentenentwicklung bestimmen. Bereits ein
Vergleich der tatsächlichen mit der prognostizierten
Beitragssatzentwicklung, die ja oberste Priorität bei der
Rentenpolitik hat, zeigt Abweichungen in beide Richtungen.
Ziel von DOEMENS' Argumentation
ist es, die Debatte um eine Stabilisierung des Rentenniveaus als
überflüssig, zumindest aber als nicht so dringend hinzustellen.
Diese Taktik steht im Einklang mit dem sich abzeichnenden Scheiterns
des Koalitionsgipfels in Sachen Rentenreformen.
CREUTZBURG,
Dietrich (2016): Das Rentenniveau steigt an.
Standardrente erreicht 48 Prozent
des Durchschnittslohns,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.11.
Im
Gegensatz zu Karl DOEMENS merkt Dietrich CREUTZBURG wenigstens
an, dass bereits der Rentenversicherungsbericht 2015 einen Anstieg
prognostiziert hat.
"Erst in der zweiten Hälfte des
nächsten Jahrzehnts werden die sogenannten Dämpfungsfaktoren in
der Rentenformel für einen langsamen Rückgang sorgen",
erklärt uns CREUTZBURG, während
DOEMENS das Rentenniveau bereits 2021 im Sinkflug sieht.
BEEGER, Britta & Dietrich CREUTZBURG
(2016): Selbständige sollen mehr fürs Alter vorsorgen.
500.000 Unternehmer sind nicht
genügend abgesichert,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.
BEEGER & CREUTZBURG zitieren Prognosen des "amtlichen
Schätzerkreises", verschweigen uns jedoch, dass diese dem Vortrag
Das Rentenniveau – Bedeutung und Relevanz für das System der
gesetzlichen Rentenversicherung von Alexander GUNKEL, dem
Arbeitgebervertreter bei der Deutschen Rentenversicherung, entnommen
sind, den dieser auf einem Presseseminar hielt. Darin heißt es:
"Nach den jüngsten Berechnungen
des gemeinsamen Schätzerkreises von Deutscher Rentenversicherung
Bund und Bundessozialministerium wird sich bei unveränderter
Rechtslage das Netto-Rentenniveau vor Steuern von derzeit 48,0
Prozent auf 41,7 Prozent im Jahr 2045 reduzieren. Der Beitragssatz
zur Rentenversicherung würde nach dieser Rechnung auf 23,6 Prozent
steigen.
Eine Stabilisierung des Netto-Rentenniveaus vor Steuern auf dem
Niveau von 48,0 Prozent hätte – unter sonst gleichen Annahmen –
eine Erhöhung des Beitragssatzes bis auf 26,9 Prozent im Jahr 2045
zur Folge."
Weil also GUNKEL lediglich eine
Einfrierung auf dem jetzigen Niveau nennt, erklären uns BEEGER &
CREUTZBURG dies zum Ziel der Gewerkschaften. Tatsächlich soll das
Rentenniveau weiter angehoben und nicht nur eingefroren werden.
RAMTHUN, Christian & Max HAERDER
(2016): Zwei Prozent mehr Rente.
Der Aufschlag soll im nächsten Jahr
weitaus geringer ausfallen als zuvor,
in:
Wirtschaftswoche Nr.47
v. 11.11.
Die Wirtschaftswoche, die
eifrig am Feindbild Andrea NAHLES gearbeitet hat und schon die Prognosen
zur Entwicklung des Rentenniveaus bei unter 40 Prozent wähnte,
rudert nun kräftig zurück und verkündet uns die frohe neoliberale
Botschaft:
"Den deutschen Rentnern
insgesamt droht keinesfalls eine massenhafte Verarmung."
Die Stärkung der Kapitaldeckung wird in Stellung gebracht gegen eine
Stabilisierung des Rentenniveaus. Angeblich sei das billiger - ganz
sicher kommt es jedoch den Profitinteressen der Finanzdienstleister
entgegen.
CREUTZBURG, Dietrich
(2016): Rente macht unsicher.
Kommentar,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.11.
Dietrich CREUTZBURG knöpft sich das einhellige
Feindbild unserer neoliberalen Mainstreamjournalisten vor: das
Rentenniveau. Er hält die Debatte anlässlich der Prognosen eigentlich
für überflüssig, aber der Ruf der Alterssicherung sei beschädigt. Was
wohl heißen soll, dass die Eigendynamik der Debatte nicht mehr zu
stoppen sei.
GEYER, Johannes & Peter HAAN
(2016): Länger arbeiten.
Forum: Das kann nur mit einem
wirksamem Schutz vor Altersarmut funktionieren
in:
Süddeutsche Zeitung v. 14.11.
Wie bei der FAS wird auch von GEYER & HAAN
verschwiegen, dass eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die
Lebenserwartung
nur in
Verbindung mit einer Neudefinition der Standardrente (Anpassung der
Beitragsjahre an die Regelaltersgrenze) das Rentenniveau auf
niedrigem Niveau (43 Prozent) "stabilisieren" würde.
STEFFEN, Johannes (2016): Das »dynamisierte« Sicherungsniveau.
Kommt Schummelsoftware jetzt auch
bei der Rente zum Einsatz?
in:
sozialpolitik-portal.de v. 15.11.
IWD (2016): Rente realistisch
gerechnet.
Rentenniveau: Ein Jahr vor der
Bundestagswahl scheint klar, dass die Rente wohl das alles
beherrschende Wahlkampfthema sein wird. Deshalb wird die
Bundesregierung nicht müde, den Bundesbürgern zu vermitteln, dass das
gesetzliche Rentenniveau bis 2030 nicht unter 43 Prozent sinkt. Aller
Voraussicht nach wird das tatsächlich nicht geschehen - erst recht
wenn man berücksichtigt, dass die Menschen künftig länger arbeiten,
in: iwd Nr.34
v. 17.11.
Was bislang nur von Neoliberalen
gefordert wird, aber in amtlichen Rentenversicherungsberichten noch
nicht umgesetzt wurde, nämlich die Definition des Eckrentners gemäß
der Verschiebung des Renteneintrittsalters, das hat das
Lobbyinstitut der Arbeitgeber nun zur Grundlage von Berechnungen des
Rentenniveaus gemacht. Eine solche Neudefinition wäre identisch mit
einer Rentenkürzung, was uns der Beitrag aber verschweigt. Hier geht
es erst einmal nur darum, Akzeptanz für die Neudefinition zu
schaffen, indem die Vorteile aufgezeigt werden, nämlich ein höheres
Rentenniveau ohne dass dazu Beitragserhöhungen notwendig wären. Die
Folgen einer Neudefinition für die Rentenformel bleiben außen vor,
denn wenn das Durchschnittseinkommen erst mit 47 statt mit 45
Versicherungsjahren erreicht wird, bedeutet dies ein niedrigeres
Rentenniveau nach nur 45 Jahren.
So suggeriert eine Tabelle, dass
wird 2029 nach 45 Jahren 1.824 Euro zu erwarten hätten. Dies
entspräche nach 47 Jahren einer Rente von 1.905 Jahren. Das IW Köln legt
also nahe, dass wir durch eine zwei Jahre längere Arbeitszeit eine
um monatlich 81 Euro höhere Rente erhalten würden.
Dies stimmt jedoch nur, wenn die
Rentenformel nicht angepasst wird. Dies ist aber das Ziel. In diesem
Fall würden wir dann die 1.824 Euro nicht bereits nach 45, sondern
erst nach 47 Jahren erreichen. Die 81 Euro, die den Arbeitnehmern
vorenthalten werden, könnten die Arbeitgeber als Gewinn für sich
buchen. Dies ist keineswegs abwegig, denn der Ökonom Axel
BÖRSCH-SUPAN hat mit Mitarbeitern schon im August solche
Berechnungen mit einer Änderung der Rentenformel im Zusammenhang
einer Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung
angestellt (mehr auch
hier). Ein Eingriff in die Rentenformel ist für Neoliberale kein
Tabu, wenn es denn weitere Kosten spart.
IWD (2016): Eines ist sicher:
steigende Beiträge.
Rente: Aufgrund des demografischen
Wandels müssen die Beitragszahler in Zukunft selbst dann höhere Lasten
schultern, wenn das Rentenniveau sinkt. Ein konstantes oder gar
höheres Rentenniveau würde den Beitragszahlern zusätzliche Kosten
aufbürden,
in: iwd Nr.34
v. 17.11.
Auch diese Berechnung des IW Köln spiegeln nur die Interessen der
Arbeitgeber und der Spitzenverdiener, aber nicht jene der
Schlechterverdiener wider, weil er das Kosten-Nutzenverhältnis
verschleiert. Zum einen werden die Eurobeträge pro Jahr statt pro
Monat angegeben. Zudem wird so getan, als ob mit dem heutigen
Einkommen, das gleich bleibt, ein immer höherer Betrag gezahlt werden,
weil das Einkommen nicht wie im vorigen Beitrag bis 2029 hochgerechnet
wurde. Dadurch erscheinen die Kosten untragbar, obwohl dies nicht der
Fall ist. Solche Darstellungstricks hat der Statistikprofessor Gerd
BOSBACH mit einem Ko-Autor in dem Buch Lügen mit Zahlen
aufgelistet.
ÖCHSNER, Thomas (2016): 47 statt 45.
Wie viele Jahre arbeitet ein
Durchschnittsmensch bis zur Rente?
in:
Süddeutsche Zeitung v. 17.11.
RETZLOFF, Arne (2016): Ein
Stück vom Kuchen.
Das Lügenspiel der
Ergo-Versicherungsgruppe - eine Innenansicht,
in:
Neues Deutschland v. 18.11.
Uns wird erzählt, dass das Rentenniveau in Zukunft bei 40 Prozent
liegen wird - und das nutzt in erster Linie den Profitinteressen von
Versicherungen und Banken, die bekanntlich über zu geringe Profite
jammern.
PETER, Tobias
(2016): Die
SPD-Kraftbrühe für 2017.
Ein gewichtiges Impulspapier soll
Grundlage des nächsten Wahlprogramms werden,
in: Frankfurter
Rundschau v. 23.11.
Punkt 1.5 Alterssicherung
(S.15f.) des Positionspapiers
Fortschritt und Gerechtigkeit - Chancen für alle der
SPD-Programmkommission,
der von Tobias PETER unerwähnt bleibt, gibt einen Einblick in das
Schwafelpapier, das zur Rente nichts Konkretes zu bieten hat:
"Die gesetzliche
Rentenversicherung steht gegenwärtig gut da. Die Reformen der
vergangenen Jahre wirken, die Erwerbsbeteiligung ist so hoch wie
nie zuvor, auch gestützt durch eine gute Konjunktur. Der
Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung bleibt bis 2020
stabil. Gleichzeitig steigen die Renten, auch dank des
Mindestlohns, spürbar. 2016 gab es die größten Rentenerhöhungen
seit 23 Jahren. Auf längere Sicht steht die Alterssicherung in
Deutschland vor großen Herausforderungen: Das Rentenniveau muss
stabilisiert werden. Wir wollen, dass die Menschen auch nach dem
Jahr 2020 in die gesetzliche Rentenversicherung vertrauen können.
Dafür muss gelten: Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, verdient
eine angemessene Rente, ohne auf eine Grundsicherung angewiesen zu
sein. Arbeitsleistung muss sich in der Rente widerspiegeln!
Unterschiedliche Erwerbsphasen und Erwerbsformen müssen anerkannt
und abgesichert werden. Und wir müssen die Rente bei
Erwerbsminderung stärken. Die Übergänge von der Erwerbstätigkeit
in den Ruhestand müssen an die Lebenswirklichkeit angepasst
werden. Veränderte Erwerbsverläufe verlangen mehr flexible,
individuelle Übergänge. Viele Menschen leben und arbeiten in der
heutigen Zeit vielfältiger und selbstbestimmter. Dies bringt mehr
Risiken für die soziale Absicherung mit sich. Das Rentensystem
muss dies berücksichtigen, damit Menschen auch im Alter ihren
Lebensstandard sichern können und vor Armut geschützt sind.
Deshalb muss jede Erwerbstätigkeit auch zu einer Absicherung für
das Alter beitragen. Um den Herausforderungen zu begegnen, müssen
wir auch die weiteren Säulen der Alterssicherung stärken. Bei
Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen sowie in nicht
tarifgebundenen Unternehmen gibt es Lücken bei der betrieblichen
Altersvorsorge. Diese wollen wir schließen. Für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer mit kleinen Einkommen soll es einfacher werden,
betrieblich für das Alter vorzusorgen. Die SPD hält es für
erforderlich, die steuerlich geförderte private Altersvorsorge neu
zu ordnen."
Nach diesem Papier könnte man den
Eindruck gewinnen, dass das Betriebsrentenstärkungsgesetz für diese
Legislaturperiode auf Eis gelegt wurde. Oder hat der
Programmkommission keiner mitgeteilt wie es derzeit in unserer Welt
aussieht? Auf Seite 68 findet sich unter Punkt 7 Zeit für eine
gerechte Rente und soziale Sicherheit im Alter folgendes:
"Die gesetzliche
Rentenversicherung steht gegenwärtig gut da. Darauf können wir
aufbauen. Wir wollen das Rentenniveau stabilisieren und die Rente
zukunftsfest machen. Wir wollen die Erwerbsminderungsrentner
besser stellen. Und eine Mindestrente einführen für Menschen, die
über vier Jahrzehnte lang Vollzeit gearbeitet haben. Bisher nicht
versicherte Erwerbstätige wie Solo-Selbstständige wollen wir
besser absichern."
Wenn das Wahlprogramm der SPD ein
Kondensat dieses Geschwafels sein soll, was bitte bleibt dann noch
zum Thema Alterssicherung übrig? Ein Mitglied der Programmposition
ist Thomas OPPERMANN und der ist bekanntlich gegen die Rente als
Wahlkampfthema!
taz-Schwerpunkt:
Renten - Sozialministerin Andrea Nahles will noch im November ein
neues Konzept erstellen. Wichtigste Vorgabe: Viel kosten darf es
nicht |
DRIBBUSCH, Barbara
(2016): Basteln
an den Renten der Zukunft.
Vorschläge: Von einem Konzept in
der Rentenpolitik ist die Große Koalition nach wie vor weit entfernt,
in:
TAZ v. 24.11.
Barbara DRIBBUSCH stellt
uns die Kritik an einer Besserstellung von Geringverdienern im
Rentensystem vor. In dieser Hinsicht trifft sich DRIBBUSCH mit dem
Welt-Journalisten Thomas VIZTHUM:
"solche Aufstockung könnte neue
gefühlte Ungerechtigkeiten produzieren, etwa wenn
TeilzeitarbeiterInnen mit der Aufstockung das gleiche Altersgeld
bekämen wie Vollzeitarbeiterinnen. Auch Ehefrauen, die wenig
gearbeitet haben, könnten von der Ergänzung profitieren, selbst wenn
das Paareinkommen im Alter hoch ist",
erklärt uns DRIBBUSCH. VITZHUM
bringt für das Beispiel Ehefrau die Zahnarztgattin, die in der Praxis
des Ehemanns aushilft, wobei man sich hier fragen muss, wie viel
Promille dies in Deutschland betrifft.
2015 gab es gerade einmal 39.980 männliche Zahnärzte. Wie viele
davon mit einer Zahnarzthelferin auch noch verheiratet sind, das ist
unbekannt. Jedenfalls dürfte der Anteil von Spitzenverdienern, die
eine Geringverdienerin geheiratet haben, äußerst gering sein - aber
Neid interessiert sich bekanntlich nicht für Statistiken.
Die Entwicklung des Rentenniveaus und des Beitragssatzes nach 2030 ist
für DRIBBUSCH die wichtigste Gerechtigkeitsfrage, die jedoch einer
Rentenkommission übertragen werden soll.
BMAS (2016): Gesamtkonzept zur Alterssicherung.
Bundesministerin Andrea Nahles hat
heute ihr Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorgestellt,
in:
Pressemitteilung des Bundesministerium für Arbeit und Soziales
v. 25.11.
Zum Konzept der doppelten
Haltelinie wird im
Gesamtkonzept zur Alterssicherung folgendes ausgeführt:
"In Orientierung an den Anfang
der 2000er Jahre gefundenen Kompromiss, in Anbetracht der sehr
guten Lage am Arbeitsmarkt, einem ausgeglichenen Bundeshaushalt
und einem robusten Wirtschaftswachstum sowie unter
Berücksichtigung der Maßnahmen zur Steigerung der Verbreitung der
zusätzlichen Altersvorsorge erscheint das Festhalten an einem
Niveau in Höhe von 46 % als untere Haltelinie konsensfähig. Damit
wird an dem schon heute gesetzlich formulierten Ziel, dieses
Niveau auch über das Jahr 2020 hinaus anzustreben, langfristig
festgehalten.
Im Vergleich zu einem Niveau nach geltendem Recht von 44,5 % im
Jahr 2030 und von 41,7 % im Jahr 2045 würde diese Niveauanhebung
die monatliche Bruttostandardrente im Jahr 2030 um 46 Euro und im
Jahr 2045 um 141 Euro (jeweils in heutigen Werten) erhöhen.
Es muss eine doppelte Haltelinie gelten. Für den Beitragssatz wird
an der Obergrenze von 22 % bis zum Jahr 2030 festgehalten und eine
Haltelinie von 25 % bis zum Jahr 2045 empfohlen.
Um die Haltelinien realisieren zu können, muss die Beteiligung des
Bundes - gekoppelt an die besonderen demografischen
Herausforderungen - höher ausfallen. Hierfür sollte ein
Demografiezuschuss des Bundes eingeführt werden, der in Relation
zu den Rentenausgaben bestimmt wird. Unter Berücksichtigung der
Maßnahmen des Konzepts beträgt der Demografiezuschuss ab dem Jahr
2030 1,5 % und ab dem Jahr 2040 2,5 % der Rentenausgaben. In
heutigen Werten entspricht dies 4,2 Mrd. Euro im Jahr 2030 und 7,8
Mrd. Euro im Jahr 2045."
(2016, S.29)
Bei den Kostenannahmen geht die
Modellrechnung von folgenden Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung
aus:
"Die Modellannahmen zur
Bevölkerungsentwicklung orientieren sich an der 13. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes
(Variante 2). Da diese auf dem Stand 31. Dezember 2013 beruht und
inzwischen überholt ist, wird die Berechnung auf dem zuletzt
veröffentlichten Bevölkerungsstand (31. Dezember 2015) aufgesetzt
sowie die verfügbaren tatsächlichen Wanderungssalden, Sterbezahlen
und Geburtenziffern der letzten Jahre berücksichtigt. Die mittlere
fernere Lebenserwartung von 65-jährigen Frauen wird bis zum Jahr
2045 auf 87,2 Jahre ansteigen. Bei Männern wird ein Anstieg auf
82,8 Jahre erwartet. Die Wanderungssalden berücksichtigen die
zuletzt hohe Zuwanderung, langfristig wird von einer jährlichen
Nettozuwanderung von 200.000 Personen ausgegangen. Entsprechend
den Annahmen der amtlichen Vorausberechnung wird bei der
Fertilität eine zusammengefasste Geburtenziffer von 1,4 Kindern
pro Frau im gebärfähigen Alter unterstellt."
Die Geburtenziffer beträgt heute
bereits 1,5 Kinder pro Frau, weshalb die Annahmen zur Zahl der
Erwerbsfähigen zum Ende des Zeitraums unterschätzt wird. Auch bei
der Lebenserwartung sind Zweifel angebracht, weil bereits heute das
Renteneintrittsalter bei 67 und nicht bei 65 Jahren liegt. Ganz
ungewiss sind dagegen die Wanderungssalden und ihre Bedeutung für
den Arbeitsmarkt.
STEFFEN, Tilman (2016): "Dieses Rentenkonzept ist ein großer
Stimmenkauf".
Interview: Durch Steuergeld will
Arbeitsministerin Nahles das Rentenniveau hoch, die Beiträge niedrig
halten. Das geht zulasten der Jungen, kritisiert der Ökonom Marcel
Fratzscher,
in:
ZEIT Online v. 25.11.
DRIBBUSCH, Barbara
(2016): Ein Soli für die Rente.
Alter: Der "Rentengipfel" bringt
nicht viel, aber Arbeitsministerin Nahles (SPD) hat einen Plan,
in:
TAZ v. 26.11.
Barbara
DRIBBUSCH betont, dass die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 46
Prozent eine Botschaft an die
"heute jungen Beitragszahler
(war), die um ihr Ruhegeld in einigen Jahrzehnten bangen".
Diese seien durch
Forschungsinstitute aufgeschreckt worden, die eine sich immer weiter
öffnende "Schere zwischen Beiträgen und zu erwartendem Rentenniveau
bis in 30 Jahren".
BEEGER, Britta
(2016): Munition für den
Rentenwahlkampf.
Sinnvoll oder Harakiri? Union und
SPD haben sich geeinigt, die Osten-Reten anzugleichen und
Erwerbsgeminderte besserzustellen. Doch Streitthemen bleiben,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung
v. 26.11.
Britta BEEGER stellt das
Gesamtkonzept zur Alterssicherung von Andrea NAHLES vor und merkt
an, wo es im Koalitionsausschuss keine Einigung gab. Das geht nicht
ganz objektiv, sondern ist interessengeleitet, besonders bei dem
FAZ-Hassthema Rentenniveau, während das
Konzept von NAHLES Haltelinien bei 46 % (Rentenniveau) und 25
Prozent (Beitragssatz) vorsieht, wird bei BEEGER daraus:
"Das Ziel sei ein Wert von 48
Prozent und ein Beitragssatz von maximal 24 Prozent."
Das aber ist unverbindliche
Schönwetterabsichtserklärung.
ÖCHSNER, Thomas (2016): Wer soll das bezahlen?
Kommentar,
in: Süddeutsche
Zeitung
v. 26.11.
Kritik hagelt es für eine
Stabilisierung des Rentenniveaus bei 46 Prozent:
"Man kann darüber reden, die
gesetzliche Haltelinie von mindestens 43 Prozent des
Durchschnittslohns über 2030 hinaus zu stabilisieren. Die 46
Prozent, die Nahles anpeilt, werden jedoch viel zu teuer."
SIEMS, Dorothea (2016): Nahles opfert mit ihrer Reform die Jungen.
Mit ihrem lang angekündigten
Gesamtkonzept zur Alterssicherung eröffnet die Ministerin den
Renten-Wahlkampf. Ökonomen sind entsetzt,
in: Welt
v. 26.11.
Der
CDU-Abgeordnete Peter WEIß wird uns als "Vorsitzende(r) der
Arbeitnehmergruppe der Union" verkauft. Der katholische
Kirchenfunktionär wird als Kritiker von NAHLES' Haltelinie
vereinnahmt. Der äußerte sich in der
heutigen Ausgabe der Badischen Zeitung folgendermaßen:
"BZ: (...). Ministerin Nahles
wollte eine Haltelinie beim Rentenniveau, worauf sich der Gipfel
nicht einigte. Weiß: Ich werfe da die Flinte nicht ins Korn.
Aktuell und in den nächsten Jahren haben wir beim Niveau überhaupt
kein Problem. Dank der guten Konjunktur und der guten Lage am
Arbeitsmarkt sinkt das Niveau nicht, es steigt eher. Richtig ist
aber auch, dass junge Leute, die heute ins Berufsleben starten,
wissen wollen, wie es nach 2030 um das Niveau steht. Diese
Information ist für sie fraglos wichtig, um überhaupt abschätzen
zu können, was jemand zusätzlich an privater oder betrieblicher
Vorsorge für später machen muss. Wir sollten die Niveaufrage in
aller Ruhe besprechen und eine Kommission beauftragen, bis, sagen
wir, 2018 oder 2019 die Lage gründlich zu analysieren und konkrete
Vorschläge zu machen."
WALKER, Bernhard (2016): CDU-Sozialexperte Peter Weiß über die
Ergebnisse des schwarz-roten Rentengipfel.
BZ-Interview,
in: Badische
Zeitung
v. 26.11.
DECKER, Markus
(2016): "Es ist nicht in
Ordnung, dass es bis 2025 dauert".
Der Chef der Thüringer
Staatskanzlei, Benjamin Hoff (Linke), kritisiert die rentenpolitischen
Beschlüsse der großen Koalition,
in: Frankfurter
Rundschau v. 26.11.
Benjamin HOFF von der Linkspartei ist eine Mindestrente von 1.050 Euro
wichtiger als die Stabilisierung des Rentenniveaus.
BEEGER, Britta
(2016): Seehofer kritisiert
Rentenpläne.
Beitragserhöhung wäre "Gift für den
Arbeitsmarkt",
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung
v. 28.11.
Horst SEEHOFER und Sigmar GABRIEL
haben viel gemeinsam: Wenn es um Sozialpolitik geht, dann sind
180-Grad-Kehrtwenden kein Problem:
"Seehofers Kritik erstaunt,
weil er selbst im Frühjahr die Debatte um ein höheres Rentenniveau
erst angestoßen hatte."
Das ist ein Vorgeschmack auf den
kommenden Rentenwahlkampf. Die Wahlprogramme werden das Papier nicht
wert sein, auf dem sie geschrieben sind.
BEEGER will uns weismachen, dass
die Gewerkschaften sich widersprechen würden, obwohl sie Annelie
BUNTENBACH nur die kurzfristige Stabilisierung des Rentenniveaus
zuschreibt, während sie Reiner HOFFMANN die langfristige
Rentenniveausteigerung andichtet. In Wirklichkeit betonen beide also
nur unterschiedliche Phasen der geplanten Rentenniveauentwicklung.
THELEN, Peter
(2016): Nahles' neue
Balance.
Kommentar zum Generationenvertrag:
Das Rentenkonzept der Arbeitsministerin geht nicht einseitig zulasten
der Jungen,
in:
Handelsblatt v. 28.11.
Peter THELEN verteidigt die von
Andrea NAHLES vorgeschlagene Stabilisierung des Rentenniveaus bei 46
Prozent, denn es gehe darum eine Legitimationskrise abzuwenden:
"Genau das will Nahles mit
ihrem maßvollen Konzept (...). Den Jungen verspricht sie damit für
ihre steigenden Beiträge mehr Gegenleistung. Sie justiert also den
Generationenvertrag zugunsten der aktiven Generation neu. Auch
deshalb ist unverständlich, dass die Union dabei nicht mitmachen
will. Sie riskiert damit einen Rentenwahlkampf."
Nicht aus Menschenfreundlichkeit,
sondern lediglich aus Wahlkampfgründen plädiert nun THELEN für ein
Rentenniveau bei 46 Prozent. Noch
Mitte
September sollte NAHLES das Rentenniveau bei 40 Prozent
stabilisieren:
"Noch hat sich Nahles (...)
nicht festgelegt, wo sie ihre Haltelinie ziehen will. Sie wäre gut
beraten, das in der Nähe der Prozentzahl zu tun, bei der das
Niveau bis 2060 nach Schätzungen ohnehin landen dürfte: etwa 40
Prozent.".
Fazit: Wer innerhalb von nur zwei
Monaten solche Kehrtwendungen vollzieht, den kann man nicht mehr
ernst nehmen.
EUBEL, Cordula & Stephan HASELBERGER
(2016): "Digitale Revolution kommt schneller,
als vielen klar ist".
Ministerin Nahles über neue
Herausforderungen in der Arbeitswelt und ihr Rentenkonzept,
in:
Tagesspiegel v. 28.11.
Andrea NAHLES propagiert das
"persönliche Erwerbstätigenkonto". Auf die Frage, ob die
Fortschreibung der Untergrenze des Rentenniveaus von 43 Prozent über
2030 hinaus, nicht genügen würde, antwortet sie:
"Als die Absenkung des
Rentenniveaus beschlossen wurde, ging man davon aus, dass alle
auch privat vorsorgen werden. Das ist nicht der Fall. Wir müssen
deshalb die gesetzliche Rente als zentrale Säule der
Altersversorgung stabilisieren."
SOMMERFELDT, Nando & Holger ZSCHÄPITZ (2016): 71 lautet die Lösung.
Eine Analyse offenbart: Das
Rentensystem kann nur funktionieren, wenn die Deutschen deutlich
später in den Ruhestand gehen,
in: Welt
v. 29.11.
SOMMERFELDT & ZSCHÄPITZ hofieren heute den
neoliberalen Ökonom Lars FELD mit einer
angeblichen Schockprognose.
Dass diese "Schockprognose"
Ende Mai
auch von
SOMMERFELDT &
ZSCHÄPITZ verbreitet wurde, verschweigen sie uns lieber. Die Autorin
dieser angeblichen Schockprognose unter der Fragestellung
Wie lange arbeiten für ein stabiles Rentenniveau?, Susanne
KOCHSKÄMPER, hat auf nur 3 Seiten ihre "Berechnungen" hingerotzt, die
auf der Annahme beruhen, dass eine Stabilisierung des Rentenniveaus
auf dem heutigen Stand, ein Renteneintrittsalter ab 2041 von 73 Jahren
voraussetze. Berechnungen hat KOCHSKÄMPER aber gar nicht angestellt,
sondern es handelt sich lediglich um ein "Gedankenexperiment", das zur
"Kurzstudie" aufgeblasen wurde. Je mehr Schock, desto mehr Medien
stürzen sich auf solche scheinwissenschaftlichen Texte. Dann spielt
offenbar keine Rolle mehr, wie realistisch das ist.
Auffällig ist nur eines: Solche
Schockprognosen werden uns immer nur dann präsentiert, wenn es um
die Stabilisierung des Rentenniveaus geht. Das ist auch hier der
Fall:
"Feld hat in seiner Studie auch
durchgerechnet, welche fiskalischen Folgen es hätte, sollte sich
Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles mit ihrer Idee
durchsetzen, das Rentenniveau bei 46 Prozent stabil zu halten. In
diesem Fall würde der Beitragssatz auf weit über 25 Prozent
steigen. Der Bundeszuschuss, der heute noch bei rund drei Prozent
der Wirtschaftsleistung liegt, würde dann gen fünf Prozent
streben",
zitieren die Autoren. Was aber
heißt "weit über 25 Prozent" - offenbar nicht weit genug, denn sonst
hätten sie uns ja die Prozentzahl bestimmt genannt, oder? Das käme
dann NAHLES' Gesamtkonzept wohl sehr nahe. Wo also ist das Problem?
BMAS (2016): Rentenversicherungs- und Alterssicherungsbericht 2016.
Arbeiten 4.0: Arbeitsministerin
Andrea Nahles will, dass die Tarifparteien die Digitalisierung
gestalten,
in:
Pressemitteilung Bundesministerium für Arbeit und Soziales v.
30.11.
SOZIALBEIRAT (2016): Gutachten des Sozialbeirats zum
Rentenversicherungsbericht 2016 und zum Alterssicherungsbericht 2016,
in: sozialbeirat.de
v. 30.11.
LEITLOFF, Julian (2016): Immer auf uns Junge.
Gastkommentar,
in:
Welt v. 01.12.
Julian LEITLOFF,
Mitbegründer der Initiative Unsere Zeit,
kritisiert die geplante Stabilisierung des Rentenniveaus bei 46
Prozent als "Stabilisierung auf einem historisch niedrigen Niveau"
Die Generation Y, als deren
Fürsprecher sich LEITLOFF versteht, wird zur "Generation Krise"
stilisiert. Die Website der Initiative vertritt den Wunschtraum
unserer kreativen Klasse: das
bedingungslose Grundeinkommen.
ÖCHSNER, Thomas (2016): Zehn Wahrheiten über die Rente.
Wie lange müssen die Deutschen
künftig arbeiten? Reicht die Alterssicherung? Ist alles gar nicht so
dramatisch, sagen die einen. Die Rente wird ein großes Problem, sagen
die anderen. Die wichtigsten Fakten und Folgen,
in: Süddeutsche
Zeitung
v. 03.12.
Thomas ÖCHSNER behauptet dreist,
dass eine Kopplung des Renteneintrittsalters ein Garant dafür sei,
dass ein Rentenniveau von 46 Prozent nicht unterschritten werden.
Unter Punkt 9 heißt : Die Deutschen müssen länger arbeiten. Dazu
werden uns neue Märchen aufgetischt:
"Das Rentenniveau würde nicht
unter 42 Prozent sinken. So könnte man - ohne zusätzliche
Steuermilliarden - das Rentenniveau auf 46 Prozent halten."
Die einzige aktuelle Berechnung
zu einer Kopplung stammt von Axel BÖRSCH-SUPAN u.a. Nur bei einem
sehr optimistischen und voraussetzungsreichen Szenario, würde das
Rentenniveau nicht unter 42 Prozent sinken. Wahrscheinlicher ist
jedoch, dass dazu eine permanente Neudefinition des Standardrentners
vonnöten ist. Dies ist gleichbedeutend mit einer impliziten
Rentenkürzung, denn bei einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren,
müssten auch 47 statt 45 Beitragsjahre erreicht werden. Die Kluft
zwischen Arm und Reich würde damit noch größer werden. Dies wird uns
von ÖCHSNER wohlweislich verschwiegen.
DAS PARLAMENT-Themenausgabe:
Rentenpolitik im Visier.
Streit um Niveau der Altersversorgung |
HEINE, Claudia (2016): Rauf statt runter.
Rente: Fraktionen streiten über das
Für und Wider eines stabilisierten Niveaus der Alterssicherung,
in:
Das Parlament Nr.49-50 v. 05.12.
Claudia HEINE berichtet über
einen Antrag der Linkspartei zur Rentenreform:
"Die
Linke (legte) vergangene Woche einen Antrag (18/10471)
vor, über den der Bundestag in der vergangenen Woche erstmals
beraten hat. Darin fordert die Fraktion, das Rentenniveau der
gesetzlichen Rente auf 53 Prozent anzuheben, die Deckelung des
Beitragssatzes aufzuheben und die Dämpfungsfaktoren
(Riester-Faktor und Nachhaltigkeitsfaktor) in der
Rentenanpassungsformel zu streichen. Allerdings besteht auch bei
diesem Antrag wenig Aussicht auf Erfolg, denn einen fast
gleichlautenden, aber älteren Linken-Antrag (18/6878)
fand sowohl bei Union und SPD, als auch bei Bündnis 90/Die Grünen
keine Sympathien und wurde im Anschluss an die Debatte mit deren
Stimmen abgelehnt."
Zum Betriebsrentenstärkungsgesetz
wird uns die schönfärberische Position des CDU-Bundstagsabgeordneten
Peter WEIß präsentiert:
"Die Zurückhaltung der Union in
Sachen Rentenniveau machte Peter Weiß wieder wett, indem er »eine
echte Revolution des deutschen Sozialrechts« ankündigte. Gemeint
ist damit die Reform des Betriebsrentengesetzes. Rund 57 Prozent
der Arbeitnehmer haben eine betriebliche Altersvorsorge - und dies
vor allem in größeren Unternehmen und im öffentlichen Dienst. Noch
im Dezember will sich das Bundeskabinett mit dem Gesetzentwurf
befassen, um den Kreis der Versicherten zu erweitern. Demnach ist
geplant, Betriebsrentenansprüche von mindestens 100 bis maximal
200 Euro nicht mehr auf die Grundsicherung im Alter anzurechnen.
Außerdem soll es für Geringverdiener eine jährliche Förderung
dieser Zusatzversorgung in Höhe von 480 Euro geben. »Das ist ein
starkes Zeichen an die Arbeitnehmer. Wer wenig verdient, der
bekommt von uns eine zusätzliche Hilfe«, betonte Weiß."
Man kann es auch anders sehen:
Geringverdiener werden auf die Kapitalmärkte verwiesen, um die
Profite der Finanzdienstleister zu stärken. Außerdem findet aufgrund
der Anrechnung auf die Grundsicherung im Alter und durch die
geringere Lebenserwartung von Geringverdienern eine Umverteilung von
unten nach oben statt.
HEINE, Claudia (2016): "Das ist keine Lösung".
Matthias W. Birkwald: Die
Rentenpläne der Koalition schützen nicht vor Armut, kritisiert der
Rentenexperte der Linken,
in:
Das Parlament Nr.49-50 v. 05.12.
Erst bei einem Rentenniveau von 53 Prozent ist für Martin W. BIRKWALD
die Rente lebensstandarderhaltend. Dann könnte die Riester-Rente
entfallen und die Beiträge wären für Arbeitnehmer sogar geringer.
Lediglich die Arbeitgeber hätten dadurch geringere Profite zu
erwarten.
KRUMP, Hans (2016): Der Wirtschaftswissenschaftler: Kai Whittaker.
Parlamentarisches Profil: "Bei den
Rentenbeschlüssen profitieren auch Jüngere, etwa bei den
Betriebsrenten",
in:
Das Parlament Nr.49-50 v. 05.12.
Der CDU-Haushaltspolitiker
Kai WHITTAKER, Jahrgang 1985, ist gegen ein
Mindestrentenniveau von 46 Prozent, weil das angeblich die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gefährde.
STURM, Daniel Friedrich (2016): SPD-Linke will Rentenniveau von 50
Prozent.
"Die Riester-Rente ist
gescheitert",
in:
Welt v. 05.12.
Daniel Friedrich STURM hat Vorstellungen von Leni BREYMAIER "badenwürttembergische
SPD-Vorsitzende"), Johanna UEKERMANN ("Juso-Chefin") und Matthias
MIERSCH (Sprecher der Parlamentarischen Linken der
SPD-Bundestagsfraktion) zum Rentenniveau gesammelt.
DRIBBUSCH, Barbara
(2016): Gärtnern statt
Wellnesshotel.
Rentenreform: Für die
Alterssicherung brauchen wir eine gerechte Umverteilung von reichen zu
armen Senioren, nicht von Jung zu Alt,
in: TAZ
v. 06.12.
Barbara DRIBBUSCH erzählt uns
Blödsinn über die gesetzliche Rente:
"Das Problem der gesetzlichen
Rente bleibt das demografische Ungleichgewicht. Wenn es künftig
weniger Jüngere und mehr Ältere gibt, dann kann die
Alterssicherung nicht mehr so stark wie bisher auf einem
Umlageverfahren zwischen Generationen beruhen."
Das Umlageverfahren ist keine
Umverteilung zwischen Generationen, sondern zwischen Altersgruppen,
genauso wie die Kapitaldeckung. Immer muss die mittlere Altersgruppe
der Erwerbstätigen die Noch-Nicht-Erwerbstätigen und die
Nicht-Mehr-Erwerbstätigen mitversorgen. Entscheidend ist also nicht
die Zunahme der Älteren, sondern das Verhältnis von Erwerbstätigen
zu Kindern und Alten. Dieses ist jedoch viel günstiger als noch zu
Zeiten als viele Kinder geboren wurden, von denen zudem viele
starben bevor sie überhaupt gearbeitet haben.
Das Konstrukt Generationenvertrag
ist eine Erfindung derjenigen, die sich aus der sozialen
Verantwortung schleichen wollen. Es hat viel mit Moralismus und
wenig mit den gesellschaftlichen Funktionsprinzipien zu tun.
Außerdem wird uns eine bürgerliche Mittelschichtidylle als Vorbild
präsentiert:
"Die zu Unrecht verachtete
Rentnerkultur früherer Jahrzehnte mit Gärtnern, Stricken, Singen,
Wandern und dem bezahlbaren Vereinsleben bedeutete wenig Konsum,
aber keine soziale Ausgrenzung."
Leider berichtet DRIBBUSCH nicht
darüber wann diese Kultur existiert hat und für wie viele Menschen
dies der Alltag war. Es ist wohl vor allem eines: Wunschbild
derjenigen, die in ihrer Mittelschichtblase leben.
Realistischer dagegen ist das
Szenario ganz am Ende des Artikels: die zunehmende Kluft zwischen
Armen und Reichen im Alter, die unsere Klassengesellschaft seit
Anfang des Jahrtausends kräftig angestoßen hat.
"Jeder um die 60 Jahre kann das
heute schon im Bekanntenkreis erleben - die Kluft zwischen den
künftigen EmpfängerInnen von Minirenten oder Grundsicherung und
den Vermögenden, den Erben, die im eigenen Häuschen wohnen",
meint DRIBBUSCH in ihrer
einfältigen Mittelschichtexistenz. Weder die Oberschicht, noch die
Unterschicht hat solche "Bekanntenkreise", sondern dort verkehrt man
unter Seinesgleichen. Es sind vor allem die Akademikerinnen, die in
einer Vielzahl von Berufen des öffentlichen Dienstes bzw.
Sozialstaats mit dieser Kluft konfrontiert sind.
DRIBBUSCH plädiert für mehr
Steuerfinanzierung, deren Quellen nicht die Einkommenssteuer,
sondern die Vermögens- und Erbschaftssteuer sein sollten.
HOCK, Martin (2016): Nur die Aktie kann die Rente retten.
Deutsches Aktieninstitut fordert
Stärkung der Riester-Rente,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung
v. 07.12.
BOSBACH, Gerd & Hans-Jürgen KORFF (2016): Neue Zahlen: Gesetzliche
Renten seit 2000 dramatisch gesunken – Es ist Zeit zu handeln, Frau
Nahles!
in: nachdenkseiten.de
v. 08.12.
HOFFMANN, Reiner
(2016): 50 Prozent
Rentenniveau als Ziel.
Standpunkt,
in: Frankfurter
Allgemeine Zeitung v. 13.12.
Reiner HOFFMANN begrüßt das
Gesamtkonzept von Andrea NAHLES als richtungweisend, jedoch gehen
die DGB-Forderungen darüber hinaus:
"Wir wollen das Rentenniveau
auf dem heutigen Stand von 48 Prozent stabilisieren. (..). Noch
tiefer, gar auf unter 46 Prozent darf das Rentenniveau nicht
sinken. (...) Wir müssen zum Konsens zurückkehren, dass nach
jahrzehntelanger Beitragszahlung eine Rente stehen muss, die vor
sozialem Abstieg schützt. Deshalb kann ein Rentenniveau von 48
Prozent auch nicht das letzte Wort sein, es muss in einem weiteren
Schritt auf etwa 50 Prozent erhöht werden",
erklärt uns HOFFMANN, der damit
die gesetzliche Rente nicht mehr als "lebensstandardsichernd",
sondern nur noch als Absicherung gegen sozialen Abstieg definiert.
Neben der gesetzlichen Rente soll die Betriebsrente erforderlich
sein:
"Auf dieser Basis ließe sich
eine verlässliche, zukunftsfähige Rentenpolitik gestalten,
inklusive einer guten, breit aufgestellten und vom Arbeitgeber
mitfinanzierten betrieblichen Altersversorgung. Auch daran
arbeiten die Gewerkschaften. (...). (A)ls Gegenleistung gäbe es
für die Älteren eine Rente, die den Lebensstandard sichert, und
auf den Jüngeren würde weniger Druck lasten, die Rentenlücke
privat auffüllen zu müssen."
Die Gewerkschaften sehen die
Lebensstandardsicherung lediglich noch für die jetzige
Rentengeneration gesichert, die Jungen dagegen werden auch von den
Gewerkschaften auf die Kapitaldeckung verwiesen. Eine paritätische
Finanzierung und ein höherer Steuerbeitrag sind für HOFFMANN dafür
unabdingbar.
Ganz zum Schluss erst wird von
HOFFMANN darauf hingewiesen, dass ein höheres Rentenniveau kein
Allheilmittel ist, sondern ein starker Solidarausgleich notwendig
ist. Die Prioritäten liegen also eindeutig auf dem
Äquivalenzprinzip, was wohl auch der Tatsache geschuldet ist, dass
der Beitrag für die FAZ verfasst wurde.
WAGENKNECHT, Sahra (2016): Rettet die Rente!
Gastwirtschaft: Ihr Sinkflug ist
nicht alternativlos,
in: Frankfurter
Rundschau v. 15.12.
Sahra WAGENKNECHT kritisiert den
neoliberalen Armutsbegriff, der sich am Bezug der Grundsicherung im
Alter festmacht:
"Aber kann man aus der
Inanspruchnahme der Grundsicherung so einfach auf die
Bedürftigkeit schließen? Weiß man, wie viele arme Ältere den Gang
zum Sozialamt scheuen, weil sie zu stolz oder einfach zu
gebrechlich sind? Ist man mit einem monatlichen Einkommen von 780
Euro nicht mehr arm, weil man ab Einkünften von 775 Euro keinen
Anspruch auf Grundsicherung im Alter mehr hat?
Nach der gängigen EU-Definition liegt die Armutsschwelle bei 60
Prozent des Durchschnittseinkommens, das waren 2015 rund 1033 Euro
monatlich. Die so definierte Armutsquote ist für Rentner und
Pensionäre seit der Jahrtausendwende von 10,7 auf 15,9 Prozent
gestiegen und nähert sich der Armutsquote für Kinder (19,7 Prozent
im Jahr 2015) immer stärker an."
Für WAGENKNECHT ist das
Alterssicherungssystem in Österreich vorbildlich. Für Deutschland
schlägt sie folgende Maßnahmen zur Rettung der gesetzlichen Rente
vor:
"Indem man den
Niedriglohnsektor austrocknet, das Rentenniveau wieder auf 53
Prozent anhebt, den Arbeitgebern höhere Beiträge abverlangt und
auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rente
einbezieht."