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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Die Stabilisierung des Rentenniveaus  

 
       
   

Scheindebatte, Mittel zur Bekämpfung der Altersarmut oder Mittel zur Akzeptanzsteigerung der gesetzlichen Rente? Eine Bibliografie der Kontroverse um die Bedeutung des Rentenniveaus
(Teil 1)

 
       
     
   
     
 

Einführung

Spätestens seit dem Paradigmenwechsel in der Alterssicherung im Jahr 2001 ist die Entwicklung des Rentenniveaus in den Fokus der Debatte um die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung geraten. Die Debatte um das Rentenniveau ist dabei eng verbunden mit Änderungen an der so genannten Rentenformel, mit denen diverse Eingriffe in die Berechnung der Altersrenten vorgenommen wurden.

Die Entwicklung des Rentenniveaus spielte auch bei der Debatte um die Ausgestaltung der Ostrentenangleichung eine Rolle. Dieser Aspekt wird in der Bibliografie Der lange Weg zum Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz behandelt. Dort befinden sich auch Statistiken zur unterschiedlichen Entwicklung des Rentenniveaus in Ost und West.

Der Beitrag Unsere Zukunft, unsere Rente beschäftigte sich mit den Positionen von Parteien und Interessenorganisationen im Bundestagswahlkampf 2017, bei dem es u.a. auch um die Stabilisierung des Rentenniveaus ging. Im Mittelpunkt stand dabei eine gleichnamige Serie der Süddeutschen Zeitung anhand derer sich die Spannbreite der öffentlichen Debatte in dieser Zeit ablesen lässt.

Die einen betrachten die Senkung des Rentenniveaus als Mittel zur Verhinderung eines Kollaps der Alterssicherung, während die anderen den Abschied von der Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung und den Ausbau der kpaitalgedeckten Altersvorsorge als Weg in die massenhafte Altersarmut betrachten. Die einen argumentieren mit den hohen Kosten eines lebensstandardsichernden Rentenniveaus und fehlender Nachhaltigkeit der Finanzierung. Das Schlagwort dazu heißt Generationengerechtigkeit. Die anderen verweisen auf Akzeptanzprobleme durch das sinkende Rentenniveau und bezweifeln die Unfinanzierbarkeit einer Stabilisierung des Rentenniveaus. Welche Bedeutung jedoch dem Rentenniveau tatsächlich zukommt und inwiefern die Berechnung des Renteniveaus die Tür zu Manipulationen öffnet, das bleibt in der öffentlichen Debatte meist im Dunkeln. Diese Bibliografie soll Licht ins Dunkel der Bedeutung des Rentenniveaus anhand der öffentlichen Debatte bringen.

Die Debatte um das Rentenniveau hat eine grundsätzliche Bedeutung, denn eng damit verbunden ist die Frage wohin sich die gesetzliche Rentenversicherung weiterentwickeln wird. Soll sie nur noch der Grundversorgung im Alter dienen, d.h. eine Art neues Fürsorgesystem werden oder soll sie auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Lebensstandardsicherung im Alter für alle darstellen. Auch vor diesem Hintergrund werden die diversen Beiträge eingeordnet werden müssen.

Übersicht: Die Entwicklung des Rentenniveaus 1990 - 2016

Die Deutsche Rentenversicherung schreibt zum Nettorentenniveau auf ihrer Website:

"(Beim) Nettorentenniveau vor Steuern (...) werden von der Standardrente die darauf entfallenden Sozialabgaben (Kranken- und Pflegeversicherung) abgezogen. Vom Durchschnittsverdienst werden ebenfalls die darauf entfallenden durchschnittlichen Sozialabgaben (Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) sowie zusätzlich der durchschnittliche Aufwand zur zusätzlichen privaten Altersvorsorge abgezogen. Steuern bleiben außer Betracht, da Renten mit Einführung der nachgelagerten Besteuerung seit 2005 nicht mehr einheitlich besteuert werden." (Seitenabruf: 22.06.2018)

Johannes STEFFEN schreibt dagegen zum Sicherungsniveau nach Sozialabgaben:

"Pflichtversicherte Rentner zahlen von ihrer Bruttorente Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV); die Hälfte des auf die Rente entfallenden allgemeinen Beitragssatzes zur GKV trägt die Rentenversicherung. Den Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung tragen die Rentner seit April 2004 alleine. (...) Hierbei sind evtl. auf die Rente entfallende Steuern nicht berücksichtigt; es handelt sich demnach um die Nettostandardrente nach Sozialversicherungsbeiträgen" (Rechengrößen der Sozialversicherung und sonstige Werte – Übersicht und fachliche Erläuterungen, Februar 2018 S.19f.)

Kinderlose zahlen im Gegensatz zu Eltern einen Zuschlag in der sozialen Pflegeversicherung.

Tabelle: Die Entwicklung des Rentenniveaus 1990-2017
Jahr Rentenniveau (nominal) Auswirkungen von Rentenreformen auf das Rentenniveau (ohne Berücksichtigung von Änderungen bei der Berechnung der Rentenanpassungen, z.B. Riester-Faktor)
Bruttorentenniveau Nettorentenniveau
(gemäß R
V 2003)
Nettorentenniveau
vor Steuern
Sicherungsniveau
nach Sozialabgaben
1990 50,2 % 67,6 % 55,0 %    
1991 49,2 % 67,3 % 53,9 %    
1992 48,5 % 67,0 % 53,1 % 55,6 % Rentenreformgesetz 1992: Umstellung von der brutto- auf die nettolohnbezogenen Rente
1993 48,8 % 66,9 % 53,4 % 56,0 %  
1994 49,7 % 69,3 % 54,8 % 57,7 %  
1995 49,2 % 69,9 % 53,9 % 56,8 %  
1996 48,5 % 70,1 % 53,4 % 56,3 %  
1997 48,7 % 71,3 % 54,0 % 57,0 %  
1998 48,5 % 70,8 % 53,6 % 56,7 % Rentenreformgesetz 1999: Einführung des Demografischen Faktors; Mindestnettorentenniveau von 64%. Die Reform trat aufgrund der Abwahl von Helmut KOHL nie in Kraft 
1999 48,4 % 70,3 % 53,3 % 56,4 %  
2000 48,2 % 69,5 % 52,9 % 56,0 %  
2001 48,0 % 68,2 % 52,6 % 55,7 %  
2002 48,3 %   52,9 % 56,1 %  
2003 48,5 %   53,3 % 56,5 %  
2004 48,6 %   53,0 % 56,2 %  
2005 48,3 %   52,6 % 55,8 % RV-Nachhaltigkeitsgesetz: Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors; Mindestnettorentenniveau vor Steuern von 46% bis 2020 und 43% bis 2030
2006 47,8 %   52,2 % 55,3 %  
2007 47,2 %   51,3 % 53,9 %  
2008 46,6 %   50,5 % 52,9 %  
2009 47,6 %   52,0 % 53,8 %  
2010 47,2 %   51,6 % 53,3 %  
2011 46,0 %   50,1 % 52,1 %  
2012 45,4 %   49,4 % 51,4 %  
2013 45,1 %   48,9 % 50,7 %  
2014 44,4 %   48,1 % 49,9 %  
2015 44,1 %   47,7 % 49,5 %  
2016* 44,5 %   48,1 % 49,9 %  
2017       50,1 %  
Quellen: Bruttorentenniveau und Nettorentenniveau vor Steuern = DRV (2017): Rentenversicherung in Zeitreihen, S.258;
* Entwurf Stand 10/20017; Sicherungsniveau (bzw. Nettorentenniveau) nach Sozialversicherungsabgaben: Johannes Steffen (2018) Rechengrößen der Sozialversicherung und sonstige Werte – Übersicht und fachliche Erläuterungen, Februar, S.19f.

Übersicht: Die Entwicklung des Sicherungsniveaus vor Steuern 2015 - 2018
im Vergleich mit den Prognosen der Rentenversicherungsberichte seit 2004

 

Jahr

Sicherungsniveau bzw. Nettorentenniveau vor Steuern gemäß Prognosen der Rentenversicherungsberichte

tatsächliche
Entwicklung
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
2015 47,7 % 47,4% 47,1%
-0,3%
47,2%
+0,1%
47,5%
+0,3%
47,7%
+0,2%
48,1%
+0,4%
48,3%
+0,2%
48,2%
-0,1%
48,3%
+0,1%
48,0%
-0,3%
47,1%
-0,9%
48,0%
+0,9%
2016 48,1 % 47,2% 46,8%
-0,4%
47,2%
+0,4%
47,3%
+0,1%
47,6%
+0,3%
47,6%
±0%
48,1%
+0,5%
48,3%
+0,2%
48,1%
-0,2%
48,3%
+0,2%
47,1%
-1,2%
48,3%
+1,2%
2017   47,2% 46,6%
-0,6%
47,0%
+0,4%
47,2%
+0,2 %
47,4%
+0,2%
47,5%
+0,1%
47,9%
+0,4%
48,1%
+0,2%
47,9%
-0,2%
48,2%
+0,3%
47,3%
-0,9%
48,2%
+0,9%
2018   46,5% 46,4%
-0,1%
46,8%
+0,4%
47,1%
+0,3%
47,4%
+0,3%
47,4%
±0%
47,8%
+0,4%
48,0%
+0,2%)
47,8%
-0,2%
48,3%
+0,5%
47,1%
-1,2%
48,3%
+1,2%
 

 Übersicht: Die Entwicklung des Beitragssatzes 2015 - 2018
im Vergleich mit den Prognosen der Rentenversicherungsberichte seit 2004

 

Jahr

Beitragssatzentwicklung gemäß Prognosen der Rentenversicherungsberichte

tatsächliche
Entwicklung
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
2015 18,7 % 18,9% 19,4%
+0,5%
19,2%
-0,2%
19,1%
-0,1%
19,1%
± 0%
19,8%
+0,7%
19,3%
-0,5%
19,0%
-0,3%
19,3%
+0,3%
18,3%
-1,0%
18,7%
+0,4%
18,3%
-0,4%
2016 18,7 % 18,9% 19,4%
+0,5%
19,2%
-0,2%
19,1%
-0,1%
19,1%
± 0%
19,4%
+0,3%
19,3%
-0,1%
19,0%
-0,3%
19,3%
+0,3%
18,3%
-1,0%
18,7%
+0,4%
18,3%
-0,4%
2017 18,7 % 20,0% 19,4%
-0,6%
19,2%
-0,2%
19,2%
± 0%
19,1%
-0,1%
19,4%
+0,3%
19,3%
-0,1%
19,0%
-0,3%
19,3%
+0,3%
18,3%
-1,0%
18,7%
+0,4%
18,3%
-0,4%
2018 18,6 % 20,0% 19,4%
-0,6%
19,2%
-0,2%
20,0%
+0,8%
19,7%
-0,3%
19,4%
-0,3%
19,3%
-0,1%
19,0%
-0,3%
19,3%
+0,3%
18,8%
-0,5%
18,7%
-0,1%
18,8%
+0,1%
 

Kommentierte Bibliografie (Teil 1: 2001 - 2015)

2001

STEFFEN, Johannes (2001): Tatsachen zur rot-grünen Renten-"Reform" (Stand: 18.01.2001)

Auf Seite 9 beschreibt Johannes STEFFEN am Beispiel des Jahres 2000 wie das Rentenniveau per Rechentrick beschönigt wird, sodass das Rentenniveau im Jahr 2030 statt auf rund 64 nur auf rund 67 Prozent absinkt. Möglich wird dies durch den Altersvorsorgeanteil. (AVA).

SPIEGELONLINE (2001): Eckrente.
Heute und in 30 Jahren,
in: Spiegel Online v. 15.10.

Spiegel Online, das deutsche Sturmgeschütz des Neoliberalismus,  erklärt uns heute die schöne neue Welt der privaten Altersvorsorge:

"(D)er Eckrentner (soll) ab 2002 ein Prozent, ab 2004 zwei Prozent, ab 2006 drei Prozent und schließlich von 2008 an jährlich vier Prozent seines Einkommens in eine private Altersvorsorge investieren. Diese freiwillige Leistung wird ihm durch staatliche Zulagen versüßt. Bei einer jährlichen Rendite von vier Prozent kann er bei Rentenbeginn dann mit einer zusätzlichen Privatrente rechnen: Im Jahr 2030 würde diese 551 Mark im Monat betragen und dafür sorgen, dass sein Versorgungsniveau (...) steigt."

Während Spiegel Online die Entwicklung der gesetzlichen Rente als zu positiv anzweifelte, wird an den 4 % Rendite der Privatrente keinerlei Zweifel gehegt. Dieses neoliberale Mantra wurde von Axel BÖRSCH-SUPAN mitgeprägt, der 1997 sogar noch von 5 % Rendite träumte. 10 Jahre später sind diese Träume für die meisten Menschen geplatzt wie eine Seifenblase und das neue neoliberale Mantra heißt, dass lediglich noch mehr zusätzlich gespart werden muss, um die damaligen Privatrententräume zu erreichen. 

BUNDESREGIERUNG (2001): Rentenversicherungsbericht 2001 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 14/7639 v. 23.11.

"Das Rentenniveau wird in den alten Ländern im Zeitraum 2001 bis 2005 zwischen 68,8 v. H. und 70,6 v. H. pendeln. (...). Mit der Rentenstrukturreform ist es gelungen, eine zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge zu installieren und zeitgleich den Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung langfristig zu stabilisieren. Die mit erheblichen staatlichen Mitteln geförderte Zusatzvorsorge kann in der betrieblichen Altersvorsorge (2. Säule) wie auch in der privaten Altersvorsorge (3. Säule) aufgebaut werden. Insbesondere mit der Ergänzung der umlagefinanzierten Rentenversicherung durch eine kapitalgedeckte Altersvorsorge der Versicherten sind die Rahmenbedingungen gegeben, die notwendig sind, um den demographischen Herausforderungen, die sich ab dem Jahr 2015 verschärfen werden, zu begegnen. Die auf die umlagefinanzierte Rentenversicherung beschränkten Regelungen des RRG 1999 konnten diesem Anspruch nicht gerecht werden. (...) (M)it der Rentenreform (ist es) gelungen das Rentenniveau bis 2015 auf hohem Niveau zu stabilisieren. Unter Einschluss der Kapitalrente übersteigt im Jahr 2015 das Gesamtversorgungsniveau das heutige Nettorentenniveau deutlich." (S.9),

erklärt uns der Regierungsbericht euphorisch die segensreichen Wirkungen der kapitalgedeckten Altersvorsorge. Die demographischen Herausforderungen werden für das Jahr 2015 erwartet. Aus der folgenden Übersicht ist das vom Rentenversicherungsbericht erwartete Rentenniveau ersichtlich (vgl. Übersicht B 8, S.62): 

Jahr Beitragssatz Nettorenten-
niveau
Monatliche
Bruttokapitalrente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
2015 19,1 % 70,8 % 72 74,0 %

Der niedrigste Wert für das Nettorentenniveau wird für 2001 mit 68,8 Prozent angenommen, weshalb der Regierungsbericht uns erklärt, dass alles im grünen Bereich sei und das Mindestnettorentenniveau von 67 Prozent eingehalten werden kann:

 "§ 154 Abs. 3 SGB VI verpflichtet die Bundesregierung, den gesetzgebenden Körperschaften geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, wenn
- der Beitragssatz in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten bis zum Jahre 2020 20 v. H. oder bis zum Jahre 2030 22 v. H. überschreitet bzw.
- der Verhältniswert aus einer jahresdurchschnittlichen verfügbaren Standardrente und dem unter Berücksichtigung des Altersvorsorgeanteils zur zusätzlichen Altersvorsorge vorausberechneten jahresdurchschnittlichen Nettoentgelt (Nettorentenniveau) 67 v. H. unterschreitet.
Entscheidungsgrundlage für die Bundesregierung ist die mittlere Variante der 15-jährigen Vorausberechnungen des Rentenversicherungsberichts.
Nach den Ergebnissen für den Vorausberechnungszeitraum bis 2015 hält sowohl die voraussichtliche Entwicklung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (Übersicht B 7) als auch des Nettorentenniveaus (Übersicht B 8) den Rahmen der angeführten Werte ein" (S.20)

Der § 154 Abs. 3 SGB VI wird nur 3 Monate später geändert sein! Das Mindestnettorentenniveau von 67 %, vorher 64 %,  wurde erst auf Betreiben der Gewerkschaften eingeführt. 

2002

KREUTZ, Daniel (2002): Die neue Mitte im Wettbewerbsstaat.
Zur sozialpolitischen Bilanz von Rot-Grün,
in: Blätter für deutsche und internationale Politik, April

"Nachdem das Sparpaket 1999 die Rentenversicherungsbeiträge für Langzeiterwerbslose abgesenkt und somit deren Altersarmutsrisiko massiv gesteigert hatte, leitete die rot-grüne Rentenform 2001 den Systemwechsel in der Alterssicherung ein. Die Inszenierung des angeblichen »Sachzwangs« der demographischen Entwicklung verdrängte die realen, arbeitsmarkt- und verteilungsbedingten Finanzierungsprobleme der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Das GRV-Rentenniveau sinkt noch stärker als durch Blüms »demographischen Faktor«" (S.467),

klagt Daniel KREUTZ, der in einer Fußnote auf die Neudefinition des Rentenniveau hinweist, mit dem die tatsächliche Absenkung verschleiert wird:

"Um dies zu verschleiern, wird oft verschwiegen, dass sich die Bezugsgröße des Rentenniveaus - das durchschnittliche Nettoeinkommen der Versicherten - durch einen neuen Berechnungsmodus so veränderte, dass das davon prozentual abgeleitete gekürzte Rentenniveau erheblich »besser aussieht« (...). Es ist bemerkenswert, dass die Gewerkschaftsspitzen sich am »Schweigekartell« beteiligten, um die Durchsetzung ihrer Forderung »nicht unter 67 %« vortäuschen zu können."

Bei diesen Ausführungen beruft sich KREUTZ auf Johannes STEFFEN

BEUTLER, Annette u.a. (2002): Der grosse Versprecher.
In vier Jahren hat Rot-Grün unter Gerhard Schröder einiges angepackt, aber bei den großen Themen Arbeitslosigkeit, Gesundheit und Aufbau Ost versagt,
in: Focus Nr.28 v. 08.07.

"Den von Vorgänger Norbert Blüm eingeführten »demographischen Faktor« wollte Riester abschaffen, weil er das Rentenniveau zu stark senke. Nun heißt das Instrument anders, der Abschlag aber ist stärker",

schreiben die Autoren zur Riester-Reform. Die Verlierer-Generation dieser Rentenreform wird von den Autoren bei den 40Jährigen ausgemacht, weil sie mehr Beiträge zahlen müssen, und dafür weniger staatliche Rente bekommen sowie nicht genügend Zeit um Aufbau einer privaten Altersvorsorge haben.

TAZ (2002): Wahlprogramme.
taz-Serie Wahl 2002 (11): Die Parteien zu den Themen: Lebensarbeitszeit, Rentenbeiträge, Niveau der Ost-Renten und Ausbau der privaten Altersvorsorge,
in: TAZ v. 12.08.

Die taz weist für die Union speziell auf Horst SEEHOFERs "Offensive für einen zukunftsfähigen Sozialstaat" hin. Das Rentenniveau solle sich zukünftig an der durchschnittlichen Lebenserwartung "orientieren" (was immer das heißen mag!).

GEORGESCU, Vlad (2002): Anfang vom Ende.
Der unvermeidbare Kollaps des Rentensystems: Die Anhebung der Rentenbeiträge erweist sich als Schritt in die verkehrte Richtung und Tropfen auf den heißen Stein zugleich: Wissenschaftler rechnen mit einem kompletten Zusammenbruch der Rentenversicherung und prophezeien Beitragssätze von über 40 Prozent,
in: Spiegel Online v. 05.11.

Der Artikel ist ein Lehrbeispiel dafür, wie Anfang des Jahrtausends mit demographischer Demagogie von Herwig BIRG Panik geschürt wurde und zwar mit Bevölkerungsprognosen bis 2080. Die Alterung der Bevölkerung sollte angeblich "ablaufen wie ein Uhrwerk", weil die Entwicklung vorprogrammiert sei, denn Ungeborene würden keine Kinder bekommen. Von "mathematischer Präzision" ist die Rede. Nichts davon stimmt jedoch, denn entscheidend ist, ob die jeweiligen Annahmen richtig oder falsch sind. Nicht irgendwelche Ungeborenen, sondern die Anzahl der potenziellen Mütter ist entscheidend.

"»Wir leben noch in einer demographischen Schönwetterperiode.« Tatsächlich dürfte die unaufhaltsame Vergreisung erst ab 2020 auch für Laien erkennbar einsetzen. Bis dahin, rät der Deutsche Bank Chefvolkswirt der Politik, bliebe noch ausreichend Zeit für das Durchforsten des Rentensystems nach veralteten Leistungen. So könne beispielsweise die Frühverrentung ebenso wie die nahezu alljährliche Anhebung der Renten gestrichen werden",

wird Norbert WALTER zitiert, der die demagogische Steilvorlage von BIRG nutzt, um Rentenanpassungen im Namen der Generationengerechtigkeit für obsolet zu erklären. Auch das Argument der "demographischen Schönwetterperiode" ist typisch für neoliberale Verdummung. Man könnte genauso gut von "demographischen Schlechtwetterperioden" reden. Dagegen sollen diese aufgrund der demagogischen Einwürfe ewig dauern, zumindest jedoch bis 2080! Demagogie und selbsterfüllende Prophezeiungen haben viel gemeinsam. Ob wir im Jahr 2020 eine "unaufhaltsame Vergreisung" wahrnehmen werden, hat viel mit den jeweiligen öffentlichen Debatten zu tun und wenig mit der tatsächlichen Entwicklung.

In Japan sollte bereits im Jahr 2007 der Untergang aufgrund des demografischen Wandels erfolgen. Doch das Jahr 2007-Problem erwies sich als grandioser Fehlalarm. Die Babyboomer erreichen ihr Ruhestandsalter - und niemand merkte es! Genauso passierte es in den USA. Frank SCHIRRMACHER rief in seinem Methusalem-Komplott ein globales Altersbeben aus, das die Welt verändern sollte. Sein "Generational Sturm" beruhte auf den Annahmen von KOTLIKOFF & BURNS. Danach hätte die USA ab 2008 untergehen sollen. KOTLIKOFF gilt als Erfinder der Generationenbilanzen, die in Deutschland ihren Jünger in Bernd RAFFELHÜSCHEN fanden, der damit seit Jahren Rentenpanik schüren möchte.    

JAHBERG, Heike (2002): "Die Rente ist sicher".
Franz Ruland, Chef der Rentenversicherungsträger, ist gegen längere Lebensarbeitszeit und die Einbeziehung von Beamten in die Beitragspflicht,
in: Tagesspiegel v. 18.11.

Franz RULAND gibt für die 30- bis 40-Jährigen Entwarnung hinsichtlich des Rentenniveaus:

"JAHBERG: Viele fürchten, später sowieso nur noch mit einer Mickerrente abgespeist zu werden.
RULAND: Diese Sorge ist unbegründet. Ich will das am Beispiel eines Durchschnittsverdieners erläutern: Er zahlt den Durchschnittsbeitrag im Jahr und bekommt dafür einen »Entgeltpunkt«. Das ist quasi ein Anteil an der Rentenversicherung. Dieser Anteil hat heute einen »Kurswert« – wir nennen das den »aktuellen Rentenwert« – von 28,56 Euro. Dieser Wert verändert sich je nach Anpassung. Die Summe der Anteile, die der Versicherte durch Beitragszahlung erworben hat, ist verfassungsrechtlich geschützt. Die Anteile können ihm nicht genommen werden. Wie hoch ihr Kurswert sein wird, kann man dagegen nicht vorhersagen. Das hängt mittelbar von der wirtschaftlichen Entwicklung und unmittelbar von der jeweiligen Rentenanpassungsformel ab. Diese ist der »Hauptstellschlüssel«, mit dem die Rentenausgaben beeinflusst werden können und ist daher häufig geändert worden. Künftige Veränderung kann man daher nicht ausschließen. Aber eines ist sicher: Der Kurswert wird steigen. Das Bundessozialgericht hat dem Gesetzgeber vorgegeben, dass die Renten mindestens in Höhe der Inflationsrate steigen müssen, meistens war es mehr."

BUNDESREGIERUNG (2002): Rentenversicherungsbericht 2002 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 15/110 v. 05.12.

Wie im Vorjahr kann der Rentenversicherungsbericht 2002 Erfolgsmeldungen verkünden. Die Aussichten für das Jahr 2015 haben sich jedoch verdüstert. Aus der folgenden Übersicht ist die Entwicklung seit dem Rentenversicherungsbericht 2001 ersichtlich (vgl. RV 2001, Übersicht B 8, S.62 und RV 2002, Übersicht B 8, S.58):

RV-Prognosen für das Jahr 2015 Beitragssatz Nettorenten-
niveau
Monatliche
Bruttokapitalrente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
RV 2001 19,1 % 70,8 % 72 74,0 %
RV 2002 19,5 % 70,1 % 72 73,2 %
Differenz + 0,4 % - 0,7 % - - 0,8 %

Im Gegensatz zum Rentenversicherungsbericht 2001, wird nicht mehr das Jahr 2015 als Beginn der demografischen Herausforderungen genannt, sondern nun heißt es:

"Insbesondere mit der Ergänzung der umlagefinanzierten Rentenversicherung durch eine kapitalgedeckte Altersvorsorge der Versicherten und dem Recht auf Entgeltumwandlung sind die notwendigen Rahmenbedingungen gegeben, um den demographischen Herausforderungen, die sich langfristig verschärfen werden, zu begegnen." (S.10)

Es wird also nicht nur auf die kapitalgedeckte Altersvorsorgsorge gesetzt, sondern nun auch auf die betriebliche Altersvorsorge, wobei nur das Recht auf Entgeltumwandlung herausgestellt wird, das auf eine Schwächung der gesetzlichen Rente hinausläuft.

2003

OESTREICH, Heide (2003): Rürups neue Rentenformel liegt vor.
Ein "Nachhaltigkeitsfaktor" soll die Höhe der Altersbezüge dem jeweiligen Beitragsaufkommen anpassen. Das Rentenalter soll auf 67 Jahre steigen. Die Gewerkschaftsvertreter halten dagegen: Ältere Menschen würden ohnehin kaum noch beschäftigt,
in: TAZ v. 25.04.

Heide OESTREICH erklärt uns die neue Rentenformel. Das Rentenniveau könne zukünftig nur noch zusammen mit privater Altersvorsorge und einer Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre auf annähernd dem heutigen Stand gehalten werden, wobei die Entwicklung der Wirtschaft die Rentenentwicklung zukünftig stark beeinflusse. Als Gegner dieses Vorschlags der Rürup-Kommission nennt uns OESTREICH den IG-Bau-Chef Klaus WIESEHÜGEL, der auch Kommissionsmitglied ist, und die DGB-Vize-Chefin Ursula ENGELEN-KEFER.

BUNZENTHAL, Roland (2003): Demografischer Faktor.
Wort-Schatz,
in: Rheinischer Merkur v. 01.05.

Der Rheinische Merkur erklärt uns wie aus dem 1997 von Bert RÜRUP im Auftrag von Arbeitsminister Norbert BLÜM entwickelten demografischen Faktor der Nachhaltigkeitsfaktor werden soll.

Während der demografische Faktor die Renten an die steigende Lebenserwartung gekoppelt hätte, soll nun der Nachhaltigkeitsfaktor für die weitere Absenkung des Rentenniveaus sorgen. Nicht jedoch der demografische Wandel macht das notwendig, sondern die Konjunkturschwäche der deutschen Wirtschaft.

"Rürup empfiehlt (...) das Rentenniveau über die kommenden 30 Jahre um 2,2 Prozentpunkte abzusenken. Dies soll zusätzlich zu der 2000 beschlossenen Absenkung um sechs Prozentpunkte gelten (,)(...) damit die Rentenbeiträge nicht bis 2030 auf 24,5 Prozent steigen",

werden uns die Vorschläge der Rürup-Kommission erklärt. 

SAUGA, Michael/SCHULT, Christoph/TIETZ, Janko (2003): Ende einer Illusion.
In aller Stille bereitet die Regierung tiefe Einschnitte in die gesetzliche Alterssicherung vor, die damit auf das Niveau einer Basisversorgung zusammenschmelzen dürfte. Schon planen Grüne und Union den Einstieg in einen grundlegenden Systemumbau,
in: Spiegel Nr.33 v. 11.08.

Die Autoren bereiten auf weitere drastische Einschnitte ins Rentensystem vor, denn durch einen Nachhaltigkeitsfaktor (vgl. RÜRUP 2002) soll das Rentenniveau weiter abgesenkt werden. Begründet wird dies durch den angeblichen Sachzwang Geburtenrückgang:

"Dass es den heutigen Senioren materiell gut geht, haben sie nicht nur den großzügigen Rentengesetzen aus den Aufbaujahren der Republik zu verdanken, sondern auch der eigenen Gebärfreudigkeit. Die heutige Rentnergeneration hat genau jene Babyboomer der fünfziger und sechziger Jahre großgezogen, die derzeit noch die Fabriken und Büros bevölkern und mit ihren Beiträgen die Alterskassen füllen. Wenn diese Generation aber in einigen Jahren selbst in den Ruhestand wechselt, bekommt sie unausweichlich die Quittung für die Kinder-nein-danke-Mentalität der vergangenen drei Jahrzehnte präsentiert. Weil seit Anfang der siebziger Jahre die Geburtenrate drastisch sank, fehlt es bald an Beitragszahlern, um das heutige Rentenniveau zu halten."

SAUGA/SCHULT/TIETZ erklären uns die Folgen der geplanten Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung auf die Rentenentwicklung:

"Den Effekt auf die Alterseinkünfte zeigen interne Modellrechnungen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger: Danach bleiben Durchschnittsrentner in den nächsten Jahren zwar noch von Steuerzahlungen verschont. Wer aber im Jahr 2015 in Rente geht, muss auf seine Monatsrente bereits 35 Euro Steuern abführen. Im Jahr 2025 sind es bereits 138 Euro. Netto wird den Senioren die Rente damit um weitere 7,5 Prozent gekürzt."

Bei der Debatte um die Entwicklung des Rentenniveaus wird dieser Aspekt einfach ausgeblendet. Die Autoren zitieren mit Winfried SCHMÄHL einen der Gegner des Paradigmenwechsels zur Entwicklung des Rentenniveaus:

"Der Bremer Ökonom Winfried Schmähl hat die Effekte addiert: Bereits die Riester-Rentenreform senkt das Renten-Niveau bis zum Jahr 2030 von derzeit 70 auf rund 64 Prozent der Nettolöhne. Die geplante Rentenreform der Regierung würde das Niveau im Jahr 2030 weiter auf nur noch 54 Prozent drücken. Und wer dann in Rente geht, muss als Folge der neuen Besteuerungsregeln mit einem weiteren Rückgang seiner Altersbezüge auf deutlich unter 50 Prozent rechnen. Das gesetzliche Altersgeld würde damit endgültig zu einer "Grundrente demontiert", sagt Schmähl."

Aus heutiger Sicht lag das Nettorentenniveau im Jahr 2003 bei 48,5 Prozent und nicht bei 70 Prozent. Die 70 Prozent im Artikel stehen nicht für das Nettorentenniveau im Jahr 2003, sondern lediglich für eine Zielvorgabe aus dem Rentenreformgesetz 1992, das bereits 1989 verabschiedet wurde (vgl. SCHMÄHL 2011, S.162f.).

Im damals aktuellen Rentenversicherungsbericht 2002 wird das Nettorentenniveau auf 70,1 Prozent geschätzt (vgl. 2003, S.109). Es ist aber ersichtlich, dass dieses Niveau in den Jahren davor teilweise unterschritten wurde. Im Rentenversicherungsbericht 2003, der erst Ende 2003 veröffentlicht wurde, wurde dann zum letzten Mal dieses Maß aufgeführt. Für 2003 wurden in diesem Bericht ein Nettorentenniveau von  69,9 Prozent geschätzt. 

SAUGA/SCHULT/TIETZ nutzen die damalige Rentenpanik, um mit prognostizierten Zahlen des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA), einer Lobbyorganisation der Finanzbranche, die Gebärfaulheit als Grund für das sinkende Renteniveau und die schwindende Rendite der gesetzlichen Rente zu erklären. Die private Altersvorsorge erscheint dadurch als alternativlose Notwendigkeit:

"Die heutige Rentnergeneration hat genau jene Babyboomer der fünfziger und sechziger Jahre großgezogen, die derzeit noch die Fabriken und Büros bevölkern und mit ihren Beiträgen die Alterskassen füllen. Wenn diese Generation aber in einigen Jahren selbst in den Ruhestand wechselt, bekommt sie unausweichlich die Quittung für die Kinder-nein-danke-Mentalität der vergangenen drei Jahrzehnte präsentiert. Weil seit Anfang der siebziger Jahre die Geburtenrate drastisch sank, fehlt es bald an Beitragszahlern, um das heutige Rentenniveau zu halten.
Die finanziellen Folgen hat das Deutsche Institut für Altersvorsorge berechnet. Danach hat ein 1930 geborener allein stehender Durchschnittsverdiener in 45 Arbeitsjahren rund 95.600 Euro in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt. Dafür erhält er das 1,7fache an Rente zurück: etwa 167.200 Euro. Das entspricht einer internen Rendite von real drei Prozent.
Wer dagegen 2015 das Rentenalter erreicht, erzielt noch eine Rendite von gut einem Prozent. Jahrgänge, die 2030 in Rente gehen, können gerade mal den Gegenwert ihrer Beiträge als Rente erwarten. Wer noch später Rentner wird, muss sogar mit einer negativen Rendite rechnen. So bekommt der kinderlose Durchschnittsrentner des Jahres 2040 nur noch 80 Prozent seiner eingezahlten Beiträge zurück."

In den Jahren nach 2015 waren die Renditen der gesetzlichen Rente jedoch tatsächlich derart hoch, dass selbst bürgerliche Medien wie die FAZ sie als so lukrativ beschrieben, dass sie zu freiwilligen Renteneinzahlungen rieten. Das widerspricht also fundamental der damaligen Medienpropaganda. Der Spiegel als deutsches Sturmgeschütz des Neoliberalismus hätte die gesetzliche Rentenversicherung damals am liebsten auf eine Grundsicherung im Alter zurechtgestutzt gesehen.  

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG-Serie: Die demographische Zeitbombe (Teil 2)

SCHWENN, Kerstin (2003): Eine Gratwanderung zwischen Beitragssatz und Rentenniveau.
Reformen im bestehenden Umlagesystem. Bundesregierung will Lohnnebenkosten senken. Nachhaltigkeitsfaktor und Minusrunden,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.08.

Kerstin SCHWENN erklärt uns die zukünftige Rentenentwicklung aus der beschränkten neoliberalen Perspektive. Bei dieser Demografisierung gesellschaftlicher Probleme wird die Rentenentwicklung zur Suche nach einem Mittelweg zwischen Beitragssatzstabilität und Stabilität des Rentenniveaus stilisiert und die Ergänzung durch eine private Altersvorsorge als alternativlos beschrieben. Diese Sicht ist falsch, denn sie lässt außer Acht, dass es hier immer auch um eine Machtfrage (in Form von Interessenpolitik) und damit um soziale Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit geht.

PROGNOS (2003): Auswirkungen veränderter Rahmenbedingungen auf die Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung, Bericht im Auftrag des Verbands der Deutschen Rentenversicherungsträger, September

Aufschlussreich ist die Bewertung der neuen Rentenanpassungsformel aus dem Jahr 2001, die gravierende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der gesetzlichen Rente und das Rentenniveau hatte:

"Die im Hinblick auf die künftige Finanzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung wichtigste Veränderung durch die Rentenreform 2001 ist die neue Rentenanpassungsformel. Sie bedeutet eine Abkehr von der mit der Rentenreform 1992 eingeführten Nettoanpassung der Renten in Richtung auf eine modifizierte Bruttoanpassung. Nach früherem Recht stiegen die Renten entsprechend der Veränderung der durchschnittlichen Nettoentgelte unter Berücksichtigung der veränderten Abgabenbelastung der Rentenbezieher. Die alte Formel gewährleistete eine annähernd parallele Entwicklung von Nettolöhnen und Nettorenten und damit ein vergleichsweise stabiles Nettorentenniveau.
Nach der neuen Anpassungsformel, die im Juli 2002 erstmalig zum Einsatz kam, werden die Renten entsprechend der Entwicklung der Bruttolöhne unter Berücksichtigung der Veränderung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung fortgeschrieben. Dabei bremst ein steigender Beitragssatz die Rentenanpassung deutlich stärker als bei der früheren Nettolohnanpassung, da dort nur die Veränderung des Arbeitnehmerbeitrags wirksam wurde (...), während jetzt die Veränderung des Arbeitnehmer- wie des Arbeitgeberanteils wirksam ist. Zusätzlich dämpfend wirkt in der neuen Formel bis 2010 der sogenannte Altersvorsorgeanteil und in den Folgejahren eine stärkere Gewichtung der Beitragssatzveränderung.
Die neue Rentenanpassungsformel führt im Vergleich zur früheren Nettolohndynamik zu deutlich geringeren Rentenanpassungen und Rentenausgaben. Dies ist besonders in der bis 2010 geltenden Fassung der Formel der Fall, in der der steigende Altersvorsorgeanteil - der eine zunehmende Abgabenbelastung der Bruttoeinkommen der unselbständig Beschäftigten durch die private Vorsorge widerspiegeln soll - die Rentendynamik bremst. Entsprechend kommt es vor allem in diesem Zeitraum zu einer Absenkung des Nettorentenniveaus, dem Verhältnis einer standardisierten Nettorente zum durchschnittlichen Nettoentgelt. Von Bedeutung für das Nettorentenniveau ist dabei auch die Steuerreform, deren ausstehende Stufen 2004 und 2005 zu Steigerungen der Nettoentgelte beitragen, was sich aber nach der neuen Formel nicht rentensteigernd auswirkt." (S.51)

Durch die neue Rentenformel ist eine ständig auseinanderklaffende Entwicklung von Löhnen und Renten gesorgt, weil durch die Änderung der Rentenformel viele Aspekte, die zu steigenden Löhnen führen, sich nicht auf die Renten auswirken. Dazu gehören Beitragssenkungen in anderen Bereichen der Sozialversicherung und die Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung, die zwar zu einer Erhöhung der Nettoentgelte, aber nicht zur Erhöhung der Renten führt, sondern die nachgelagerte Besteuerung führt sogar zur weiteren Senkung des Nettorentenniveaus. Durch die Einführung des Begriffs eines "Nettorentenniveaus vor Steuern" wird dieser Sachverhalt seit dem Jahr 2005 verschleiert.

Die Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung wurden vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) mitbestimmt (vgl. S.3), stellen also bewusste Zielsetzungen dar, mit denen die Ergebnisse sozusagen vorbestimmt wurden. Extremszenarien wurden dabei außer Acht gelassen.

"Auf der Grundlage der Annahmen zu Geburtenentwicklung, Sterblichkeit und Außenwanderung wird die Bevölkerung in Deutschland von 82,3 Mio Personen im Jahr 2000 bis zum Jahr 2050 um fast 10 Mio Personen zurückgehen. Dabei steigt die Zahl der Einwohner zunächst bis 2005 noch auf rund 82,5 Mio an. In den Folgejahren vermindert sich die Bevölkerung, aber zunächst sehr langsam. Ab 2010 beschleunigt sich der Rückgang kontinuierlich bis zum Ende des Projektionszeitraums." (S.23)

Die Beschreibung deutet zwar auf ein starkes Schrumpfen hin, was jedoch durch das Referenzszenario widerlegt wird, denn selbst im Jahr 2050 liegt die Bevölkerung nur rund 300.000 Personen unter der Bevölkerung des Jahres 2000. 

BUNDESREGIERUNG (2003): Rentenversicherungsbericht 2003 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 15/2144 v. 04.12.

Im diesjährigen Rentenversicherungsbericht fehlen die Erfolgsmeldungen der vergangenen beiden Jahre. Stattdessen wird auf die Aufhebung der Niveausicherungsklausel abgehoben  und darauf hingewiesen, dass aufgrund der Beitragssatzentwicklung, die durch nicht-demografische Faktoren verursacht wurden, gewisse andere Maßnahmen notwendig wurden:

"Mit der Absenkung der Mindestschwankungsreserve von 50 auf 20 % einer Monatsausgabe werden im Jahr 2004 bis zu 4,8 Mrd. Euro zur Ausgabenfinanzierung frei. Hinzu kommt die Begrenzung der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung durch das Aussetzen der Rentenanpassung zum 1. Juli 2004 sowie die vollständige Tragung des Beitrags zur Pflegeversicherung durch die Rentnerinnen und Rentner ab 1. April 2004. Damit leisten die Rentnerinnen und Rentner im Jahr 2004 einen notwendigen Beitrag zur Dämpfung der Beitragssatzentwicklung in der Größenordnung von rd. 2,2 Mrd. Euro. Im Gegenzug zu den Belastungen bei dem Beitrag zur Pflegeversicherung werden die Rentnerinnen und Rentner durch eine zeitnahe und individuelle Weitergabe von Beitragssatzänderungen in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund der Maßnahmen im Gesundheitsmodernisierungsgesetz bereits im Laufe des Jahres 2004 profitieren. Die Rückgängigmachung der Kürzung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten im Haushaltsbegleitgesetz 2004 führt zu einer Entlastung von 2 Mrd. Euro. Durch diese Maßnahmen kann der Beitragssatz auch im Jahr 2004 bei 19,5 % gehalten werden. Eine die derzeitige Konjunkturschwäche Konjunkturschwäche zusätzlich belastende starke Anhebung der Lohnkosten und Schwächung der privaten Kaufkraft kann so vermieden werden." (S.51)

Auf die zukünftige Entwicklung des Rentenniveaus geht der Bericht gar nicht mehr ein. Schließlich kann aufgrund der geplanten Aussetzung der Rentenanpassung 2004 die in den Vorjahren vollmundigen Versprechungen hinsichtlich des Rentenniveaus nicht eingehalten werden. Stattdessen sollen mit der Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors die Versprechungen radikal gebrochen werden. Die Übersicht B 8 (S.68) enthält nur Angaben zur Beitragssatzentwicklung und der Bruttokapitalrente. 

Das Gutachten des Sozialbeirats geht u.a. auf die Wirkungsweise der geplanten Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors ein (vgl. S.134f.). Dabei wird auch auf die Auswirkungen des geplanten Alterseinkünftegesetzes auf das Rentenniveau hingewiesen:

"Insgesamt ist davon auszugehen, dass das Rentenversicherungssystem und das angestrebte Ziel für den Beitragssatz mit dem vorgeschlagenen Nachhaltigkeitsfaktor besser vor tatsächlichen Abweichungen von den Annahmen zur Demographie und insbesondere des Arbeitsmarktes geschützt wären, da der Nachhaltigkeitsfaktor neben der Entwicklung der Zahl der Geburten und der Zuwanderung vor allem auch Veränderungen im Erwerbsverhalten berücksichtigt.
Dabei wird das Rentenniveau bis 2030 absinken; das Bruttorentenniveau wird unter Mitberücksichtigung der Wirkungen der Rentenreform von 2001 von derzeit 48 Prozent auf etwa 40 Prozent absinken. Das Nettorentenniveau, das derzeit bei etwa 69 Prozent liegt, wird unter Berücksichtigung des Umstiegs auf die nachgelagerte Besteuerung der Renten auf eher unter 60 Prozent sinken. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Indikator Nettorentenniveau deutlich an Aussagekraft verliert." (S.134f.)   

2004

SCHWENN, Kerstin (2004): Verlorenes Vertrauen.
Kommentar,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.03.

Kerstin SCHWENN redet die gesetzliche Rentenversicherung schlecht:

"Nullrunde und verdoppelte Pflegebeiträge führen in diesem Jahr zu Rentenkürzungen. Bei vielen schmälert außerdem der verdoppelte Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten die zusätzlich privat angesparten Altersbezüge spürbar."

Das Vertrauen sei gesunken. Nur hat das nichts mit dem demografischen Wandel zu tun, sondern mit der Konjunkturschwäche der Wirtschaft, also mit Sondereffekten wie uns bei anderen Gelegenheiten gerne vorgehalten wird. Nichtsdestotrotz spricht SCHWENN gerne von "Notoperationen", wenn lediglich die üblichen Nachjustierungen notwendig sind. Außerdem schwingt SCHWENN die Generationenvertragskeule, obwohl das alles nichts mit demografischem Wandel zu tun hat. Es ist diese Art von neoliberaler Verdummungsstrategie, die die gesetzliche Rente in Verruf bringt und dahinter stecken die Profitinteressen der Anbieter privater Altersvorsorge.

Abseits dieser hysterischen Sicht, geht es hier um etwas ganz anderes. SCHWENN und der Unternehmenslobby, die sie hier vertritt, geht die rot-grüne Reform der Alterssicherung nicht weit genug:

"Im Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz, das heute verabschiedet werden soll, schreibt sie den Satz bis 2030 auf höchstens 22 Prozent des Bruttoeinkommens fest. Um den Wähler zu schonen, blendet die Regierung jedoch die von der Rürup-Kommission für zwingend gehaltene gleichzeitige Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre aus."

Die notwendig werdenden Einschnitte bei den Renten werden in dieser verqueren Sicht mit der Nichteinführung der Rente mit 67 begründet:

"Damit die Renten nicht unbezahlbar werden, soll jetzt ein Nachhaltigkeitsfaktor ihren Anstieg dämpfen. Durch ihn und den Rechenfaktor der seit 2003 die (angenommenen) Aufwendungen der Jungen für die »Riester-Rente« ausgleichen soll, werden die am Einkommenszuwachs orientierten Rentenanpassungen jährlich um rund 0,7 Prozentpunkte gemindert. Der stetige Rückgang des Renteniveaus wird durch den geplanten Übergang zur nachgelagerten Besteuerung von 2005 an noch beschleunigt. Nach Berechnungen der Rentenversicherer wird das Nettorentenniveau eines Durchschnittsverdieners nach 45 Beitragsjahren (unter Abzug der Sozialbeiträge, aber vor Steuern) schon bei optimistischen Annahmen zum Wirtschaftswachstum bis 2030 von heute 52 auf 43 Prozent sinken."

Die Parteilinken und die Gewerkschaften sollen angeblich ein garantiertes Mindestniveau von 46 Prozent per Gesetz durchsetzen können, will uns SCHWENN weismachen.

SCHWENN redet uns ein, dass die Rendite der gesetzlichen Rente niedriger liegen wird als die der privaten Altersvorsorge:

"Die Vorsorgelast des Arbeitnehmers erhöht sich zunehmend. Wenn er dereinst (freiwillig) rund vier Prozent seines Einkommens für eine private oder betriebliche Alterssicherung aufbringen soll, liegt sein »Rentenbeitrag« 2030 bei rund 26 Prozent. Welche Renditeerwartungen darf er dann noch haben? Ist das verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsrecht verletzt, wenn die Höhe der gesetzlichen Rente auch beim Bezug bis ins hohe Alter im Schnitt deutlich unter den früheren Einzahlungen liegt?"

hetzt uns SCHWENN auf. Von Zwangsmitgliedschaft schwadroniert SCHWENN. Lieber hätte sie wohl eine Zwangsmitgliedschaft in der privaten Altersvorsorge, was die Finanzdienstleister natürlich freuen würde. Denn wo sonst gibt es sichere Einnahmequellen?

BÖRSCH-SUPAN, Axel/REIL-HELD, Anette/WILKE, Christiana Benita (2004): Der Nachhaltigkeitsfaktor und andere Formelmodifikationen zur langfristigen Stabilisierung des Beitragssatzes zur GRV, MEA-Diskussionspapier (Stand: 27.01.2004)

Im Beitrag präsentieren Axel BÖRSCH-SUPAN u.a. folgende  Rentenanpassungsformeln:

"- die gegenwärtig gültige so genannte »modifizierte Bruttoanpassungsformel«, die durch die Rentenreform 2001 unter dem damaligen Bundesarbeitsminister Riester eingeführt wurde.
- den Rentenlaufzeitfaktor, der im Effekt dem demographischen Fakotr der größtenteils zurückgenommenen Rentenreform 1999 entspricht,
- den Altersquotientenfaktor,
- den Lohnsummenfaktor, und
- den Nachhaltigkeitsfaktor, den die Rürup-Kommission als Teil der Agenda 2010 für eine Nachjustierung der Riester-Reform vorgeschlagen hat." (S.5f.)

Beim Lohnsummenfaktor der Rürup-Kommission wird entgegen der bisherigen Berechnungsweise die Entwicklung der versicherungspflichtigen Einkommen berücksichtigt, statt der bisher berücksichtigten Bruttoentgelte der Arbeitnehmer aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR), in die auch Entgelte oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze sowie der Beamten einflossen.

Der Rentenlaufzeitfaktor ist im Prinzip das funktionale Äquivalent zur Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung, nur auf der Ebene der Rentenanpassungsformel. Der von der CDU im Rentenreformgesetz 1999 geplante Demographie Faktor hätte dies mittels Rentenanpassungsformel und nicht durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf die Rentenbezieher abgewälzt. In dem Papier heißt es dazu:

"Dem aus dem erheblichen Anstieg der Lebenserwartung entstehendem Druck auf die Rentenversicherungsbeiträge könnte man begegnen, indem die Rentenlaufzeit, d.h. die fernere Lebenserwartung der 65-Jährigen in die Rentenanpassungsformel Eingang findet. (...).
Dieser Korrekturfaktor entspricht im Prinzip dem von der CDU-Regierung im Jahr 1998 verabschiedeten so genannten »demographischen Faktor«, der nach dem Regierungswechsel von der SPD wieder außer Kraft gesetzt wurde. Er berücksichtigt den Anstieg der Lebenserwartung nicht nur für den Rentenzugang (wie es bspw. bei der anvisierten Heraufsetzung der Regelaltersgrenze der Fall ist), sondern trifft auch den Rentenbestand, der ebenfalls von der längeren Rentenlaufzeit profitiert. Allerdings würde wegen der anvisierten Heraufsetzung der Regelaltersgrenzen die Rentenzugänge quasi doppelt für die längere Lebenserwartung zur Rechenschaft gezogen werden." (S.10)

Axel BÖRSCH-SUPAN u.a. lehnen dies ab und präferieren stattdessen den Altersquotientenfaktor, weil dieser neben der steigenden Lebenserwartung auch die Geburtenentwicklung und Zuwanderung berücksichtigen würde.

Beim Lohnsummenfaktor wird darauf hingewiesen, dass dieser zu höheren Rentenanpassungen führen könnte, weshalb für eine Begrenzung plädiert wird:

"Ein Nachteil dieser Variante ist jedoch, dass die Lohnsumme in den nächsten Jahren aufgrund des »demographischen Rückenwindes« und bei einer konjunkturellen Belebung deutlich ansteigen kann, was zu einer höheren als der beabsichtigten Rentenanpassung führen würde. Daher wird der Faktor auf ein Maximum von 1 begrenzt. Dies würde während eines »demographischen Rückenwindes« den Beitragssatz stabil halten und zu einer erhöhten Schwankungsreserve führen. Erst wenn die demographische Entwicklung in den Jahren nach 2015 weiter fortgeschritten ist, führt diese Rentenanpassung zu einer Abminderung des Rentenniveaus und damit des Beitragssatzanstiegs." (S.14)

Tatsächlich wurde das richtig vorausgesehen, nur dass der "demographische Rückenwind" weit unterschätzt wurde, wie der folgende Satz belegt:

"Da die Erwerbstätigenzahlen unter den vorliegenden Annahmen erst ab 2015 rückläufig sind, setzt die dämpfende Wirkung auf die Rentenanpassung zu spät ein." (S.15)

Der Übergang von der vor- zur nachgelagerten Besteuerung ist ein Problem, das in dem Papier durch das Nettorentenniveau vor Steuern umgangen wird:

"Durch die erwartete Einführung der nachgelagerten Besteuerung für die Renten ist es problematisch, das Nettorentenniveau im Zeitverlauf darzustellen, da sich stufenweise zunächst die Entlastung der Erwerbstätigen und später die Belastung derjenigen Rentner einstellt, die als Erwerbstätige entlastet wurden. Für einen sinnvollen intertemporalen Vergleich eignet sich das Nettorentenniveau daher während der langen Übergangszeit von der vor- zur nachgelagerten Besteuerung nicht. Da das Nettorentenniveau bisher jedoch als übliche Referenz galt, weisen wir es nachfolgend ergänzend gemäß der neuen Definition der Riester-Reform aus (d.h., der Nenner ist das um den Altersvorsorgeanteil modifzierte Nettoeinkommen)." (S.19f.) 

BUNDESREGIERUNG (2004): Rentenversicherungsbericht 2004 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 15/4498 v. 01.12.

"Gemäß § 154 Abs. 3 SGB VI (in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung) muss in dem Bericht auch geprüft werden, ob das Sicherungsniveau vor Steuern im 15-jährigen Vorausberechnungszeitraum 46 % unterschreiten oder der Beitragssatz 20 % übersteigen wird" (S.7),

heißt es nun im Rentenversicherungsbericht 2004, in dem erstmals ein neu berechnetes Sicherungsniveau angegeben wird, nachdem im Jahr zuvor stillschweigend das Sicherungsniveau übergangen wurde und im Rentenversicherungsbericht 2001 (sowie 2002) noch ein Mindestnettorentenniveau von 67 % gegolten hatte. Aufgrund der drastischen Maßnahmen im letzten Jahr können nun wieder Erfolgsnachrichten präsentiert werden:

"Die Beitragssatzentwicklung in der mittleren Variante entspricht (...) bis 2008 der Mittelfristrechnung. In dieser Variante errechnet sich bis 2010 ein verstetigter Beitragssatz von 19,5 %, der bis 2012 auf 18,9 % sinkt, bis 2016 stabil bleibt und dann auf 20 % in den Jahren 2017 und 2018 steigt. Das Sicherungsniveau vor Steuern sinkt von 52,4 % im Juli 2004 bis 2018 auf 46,5 %. Der Beitragssatz und das Sicherungsniveau vor Steuern verletzen also nicht die im Gesetz vorgesehenen Grenzwerte von 20 % bzw. 46 %." (S.8)

Aus der folgenden Übersicht sind die Prognosen des Rentenversicherungsberichts für die Jahre 2015 bis 2018 ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.25). Erstmals wird der Begriff "Bruttokapitalrente" durch "Riester-Rente" ersetzt:

Jahr Beitragssatz Sicherungs-
niveau vor Steuern
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
2015 18,9 % 47,4 % 69 49,6 %
2016 18,9 % 47,2 % 78 49,7 %
2017 20,0 % 47,2 % 88 49,9 %
2018 20,0 % 46,5 % 97 49,5 %

Während die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung zu pessimistisch dargestellt wird, wird die Entwicklung der kapitalgedeckten Altersvorsorge als sehr optimistisch dargestellt.

Im Gutachten des Sozialbeirats stellt Bert RÜRUP Renditeberechnungen für die gesetzliche Rente und die kapitalgedeckte Altersvorsorge an, in denen diese Fehleinschätzungen ebenfalls deutlich werden. 

2006

NIEJAHR, Elisabeth (2006): Die Entdeckung des Alters.
Das Gute an der Rentendebatte: Die Deutschen merken, worauf es künftig ankommt,
in: Die ZEIT Nr.8 v. 16.02.

Elisabeth NIEJAHR verkündet, dass die Verlierer der vergangenen Rentenreformen - die Post-68er -  die Reformen widerstandslos abnickten:

"Schon die vergangenen Rentenreformen gingen den Babyboomern nie schnell und weit genug: Erst kämpften sie dafür, dass Helmut Kohl als Kanzler den demografischen Faktor in seine Rentenreform aufnahm. Später forderten sie Gerhard Schröder auf, das Rentenniveau möglichst weit abzusenken. All das schadete nicht den Rentnern von heute, sondern denen von morgen. Insgesamt, so die Berechnungen des Rentenexperten Bert Rürup, haben die Reformen von Kohl und Schröder zur Verringerung der Rentenansprüche um dreißig Prozent geführt. Verkehrte Welt: Die Verlierer nicken – und die anderen klagen."

SUC/DDP/AFP/AP/REUTERS (2006): Nach 2009 sackt das Rentenniveau ab.
Regierungsbericht zur Altersvorsorge: Die Deutschen müssen ihre Altersvorsorge grundsätzlich überdenken. Das Niveau der gesetzlichen Rente wird in den nächsten Jahrzehnten so stark absinken, dass sie für ein auskömmliches Leben im Alter nicht mehr reicht.,
in: Spiegel Online v. 08.03.

"Das Rentenniveau vor Steuern wird sich dem Bericht zufolge bereits bis 2009 spürbar verringern. So kann ein Arbeitnehmer, der in diesem Jahr in den Ruhestand geht, noch mit 52,2 Prozent »Sicherungsniveau« rechnen. Der Wert bezieht sich auf die Durchschnittseinkommen nach Abzug der Sozialabgaben aber vor Steuern. Schon 2009 sollen es nur noch 49,9 Prozent sein, 2019 dann 46,3 Prozent",

verkündet uns Spiegel Online mit Bezug auf die Vorstellung des Rentenversicherungsberichts 2005. Tatsächlich lag das Nettorentenniveau vor Steuern im Jahr 2009 nicht bei 49,9, sondern bei 52,0 Prozent.

Was Spiegel online zudem verschweigt: Das Rentenniveau der gesetzlichen Rente sackt lediglich ab, weil für die Rentenzugänge ab 2010 angenommen wird, dass der Lebensstandard per Riester-Rente ausgeglichen wird. Es ist also eine gesetzliche Vorgabe und keine Entwicklung, die sich aus den demografischen Notwendigkeiten ergibt.   

BUNDESREGIERUNG (2006): Rentenversicherungsbericht 2005 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 16/905 v. 09.03.

"Hinsichtlich der zu erwartenden Absenkung des Sicherungsniveaus vor Steuern wird darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Rente zukünftig alleine nicht ausreichen wird, um den Lebensstandard des Erwerbslebens im Alter fortzuführen. Die heutigen Rentnerhaushalte sind nicht zuletzt auch aufgrund weitgehend vollständiger Erwerbsbiografien gut versorgt. In Zukunft wird der erworbene Lebensstandard nur erhalten bleiben, wenn die finanziellen Spielräume des Alterseinkünftegesetzes und die staatliche Förderung der privaten Vorsorge (Riesterrente) genutzt werden, um eine private Vorsorge aufzubauen. Zentrale Säule der Altersversorgung wird aber weiter die gesetzliche Rente bleiben" (S.9),

formuliert der verspätet gelieferte Regierungsbericht die Erwartungen an die Bevölkerung zur eigenverantwortlichen Altersvorsorge. Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.25):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 19,4 % (+ 0,5 %) 47,1 % (- 0,3 %) 71 € (+ 2 €) 49,7 % (+ 0,1 %)
2016 19,4 % (+ 0,5 %) 46,8 % (- 0,4 %) 80 € (+ 2 €) 49,7 % (± 0 %)
2017 19,4 % (- 0,6 %) 46,6 % (- 0,6 %) 89 € (+ 1 €) 49,7 % (- 0,2 %)
2018 19,4 % (- 0,6 %) 46,4 % (- 0,1 %) 99 € (+ 2 €) 49,9 % (+ 0,4 %)

BUNDESREGIERUNG (2006): Rentenversicherungsbericht 2006 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 16/3700 v. 05.12.

"Insgesamt steigen die Renten unter Berücksichtigung der modifizierten Schutzklausel bis zum Jahr 2020 um rd. 21 Prozent an. Dies entspricht einer durchschnittlichen Steigerungsrate von 1,4 Prozent pro Jahr. Das Sicherungsniveau vor Steuern sinkt von 52,4 Prozent im Jahr 2006 bis 2020 auf 46,6 Prozent. Beitragssatz und Sicherungsniveau vor Steuern bewegen sich damit im Rahmen der im Gesetz vorgesehenen Grenzwerte von 20 Prozent bzw. 46 Prozent" (S.8),

heißt es im Rentenversicherungsbericht 2006, der nur rund 9 Monate später als der vorherige Regierungsbericht veröffentlicht wird. Zur modifizierten Schutzklausel heißt es im Regierungsbericht:

"Mit dem RV-Nachhaltigkeitsgesetz wurde auch eine Schutzklausel geschaffen, die sicherstellt, dass es allein wegen der Wirkung des Nachhaltigkeitsfaktors und des Faktors zur Berücksichtigung von Belastungsänderungen der Beschäftigten für die Altersvorsorge nicht zu einer Minusanpassung kommen kann bzw. auch dass sich eine aus der Lohnentwicklung resultierende Minusanpassung nicht weiter verstärkt. Entgegen der Erwartung hat die Schutzklausel erhebliche Bedeutung erlangt." (S.35)

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.25):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 19,2 % (- 0,2 %) 47,2 % (+ 0,1 %) 69 € (- 2 €) 49,7 % (± 0 %)
2016 19,2 % (- 0,2 %) 47,2 % (+ 0,4 %) 78 € (- 2 €) 50,0 % (+ 0,3 %)
2017 19,2 % (- 0,2 %) 47,0 % (+ 0,4 %) 88 € (- 1 €) 50,1 % (+ 0,4 %)
2018 19,2 % (- 0,2 %) 46,8 % (+ 0,4 %) 98 € (- 1 €) 50,2 % (+ 0,3 %)

2007

BUNDESREGIERUNG (2007): Rentenversicherungsbericht 2007 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 16/7300 v. 22.11.

Der Rentenversicherungsbericht 2007 verkündet die üblichen Erfolgsmeldungen wonach das Mindestsicherungsniveau eingehalten wird.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.26):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 19,1% (- 0,1 %) 47,5 % (+ 0,3 %) 72 € (+ 3 €) 49,7 % (± 0 %)
2016 19,1 % (- 0,1 %) 47,3 % (+ 0,1 %) 81 € (+ 3 €) 50,0 % (+ 0,3 %)
2017 19,2 % (± 0 %) 47,2 % (+ 0,2 %) 91 € (+ 3 €) 50,1 % (+ 0,4 %)
2018 20,0 % (+ 0,8 %) 47,1 % (+ 0,3 %) 101 € (+ 3 €) 50,2 % (+ 0,3 %)

2008

STRENGMANN-KUHN, Wolfang (2008): Altersarmut in Deutschland - empirische Bestandsaufnahme und sozialpolitische Perspektiven,
in: Deutsche Rentenversicherung, Heft 1, Januar, S.120-133

Der Artikel zeigt, dass mit der Umstellung der Messung von Armut auch eine Neubewertung von Familie und Alter verbunden ist. Historische Vergleiche müssen deshalb berücksichtigen, dass mit dem Übergang von der "alten" zur "neuen" OECD-Skala, die Altersarmut gegenüber der Kinderarmut allein aufgrund des Messverfahrens geringer geworden ist (mehr hier).

Die Veränderung der Rentenformel löst den Zielkonflikt zwischen Beitragssatzstabilität (Kapitalinteresse) und Lebensstandardsicherung (Arbeitnehmerinteresse) zugunsten der Beitragssatzstabilität auf und bindet damit das Rentenniveau an Faktoren an, deren Entwicklung ungewiss ist:

"Die Politik hat (...) insbesondere durch die Veränderung der Rentenformel die Entwicklung der Beitragssätze weitestgehend stabilisiert (...). Faktisch wurde damit eine Abkehr von einem Defined-benefit-System eingeleitet, also ein »Übergang von einer 'ausgabenorientierten Einnahmenpolitik' zu einer 'einnahmenorientierten Ausgabenpolitik'« (Rürup 2005: 31). Die Folge ist allerdings, dass das zu erwartende Rentenniveau erstens sinken und zweitens unsicher werden wird".

HOCKERTS, Hans Günter (2008): Neuere deutsche Alterssicherungspolitik.
Die Epoche der dynamischen Rente währte von 1957 bis 2001. Was sie einst allein erreichen sollte, dürfte künftig nur noch in Kombination mit betrieblicher und privater Altersvorsorge möglich sein: die Sicherung des erarbeiteten Lebensstandards. Der Rückblick auf die Rentenreformen der deutschen Nachkriegsgeschichte gerät daher zu einem Nachruf,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.04.

Der Historiker Hans Günter HOCKERTS skizziert die Geschichte der zentralen Rentenreformen von 1957 bis 2001. Er sieht in dem Missbrauch des Rentensystems im Zuge der Wiedervereinigung (Beitragssatzerhöhung statt Steuererhöhung aufgrund der Vereinigungsprobleme sowie Frühverrentungspraxis) ein Hauptproblem der Finanzprobleme des Rentensystems in den 1990er Jahren. Vor diesem Hintergrund muss die Teilprivatisierung der Altersvorsorge gemäß HOCKERTS gesehen werden:

"Insgesamt drangen drei Faktoren mit Macht auf eine Neuvermessung der Alterssicherung: das Interesse der Anbieter und Vermittler von Finanzmarktprodukten, das Streben nach einer Senkung der Lohnnebenkosten und der »demographische Faktor«. In diesem Spannungsfeld bildete sich die »neue deutsche Alterssicherung« heraus, die sich seit 2001 in der langfristigen Senkung des gesetzlichen Rentenniveaus bemerkbar macht."

BÖRSCH-SUPAN, Axel/BUCHER-KOENEN, Tabea/REIL-HELD, Anette/WILKE, Christina (2008): Zum zukünftigen Stellenwert der ersten Säule im Gesamtsystem der Alterssicherung, MEA Diskussionspapier 158-2008

"Wenn alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im geförderten Umfang private Altersvorsorge betrieben, würde sich die Gesamtversorgung (...) für die 1970 Geborenen zu 70 Prozent aus gesetzlicher und zu 30 Prozent aus privaten und betrieblichen Renten zusammensetzen. Sehr langfristig (etwa für die 1985 Geborenen) würde diese Aufteilung 60 zu 40 Prozent betragen" (S.3),

erläutern uns Axel BÖRSCH-SUPAN u.a. die Zielsetzung der Reform des Jahres 2001. Als Unsicherheitsfaktoren werden uns lediglich das zukünftige Erwerbsverhalten und der Altersvorsorgewillen der anvisierten Bevölkerungsgruppen genannt.

Zur Berechnung der zukünftigen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung werden folgende Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung gemacht:

"Die Annahmen zur Bevölkerungs- und Arbeitsmarktentwicklung basieren auf Börsch-Supan und Wilke (2007), deren Bevölkerungsprognosen auf der 11. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes aufsetzen. Bei der Entwicklung der Lebenserwartung wird jedoch von einer quasilinearen Trendfortschreibung der vergangenen Jahrzehnte ausgegangen. Daraus ergibt sich eine Lebenserwartung ab Geburt von 85,7 Jahren für Männer und 91,7 Jahren für Frauen im Jahr 2050. Die Annahmen zur Lebenserwartung sind damit höher als die des Statistischen Bundesamtes in der 11. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Allerdings sind sie im Vergleich zu den von Schnabel, Kistowski und Vaupel (2005) berechneten Werten moderat. Die Geburtenrate wird bis 2050 konstant bei 1,4 Geburten pro Frau festgelegt. Als Migrationssaldo werden langfristig 150.000 Personen jährlich unterstellt.
Aus diesen Annahmen resultiert, dass die Gesamtbevölkerung in Deutschland von 82,4 Mio. in 2005 bis 2050 um ca. acht Mio. auf 74,4 Mio. Einwohner zurückgehen wird. Im Vergleich zu den Prognosen des Statistischen Bundesamtes gehen wir damit von einem geringeren Bevölkerungsrückgang in diesem Zeitraum aus." (S.9)

Die Bevölkerungsvorausberechnung liegt lediglich eine halbe Million Personen oberhalb der Variante mittlere Bevölkerung Obergrenze des Statistischen Bundesamtes. Da dies jedoch aufgrund der höheren Lebenserwartung und nicht aufgrund einer höheren Geburtenrate erfolgt, resultieren daraus für die Rentenversicherung größere Probleme als dies in der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung bis 2018 der Fall ist. Auch die angenommene Arbeitsmarktentwicklung wird in allen beiden Szenarien zu pessimistisch angenommen.

Bereits in diesem Papier ist vorgesehen die Standardrente neu zu definieren, um damit die Absenkung des Rentenniveaus noch weiter zu verschleiern. Statt 45 Beitragsjahre (45 EP) müssten Rentner 47 Beitragsjahre (47 EP) erreichen, um ihre Standardrente zu erarbeiten. Durch die Neudefinition des "Eckrentners" würde das von Regierungsseite anvisierte Rentenniveau gehalten, während es nach der gültigen Berechnungsmethode verfehlt werden würde:

"(L)egt man bei der Betrachtung des Bruttorentenniveaus ein an die Verschiebung des Renteneintrittsalters angepasstes Konzept zu Grunde, sinkt das Bruttorentenniveau von 46,4 % in 2007 auf 43,2 % im Jahr 2020. 2030 beträgt das Bruttorentenniveau knapp über 40 % und 2040 noch 39,2 %. Die gesetzlich vorgegebenen Grenzen zur Entwicklung des Bruttorentenniveaus würden eingehalten. Das Bruttorentenniveau für einen »Eckrentner« mit 45 EP sinkt von 46,4 % im Jahr 2007 auf 38,6 % in 2030." (S.14)

Sprachpolitisch interessant ist auch die Tatsache, dass von Bruttorentenniveau statt von Nettorentenniveau vor Steuern gesprochen wird.

Während die Annahmen zur Entwicklung der gesetzlichen Rente zu pessimistisch gesehen wurden, gilt das Gegenteil für die Riester-Rente, bei der völlig unrealistische Renditen angenommen wurden.

Fazit: Neoliberale sehen in den Neudefinition der Standardrente ein kostenloses Mittel, um die Verfehlung von Rentenniveauzielen zu verschleiern.   

BUNDESREGIERUNG (2008): Rentenversicherungsbericht 2008 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 16/11060 v. 21.11.

Der Rentenversicherungsbericht 2008 geht davon aus,  dass das Mindestsicherungsniveau eingehalten wird.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.24):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 19,1% (± 0 %) 47,7 % (+ 0,2 %) 71 € (- 1 €) 50,3 % (+ 0,6 %)
2016 19,1 % (± 0 %) 47,6 % (+ 0,3 %) 80 € (- 1 €) 50,4 % (+ 0,4 %)
2017 19,1 % (- 0,1 %) 47,4 % (+ 0,2 %) 90 € (- 1 €) 50,4 % (+ 0,3 %)
2018 19,7 % (- 0,3 %) 47,4 % (+ 0,3 %) 100 € (- 1 €) 50,6 % (+ 0,4 %)

2009

BÖLL, Sven (2009): Rente verkommt zum Hungerlohn.
Krise der Sozialversicherung: Das Rentensystem steht vor dem Kollaps. Ein heutiger Durchschnittsverdiener muss 26 Jahre lang Beiträge zahlen, um später gerade mal ein Einkommen auf Hartz-IV-Niveau zu erhalten. Spiegel Online zeigt anhand neuer Berechnungen das Debakel der staatlichen Altersvorsorge,
in: Spiegel Online v. 14.11.

"Das Rentenniveau, das die Bezüge des Standardrentners ins Verhältnis zum Durchschnittseinkommen aller Beitragszahler setzt, lag in den fünfziger Jahren noch bei mehr als 57 Prozent. Mitte dieses Jahrzehnts waren es noch gut 48 Prozent, 2040 sollen es nur noch um die 40 Prozent sein.
Das bedeutet: Wer in 30 Jahren in Rente geht, bekommt rund 20 Prozent weniger Leistungen als jemand, der vor kurzem in den Ruhestand wechselte. Das ist zwar keine Rentenkürzung im eigentlichen Sinne - denn das hieße, aktuelle Leistungen zu beschneiden. Aber die meisten Rentner von morgen werden das niedrigere Rentenniveau trotzdem als genau das empfinden",

erklärt uns Sven BÖLL. Die Lobbyorganisation DIA der Finanzdienstleister rechnen uns zudem vor, dass in den nächsten Jahren reale Kaufkraftverluste für die Rentner drohen:

"(D)ie Renten (sind) 2008 stärker gestiegen als per Gesetz vorgesehen. Und deshalb sinken sie kommendes Jahr nicht - obwohl sie es laut Formel müssten. Was Politiker ungern sagen: Die Erhöhungen in den besseren Zeiten fallen so lang geringer aus, bis der Rückstand wieder aufgeholt ist. Klar ist somit: Die Altersbezüge werden auch künftig noch steigen - aber höchstens um mickrige Beträge. Weil aber die Inflation ihr Übriges tut, kann durchaus aus einem kleinen Renten-Plus immer öfter ein realer Verlust an Kaufkraft werden. Was geringere Rentenanstiege mitsamt Inflation für die Rentner von morgen bedeuten, hat das Deutsche Institut für Altersvorsorge für SPIEGEL ONLINE berechnet."

Angenommen wird eine jährliche Inflation von 2 Prozent sowie eine Lohnsteigerung von 2,5 Prozent. Über die demografische Entwicklung, die angenommen wird, schweigt sich der Spiegel jedoch aus.

BUNDESREGIERUNG (2009): Rentenversicherungsbericht 2009 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 17/52 v. 20.11.

Der Rentenversicherungsbericht 2009 geht davon aus,  dass das Mindestsicherungsniveau eingehalten wird.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.23):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 19,8% (+ 0,7 %) 48,1 % (+ 0,4 %) 69 € (- 2 €) 50,7 % (+ 0,4 %)
2016 19,4 % (+ 0,3 %) 47,6 % (± 0 %) 78 € (- 2 €) 50,4 % (± 0 %)
2017 19,4 % (+ 0,3 %) 47,5 % (+ 0,1 %) 87 € (- 3 €) 50,6 % (+ 0,2 %)
2018 19,4 % (- 0,3 %) 47,4 % (± 0 %) 97 € (- 3 €) 50,7 % (+ 0,1 %)

Erstmals werden für die Riester-Rente nicht nur 4 % Zinsen, sondern auch Verwaltungskosten von 10 Prozent erwähnt. Inwiefern diese bei der Berechnung einfließen, darauf geht weder der Regierungsbericht noch das Gutachten des Sozialbeirats ein.

2010

BUNDESREGIERUNG (2010): Rentenversicherungsbericht 2010 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 17/3900 v. 29.11.

Der Rentenversicherungsbericht 2010 geht davon aus,  dass das Mindestsicherungsniveau eingehalten wird.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.24):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 19,3% (- 0,5 %) 48,3 % (+ 0,2 %) 69 € (± 0 €) 50,9 % (+ 0,2 %)
2016 19,3 % (- 0,1 %) 48,1 % (+ 0,5 %) 78 € (± 0 €) 50,9 % (+ 0,5 %)
2017 19,3 % (- 0,1 %) 47,9 % (+ 0,4 %) 87 € (± 0 €) 51,0 % (+ 0,4 %)
2018 19,3 % (- 0,1 %) 47,8 % (+ 0,4 %) 97 € (± 0 €) 51,1 % (+ 0,4 %)

2011

SCHMÄHL, Winfried (2011): Politikberatung und Alterssicherung. Rentenniveau, Altersarmut und das Rentenversicherungssystem, Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, Heft 1, S.159-174

Winfried SCHMÄHL erklärt uns die Vorgänge, die aus seiner Sicht zur Absenkung des Rentenniveaus führten:

"Das BMA wollte einen »Lebenserwartungsfaktor« in die Rentenformel integrieren, der gleichermaßen das Niveau für Rentenzugang und -bestand senkt. Demgegenüber hatte das Kommissionsmitglied Rürup in einem vorab vom BMA in Auftrag gegebenen Gutachten die Auswirkungen auf den Bestand explizit abgelehnt (Rürup 1996: 84), dann allerdings in der Kommission die BMA-Position übernommen und zusammen mit einigen weiteren Kommissionsmitgliedern ein »Eckrentenniveau« von 60 Prozent angestrebt – ein Niveau, das um zehn Prozentpunkte unter dem damals geltenden Zielwert liegt: Denn nach dem 1989 beschlossenen Recht sollte das »Eckrentenniveau»« – das heißt die Nettorente zum Beispiel eines Durchschnittsverdieners nach 45 Beitragsjahren (45 Entgeltpunkte) im Vergleich zum durchschnittlichen Nettoarbeitsentgelt aller Versicherten – 70 Prozent betragen. Schließlich schlug die Kommission einen, das Leistungsniveau von Zugang und Bestand senkenden, »demographischen Faktor« vor (der dann auch vom Gesetzgeber umgesetzt wurde). Er basierte auf der (Veränderung der) Lebenserwartung 65-Jähriger von vor neun Jahren (!), wobei der daraus resultierende Effekt nur zur Hälfte (!) wirksam werden sollte. Die Parameter waren so konstruiert, dass im Jahre 2030 ein Eckrentenniveau von 64 Prozent als Untergrenze erreicht wird – allerdings, sofern die Rente ohne Abschläge (also nach seinerzeitiger Rechtslage erst ab 65) in Anspruch genommen wird. Maßgebendes Argument für die Niveausenkungen war eine Minderung des Beitragssatzes und damit der Lohnkosten." (S.162f.)

Die 70 Prozent Nettorentenniveau stellen lediglich eine Zielvorgabe aus dem Rentenreformgesetz 1992 und kein auf jeden Fall erreichtes Niveau zu einem bestimmten Zeitpunkt dar (siehe auch hier).

BUNDESREGIERUNG (2011): Rentenversicherungsbericht 2011 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 17/7770 v. 16.11.

Der Rentenversicherungsbericht 2011 geht davon aus,  dass das Mindestsicherungsniveau eingehalten wird.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.24):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 19,0% (- 0,3 %) 48,2 % (- 0,1 %) 69 € (± 0 €) 50,8 % (- 0,1 %)
2016 19,0 % (- 0,3 %) 48,3 % (+ 0,2 %) 79 € (± 0 €) 51,1 % (+ 0,2 %)
2017 19,0 % (- 0,3 %) 48,1 % (+ 0,2 %) 88 € (+ 1 €) 51,2 % (+ 0,2 %)
2018 19,0 % (- 0,3 %) 48,0 % (+ 0,2 %) 98 € (+ 1 €) 51,3 % (+ 0,2 %)

2012

SCHMÄHL, Winfried (2012): Gründe für einen Abschied von der "neuen deutschen Alterssicherungspolitik" und Kernpunkte einer Alternative. In: Reinhard  Bispinck/Gerhard Bosch/Klaus Hofemann/Gerhard Naegele (HG) Sozialpolitik und Sozialstaat, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S.391-412

Winfried SCHMÄHL bezeichnet mit der "neuen deutschen Alterssicherung" die Gesetze, die mit der Riester-Reform 2001 ihren Beginn nahmen. Die dadurch entstehende "Vorsorgelücke" sollte den Börsen und Finanzdienstleistern ein Boom bescheren.

SCHMÄHL weist darauf hin, dass selbst die zusätzliche private Altersvorsorge zukünftig die Lebensstandardsicherung nicht ermöglicht, da sowohl durch das Nachhaltigkeitsgesetz 2004 als auch durch die nachgelagerte Besteuerung auf Alterseinkünfte das Niveau der Alterseinkünfte weiter gesenkt wurde. Eine Notwendigkeit für die neue deutsche Alterssicherung sieht SCHMÄHL - trotz des demografischen Wandels - nicht:

"Eine Erhaltung der GRV mit Lohnersatzfunktion bei hinreichendem Leistungsniveau wurde zwar politisch aus dem Katalog der für diskussionswürdig erachteten Möglichkeiten ausgeschlossen. Dennoch ist diese Alternative durchaus ökonomisch realisierbar unter realistischen Annahmen sogar weitgehend mit den postulierten Obergrenzen für den Beitragssatz vereinbar." (S.406)

Die Politik hat jedoch inzwischen Fakten geschaffen, die sich kaum mehr zurückdrehen lassen:

Bis "2009 ist das Leistungsniveau der GRV, gemessen am Zielwert der Netto-Eckrente aus dem »Rentenreformgesetz 1992«, bereits von 70 auf 63 Prozent gesunken, also um sieben Prozentpunkte bzw. zehn Prozent. Dieses Niveau liegt inzwischen unter dem, was mit dem »demographischen Faktor« der Kohl-Regierung als unterster Wert vorgesehen war und welcher von der rot-grünen Regierung als unsozial abgelehnt worden war." (S.406)

SCHMÄHL kritisiert, dass die Gewerkschaften gegen die Rente mit 67 statt gegen das Sinken des Rentenniveaus gekämpft haben.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Tagesthema: Der große Rentenstreit.
Es geht um das Schicksal von Millionen alter Menschen, es geht aber auch um die Macht in Berlin. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hat mit ihrem Konzept für eine Zuschussrente Bewegung in die politischen Fronten gebracht. Plötzlich scheint eine Einigung zwischen Union und SPD möglich zu sein. Und die FDP wittert schon eine große Koalition

HOLL, Susanne (2012): Absage an Geschrei und Gebrüll.
Unerwartet freundlich gehen die SPD-Vorstandsmitglieder mit Sigmar Gabriel um, als dieser seine Rentenpläne verkündet,
in: Süddeutsche Zeitung v. 11.09.

Susanne HOLL berichtet über die Vorstellungen der SPD-Linke, das Niveau der gesetzlichen Rente auf 50 Prozent zu stabilisieren. Zu den Befürwortern zählt HOLL die Landesvorsitzenden Ralf STEGNER und Thorsten SCHÄFER-GÜMPEL, den Juso-Chef Sascha VOGT, den IG Metaller Armin SCHILD, den Vorsitzenden des Arbeitnehmerflügels Klaus BARTHEL, Hilde MATHEIS, die Chefin der SPD-Frauen Elke FERNER und den Berliner Landesverband. Auf einem SPD-Treffen lehnte jedoch Sigmar GABRIEL solche Pläne ab. HOLL sieht Chancen, dass es in zwei Wochen einen Vorstandsbeschluss zur Rente geben könne. Dabei gehe es um eine Solidarrente von 850 Euro und ein Betriebsrentenkonzept.

"Noch aber ist offen, ob der kleine SPD-Parteitag im November das Rentenniveau tatsächlich unangetastet lässt",

erläutert uns HOLL.

HOLL, Thomas & Uta RASCHE (2012): "Es geht nicht, bei einem Rentenniveau von 43 Prozent zu bleiben".
Im Gespräch: Malu Dreyer (SPD), Sozialministerin und designierte Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 06.10.

"Es geht nicht, bei einem Rentenniveau von 43 Prozent des letzten Nettolohns zu bleiben. Das ist nicht zu verantworten. Durch die Einführung der Riester-Rente sollte das Sinken des Rentenniveaus auf 43 Prozent verhindert werden. Das ist nicht eingetreten. Die SPD muss darauf reagieren und eine gute Lösung finden, die deutlich über 43 Prozent liegt", erklärt uns Malu DREYER zur letzten Interviewfrage.

BOLLMANN, Ralph (2012): Wahlkampf um Rentner.
Spezial Forever old: CDU und SPD überbieten sich mit Vorschlägen gegen die Altersarmut. Das wird teuer,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 28.10.

Es geht BOLLMANN in erster Linie um die Absage an die Parteilinke:

"Eine Stabilisierung des gesamten Rentenniveaus, die sehr viel Geld kosten würde und einer Rücknahme der Rente mit 67 gleichkäme, wird in dem Papier aber klar abgelehnt. »Um ein Rentenniveau von 50 Prozent im Jahre 2030 sicherzustellen, müsste der Rentenversicherungsbeitrag dann rund 25 Prozent betragen«, heißt es darin. Bislang peilt die SPD offiziell 22 Prozent an."

Einzig Elke FERNER als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) wird als Befürworterin einer solchen Stabilisierung genannt.

BUNDESREGIERUNG (2012): Rentenversicherungsbericht 2012 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 17/11740 v. 29.11.

Erstmals verwendet der Regierungsbericht den Begriff "Generationengerechtigkeit", um die Absenkung des Rentenniveaus zu rechtfertigen. Außerdem wird sogar behauptet, dass durch die Riester-Rente das Gesamtversorgungsniveau sogar "leicht gesteigert" wird:

"Die aus Gründen der Generationengerechtigkeit erforderliche Absenkung des Sicherungsniveaus vor Steuern macht deutlich, dass die gesetzliche Rente zwar auch zukünftig die zentrale Säule der Altersversorgung bleiben wird, aber alleine nicht ausreichen wird, um den Lebensstandard des Erwerbslebens im Alter fortzuführen. In Zukunft wird der erworbene Lebensstandard nur erhalten bleiben, wenn die finanziellen Spielräume des Alterseinkünftegesetzes und die staatliche Förderung genutzt werden, um eine zusätzliche Vorsorge aufzubauen. Das Gesamtversorgungsniveau wird so langfristig aufrecht erhalten bzw. sogar leicht gesteigert." (S.8)

Der Regierungsbericht zeigt, dass die Auswirkungen der Finanzkrise brutal schöngeredet werden.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.24):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 19,3% (+ 0,3 %) 48,3 % (+ 0,1 %) 69 € (± 0 €) 50,8 % (- 0,1 %)
2016 19,3 % (+ 0,3 %) 48,1 % (- 0,2 %) 78 € (- 1 €) 51,1 % (+ 0,2 %)
2017 19,3 % (+ 0,3 %) 47,9 % (- 0,2 %) 87 € (- 1 €) 51,2 % (+ 0,2 %)
2018 19,3 % (+ 0,3 %) 47,8 % (- 0,2 %) 97 € (- 1 €) 51,3 % (+ 0,2 %)

Im Gutachten des Sozialbereirats, das federführend von Franz RULAND (SPD) gezeichnet wurde, wird der Begriff "Generationengerechtigkeit" im Zusammenhang mit der Rechtfertigung der Anhebung des Renteneintrittsalters verwendet.

BMWI (2012)(Hrsg.): Altersarmut. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, November

"Im Folgenden werden die gesetzlichen Renteneinkünfte der 1965 bis 1979 Geborenen unter verschiedenen Beschäftigungs-Szenarien und rentenrechtlichen Annahmen berechnet, insbesondere der Prozentsatz der Personen, deren Renteneinkünfte so niedrig liegen werden, dass sie – zusammen mit ihren sonstigen Einkünften – unter das Grundsicherungsniveau fallen werden. Hierbei wird angenommen, dass die Verteilung der Arbeitsentgelte und der alterstypischen sonstigen Einkünfte (einschließlich der Einkünfte von Ehepartnern) im Vergleich zum Basisjahr 2010 konstant bleiben" (S.9),

heißt es zur Vorgehensweise bei der Ermittlung der zukünftigen Altersarmut der 1965 - 1979 Geborenen. Ausgegangen wird von 2,6 % Empfängern von Grundsicherung im Alter. Zur rentendämpfenden Wirkung des Rentenreformen 2001 bis 2007 heißt es:

"Wendet man (...) die in Zukunft geltende Rentenanpassungsformel auf die Kohorte der 1965 bis 1979 Geborenen an, d. h. berücksichtigt man im Gegensatz zum Status quo die rentendämpfende Wirkung des Nachhaltigkeitsfaktors, werden ca. 80.000 zusätzliche Personen (3,1 % statt 2,6 %) die Grundsicherung in Anspruch nehmen müssen. Durch die Einführung der Rente mit 67 müssten bei Ausbleiben jeglicher Anpassung der Lebensarbeitszeit etwa 37.000 zusätzliche Personen Abschläge in Kauf nehmen, was die Grundsicherungsquote um weitere etwa 0,2 Prozentpunkte erhöht. Zusammengenommen besteht die von allen übrigen Veränderungen isolierte Wirkung der Rentenreformen 2001–2007 also darin, dass etwa 120.000 zusätzliche Personen unter die Schwelle der Altersarmut fallen und die Grundsicherungsquote von 2,6 % auf 3,3 % steigt." (S.10)

Bei diesen Berechnungen bleibt die verdeckte Armut, d.h. Personen, die zwar Anspruch auf die Grundsicherung im Alter hätten, diesen aber aus verschiedenen Gründen nicht in Anspruch nehmen, unberücksichtigt. Zudem wird die Nicht-Anpassung an die geänderten Rahmenbedingungen ausschließlich als individuelles Fehlverhalten betrachtet, weil z.B. die Folgen der Erhöhung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre nicht berücksichtigt wird, z.B. indem die erhöhte Inanspruchnahme von Erwerbsminderungsrenten und Berufsunfähigkeitsrenten ausgeblendet wird. Stattdessen heißt es:

"Wenn die Menschen also ihren Renteneintritt nicht der steigenden Lebenserwartung anpassen, keine zusätzliche Altersvorsorge betreiben, während eines hohen Anteils ihres Erwerbslebens kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis haben, und wenn zudem in den neuen Bundesländern die derzeitige Einkommensverteilung der 30- bis 34-Jährigen für die Einkommensverteilung der dortigen Rentner maßgeblich wäre, dann würde die Zahl der Grundsicherungsempfänger um ca. 400.000 auf etwa 1,3 Millionen Menschen ansteigen." (S.10f.)

Der Zynismus, mit dem der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung (d.h. nur 50 % der betrachteten Bevölkerung erreicht überhaupt diese Zielvariable, die zur Richtschnur genommen wird!), drückt sich auch darin aus, dass die Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen der Vergangenheit einfach nur linear in die Zukunft fortgeschrieben werden:

"Dies ist jedoch eine sehr statische Annahme, die jegliche durch die Rentenreformen beabsichtigte Verhaltensanpassung ignoriert. Umgekehrt würde eine Zunahme der Lebensarbeitszeit um 1,5 Jahre 26.000 derzeit von Altersarmut betroffene Personen über das Grundsicherungsniveau heben (0,3 Prozentpunkte der Grundsicherungsquote). Diese Zunahme entspricht den vergangenen Verhaltensreaktionen auf die Einführung der Abschläge in der Rentenreform 1992, übertragen auf die noch ausstehenden Arbeitnehmergruppen. Damit würde die Lebensarbeitszeit immer noch deutlich unter der des heutigen „Eckrentners“ liegen, die 45 Jahre beträgt. Dieser Wert entspricht in etwa dem Median der derzeit erworbenen Entgeltpunkte. Eine zusätzliche Verschiebung der gesamten derzeitigen Verteilung der Renteneintrittsalter um 2 Jahre im Zuge der Rente mit 67 würde dann die rentendämpfende Wirkung des Nachhaltigkeitsfaktors gerade kompensieren. Würden die Arbeitnehmer durch einen wiederum späteren Renteneintritt Rentenabschläge völlig vermeiden, d. h. sich vollständig an das Rentenzugangsalter von 67 Jahren anpassen, würde die Grundsicherungsquote trotz der Reformmaßnahmen 2001–2007 von 2,6 % auf 2,3 % sinken." (S.11)

Diese Passage will im Grunde sagen: Wenn die Altersarmut in Zukunft steigt, dann ist das keine Folge der Rentenformen, sondern die Schuld der betroffenen Personen, die unwillig sind, sich den geänderten Anreizstrukturen zu unterwerfen. Hier kann man sehen wie neoliberale Technokraten denken. Federführend bei diesem Gutachten war Axel BÖRSCH-SUPAN.        

2013

STEFFEN, Johannes (2013): Die Anpassung der Renten in den Jahren 2003 bis 2013. - Zugleich eine Wirkungsanalyse der »Riester«-Treppe.
Zugleich eine Wirkungsanalyse der "Riester"-Treppe,
in:
sozialpolitik-portal.de v. 03.04.

RWI (2013): Demografie und Rente. Die Effekte einer höheren Erwerbstätigkeit Älterer auf die Beitragssätze zur Rentenversicherung. Endbericht Projekt im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)

Interessant an der Studie ist, dass sie sich zum einen an den Prognosen des Rentenversicherungsberichts 2012 orientiert, nicht jedoch das Nettorentenniveau vor Steuern zum Maßstab nimmt, sondern das Bruttorentenniveau. Zur Vorgehensweise heißt es:

"Mit dem vorliegenden Modell lassen sich nun die unterschiedlichen Szenarien simulieren. Dies kann man zum einen unter Anwendung der (...) Nachhaltigkeitsformel durchführen, was der Anpassung gemäß der derzeitigen Rechtslage entspricht. Ein wesentlicher Effekt dieser Art der Rentenanpassung besteht darin, dass der Anstieg des aktuellen Rentenwerts im Zuge der demographischen Alterung gedämpft wird. Nur wenn das zahlenmäßige Verhältnis von Rentenempfängern und Beitragszahlern (der Rentnerquotient) konstant bliebe, würde der aktuelle Rentenwert mit der Rate der Löhne wachsen. Dann würde das »Bruttorentenniveau des Standardrentners« konstant bleiben. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist jedoch eine Verschlechterung des Rentnerquotienten unausweichlich. Im Referenzszenario wachsen daher die Renten etwas langsamer als die Löhne, was dazu führt, dass das relative »Rentenniveau« absinkt. Gleichwohl müssen die Beitragssätze deutlich ansteigen und erreichen im Jahr 2026 einen Wert von 20,9 Prozent (wie im Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung). Um den Effekt der rein demographischen Alterung auszugleichen müsste die Beschäftigung deutlich wachsen bzw. der Anstieg der Rentnerzahl gedämpft werden.
Die vorliegende Studie kann somit anhand der unterschiedlichen Szenarien aufzeigen, wie die Folgen der demographischen Alterung für Beitragssatz und Rentenniveau abgemildert oder verstärkt werden." (S.10f.)

Das Szenario Stabilisierung des Rentenniveaus wird uns folgendermaßen erklärt:

"Die Simulation dieses Vorschlags verdeutlicht sehr anschaulich, welchen »Preis« die Gesellschaft in Form eines höheren Rentenbeitragssatzes für ein bestimmtes Bruttoversorgungsniveau zahlen müsste. Hierfür betrachten wir das oben bereits genannte »Bruttorentenniveau des Standardrentners«. Die Bundesregierung verwendet im Rentenversicherungsbericht mit dem »Sicherungsniveau vor Steuern« eine etwas andere Operationalisierung, die zu ähnlichen Ergebnissen führt. Hält man das Bruttorentenniveau konstant, wird die derzeit gültige Rentenanpassungsformel vollständig außer Kraft gesetzt. Dies bedeutet nicht nur, dass der demographische Faktor eliminiert wird, auch die dämpfende Rückkopplungswirkung eines steigenden Beitragssatzes entfällt. Die Rentenanpassung folgt dann exakt der Lohnentwicklung. Im Referenzszenario zeigt sich, dass der Beitragssatz in mittlerer Frist (d.h. bis 2026) um weitere 1,5 Prozentpunkte steigen müsste." (S.11)

Eine Stabilisierung des Bruttorentenniveaus ist etwas ganz anderes als eine Stabilisierung des Nettorentenniveaus, denn ob die Beitragssätze für die Arbeitnehmer steigen oder sinken, findet bei dem Bruttorentenniveau im Gegensatz zum Nettorentenniveau, keinen Eingang in die Betrachtung. Allein die Art der Operationalisierung verweist bereits auf die Interessenlage der Arbeitgeber, die in dieser Studie der Maßstab sind.

Man kann jedoch aus der Aussage auf die Kosten einer solchen Stabilisierung des Bruttorentenniveaus rückschließen. Nach einer üblichen Faustformel ergäben sich für das Jahr 2025 rund 18 Milliarden Euro. Für das Jahr 2012 wird in der Studie mit 46 % gerechnet (vgl. S.12). Dies war jedoch der Wert für das Jahr 2011. 2012 lag das Bruttorentenniveau nur noch bei 45,4 %. Für das Jahr 2020 wird der erste Babyboomer-Jahrgang erwartet. Danach sollen die Rentnerzahlen gemäß der Studie steigen stark ansteigen. Im Status-Quo-Szenario (Referenzszenario genannt) werden folgende Entwicklungen beim Beitragssatz und Bruttorentenniveau erwartet:

Tabelle: Vergleich der RWI-Prognosen zu Beitragssatz und Bruttorentenniveau mit der tatsächlichen Entwicklung
Jahr Beitragssatz
(Prognose)
Beitragssatz
(Prognose
bei Stabilisierung
Bruttorentenniveau
46 Prozent)
Beitragssatz
(tatsächliche
Entwicklung)
Bruttorentenniveau
(Prognose)
Bruttorentenniveau
(tatsächliche
Entwicklung)
2012 19,3 % 19,3 % 19,6 % 46,0 % 45,4 %
2013 18,8 % 18,9 % 18,9 % 44,9 % 45,1 %
2020 19,6 % 20,7 %   43,5 %  
2025 20,6 % 22,8 %   42,2 %  
2030 22,2 % 25,9 %   40,2 %  
2035 23,2 % 27,9 %   38,6 %  
2040 23,2 % 28,0 %   38,2 %  
2045 23,4 % 28,2 %   38,2 %  
2050 23,6 % 28,8 %   37,9 %  
Quelle: RWI 2013, Tabelle 2, S.13; eigene Darstellung

In den RWI-Prognosen ist das Rentenpaket mit den Leistungsverbesserungen noch gar nicht berücksichtigt. Das "Best Case"-Szenario (vgl. S.15) geht für 2020 von einem Beitragssatz von 18,9 Prozent und einem Bruttorentenniveau von 45,3 Prozent aus. Dieses Positivszenario könnte 2020 trotz zwischenzeitlicher Ausweitung der Leistungen in der Rentenversicherung erreicht werden. Dies wäre dann jedoch kein Verdienst der Bundesregierung, sondern der pessimistischen Einschätzung der Bevölkerungs- und Arbeitsmarktentwicklung geschuldet.       

BUNDESREGIERUNG (2013): Rentenversicherungsbericht 2013 und Gutachten des Sozialbeirats. Bundestag-Drucksache 18/95 v. 20.11.

Der Rentenversicherungsbericht 2013 geht davon aus,  dass das Mindestsicherungsniveau eingehalten wird.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.27):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 18,3% (- 1,0 %) 48,0 % (- 0,3 %) 70 € (+ 1 €) 50,5 % (- 0,3 %)
2016 18,3 % (- 1,0 %) 48,3 % (+ 0,2 %) 80 € (+ 2 €) 51,1 % (± 0 %)
2017 18,3 % (- 1,0 %) 48,2 % (+ 0,3 %) 91 € (+ 4 €) 51,3 % (+ 0,1 %)
2018 18,8 % (- 0,5 %) 48,3 % (+ 0,5 %) 101 € (+ 4 €) 51,6 % (+ 0,3 %)

Der Regierungsbericht beschreibt die Anhebung des Renteneintrittsalters u.a. auch als Maßnahme zur Einhaltung des Mindestsicherungsniveaus:

"Angesichts der weiter steigenden Lebenserwartung und des langfristig demografisch bedingten Rückgangs der Personen im erwerbsfähigen Alter ist die schrittweise Anhebung der Altersgrenze für die Regelaltersrente vom 65. auf das 67. Lebensjahr bis 2029 durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RVAltersgrenzenanpassungsgesetz, BGBl I 2007, S. 554) eine wichtige rentenpolitische Maßnahme, um die gesetzlichen Beitragssatzobergrenzen und das Mindestsicherungsniveau einhalten zu können. Sie darf allerdings nicht ausschließlich als Instrument zur nachhaltigen Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung verstanden werden. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung zielt die Maßnahme vor allem auch darauf, die Erwerbstätigkeit der Älteren zu steigern, um damit einem drohenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken und somit Wirtschaftswachstum und Wohlstand in einer alternden Gesellschaft für die Zukunft zu erreichen." (S.49)

2014

BACH, Stefan/HAAN, Peter/COPPOLA, Michela/RAUSCH, Johannes (2014): Wirkungen von Rentenreformen auf Rentenbeitrag und Rentenniveau sowie Beschäftigungseffekte der Rentenbeitragsänderung. (DIW Berlin. Politikberatung kompakt, 79), Berlin

In der INSM-Auftragsstudie von DIW und MEA werden zur Bevölkerungsentwicklung folgende Annahmen getroffen:

"Für die Bevölkerungsvorausberechnung sind Annahmen zur Entwicklung der Lebenserwartung bei Geburt, der zukünftigen Nettomigration sowie der Fertilitätsrate zu treffen. Ausgangspunkt der Berechnung ist der Bevölkerungsstand des Jahres 2012. Alternativ können bestehende Bevölkerungsvorausberechnungen, z.B. die 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes, eingelesen werden: Die erwähnte Vorausberechnung hat den Nachteil, dass sie die positive Bevölkerungsentwicklung aufgrund der hohen Nettomigration der letzten Jahre nicht berücksichtigt. Deshalb erstellen wir für unsere Simulationen eine eigene Projektion der deutschen Bevölkerung unter Verwendung der Annahmen der Variante 1W2 der 12. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung. Bis 2060 unterstellen wir entsprechend
• eine konstante Fertilitätsrate von 1,4,
• eine jährliche Nettomigration von 200.000 Personen und
• einen Anstieg der Lebenserwartung bei Geburt auf 87,7 Jahre bei Männern und 91,2 Jahre bei Frauen." (2014, S.12)

Zur Entwicklung der Rentenversicherung werden drei Szenarien berücksichtigt:

"Insgesamt wird die Entwicklung der Rentenversicherung bis zum Jahr 2030 für drei Szenarien berechnet:
1. Szenario »ohne Reformen«: Dieses Szenario ist als Referenzszenario zu verstehen, um die Wirkungen möglicher Reformen im Vergleich zur gesetzliche Regelung des Jahres 2013 zu analysieren.
2. Szenario »Pläne der große Koalition«: Hier wird die Implementierung der Pläne der großen Koalition (und zwar: die Einführung der Mütterrente, der Lebensleistungsrente sowie der abschlagsfreien Rente mit 63 Jahren für besonders langjährige Versicherte) simuliert.
3. Szenario »Kopplung der Renteneintrittsalter an Lebenserwartung«: Hier wird die automatische Anhebung der Renteneintrittsalter bei 8 Monate pro Jahr gewonnene Lebenserwartung simuliert." (2014, S.14)

Für das Szenario ohne Reformen werden folgende Auswirkungen auf das Rentenniveau erwartet:

"Im Fall einer vollen Anpassung der betroffenen Individuen auf die Anhebung der Altersgrenzen auf 67 Jahre, wird der Beitragssatz vom ca. 19% auf 23% in 2035 ansteigen. Dabei entfällt allein auf den Zeitraum zwischen 2017 und 2020, aufgrund der Verrentung der geburtenstarken Jahrgänge, über 1 Prozentpunkt des Anstieges. Soll das gesetzliche Renteneintrittsalter auf 67 Jahre bleiben, wird der Beitragssatz aufgrund der steigernden Lebenserwartung auf ca. 25% in 2060 ansteigen. Das Rentenniveau wird hingegen bis 2035 von 45% auf 39% sinken. Bereits in den Jahren zwischen 2017 und 2020 sorgt die Verrentung der Baby-Boomer für eine starke Senkung des Rentenniveaus von 1,4 Prozentpunkte. In 2060 wird das Rentenniveau im Referenzszenario auf ca. 36% weiter sinken. Diese Schätzungen fallen etwas optimistischer als in Bucher-Koenen und Wilke (2009) aus. Dies dürfte unter anderem an der verbesserten Lage am Arbeitsmarkt in den letzten Jahren und den geringfügig unterschiedlichen Annahmen bzgl. der Bevölkerungsentwicklung liegen." (2014, S.19)

Angesichts der Tatsache, dass in diesen Aussagen das Rentenpaket gar nicht berücksichtigt ist, zeigt sich eine gewaltige Kluft zwischen den Prognosen zur tatsächlichen Entwicklung der beschriebenen Faktoren.

BIRKWALD, Matthias W. (2014): Neue Renten, ohne Niveau,
in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Juni

Matthias W. BIRKWALD, rentenpolitischer Sprecher der Linkspartei, kritisiert das beschlossene Rentenpaket unter drei Gesichtspunkten: 1. Rücknahme der Rentenanpassungsformel aus dem Jahr 2001, 2. Senkung der Regelaltersgrenze von 67 auf 65 Jahre und 3. Schaffung einer armutsfesten Erwerbsminderungsrente. Im Hinblick auf diese Ziele hält BIRKWALD das Rentenpaket für kontraproduktiv.

BIRKWALD weist insbesondere auf die fatale Kopplung zwischen Beitragssatz und Rentenniveau hin, die vor allem aufgrund der falschen Finanzierung der Mütterrente zu einem niedrigeren Rentenniveau - auch für junge Mütter - führt. Ausführlich nachzulesen ist die Wirkungsweise in der Ausschussdrucksache 18(11)82:

"Der »Riester-Faktor« – als Teil der Rentenanpassungsformel gemäß § 68 SGB VI – mindert bei steigenden Beitragssätzen zur allgemeinen Rentenversicherung die Rentenerhöhung im Folgejahr. Kurzfristig (im Jahr 2015) stiegen die Renten um 0,8 Prozent weniger als vorgesehen, langfristig blieben sie rund 0,6 Prozent hinter der bisherigen Hochrechnung zurück. Bei einer Standardrente (»Eckrente«) entspräche dies kurzfristig monatlich einer rund zehn und langfristig einer rund sieben Euro geringeren Bruttorente (in heutigen Werten). Kurzfristig wären Dreiviertel (langfristig über die Hälfte) dieser Rentendämpfung auf die nicht sachgerechte Finanzierung der »Mütter-Renten« zurückzuführen."
(Ausschussdrucksache 18(11)82, S.15).

Neben dem Riester-Faktor wirkt auch der Nachhaltigkeitsfaktor rentenniveausenkend:

"Steigen die auf Kindererziehungszeiten beruhenden Rentenzahlungen an, sinkt das Rentenniveau. Also ausgerechnet dann, wenn die begünstigten Eltern in Rente gehen (oder bei Leistungsausweitung bereits sind). Damit wird aber zumindest teilweise die „Anerkennung der Kindererziehung“ konterkariert. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, da die Anzahl der Kinder, die vor 1992 geboren wurden, bereits feststeht und so ausschließlich der niveausenkende Effekt des Nachhaltigkeitsfaktors zum Tragen kommt."
(Ausschussdrucksache 18(11)82, S.16).

In der Verteidigung der Mütterrente in der Wochenzeitung Die ZEIT durch eine fünffache Mutter wird dieser Aspekt verschleiert.

BUNDESREGIERUNG (2014): Rentenversicherungsbericht 2014. Bundestag-Drucksache 18/3260 v. 20.11.

Der Rentenversicherungsbericht 2014 geht davon aus,  dass das Mindestsicherungsniveau eingehalten wird.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.31):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 18,7% (+ 0,4 %) 47,1 % (- 0,9 %) 70 € (± 0 €) 49,6 % (- 0,9 %)
2016 18,7 % (+ 0,4 %) 47,1 % (- 1,2 %) 79 € (- 1 €) 49,9 % (- 0,2 %)
2017 18,7 % (+ 0,4 %) 47,3 % (- 0,9 %) 90 € (- 1 €) 50,3 % (- 1,0 %)
2018 18,7 % (-  0,1 %) 47,1 % (- 1,2 %) 101 € (± 0 €) 50,4 % (- 1,2 %)

2015

ÖCHSNER, Thomas (2015): Nicht genug für den Ruhestand.
Bund prognostiziert steigende Altersbezüge und sinkendes Rentenniveau,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 12.11.

THELEN, Peter (2015): Ernüchternder Blick in die Zukunft.
Studie sagt weiteres Absinken des Rentenniveaus um 15 Prozent bis 2040 voraus,
in:
Handelsblatt v. 13.11.

Aus dem Handelsblatt-Artikel geht hervor, dass die Studie im Vorfeld der Veröffentlichung des Rentenversicherungsberichts 2015 lanciert wurde, der der Versicherungswirtschaft zu positiv ausfällt.

DOEMENS, Karl (2015): Renten-Hokuspokus.
Analyse: Die Versicherungswirtschaft glaubt, die Entwicklung der gesetzlichen Rente bis zum Jahr 2040 voraussagen zu können - und kreiert prompt ein düsteres Szenario,
in: Frankfurter Rundschau
v. 13.11.

Karl DOEMENS kritisiert, dass die PROGNOS-Auftragsstudie Rentenperspektiven 2040 auf der 13. Bevölkerungsvorausberechnung fußt, die für ihn bereits ins "Altpapier" gehöre. Den langen Zeitraum erklärt DOEMENS dadurch, dass die Rendite der privaten Altersvorsorge derzeit so bescheiden sei, dass es ein sehr düsteres Szenario für die gesetzliche Rente brauche, um die Dringlichkeit der Privatvorsorge sichtbar zu machen.

Wie schlecht es um die Rendite der Privatvorsorge derzeit steht, macht der Artikel Die gesetzliche Rentenversicherung ist für Ältere unschlagbar von Barbara BRANDSTÄTTER (FAZ 07.11.2015) deutlich:

"Wer 55 Kerzen oder mehr auf seiner Geburtstagstorte zählt, sollte darüber nachdenken, das Geld aus der Lebensversicherung oder aus dem Erbe von Tante Erna in die gesetzliche Rente zu investieren - vor allem dann, wenn der Anleger noch privat krankenversichert ist."

Vor diesem Hintergrund ist die Panik der Versicherungsbranche und ihr Wunsch verständlich, die gesetzliche Rente schlecht aussehen zu lassen.

BUNDESREGIERUNG (2015): Beitrag bleibt, Rente steigt.
Rentenversicherungsbericht 2015: Die Rentenbeiträge für 2016 bleiben voraussichtlich bei 18,7 Prozent. Die Rente könnte nach Berechnungen des Rentenversicherungsberichts zum 1. Juli 2016 um 4,4 Prozent in den alten und um 5 Prozent in den neuen Bundesländern steigen. Den Bericht hat das Bundeskabinett beschlossen,
in:
bundesregierung.de v. 18.11.

Ist das Rentenniveau vom demografischen Wandel abhängig? Die entscheidende Rolle spielt nicht der Altenquotient, sondern der Rentnerquotient, d.h. das Verhältnis von Rentenempfängern und Beitragszahlern.

Im Vergleich der Rentenversicherungsberichte 2010 (12. Bevölkerungsvorausberechnung) und 2015 (13. Bevölkerungsvorausberechnung) zeigt sich, dass sich das Verhältnis von Rentenempfängern und Beitragszahlern positiver entwickelt hat als noch vor Jahren erwartet: Während der Rentenversicherungsbericht 2010 für das Jahr 2015 einen Rentnerquotienten von 0,5532 prognostiziert hatte, geht der aktuelle Rentenversicherungsbericht von 0,5224 aus. (Differenz von 0,03). Das erscheint nur auf den ersten Blick wenig. Im Rentenversicherungsbericht 2005 (10. Bevölkerungsvorausberechnung) lag der Rentnerquotient für das Jahr 2015 noch bei 0,5809 (Differenz von 0,059). Hier zeigt sich deutlich, dass aufgrund der Bevölkerungsvorausberechnungen, die lediglich den Altenquotienten fortschreiben und der Fortschreibung eines gleichbleibenden Rentnerquotienten - wie er in den Rentenversicherungsberichten praktiziert wird - innerhalb eines Zeitraums von nur 10 Jahren durchaus Änderungen stattfinden können, die das Rentenniveau beeinflussen. Weder die Fortschreibung des Altenquotienten in Bevölkerungsvorausberechnungen, noch jene des Rentnerquotienten in Rentenversicherungsberichten, ermöglichen also langfristige Voraussagen über die Rentenentwicklung.

Der Rentenversicherungsbericht 2015 geht davon aus,  dass das Mindestsicherungsniveau eingehalten wird.

Die Annahmen zur Entwicklung der Beitragssätze, des Sicherungsniveaus und der Gesamtversorgung ist in der folgenden Übersicht im Vergleich mit dem letzten Regierungsbericht ersichtlich (vgl. Tabelle B 8, S.31):

Jahr Beitragssatz
(Differenz zum
Vorjahr
)
Sicherungs-
niveau vor Steuern
(Differenz zum
Vorjahr
)
Monatliche
Riester-Rente
für Neuzugang
bei 4 % Zinsen
pro Jahr
(Differenz zum
Vorjahr
)
Gesamtver-
sorgungsniveau
für Neuzugang
(Differenz zum
Vorjahr
)
2015 18,3% (- 0,4 %) 48,0 % (+ 0,9 %) 70 € (± 0 €) 50,5 % (+ 0,9 %)
2016 18,3 % (- 0,4 %) 48,3 % (+ 1,2 %) 80 € (+ 1 €) 51,1 % (+ 0,2 %)
2017 18,3 % (- 0,4 %) 48,2 % (+ 0,9 %) 91 € (+ 1 €) 51,3 % (+ 1,0 %)
2018 18,8 % (+ 0,1 %) 48,3 % (+ 1,2 %) 101 € (± 0 €) 51,6 % (+ 1,2 %)
 
     
 
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 12. Januar 2016
Update: 07. Februar 2019