Das Jahr 2004 im Spiegel der
Medien
1) Singles
und Politik
Nach der offensiv geführten bevölkerungspolitischen
Debatte um den demografischen Wandel im Jahr
2003 (siehe hierzu ausführlich den
Rückblick 2003), gilt
Bevölkerungspolitik nun auch bei unseren Eliten als enttabuisiert. SCHWÄGERL formuliert das folgendermaßen:
Schockprävention
"Es wird rückblickend zu
den großen gesellschaftlichen Verschiebungen in Deutschland
gezählt werden, daß seit dem vergangenen Jahr der
demographische Wandel in allen Facetten in das Bewußtsein der
Bevölkerung eindringt. Zahlreiche sozialwissenschaftliche
Doktorarbeiten werden darüber abzufassen sein, wie es möglich
war, daß Kindermangel, Stadtschrumpfung und kollektive
Alterung derart lange tabuisiert geblieben sind. Von
»verlorenen Jahrzehnten« ist nun dramatisierend die Rede".
("Christian Schwägerl in der FAZ vom
27.01.2004) |
Auch für den
britischen Economist (14.05.2004) ist Bevölkerungspolitik
in Deutschland kein Tabu mehr.
Der Bestseller
Das Methusalem-Komplott von Frank SCHIRRMACHER und die
Medienkampagne um die Studie
Deutschland 2020 - die
demographische Zukunft der Nation vom Berlin Institut für
Weltbevölkerung und globale Entwicklung wird in diesem
Zusammenhang hervorgehoben. Tatsächlich war
aber Bevölkerungspolitik bereits im Jahr 2001 kein Tabu mehr,
denn mit dem Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts
wurde bereits die Legalität von Demografiepolitik
sichergestellt.
Dass nun
Kinderlose (ein dehnbarer Begriff wie die
Debatte im Vorfeld des
Kinderberücksichtigungsgesetzes gezeigt hat)
ab 2005 einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung zahlen
müssen, weist auf die fehlende Organisiertheit von
Singleinteressen hin.
Während
Arbeitgeber-, Familien- und Rentnerverbände im Vorfeld
Einschränkungen ihrer negativen Betroffenheit durchsetzen
konnten, gab es von Seiten der Kinderlosen keinen nennenswerten
Widerstand. Einzig der
zunehmende Rechtfertigungsdruck
wurde verschiedentlich beklagt.
Angesichts dieser
Tatsache darf damit gerechnet werden, dass die Politik ihre
bevölkerungspolitische Zurückhaltung spätestens nach der
Bundestagswahl 2006 endgültig aufgeben wird.
Im nächsten Jahr
werden die verschärften Zumutbarkeitskriterien für Singles
bei der Jobannahme und die HARTZ IV-Regelungen dafür sorgen,
dass Unverheiratete und Kinderlose ihre faktische
Diskriminierung auch im Alltag stärker zu spüren bekommen.
Unter dem
harmlos klingenden Schlagwort der nachhaltigen Familienpolitik sind weitere
bevölkerungspolitische Maßnahmen geplant.
Der Vorstoß beim Elterngeld zeigt die Richtung: in Zukunft werden die
Kinder der Eliten noch mehr Wert sein als die Kinder von
Geringverdienern.
Mit dem
Kinderberücksichtigungsgesetz ist gleichzeitig der
Einstieg
in den katholischen Sozialstaat vollzogen worden.
Damit verbunden
ist nicht nur eine Umverteilung zwischen "Kinderbesitzern" und
"Kinderlosen", sondern auch eine Lastenumverteilung von
Arbeitgebern auf Arbeitnehmer. Zudem hat sich der Staat aus der
Verantwortung zur finanziellen Besserstellung von Erziehenden
gestohlen.
Die Entlastung
von Unternehmen und Staat sowie die Ausklammerung von speziellen
Berufsgruppen (Freiberufler, Beamte usw.) ist ein
Hauptaspekt des katholischen Sozialstaats, der ständische
Prinzipien fortschreibt.
Das für die
Pflegeversicherung beschlossene Prinzip lässt sich zudem auf
andere Sozialversicherungszweige übertragen.
Mit der Forderung
nach einer Rente nach Kinderzahl wird bereits seit
längerem auf die Übertragung auf das Rentensystem hingearbeitet. Der Erfolg der
Familienpartei bei der Saarwahl zeigt zudem, dass der
Familienfundamentalismus auf dem Vormarsch ist.
Die
Organisation von Singleinteressen ist unabdingbar, wenn eine
dramatische Verschlechterung der Lebenslagen von Singles
abgewendet werden soll.
Der Schweizer
Sozialforscher Matthias DRILLING hat am Beispiel der Stadt Basel das
Problem der Sozialstaatsabhängigkeit von gering verdienenden
Singles untersucht.
Er bezeichnet
diese Individualisierungsopfer als
Young urban poor.
Die gegenwärtige
Demografie- und Sozialpolitik der Bundesregierung könnte für
junge Singles in Deutschland ähnlich problematische Lebenslagen
mit sich bringen.
2) Singles
in der Gesellschaft
Obwohl Singles bereits seit Beginn der 1990er Jahre
einem ständig zunehmenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sind,
hat die Lifestyle-Soziologie diese Entwicklung erst im letzten
Jahr mit dem Begriff vom
Wandel des
Wertewandels (HRADIL) bestätigt.
Seit der Soziologe Heinz BUDE (taz vom 28.02.2004)
die Renaissance alter Familienwerte auch in jenen Milieus
gekommen sieht, die bisher durch eine oftmals nur diskursive
Distanz gekennzeichnet waren, ist vom Auslaufmodell Familie
keine Rede mehr.
In der Generation Golf hat sich vor allem
Joachim BESSING (Tristesse Royale) als Verfechter
reaktionärer Familienwerte positioniert. Sein Buch Rettet die
Familie! ist eine Absage an Familienformen jenseits der vollständigen, biologischen Kernfamilie.
Die Leitplanken des Zeitgeists
"Auffällig
war in jeder neuen Niedergangsstufe des 68er-Einflusses,
dass sich die Gegner der 68er von diesen die Werte
Unkonventionalität, Provokation, Lockerheit, Frechheit und
Tabubruch geborgt hatten."
(Diedrich Diederichsen im Jahrbuch Theater heute,
September 2004, S.48) |
Für die Poplinke, die ihren rapiden Einflussverlust
verarbeiten muss, spricht Diedrich DIEDERICHSEN (Theater
heute Jahrbuch 2004) von einer neuen Niedergangsstufe des
68er-Einflusses. In seiner Sicht beschreibt er BESSINGs
Ansatz als "Kreuzzug für die Rettung der Familie in ehemaligen
Partytypen-Kreisen", wobei ihm seine "exhedonistische" Ehefrau
Alexa Henning von LANGE zur Seite stehe.
Mit Sophie DANNENBERG ist eine weitere Akteurin
hinzugekommen, die Patchworkfamilien und Alleinerziehende
als Zeichen des Niedergangs wertet. Ihr Roman Das bleiche Herz der Revolution
gilt Bobos (z.B. 68er, die den Charme der Bourgeoisie für sich
entdeckt haben) und Neokonservativen als willkommenes Vehikel für eine
Familienwertedebatte.
Die Notwendigkeit einer solchen Wertedebatte wird
zum einen aus dem demografischen Wandel und seinen
angeblich zwangsläufigen wirtschaftlichen und sozialstaatlichen
Folgen abgeleitet, zum anderen aber auch durch Vergleich mit
vormodernen Gesellschaften (hierzu wird in letzter Zeit vor
allem die Islamismus-Debatte instrumentalisiert) und
Frankreich
-
als Beispiel für ein
Land mit einer erfolgreichen
Bevölkerungspolitik - nahe gelegt. Deutschland gilt in dieser
Perspektive als bevölkerungspolitisches Entwicklungsland.
Seit 2001 wird in den Medien die zunehmend
aggressivere
Single-Rhetorik mit dem Komplex negativer demografischer Folgen verbunden.
Dies hat einerseits dazu geführt, dass sich
Familien als gesellschaftliche
Minderheit fühlen, obgleich sie in der dominierenden
Altersgruppe der 30-55Jährigen die Bevölkerungsmehrheit stellen.
Auf der anderen Seite gehen
Alleinlebende irrtümlich davon aus,
dass ihr Lebensstil weit verbreitet sei.
Ein Blick auf die amtliche Statistik des Jahres
2003 zeigt dagegen die tatsächlichen Relationen im mittleren
Lebensalter:
Alter der Person
(in Jahren) |
Alleinlebende
(Anteil an der gleichaltrigen Bevölkerung in %) |
Personen mit Kinder(n)
im Haushalt
(Anteil in %) |
30-34 |
20,1 |
51,9 |
35-44 |
14,9 |
66,8 |
45-54 |
13,6 |
53,2 |
Quelle: Statistisches Bundesamt,
2004; eigene Berechnungen
Abgesehen vom kurzen Sommer der Anarchie,
als mit den Yetties und dem New Economy-Hype eine neue
Gesellschaft möglich schien, galt das Single-Dasein nur bei der
Minderheit der Karrierefrauen (deren Kaufkraft von der
Wirtschaft umworben ist und die aber meistens nicht partnerlos
sind, sondern in Distanzbeziehungen leben) und einigen swinging Singles (der Anteil von überzeugten Singles ist mit
ca. 3 % verschwindend gering) als erstrebenswert.
Galt das Single-Dasein jedoch noch bis in die 1980er
Jahre als gesellschaftlich tolerierter Lebensstil, so war der
Single-Begriff spätestens seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend
negativ besetzt.
Mittlerweile gelten Singles vielen gar als
Sozialschmarotzer und Nie wieder Single ist das
Schlüsselthema einer Single-Industrie, die sich dem
Partnerlosen (Single, Partnerlosigkeit bzw.
Beziehungsunfähigkeit gelten - dank der medialen Hetzkampagnen -
inzwischen als Synonym für die heterogene Lebensform der
Einpersonenhaushalte) verschrieben hat.
Die Überführung in die Zweisamkeit gilt
neuerdings fast als so etwas wie eine Gemeinwohlaufgabe, die zudem
noch beträchtliche Gewinnspannen ermöglicht.
Internet-Partnerbörsen und Flirtchats boomen,
die Einkaufszentren haben das Lonely Heart entdeckt,
Speed-Dating soll die Halbwertszeit der Partnerlosigkeit
verringern und Computerspiele bieten Trockenkurse in
Beziehungsfähigkeit an.
Jenseits der Partnersuche (und seinem Zwilling
Einsamkeit) wird die Lebensform Einpersonenhaushalt
dagegen gesellschaftlich zunehmend unsichtbarer. Eine
Ausnahme bildete hier die taz, die in einem Reise-Special
über den Markt für Alleinreisende berichtete (31.01. und
07.02.2004).
War bereits im letzten Jahr der Mann als Opfer des
Feminismus immer für eine Titelgeschichte gut, so gilt das
diesjährige Interesse vor allem dem Scheidungsopfer Mann.
Jörg LAU (Merkur Doppelheft September/Oktober
2004) und Georg FRANZEN (Kommune Nr.5/2004) bilden in
diesem Jahr die männliche Speerspitze des Anti-Feminismus.
3)
Singles in TV, Film und Literatur
Im Fernsehen hat die Single-Dämmerung
begonnen. Mit Friends und Sex and the City laufen
die beiden erfolgreichsten Single-Serien aus.
Die letzte Staffel von Sex and the City ist
bereits vom neuen Zeitgeist geprägt: Swinging Samantha erkrankt
an Krebs, Miranda zieht vom Single-Quartier Manhattan ins
familiengerechte Brooklyn und last but not least heiratet
Carrie.
Gemäß Naomi WOLF ist Sex and the City die
Antwort auf die Frage, die Virginia WOOLF in Ein Zimmer für
sich allein aufgeworfen hat. Was würde die allein stehende
und befreite Frau den ganzen lieben langen Tag machen? Shoppen
und Ficken meint WOLF. Zumindest im Fernsehen ist es damit nun
vorbei. Das Buch Sex and the City - Kiss and Tell (Amy
Sohn, 2004) lädt zu nostalgischen Rückblicken ein.
Das Kino bietet dafür mit Bridget Jones - Am
Rande des Wahnsinns nur biedere Hausmannskost, das im
Fernsehen durch Fernsehserien wie Samba für Singles (SWR)
und Single-TREND (RTL) repräsentiert wird.
Auf dem Literatursektor sieht es ebenfalls schlecht aus. Männliche Singles in der Midlife-Crises können sich
mit Neue Vahr Süd von Sven REGENER in jene Zeit
zurückversetzen, in der die Jugendkultur noch als Maß aller
Dinge galt.
In diesem Jahr hat dagegen die ZEIT (16.09.2004)
das Ende des Jugendwahns ausgerufen. Ein erstes Zeichen
für den Erfolg des Methusalem-Komplotts? Oder nur die Konsequenz
eines zunehmenden Alterswahns?
Die Jugend von heute
"Eine maßlose Wut stieg
in mir auf. Er verliebte sich in jede unbedeutende Tusse,
wenn sie nur blöd genug war, ihn zu verkennen und
abzuweisen. Denn nur bei solchen Tussen konnte er sicher
sein, daß es zu keiner Beziehung kam. Er war ganz einfach
schwul und wußte: Bei einer Beziehung mit einer Frau würde
alles auffliegen. Und so wie er war seine ganze verdammte
Generation. Weil sie alle bei der alleinerziehenden Mutter
aufgewachsen waren. Weil der Vater versagt hatte. Weil ICH
versagt hatte."
(2004, S.156) |
Die Jugend von heute, eine als Roman
bezeichnete Borderline-Reportage aus Berlin-Mitte vom Poponkel
Joachim LOTTMANN gilt dem neokonservativen Feuilleton als
Inbegriff der neuen Zeit.
Die Jugend von heute widmet sich darin ausgiebig
dem Laber-Flash und dem Kuschelsex, statt
ergebnisorientiert für Nachwuchs zu sorgen. Zusammen mit
DANNENBERGs Roman Das bleiche Herz der Revolution (siehe
oben) erhält man so jenes Bild, das sich unsere Werteelite gerne
vom Rest ihrer Welt macht.
Die Frauenliteratur wurde in diesem Jahr u. a. von
Katja KULLMANN (Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18
Grad) und Tommy JAUD bedient. Der Autor ist zwar ein Mann, hat aber mit
Vollidiot ein männliches Trampeltier à la Bridget Jones
zum Protagonisten gemacht, das besonders die Herzen der Frauen
anspricht.
4) Ausblick
2004 ist für
Singles ein Wendejahr. Ab 2005 ist das Single-Dasein mit
verschärften staatlichen Sanktionen (höhere Beiträge zur
Pflegeversicherung, verschärfte Zumutbarkeitsregelungen bei der
Jobsuche usw.) verbunden.
Der
Rechtfertigungsdruck erhöht sich weiter, da vor der
Bundestagswahl 2006 mit einer verstärkten Debatte um Familienwerte
gerechnet werden muss.
In den Medien wird
einerseits das Single-Dasein jenseits von Partnersuche und
Einsamkeit unsichtbar und andererseits die Normalfamilie zum
Pflichtprogramm erhoben.
Bildungs-
Arbeitsmarkt- und Rentenreformen werden zusätzliche
Restriktionen mit sich bringen.
Ohne die
Organisation von Singleinteressen, wie dies z.B. in den USA
der Fall ist, wird das Single-Dasein wieder zu jener
abweichenden Verhaltensweise werden, die es bis in die 1960er
und 1970er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war.
Es könnte jedoch
noch schlimmer kommen. Für Sozialpopulisten aller Parteien sind
Singles ideale Sündenböcke. Sie werden für
gesellschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht, die in
erster Linie mit Struktur- und Konjunkturproblemen zu tun haben
und nicht mit Werten.
Die Single-Lüge - Das Buch zur Debatte
"Dies
ist die erste grundlegende Auseinandersetzung mit dem
nationalkonservativen Argumentationsmuster, das zunehmend
die Debatte um den demografischen Wandel bestimmt.
Hauptvertreter dieser Strömung sind Herwig Birg, Meinhard
Miegel, Jürgen Borchert und Hans-Werner Sinn. Die
Spannbreite der Sympathisanten reicht von Frank
Schirrmacher bis zu Susanne Gaschke. Als wichtigster
Wegbereiter dieses neuen Familienfundamentalismus muss der
Soziologe Ulrich Beck angesehen werden.
Es wird aufgezeigt, dass sich die
nationalkonservative Kritik keineswegs nur gegen Singles
im engeren Sinne richtet, sondern auch gegen Eltern, die
nicht dem klassischen Familienverständnis entsprechen.
Die Rede von der "Single-Gesellschaft"
rechtfertigt gegenwärtig eine Demografiepolitik, die
zukünftig weite Teile der Bevölkerung wesentlich
schlechter stellen wird. In zahlreichen Beiträgen, die
zumeist erstmals im Internet veröffentlicht wurden,
entlarvt der Soziologe Bernd Kittlaus gängige
Vorstellungen über Singles als dreiste Lügen. Das Buch
leistet damit wichtige Argumentationshilfen im neuen
Verteilungskampf Alt gegen Jung, Kinderreiche gegen
Kinderarme und Modernisierungsgewinner gegen
Modernisierungsverlierer." |
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