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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Die Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland

 
       
   

Die Debatte um den Anstieg der Lebenserwartung, die Gesundheit Älterer, die Unterschiede der Sterblichkeit und ihre Bedeutung für die Sozialsysteme (Teil 6)

 
       
   

Die Chronologie der Debatte

 
       
   
     
 

Vorbemerkung

Die Entwicklung der Lebenserwartung gilt Demografen und Ökonomen neben der Entwicklung der Geburten in Deutschland als das gesellschaftliche Hauptproblem des demografischen Wandels. Insbesondere die Rentenversicherung und die Krankenversicherung sowie die Pflegeversicherung (Stichworte: Pflegebedarf bzw. Pflegenotstand) erscheint in einer Gesellschaft der Langlebigen als bedroht. Spätestens seit Ende der 1970er Jahre wird das Rentensystem aufgrund der steigenden Altenlast immer wieder vor dem Kollaps gesehen. Leistungseinschnitte oder Privatisierungen gelten Neoliberalen bzw. Nationalkonservativen als einzige Möglichkeit, um die Sozialversicherungssysteme zu retten. Dabei bleiben die zentralen Fragen außen vor: Was bedeutet der Anstieg der Lebenserwartung überhaupt für unsere Gesellschaft? Nicht demografische Aspekte, sondern nicht-demografische Aspekte wie der medizinische und technologische Fortschritt, die Gesundheit jüngerer und älterer Menschen, infrastrukturelle und arbeitsmarktstrukturelle Veränderungen sind in der hier vertretenen Sicht bedeutender. Die Zukunft Deutschlands könnte also ganz anders aussehen als dies die üblichen Prognosen behaupten. Diese Bibliografie widmet sich deshalb in erster Linie jenen Fragen, die gewöhnlich eher vernachlässigt werden, weil sie nicht von mächtigen Interessensgruppen vorangetrieben werden.

Kommentierte Bibliografie (Teil 6: 2017)

2017

CREUTZBURG, Dietrich (2017): Immer mehr Ruheständler arbeiten.
Die Zahl erreicht neue Höchststände. Gearbeitet wird meist jedoch nicht aus wirtschaftlicher Not, sondern aus einem anderen Grund,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.01.

Dietrich CREUTZBURG verkündet uns den Anstieg der arbeitenden Rentner aus seiner neoliberalen Sicht. Die Rente ab 63 wird von Neoliberalen seit ihrem Beschluss mit dem Rentenpaket 2014 als Teufelszeug gegeißelt. Dumm nur, dass die Zahlen diese Verteufelung nicht hergeben:

"Allerdings dämpft sie den Beschäftigungsaufbau nicht mehr so stark wie zu Beginn: Mitte 2016 gab es laut Arbeitsagentur in der Altersgruppe von 60 bis 65 Jahren 1,96 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte; gegenüber dem Vorjahr ist das ein Plus von 6 Prozent."

Die Spaßarbeiter unter den Rentnern halten sich in Grenzen, weshalb unsere Aufmerksamkeit auf die hohen Steigerungsraten gelenkt werden:

"Neue Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass im vergangenen Jahr erstmals mehr als 200.000 Ruheständler einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgingen. Dies ist ein Anstieg um 52 Prozent seit dem Jahr 2011 – obwohl das Renteneintrittsalter seither um fünf Monate angehoben wurde."

Bei Rentnern findet man kaum Normalarbeitsverhältnisse, sondern eher Minijobs oder Solo-Selbständigkeit. Aus neoliberaler Perspektive wird das als Erfolg verbucht. 

DESTATIS (2017): Knapp 2,9 Millionen Pflegebedürftige im Dezember 2015,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 16.01.

"Im Dezember 2015 waren in Deutschland 2,86 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, hat die Zahl der Pflegebedürftigen im Vergleich zum Dezember 2013 um 234 000 (+ 8,9 %) zugenommen. 83 % der Pflegebedürftigen waren 65 Jahre und älter, mehr als ein Drittel (37 %) war mindestens 85 Jahre alt. Die Mehrheit der Pflegebedürftigen war weiblich (64 %).
Annähernd drei Viertel (73 % oder 2,08 Millionen) aller Pflegebedürftigen wurden zu Hause versorgt. Davon wurden 1,38 Millionen Pflegebedürftige in der Regel allein durch Angehörige gepflegt. Weitere 692 000 Pflegebedürftige lebten ebenfalls in Privathaushalten, sie wurden jedoch zusammen mit oder vollständig durch ambulante Pflegedienste versorgt. Gut ein Viertel (27 % oder 783 000 Pflegebedürftige) wurde in Pflegeheimen vollstationär betreut.
Im Vergleich mit Dezember 2013 ist die Zahl der in Heimen vollstationär versorgten Pflegebedürftigen um 2,5 % (+ 19 000) gestiegen. Bei der Pflege zu Hause ist die Zunahme mit + 11,6 % (+ 215 000 Pflegebedürftige) deutlich höher, was auch auf die Reformen der Pflegeversicherung zurückzuführen ist", meldet das Statistische Bundesamt, das außerdem die Pflegestatistik 2015 veröffentlicht hat.

BUSLEI, Hermann/HAAN, Peter/KEMPTNER, Daniel Kemptner (2017): Rente mit 67.
Beitragssatz wird stabilisiert – egal, ob tatsächlich länger gearbeitet wird,
in:
DIW-Wochenbericht Nr.3 v. 18.01.

"Hier wird (...) auf Basis eines Simulationsmodells für drei Beschäftigungsszenarien gezeigt, dass die Entlastung auf der Beitragsseite auch dann weitgehend gewährleistet ist, wenn ein beträchtlicher Teil der Beschäftigten nicht erst mit 67 in Rente geht. Der Grund dafür sind Abschläge auf die Rentenzahlungen bei frühzeitigem Renteneintritt. Je nach tatsächlichem Renteneintrittsalter ergeben sich daher substantielle Unterschiede in der durchschnittlichen Rente nach Abschlägen. Auf individueller Ebene können die Abschläge zu einem deutlichen Einkommensrückgang und damit zu einer signifikanten Erhöhung des Armutsrisikos im Alter führen. Zur Sicherung der Einkommen im Alter erscheint es geboten, die Beschäftigung bis zum neuen Regelrenteneintrittsalter durch arbeitsrechtliche und rentenrechtliche Regelungen zu unterstützen und auch durch effektive Weiterbildung zu fördern. Zudem sollten Regelungen zur Absicherung gegen Altersarmut geprüft werden, zum Beispiel eine Ausweitung der Grundsicherung im Alter und eine gezielte Erhöhung der Erwerbsminderungsrenten",

fasst der Beitrag das Ergebnis zusammen. Die Erkenntnis ist keineswegs überraschend, sondern die Rente mit 67 wurde von Anfang an von den Gegnern als reine Rentenkürzung kritisiert.

PFEIFFER, Hermannus (2017): Versicherer rechnen sich den Tod schön.
In den Sterbetafeln gehen die Unternehmen von längerer Lebenserwartung aus- und lassen sich dies bezahlen,
in:
Neues Deutschland v. 25.01.

BÄCKER, Gerhard/JANSEN, Andreas/SCHMITZ, Jutta (2017): Rente erst ab 70? Probleme und Perspektiven des Altersübergangs. Gutachten für den DGB Bundesvorstand, Duisburg, 30.01.

BÄCKER/JANSEN/SCHMITZ weisen auf die differenzielle Entwicklung der Lebenserwartung in Abhängigkeit von der sozialen Schicht hin:

"Zunächst ist zu fragen, was die Daten und Entwicklungstrends von Lebenserwartung und Mortalität wirklich aussagen. Es handelt sich um Durchschnittswerte (arithmetische Mittel), die nicht weiter differenzieren. Aus der Fülle von internationalen und auch deutschland-spezifischen Untersuchungen lässt sich aber immer wieder entnehmen, dass sowohl der Gesundheitszustand als auch das Mortalitätsrisiko eng mit dem sozialen Status der Menschen zusammenhängen. Dies gilt für die mittlere Lebenserwartung (bei der Geburt) als auch für die fernere Lebenserwartung (etwa ab Erreichen des 60. oder 65. Lebensjahres): Je niedriger der Status – gemessen an Merkmalen wie Einkommen, Qualifikation, Lebensbedingungen und Art der Berufstätigkeit – desto größer sind die Risiken zu erkranken und auch früh zu versterben. Gerade im fortgeschrittenen Lebensalter prägen sich diese sozialen Ungleichheiten im besonderen Maße aus, da sich die physischen und psychischen Belastungen – verbunden mit geringeren materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen – über den Lebens- und Erwerbsverlauf hinweg kumulieren. Die Zugewinne der ferneren Lebenserwartung fallen deswegen in den unteren Statusgruppen deutlich geringer aus als in den mittleren und vor allem in den höheren Statusgruppen (vgl. Lampert u.a. 2014; Lampert u.a. 2016). So kommen Auswertungen auf der Datenbasis des Sozio-Ökonomischen Panels, die die relative Position der Bevölkerung im Einkommensgefüge zum Maßstab nehmen, zu dem Ergebnis, dass die Abstände der mittleren Lebenserwartung zwischen der obersten und untersten Einkommensposition bei 10,8 Jahren (Männer) bzw. 8,4 Jahren (Frauen) liegen. Bei der ferneren Lebenserwartung ab 65 betragen die Spannen 7,4 Jahre (Männer) bzw. 6,3 Jahre (Frauen)". (2017, S.86)

Bei der Rentenversicherung wirkt die Beitragsbemessungsgrenze zwar nivellierend, aber dennoch verbleiben auch hier große Unterschiede:

"Auch aus den Daten der Rentenversicherung lassen sich diese Unterschiede entnehmen. Sie fallen – bezogen nur auf die Arbeitnehmer und begrenzt auf Einkommen bis zur Beitragsbemessungsgrenze –etwas moderater, aber immer noch deutlich aus. Vergleicht man die höchste und die niedrigste Einkommensgruppe (gemessen an der Summe der persönlichen Entgeltpunkte) zeigt sich bei der ferneren Lebenserwartung ab dem 65. Lebensjahr eine Differenz von 3,5 Jahren (Frauen) und 5,3 Jahren (Männer)." (2017, S.87)

Mit der Teilprivatisierung der Alterssicherung werden jedoch die Geringverdiener den Lebensversicherern in die Arme getrieben, die von höheren Lebenserwartungen ausgehen, sodass es dort zu einer Umverteilung von Arm zu Reich kommt.

BÄCKER/JANSEN/SCHMITZ gehen außerdem auf den Zusammenhang von Morbiditätsrisiko und Erwerbsarbeit ein.

SCHMITZ, Jutta & Lina ZINK (2017): Abhängige Erwerbstätigkeit im Rentenalter.
Erste Erkenntnisse auf betrieblicher Ebene,
in:
WSI-Mitteilungen, Heft 2

SCHMITZ & ZINK setzen sich kritisch mit den Vorstellungen der Betriebe und der Politik (Stichwort: Flexi-Rente) zur Erwerbstätigkeit von Menschen im Rentenalter auseinander. Die Vorstellungen kollidieren nach Ansicht der Autorinnen, die sich auf nicht-repräsentative Falluntersuchungen und explorative Interviews berufen, mit den Wünschen der Rentner. Außerdem befürchten die Autorinnen negative Effekte für die Lohn- und Arbeitsmarktentwicklung:

"Die Hoffnung (...) dem Fachkräftemangel zu begegnen, wird vor dem Hintergrund der hier diskutierten Ergebnisse (...) unerfüllt bleiben. Dafür stimmen weder die Bedingungen und Erwartungen, die Rentnerinnen und Rentner an die Weiterführung ihrer Erwerbtätigkeit stellen, noch das Arbeitsplatzangebot bzw. der Arbeitseinsatz der Betriebe. (...).
Zu befürchten ist, dass es zu Rückwirkungen auch auf die reguläre Beschäftigung kommen kann und wird, wenn beispielsweise immer mehr hochqualifizierte Rentnerinnen und Rentner zu günstigen Löhnen (einfache oder qualifizierte) Aufgaben übernehmen." (2017, S.115f.)

Es wird zudem darauf verwiesen, dass durch den verstärkten Einsatz älterer Arbeitnehmer notwendige Anpassungen verzögert werden oder sogar unterbleiben.

HEIßMANN, Nicole (2017): Die Formel für ein langes Leben.
Titel: Die Menschen auf unseren Fotos sind alle 50. Doch die Zeit hat in jedem Gesicht ganz eigene Spuren hinterlassen. Die Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn erforscht, warum Menschen unterschiedlich altern. Und wie wir es schaffen, dem Leben möglichst viele gesunden Jahre abzugewinnen,
in:
Stern Nr.10 v. 02.03.

Nicole HEIßMANN fasst die Ergebnisse der Telomerforschung von Nobelpreisträgerin Elizabeth BLACKBURN und der Psychologin Elissa EPEL ("Die Entschlüsselung des Altern") zu einem Rezept des langen, gesunden Lebens zusammen, das 7 Bestandteile hat:
- gute Stressbewältigung
- Behandlung psychischer Leiden
- gesunde und ausgewogene Ernährung
- Sport
- soziale Unterstützung und Netzwerke
- täglich mindestens 7 Stunden schlafen
- weitgehende Vermeidung von Nikotin und Schadstoffen

BUCHTER, Heike (2017): Kollaps im Hinterland.
Heute geborene Amerikaner werden voraussichtlich knapp 79 Jahre alt. Die Lebenserwartung der US-Bürger, eine Messlatte für Fortschritt, sinkt. Warum?
in:
Die ZEIT Nr.10 v. 02.03.

HANDELSBLATT-Titelthema: Gefährliches Spiel mit der Rente.
Mehr als 100 Milliarden Euro kostet nach exklusiven Berechnungen die neue Rentenpolitik der Regierung. Doch damit nicht genug: Die Wahlkämpfer versprechen bereits weitere Wohltaten. Bezahlen müssen das Arbeitnehmer und Unternehmen

THELEN, Peter (2017): Die Kosten der schwarz-roten Rentenpolitik.
Wahlkampf um die Rente: Neue Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft belegen: Schon die Rentenpolitik in dieser Legislatur belastet künftige Generationen mit einem dreistelligen Milliardenbetrag. Dabei hat der der Rentenwahlkampf noch gar nicht begonnen,
in:
Handelsblatt v. 14.03.

Weil sich der SPD-Kanzlerkandidat Martin SCHULZ bislang zur Rentenpolitik nicht konkret geäußert hat, bläst das Handelsblatt nun Berechnungen der Arbeitgeberlobby IW Köln zu den angeblichen Kosten des Rentenpakets 2014 zum Titelthema auf. Basis ist das IW Policy-Paper Kosten der schwarz-roten Rentenpolitik – eine Heuristik von Jochen PIMPERTZ.

Bei den Kosten zur abschlagfreien Rente ab 63 versucht THELEN die Berechnungen des IW schönzufärben:

"Die Kosten der Rente ab 63 kann das IW nicht ganz so präzise vorhersagen. (...). Dabei geht es um die Menschen, die seit 2014 vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ohne den eigentlich vorgeschriebenen Rentenabschlag von 3,6 Prozent in Rente gingen. Der sprunghafte Anstieg der Zugänge bei der Rente für besonders langjährig Versicherte spricht (...) dafür, dass ohne die Abschlagsfreiheit die meisten nicht vorzeitig in Rente gegangen wären.
2013, im Jahr vor dem Inkrafttreten der Reform, bezogen 16.197 Männer und Frauen erstmals eine Rente für langjährig Versicherte. 2014 waren es über 151.000 und 2015 bereits fast 275.000. Zwischen 2014 und 2017 machten laut Schätzung des IW über 925.400 von der Möglichkeit Gebrauch, abschlagsfrei jenseits des 63. Lebensjahrs in Frührente zu gehen. Allein die Gewährung der Abschlagsfreiheit kostete die Beitragszahler über 2,5 Milliarden in den vier Jahren, davon 1,2 Milliarden Euro allein im Wahljahr 2017."

Man kann diese Darstellung als Versuch sehen, die Anzahl der Reformgewinner künstlich zu erhöhen. Das Jahr 2013 ist kein realistischer Maßstab, weil viele natürlich ihren Renteneintritt aufgeschoben haben, um in den Genuss besserer Konditionen zu kommen. Die Differenz ist also verzerrt. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzesentwurf für das Jahr 2017 mit 2 Milliarden Euro Kosten rechnete, das wären also 800 Millionen Euro mehr als das was uns THELEN nun als sensationelles Ergebnis präsentiert.

THIELE, Lukas (2017): Wer arm ist, stirbt früher.
Zahlen des Robert-Koch-Instituts bestätigen Zusammenhang zwischen Geld und Gesundheit,
in:
Frankfurter Rundschau v. 16.03.

Lukas THIELEs Bericht basiert auf der gestrigen Pressemeldung des Robert-Koch-Instituts (RKI), bei der wiederum auf eine Studie über Einkommen und Lebenserwartung aus dem Jahr 2012 verwiesen wird.

"Männer und Frauen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsrisikogrenze haben im Vergleich zu den hohen Einkommensbeziehern eine um 11 bzw. 8 Jahre geringe mittlere Lebenserwartung bei Geburt",

heißt es in der RKI-Pressemeldung, die THIELE zitiert. In der Pressemeldung des DIW dagegen heißt es:

"Frauen aus armutsgefährdeten Haushalten haben (...) eine um dreieinhalb Jahre geringere Lebenserwartung als wohlhabende Frauen. Männer aus armutsgefährdeten Haushalten und solche mit prekären Einkommen leben durchschnittlich fünf Jahre kürzer als ihre wohlhabenden Geschlechtsgenossen."

Hier geht es nicht um die Lebenserwartung bei Geburt, sondern um die Lebenserwartung von 65-Jährigen. Betrachtet wurden dabei die Geburtsjahrgänge 1919 - 1944.

WSA (2017): Länger leben.
Eltern werden älter als Kinderlose,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 16.03.

Eltern werden älter als Kinderlose? So führt die SZ ihre Leser in die Irre, denn es handelt sich um eine Studie, die lediglich Aussagen trifft zu zwischen 1911 und 1925 in Schweden geborene Menschen. Über das Studiendesign erfahren wird nichts, sodass der Leser keine Möglichkeit besitzt, sich selber ein Bild zu machen. Der SZ geht es also lediglich um das Mantra, dass Familie besser ist als Kinderlosigkeit. Welchen Wert eine Studie hat, die Ergebnisse aus einer Zeit präsentiert als Kinderlosigkeit wesentlich stärker stigmatisiert war als heutzutage, wird erst gar nicht als Problem gesehen.

WINKLER, Peter (2017):Amerikas weisse Arbeiterklasse kollabiert.
Die Lebenserwartung der nichtfarbigen Unterschicht in den USA sinkt unentwegt,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 29.03.

Peter WINKLER berichtet über eine Studie Mortality and morbidity in the 21st century der Ökonomen Anne CASE & Angus DEATON.

AMREIN, Marcel (2017): Die Männer holen auf.
Lebenserwartung für beide Geschlechter bei über achtzig Jahren,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 03.04.

Marcel AMREIN stellt die Veröffentlichung neuer Zahlen zur Lebenserwartung der Schweizer einzig und allein in den Kontext der Rentenreform, um den Schweizern vorzuhalten, dass das Renteneintrittsalter angesichts ihrer Lebenserwartung zu niedrig ist, denn die Lebenserwartung eines 65-jährigen Mannes beträgt 18,9 Jahre, diejenige der Frauen sogar 22 Jahre.

NIEDEN, Felix zur & Alexandros ALTIS (2017): Lebenserwartung von Beamtinnen und Beamten.
Befunde und Auswirkungen auf künftige Versorgungsausgaben,
in:
WISTA, Heft 2 v. 13.04.

Aus der folgenden Tabelle ist die fernere Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu den Beamtinnen und Beamten gemäß der Sterbetafel 2010/2012 ersichtlich:

Tabelle: Vergleich der ferneren Lebenserwartung in ausgewählten Altersjahren für die
Gesamtbevölkerung sowie für Beamte und Beamtinnen 2010/2012
Vollendetes Alter in Jahren Männer Frauen

Gesamt-bevölkerung

Beamte Differenz

Gesamt-bevölkerung

Beamtinnen Differenz
Jahre
25        53,4 56,4 * + 3,0        58,3 60,5 * + 2,2
60        21,3 23,7 * + 2,5 **        25,0 26,9 * + 1,9
65        17,5 19,5 * + 2,1 **        20,7 22,4 * + 1,7
70        13,9 15,5 + 1,6        16,6 18,1 + 1,5
80          7,7 8,4 + 0,7          9,2 10,2 + 1,0
90          3,7 3,9 + 0,2          4,2 4,6 + 0,4
100          1,9 1,9 ± 0,0           2,1 2,1 ± 0,0
Quelle: NIEDEN & ALTIS 2017, Heft 2, Tabelle 1, S.117
Anm.: * Schätzwerte unter Berücksichtigung von Annahmen; ** Abweichungen durch Rundungs-
differenzen

Die Annahmen, die den Schätzwerten unterliegen beschreiben NIEDEN & ALTIS folgendermaßen:

"Vor Alter 70 basieren die Verläufe auf der Annahme, dass sich Sterblichkeitsunterschiede zwischen Beamtinnen und Beamten und der Gesamtbevölkerung erst ab Alter 26 und im Laufe des weiteren Erwerbslebens aufbauen, bevor sie entsprechend des beobachtbaren Anpassungstrends wieder abnehmen." (2017, S.116)

HERZINGER, Richard (2017): Ein Biotop für den Gestus des radikalen Dagegenseins.
Die Systemopposition der Älteren ist ein Aufstand von Verhinderern und Zerstörern des Neuen,
in:
Welt v. 15.04.

"Die Zahl der Frührentner nimmt massiv zu. Es gibt immer mehr noch leistungsfähige und gut ausgebildete Menschen, die viele Jahre aktiven Lebens vor sich haben, nachdem sie aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind. Das verändert die politische Kultur der Republik signifikant. So ist das Phänomen »Wutbürger« nicht zuletzt ein Produkt des anwachsenden Frührentnertums bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung. Im Jahr 2011 wählte bereits fast jeder zweite Deutsche, der in Rente ging, den vorzeitigen Ruhestand. Mit der 2014 erfolgten Einführung der abschlagsfreien Frührente für Arbeitnehmer ab 45 Berufsjahren hat diese Tendenz weiter zugenommen. 2015 waren es schon 70 Prozent der Versicherten, die sich vorzeitig aus dem Arbeitsleben in die Rente verabschiedeten. Das Durchschnittsalter der Neurentner liegt nunmehr bei knapp 62 Jahren",

ärgert sich Richard HERZINGER (Die Online-Version gibt es hier), der das Protestpotenzial gegen den Neoliberalismus durch Arbeitszwang für Ältere beheben möchte. Seine Zahlen hat er sich aber offenbar selber ausgedacht, denn der Spiegel (20.06.2017) meldete zu Entwicklung des tatsächlichen Renteneintrittsalters in Deutschland:

"Lag das Renteneintrittsalter im Jahr 2000 noch bei 62,3 Jahren, kletterte es bis 2014 auf 64,1 Jahre. (...). Doch 2015 ist das Eintrittsalter wieder auf 64,0 Jahre gesunken".

STEIN, Hannes (2017): Rente mit 70 oder 80.
Leidartikel: Karl Marx hat einfach zu kurz gedacht: Der Kapitalismus schafft vor unseren Augen das Proletariat ab. Arbeit wird sich bald grundlegend verändern. Wir sollten uns mehr Gedanken über die Konsequenzen machen,
in:
Welt v. 02.05.

Das Versprechen grundlegender Änderungen der Arbeitswelt gehört zum Kapitalismus wie das Amen zur Kirche.

"Natürlich ist der Trend zur Automatisierung schon älter, er begann eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber jetzt hat das Tempo sich verschärft",

will uns Hannes STEIN weismachen. Auf welcher Parallelwelt lebt STEIN eigentlich. War die Dampfmaschine etwa keine Automatisierung? Und war der Manchester-Kapitalismus keine Epoche verschärften Tempos? Und der Fordismus? War der nicht auch viel früher?

Oh Gott! Es wird noch schlimmer. STEIN hat den Spaßarbeiter erfunden! Glaubt er zumindest:

"Selbstverständlich war vollkommen richtig, dass Leute, die Knochenarbeit verrichten, sich mit 65 davon ausruhen können. Aber von dieser Plage wird so wenig übrig bleiben wie von der Arbeit des Bauern (...) Arbeit wird künftig etwas sein, was Menschen als Partner von Maschinen verrichten; und sie wird Spaß machen. Warum sollten Leute mit 65 damit aufhören!"

Das Paradies auf Erden haben uns schon viele versprochen. Die kurze Ära des Spaßarbeiters wurde in Deutschland erstmals kurz vor dem Zusammenbruch der New Economy ausgerufen. Dann feierte die digitale Bohéme den Freelancer als neuen Spaßarbeiter. Davon hört man auch nichts mehr, stattdessen wird nur noch vom Prekariat gesprochen. Wir wollen von Spaßarbeitern lieber nichts mehr lesen!

FRITZEN, Florentine (2017): Die fitten Alten.
Auch wenn die Rente nicht für Wasserskier reicht: Engagierte, zufriedene Senioren passen zum Zeitgeist. Aber nicht jeder kann, nicht jeder will,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 07.05.

Florentine FRITZEN beschreibt den Wandel des Altenbildes, der mit einem Paradigmenwechsel in der Altenpolitik einhergeht: vom Defizit- zum Kompetenzmodell. Die Alten sollen als neue Ressource vereinnahmt werden. Dafür steht die Ressourcenausstattung der oberen Mittelschicht Modell: einkommensstark, gesund und engagiert. Der Rest der Gesellschaft ist aufgrund seiner Ressourcenausstattung dagegen auf eine ganz andere Politik angewiesen. Aber die (noch) Volksparteien von CDU/CSU und SPD (Grüne und FDP sowieso) ist ganz auf diese "neue Mitte" ausgerichtet. Die Realität der jetzigen Rentner sieht jedoch ganz anders aus und nicht nur für die so genannten "Hochbetagten" (85-Jahre und älter) wie FRITZEN meint. Bekanntlich erreichen die heutigen 65-Jährigen Männer nur sehr selten das Hochbetagten-Alter. Die 65-jährigen Männer erreichen nach der aktuellen Sterbetafel eine durchschnittliche Lebenserwartung von 82,71 Jahren. Die Frauen werden etwas mehr als 2 Jahre älter.

THISSEN, Stefan (2017): Forscher: Keine Renten-Automatik.
Rente: IAQ-Studie warnt vor Koppelung der Altersgrenze an die allgemeine Lebenserwartung,
in: ihre-vorsorge.de
v. 17.05.

Stefan THISSEN berichtet über das IAQ-Gutachten Rente erst ab 70?

THELEN, Peter & Frank SPECHT (2017): Der große Ausverkauf.
Deutlich mehr als eine halbe Million Arbeitnehmer haben seit 2014 die abschlagsfreie Rente ab 63 genutzt. Die meisten waren Fachkräfte. Während Arbeitsministerin Nahles den Mangel an qualifizierten Arbeitern beklagt, verschärft sie ihn mit ihrer Rentenpolitik,
in:
Handelsblatt v. 17.05.

Das HandeIsblatt bringt eines der Lieblingsthemen Neoliberaler - den angeblichen Fachkräftemangel - gegen die Rentenpolitik in Stellung. Hassobjekt ist die Rente ab 63:

"In der Antwort auf eine Anfrage der Grünen, die dem Handelsblatt vorliegt, teilte das Bundesarbeitsministerium mit, dass 2014 binnen eines halben Jahres 136.000 Personen die neue Rentenart in Anspruch genommen haben. 2015 waren es sogar 274.000 Frauen und Männer.
Die Daten für das vergangene Jahr liegen noch nicht vor. Der Trend dürfte sich aber fortgesetzt haben, wie die Zahl von gut 241.000 Neuanträgen für 2016 zeigt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass seit der Reform deutlich mehr als eine halbe Million Arbeitnehmer vorzeitig in Rente gegangen sind",

spekulieren THELEN & SPECHT. Man kann das auch anders sehen, denn die Frage, warum Fachkräfte mit 63 in Rente gehen, wird ausgeblendet. Offenbar sind die Arbeitsbedingungen so miserabel, dass Fachkräfte sich lieber in die Rente verabschieden. Sie möchten sich nicht länger als notwendig ausbeuten lassen. Statt also die Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen, jammern Neoliberale lediglich darüber, dass die Ausbeutung durch die Rente ab 63 nicht mehr so einfach ist. Während die Mainstreammedien den Spaßarbeiter zum angeblichen Leitbild erhoben haben, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus.

THELEN & SPECHT präsentieren Studien von IAB und IW, die das Problem Fachkräftemangel belegen sollen. Die Kritik des BDA am Arbeitslosengeld Q zeigt jedoch, dass die Wirtschaft kein Interesse an Weiterbildung hat, sondern lediglich eine Missbrauchsdebatte führen will. Ausbeutung wie sie die Flexi-Rente durch die Teilrente ermöglicht ist den Arbeitgebern alle mal lieber.

BECKER, Kim Björn (2017): Wer früher stirbt.
Beim Ärztetag in Freiburg beklagen die Mediziner eine "Gerechtigkeitslücke" in Deutschland, die Gesundheit von Armen und Reichen unterscheide sich dramatisch. Aber die Ärzte sehen nicht nur viele Patienten unfair behandelt - sondern auch sich selbst,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 24.05.

ZSCHÄPITZ, Holger (2017): 400 Billionen: Es droht die Renten-Krise.
WEF prophezeit riesige globale Pensionslücke,
in:
Welt v. 27.05.

Die Finanzdienstleister vermarkten bereits Rentenlücken für die Generation der Hundertjährigen. Will man also den Ungeborenen, Säuglingen und Kleinkindern die Altersvorsorge schmackhaft machen? 

LANGENBERG, Britta (2017): Endspurt.
Mit Anfang 50, auf der Zielgeraden des Arbeitslebens, taucht für viele plötzlich eine Frage auf: Was tun, wenn für einen angenehmen Ruhestand noch 1.000 Euro Rente im Monat fehlen? Eine Anleitung,
in: Capital, Juni

SÜTTERLIN, Sabine (2017): Hohes Alter, aber nicht für alle. Wie sich die soziale Spaltung auf die Lebenserwartung auswirkt, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung v. 12.06.

Die neoliberale Sicht auf die Erhöhung der Lebenserwartung ist durch eine negative Grundhaltung gegen das Alter und eine Verklärung der jüngeren Lebensalter geprägt. Bei Sabine SÜTTERLIN heißt es dazu:

"Die Alterung stellt Gesellschaft und Politik vor große Herausforderungen. So steht dem wachsenden Anteil Älterer und Hochaltriger ein schwindender Anteil von Personen im erwerbsfähigen Alter gegenüber. Bleiben die Ruhestandsgrenzen auf dem bisherigen Niveau, kann unter anderem die Alterssicherung in Schieflage geraten – gerade wenn sie wie in Deutschland auf einem Umlagesystem beruht. Eine alternde Gesellschaft verliert womöglich auch an Innovationskraft. Die Wirtschaftsleistung kann sich abschwächen. Und die Konsummuster verändern sich: Zwar steigt die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen und -produkten, aber alte Menschen essen tendenziell weniger, kaufen sich seltener neue Kleidung oder elektronische Geräte als jüngere."
(2017, S.16)

Statt empirischer Forschung zum tatsächlichen demografischen Wandel und seinen Auswirkungen werden uns die immer gleichen Ressentiments, die auf Spekulationen beruhen, präsentiert. Der Indikator der durchschnittlichen Lebenserwartung verschleiert die soziale Ungleichheit einer Gesellschaft. Die neoliberale Sicht, die in den Nuller Jahren durch Horrorszenarien zu Gesundheit und Pflegebedürftigkeit im Alter geprägt war, hat sich inzwischen aufgrund der Debatte um Altersarmut und zunehmende soziale Ungleichheit gewandelt, aber nichts an der negativen Grundhaltung geändert. SÜTTERLIN stellt uns das zeitgemäße neoliberale Horrorszenario folgendermaßen vor:     

"Nach der Expansions- oder Medikalisierungsthese (...) beschert der Anstieg der Lebenserwartung den Menschen im höheren Alter auch mehr Krankheitsjahre, da sie inzwischen nicht nur Infektionen, sondern auch chronische Leiden dank immer besserer Therapien häufiger und länger überleben. Angesichts der fortschreitenden Alterung der Bevölkerung dürfte die Zahl der chronisch Kranken und Multimorbiden insgesamt zunehmen. Damit würden auch die Behandlungsausgaben steigen. (...).
Einiges deutet darauf hin, dass die Kompressionsthese im Wesentlichen auf Bevölkerungsgruppen zutrifft, die besser verdienen, gut ausgebildet sind – und tendenziell mit einem längeren Leben rechnen können als jene mit geringem Einkommen und Bildung. Die Expansionsthese scheint sich hingegen eher für letztere zu bestätigen. Auf den Punkt gebracht heißt das: Sozial Schwache sterben nicht nur früher, sie sind auch noch länger krank als Angehörige der oberen Schichten."
(2017, S.17f.)

Während in den Nuller Jahren noch überwiegend von einer endlos steigenden durchschnittlichen Lebenserwartung in der Zukunft ausgegangen wurde, verschafft sich mittlerweile auch eine alternative Sicht mehr Gehör, nämlich dass es in Zukunft sogar zu einem Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung kommen könnte, die mit einer Polarisierung bei der Lebenserwartung einhergeht:

"Kann die durchschnittliche Lebenserwartung zu den heutigen Rekordwerten vorstoßen oder sogar darüber hinaus? Ohne in Pessimismus zu verfallen: Einiges spricht dagegen, dass sie überhaupt immer weiter steigt. An erster Stelle sind das die in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen großen Unterschiede (...). Ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen in vielen Ländern dürfte diesen Effekt weiter verschärfen."
(2017, S.33)

Dieses Szenario wird von SÜTTERLIN jedoch im Grunde nicht ernst genommen, sondern es wird weiterhin von einer steigenden durchschnittlichen Lebenserwartung ausgegangen. Ziel der Neoliberalen ist die Abschaffung des traditionellen Ruhestands:

"Wo »70 das neue 60« ist, wird die hergebrachte Altersgrenze 65 obsolet. Umdenken ist also nötig. Dabei könnte ein Gedankenspiel helfen, das Wissenschaftler berechnet haben: Unter der Annahme, dass die Lebenserwartung weiter wächst und als Maßstab für Alter anstelle der festen Größe 65 die jeweils durchschnittlich verbleibenden 15 Lebensjahre gelten würden, verschöbe sich die Phase des Alters stetig nach oben. Die Alterung der Gesellschaft würde langsamer ausfallen. Die herkömmliche Dreiteilung des Lebens in Ausbildung-Arbeitsphase-Ruhestand lässt sich nicht aufrechterhalten. Erstens erfordern die Umbrüche in der Arbeitswelt lebenslanges Lernen, zweitens macht es der Mangel an Nachwuchs nötig, dass Ältere länger im Arbeitsleben bleiben als bisher, und drittens lassen sich die Renten langfristig nur mit höheren Ruhestandsgrenzen finanzieren. Die Menschen werden künftig länger arbeiten, aber die Arbeit stufenweise ausklingen lassen. Und die Politik muss planen, um die Gesundheits- und Sozialsysteme zukunftsfest zu machen, den wachsenden Bevölkerungsanteil älterer Menschen unterstützen und die Renten sichern zu können." (2017, S.37)

Bei zunehmenden Polarisierungstendenzen bedeutet eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung eine Umverteilung von Unten nach oben, wenn an den anderen Mechanismen nichts geändert wird. Diese Debatte dürfte in Zukunft die politischen Kämpfe um das Rentensystem mitbestimmen.

DESTATIS (2017): Altersdurchschnitt der Bevölkerung sank 2015 auf 44 Jahre und 3 Monate,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 13.06.

HENNING, Ulrike (2017): Wer früher stirbt, war länger arm.
Soziale Spaltung verhindert eine steigende Lebenserwartung für alle,
in:
Neues Deutschland v. 13.06.

Ulrike HENNING berichtet über die Broschüre Hohes Alter, aber nicht für alle.

DESTATIS (2017): Neugeborene haben hohe Chancen älter als 90 Jahre zu werden,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 23.06.

"Setzt sich der Trend zu einem immer längeren Leben fort, dann könnten 2017 geborene Jungen durchschnittlich bis zu 90 Jahre, Mädchen bis zu 93 Jahre alt werden. Grundlage dieses Ergebnisses ist die höhere Variante der neu vorgelegten Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) für Kohortensterbetafeln der Geburtsjahrgänge von 1871 bis 2017. Nach der niedrigeren Variante würde die durchschnittliche Lebenserwartung für heute geborene Jungen 84 Jahre und für Mädchen 88 Jahre erreichen. Vor 100 Jahren geborene Jungen und Mädchen hatten im Durchschnitt lediglich eine Lebenserwartung von 55 beziehungsweise 62 Jahren.

Die Ergebnisse der Kohortensterbetafeln verdeutlichen die gestiegenen Chancen, ein hohes Alter zu erreichen. Nur etwa 54 % der Männer und 65 % der Frauen, die 1917 geboren wurden, sind mindestens 65 Jahre alt geworden. Von den 2017 Geborenen könnten dagegen bis zu 95 % der Jungen und 97 % der Mädchen dieses Alter erreichen. Das Alter von 90 Jahren würden dann immer noch rund 62 % der Männer und 73 % der Frauen erleben. Eine Chance 100 Jahre alt zu werden, hätten bis zu 16 % der 2017 geborenen Jungen und bis zu 22 % der heute geborenen Mädchen. Voraussetzung ist, dass der Trend zu einem immer längeren Leben anhält. Dieser ist eng mit weiteren Fortschritten in der Medizin, mit gesünderen Lebensstilen und einem steigenden Wohlstand der Bevölkerung verknüpft. Ereignisse mit negativen Auswirkungen auf die Lebenserwartung wie Kriege, Umwelt- oder Wirtschaftskatastrophen müssten ausbleiben", meldet das Statistische Bundesamt.

DPA (2017): Die Deutschen werden jünger.
Neuer Forschungsansatz: Bis 2043 werden wir älter, dann kehrt sich der Trend um,
in:
Frankfurter Rundschau v. 27.06.

Die Schlagzeile ist doppelt irreführend: Weder sinkt das Durchschnittsalter, noch handelt es sich um einen neuen Forschungsansatz, sondern die Berücksichtigung der steigenden Lebenserwartung bei der Bewertung der Alterung wird in Deutschland bereits seit ca. 10 Jahren popularisiert. Der in der Meldung zitierte Warren SANDERSON hat die Methode zusammen mit Sergej SCHERBOV in Deutschland popularisiert.

Immer wenn das Statistische Bundesamt wie vor kurzem ihre Sterbetafeln aktualisiert, kommen auch alternative Deutungen in Umlauf, zumal die neoliberale Debatte um die Erhöhung des Renteneintrittsalter geradezu nach positiven Meldungen im Sinne von SANDERSON & SCHERBOV schreit. Statt wie üblich 65-Jährige (oder neuerdings auch 67-Jährige) als alt zu definieren, wird die Lebenserwartung als Referenzwert zur Ermittlung der Altersgrenze ("prospective median age") verwendet:

"diejenigen (...), die in ihrem Land noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 15 Jahren oder weniger haben"

werden von SANDERSON als alt definiert. Bei steigender Lebenserwartung erhöht sich also auch das Alter, ab dem die Menschen als alt definiert werden.

"Ihren Berechnungen zufolge erreicht das »prospective median age« für Deutschland im Jahr 2043 seinen Höhepunkt bei 46,5 Jahren und sinkt dann wieder - bis zum Jahr 2098 auf 40,1 Jahre."

Andreas MERGENTHALER (BIB) wird dagegen dahingehend zitiert, dass es nach der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes 4 mögliche Entwicklungsszenarien bei der Lebenserwartung gibt, sodass bei der traditionellen Altersdefinition das Maximum zwischen 2047 und 2055 liegt, wobei unklar ist, ob hier mit 65- oder 67-Jährigen gerechnet wurde.

Die Meldung bezieht sich auf den Aufsatz Probabilistic population aging von SCHERBOV/SANDERSON/GERLAND im Fachmagazin Plos One vom 21.06.17. Die Autoren verwenden für ihre Berechnungen nicht die von MERGENTHALER zitierte Bevölkerungsvorausberechnung, sondern die Daten der United Nations. World Population Prospects: The 2015 Revision. Inzwischen gibt es bereits eine 2017 Revision.

DÖRHOFER, Pamela (2017): "Ältere Menschen sind so fit wie noch nie".
Alternsforscher Hans-Werner Wahl über die Chancen des  Lebens jenseits der 65, falsche Klischees, die Notwendigkeit des Umdenkens und die allerletzten Jahre vor dem Tod,
in:
Frankfurter Rundschau v. 30.06.

Die Psychologische Alternsforschung als Teil der allgemeinen Psychologie, so wie sie sich heutzutage darstellt, ist ungeeignet, um die Polarisierungen im Alter darzustellen. Dazu muss man sich bis zur letzten Frage durchlesen, wenn Hans-Werner WAHL auf das Defizit seiner Forschungsrichtung eingeht:

 "Auf die große Heterogenität des Älterwerdens wäre noch einmal ein neuer Scheinwerfer zu richten. Viele Daten zeigen in der Tag, dass ältere Menschen so unterschiedlich sind wie keine andere Altersgruppe."

Im Grunde ist die psychologische Alternsforschung eine Psychologie der oberen Mittelschicht, deren Lebensverhältnisse zur Richtschnur der Altersbilder gemacht werden soll. Normalos können diesen hohen Anforderungen - allein schon aufgrund mangelnder Ressourcen - nicht genügen, sodass sie durch das Raster dieser Forschungen fallen.

MÜLLER-LISSNER, Adelheid (2017): Von der Besonderheit zum Boom.
100 plus: Die Chancen auf ein langes Leben,
in:
Neues Deutschland v. 30.06.

Auch bei Adelheid MÜLLER-LISSNER spielen Normalos keine Rolle, sondern es geht um die Lebensverhältnisse von Hundertjährigen oder gar Super-Hundertjährige ("Super-Centenarians"), d.h. 110-Jährige und Ältere. Diese rekrutieren sich in erster Linie aus der oberen Mittelschicht und der Oberschicht.

"16.860 über Hundertjährige lebten 2014 in Deutschland.
»Doch es wird damit gerechnet, dass es in 40 Jahren schon 60.000 sind, in 70 Jahren rund 120.000«",

zitiert MÜLLER-LISSNER eine Forscherin. Der elitäre Club der Hundertjährigen wird dann in Verbindung gebracht mit den so genannten Babyboomern, die als die "geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1965" definiert werden und 13 Millionen Menschen umfassen sollen. Abgesehen davon, dass diese Definition die geburtenstarken Jahrgänge der 1966 bist 1969 Geborenen außer acht lässt, wird suggeriert, dass diese zu den Glückskindern der Langlebigen gehören, die vorher beschrieben wurden. Das aber ist nicht der Fall.

Am Schluss wird MÜLLER-LISSNER ganz optimistisch, wenn sie behauptet, dass die

"Hälfte der Mädchen, die heute geboren werden - und eine beträchtliche Anzahl ihrer männlichen Altersgenossen (...) damit rechnen (kann), einst dreistellige Geburtstage zu feiern."

Das aber stimmt mit den vorangegangenen Schätzungen der Forscher nicht im mindesten überein. Bei rund 700.000 Geburten im Jahr wären das allein 350.000 Hundertjährige in einem einzigen Geburtsjahrgang, also gut das 3-fache dessen was in 70 Jahren der Standard sein soll. Für eine Wissenschaftsjournalistin ist das eine ziemlich fatale Fehlleistung! 

SOZIALE SICHERHEIT-Titelthema: Höheres Regelrentenalter?
Folgen einer "Rente ab 70"

BÄCKER, Gerhard (2017): Auswirkungen eines noch höheren Regelrentenalters.
Rente erst mit 70?: Können höhere Altersgrenzen die Folgen des sinkenden Rentenniveaus kompensieren?
in:
Soziale Sicherheit Heft 6, S.221-229

PAULITSCH, Lina (2017): "Unbeliebte sterben früher".
Der amerikanische Psychologe Mitch Prinstein darüber, wie sich Beliebtheit in der Jugend auf das spätere Leben auswirken kann,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 03.07.

Der Psychologe Mitch PRINSTEIN behauptet, dass es zweierlei Arten von Beliebtheit gibt: persönliche und öffentliche Beliebtheit, die dann in einen simplen Gegensatz gebracht werden: Wer öffentlich beliebt ist, der rangiert auf der persönlichen Beliebtheitsskala unten, was die Schlagzeile als "unbeliebt" tituliert. Wechselwirklungen oder Ambivalenzen werden bei dieser Darstellung ausgeblendet. Im Wesentlichen geht es um die übliche Kritik an sozialen Netzwerken, die einen "außengeleiteten Charakter" (RIESMAN) bzw. narzisstischen Typus fördern, statt Beziehungsfähigkeit (andere sagen auch Sozialkapital).  

CREUTZBURG, Dietrich (2017): Immer mehr Ältere arbeiten.
Zwei Millionen Beschäftigte zwischen 60 und 65 Jahren,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 04.07.

Seit 2014 heulen uns Neoliberale die Ohren voll, dass die Rente ab 63 der Untergang Deutschlands sei. Dadurch werde die positive Entwicklung der Beschäftigung Älterer konterkariert. Nun zeigen dagegen neue Zahlen des Bundesarbeitsministeriums, dass die Rente ab 63 den Trend zu immer mehr Beschäftigte im Rentenalter nur kurzfristig dämpfen, aber nicht stoppen konnte. Dies liegt auch daran, dass den Renteneintrittsalter auch bei der Rente ab 63 Jahr für Jahr in Richtung Renteneintrittsalter 65 steigt. Zudem kommen nur wenige in den Genuss einer solchen abschlagsfreien Rente.  

BRUCKNER, Pascal (2017): Der Tod des Todes ist der Tod des Lebens.
Die Lebenserwartung des Menschen steigt. Werden wir den Tod überwinden? Und wäre das wirklich wünschbar?
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 10.07.

"Ein Mensch, dem man mikroelektronische Prothesen ins Hirn eingepflanzt hätte, Nanokapseln zur Blutreinigung, dessen Gewebe durch Stammzellen erneuert würde und der über Nachtsicht verfügte, könnte, heisst es, bis zu 150 Jahre alt werden. Demnach gälte es, die Jugend bis zur Schwelle des Todes zu verlängern, nicht das Alter.
Stattdessen gleichen unsere entwickelten Gesellschaften Asylen, wo alle Krankheiten des Uralters – Krebs, Parkinson, Alzheimer – unsere Senioren plagen, wo diese gewaschen und gewickelt werden wie runzlige, redselige Säuglinge. Die Fortschritte der Medizin zeitigen Albträume wie Abhängigkeit, Gebrechlichkeit, Umnachtung. Die neue Langlebigkeit ist auch ein Fluch. Man altert im gleichen Zug wie die eigenen Eltern und manchmal schneller als diese. Zähneknirschend und weisshaarig sind sie immer noch da, wo man selbst schon Grossvater ist.
Der Fortschritt schafft Dynastien von Hinfälligen in mehr oder weniger fortgeschrittenen Stadien des Verfalls, Familien von Bettlägerigen, die durch selbst schon greise Kinder versorgt werden",

raunt es kulturpessimistisch - angesichts elitärer Unsterblichkeitsphantasien - bei dem alternden, einst neuen Philosophen, Pascal BRUCKNER.

ASTHEIMER, Sven (2017): Lieber Arbeit statt Rente.
Jeder fünfte Befragte lässt sich freiwillig weiterbeschäftigen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.07.

80 Prozent der Beschäftigten im Rentenalter gingen 2015 lieber in Rente statt weiterzuarbeiten, hätte die Schlagzeile zum IAB-Kurzbericht Vor allem kürzere und flexiblere Arbeitszeiten kommen zum Einsatz ebenfalls lauten können, aber das wäre dann nicht neoliberal korrekt gewesen!

Nur in jenen wenigen Branchen, in denen Fachkräfte dringend gesucht werden, werden die Bedürfnisse der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt.

DESTATIS (2017): 11 % der 65- bis 74-Jährigen sind erwerbstätig,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts v. 12.07.

"Für rund 37 % der Erwerbstätigen zwischen 65 und 74 Jahren war die ausgeübte Tätigkeit die vorwiegende Quelle des Lebensunterhalts. Damit gab es 2016 in Deutschland 346.000 Personen, die im Rentenalter überwiegend vom eigenen Arbeitseinkommen lebten. Für die Mehrheit der Erwerbstätigen zwischen 65 und 74 Jahren war dieses Einkommen aber ein Zuverdienst, sie lebten in erster Linie von ihrer Rente (58 %). Jeweils 3 % lebten überwiegend entweder von Einkünften ihrer Angehörigen oder von sonstigen Einkünften wie etwa Einkommen aus Vermietung oder Verpachtung",

meldet das Statistische Bundesamt zur Erwerbstätigkeit im Rentenalter, wobei bereits eine Erwerbsarbeitszeit von nur einer Stunde pro Woche in diese Statistik einfließt.

KAISER, Tobias (2017): Deutsche Rentner wollen nicht nur auf dem Sofa sitzen.
Anteil der arbeitenden Senioren ist stark gestiegen. Die Firmen tun viel, um erfahrende Mitarbeiter zu halten,
in:
Welt v. 13.07.

ASTHEIMER, Sven (2017): Jeder neunte Rentner geht weiter arbeiten.
Immer mehr Ältere entscheiden sich ohne materiellen Zwang für eine längere Erwerbstätigkeit,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13.07.

HAENES, Florian (2017): Fast eine Million Rentner in Arbeit.
Erwerbstätigkeit oft Haupteinnahmequelle,
in:
Neues Deutschland v. 13.07.

Während die Neoliberalen von Welt und FAZ die freiwillige Weiterarbeit im Rentenalter hervorheben, zitiert Florian HAENES VdK-Präsidentin Ulrike MASCHER und den rentenpolitischen Sprecher der Linkspartei Matthias BIRKWALD, die den Zwang zum Weiterarbeiten betonen.

ÖCHSNER, Thomas (2017): Rentner sucht Job.
In Deutschland arbeiten doppelt so viele Ältere wie noch vor zehn Jahren. Viele brauchen zusätzliche Einkünfte, andere wollen Sinnvolles tun. Aber die Zahlen zeigen noch mehr,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 13.07.

Thomas ÖCHSNER beruft sich auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ("Vor allem kürzere und flexiblere Arbeitszeiten kommen zum Einsatz"), die mehr arbeitende Rentner ausweist als das Statistische Bundesamt:

"In Wirklichkeit dürfte für deutlich mehr Menschen im Alter von 65 Jahren noch nicht Schluss sein. Die Zahlen der Behörde, die auf der größten deutschen Haushaltsstichprobe (Mikrozensus) beruhen, sind vermutlich untertrieben. Darauf deuten die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des europäischen Statistikamtes Eurostat hin.
Nach Angaben der Arbeitsagentur hatten Ende 2016 allein etwa 800.000 zwischen 65 und 74 Jahren einen Minijob. Hinzu kommen etwa 240.000 mit einer normalen sozialabgabenpflichtigen Arbeit und sowie 350.000 Selbständige, jeweils in dieser Altersklasse. Das wären dann schon knapp 1,4 Millionen Arbeitende zwischen 65 und 74 Jahren, und bei allen drei Gruppen wurden es in den vergangenen fünf Jahren deutlich mehr."

Da stellt sich jedoch die Frage, ob die jeweiligen Erfassungskonzepte jeweils auch nur die Erwerbsarbeit im Rentenalter erfassen. Die journalistischen Vorführungen stehen offenbar unter dem Motto, wer die meisten arbeitenden Rentner aufbieten kann, um die neoliberale Ideologie zu untermauern. Zur Sozialstruktur der Rentnerarbeit bietet ÖCHSNER eine DZA-Studie und die Position des VdK auf:

"Einerseits zeigt eine von der Bundesregierung vorgelegte Studie des Deutschen Zentrums für Altersfragen, dass vor allem höher gebildete, männliche und westdeutsche Senioren arbeiten - eine Gruppe, bei der Altersarmut eher weniger verbreitet ist. Andererseits steigt die Zahl der Alten, deren Rente nicht reicht. Immer mehr sind deshalb auf Hilfe vom Sozialamt angewiesen. Auch ist die Zahl derjenigen stark gewachsen, die mit mindestens 70 Jahren noch verschuldet sind. Darauf weist Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, hin."

OBERHUBER, Nadine (2017): Kinder, geht's uns gut!
Deutschlands Rentner leben lange, haben viel Freizeit und jede Menge Geld. Es geht ihnen besser als allen Generationen vor ihnen,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 16.07.

Wie Altersarmut wegdefiniert wird, das zeigt Nadine OBERHUBER in der Zeitung für die obere Mittelschicht:

"Die Rentner von heute haben ein langes Leben, viel zu tun und jede Menge Geld. Ruhestand rockt. (...).
Hierzulande sind inzwischen 17 Millionen Köpfe grau und weiß, das ist jeder fünfte Deutsche und fünf Millionen Bundesbürger mehr als noch 1990. Im Jahr 2030 wird mehr als jeder Vierte älter als 65 sein, also 22 Millionen."

Gemäß Rentenversicherungsbericht 2016 gab es am 1. Juli 2015 ca. 20,8 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. Das sind rund 3,8 Millionen mehr als OBERHUBER auflistet. Die Differenz erklärt sich dadurch, dass nicht jeder bis zum 65. Lebensjahr arbeiten kann oder will. Gerade jene, die vor dem 65. Lebensjahr eine Erwerbsminderungsrente beziehen müssen oder als Hartz-IV-Empfänger zwangsweise früher verrentet werden, sind jedoch häufig von Altersarmut betroffen. Die geschickte Wegdefinition dieser altersarmen Rentner durch die Fokussierung der Betrachtung auf die 65-Jährigen und Älteren hat in den Mainstreammedien Methode.

Die Vermögensauflistung hat eine gravierende Lücke, denn die Pflegekosten werden nicht berücksichtigt, sodass das Nettovermögen schöngefärbt ist. Bei den Alterseinkommen greift OBERHUBER auf den Aufsatz Entwicklung der Lebensverhältnisse im Alter von Susanna KOCHSKÄMPER & Judith NIEHUES zurück.

Das hohe Altersarmutsrisiko der Frauen wird geleugnet, indem unterstellt wird, dass sie alle einen Ehemann hätten:

"Sie leben (...) mehrheitlich in Haushalten, in denen bereits der Hauptverdiener auf eine anständige Rente von mehr als 1500 Euro kommt. Sie bessern also selbst mit ihren Minirenten erheblich das Gesamteinkommen von Doppelrentnerpaaren auf. Zumal die Älteren ja auch noch mehrheitlich verheiratet sind und bis ins hohe Alter zusammenleben - mehr als in deren Elterngeneration jedenfalls, in der es viele alleinlebende Kriegerwitwen gab."

Das aber ist sehr absonderlich, denn gemäß KOCHSKÄMPER & NIEHUES gehören die 65- bis 74-Jährigen, die als besonders vermögend hervorgehoben werden zu den Geburtsjahrgängen 1920 bis 1930. Diese Jahrgänge gehören jedoch zu jenen Geburtsjahrgängen mit einem Frauenüberschuss, darunter auch Kriegerwitwen wie man in einer der wenigen wissenschaftlichen Studie Das Geschick der zwei Millionen von Regina BOHNE über die alleinlebende Frau nachlesen kann.

Diese Verwirrung mag daran liegen, dass OBERHUBER nur jene Passagen aus der Untersuchung herauspickt, die ihr genehm sind und damit verschwiegen wird, dass nicht immer die heutigen Rentner gemeint sind, wie das OBERHUBER in ihrem Artikel suggeriert:

"Denn in einer Hinsicht hat die Generation 65 plus über die Jahre die Jüngeren sogar abgehängt: Ihr Haushalts-Gesamteinkommen ist seit 1991 real um 52 Prozent gestiegen, schlüsselt das IW auf, während die Realeinkommen der unter 45-Jährigen nur um 20 bis 31 Prozent zugelegt hat."

In Wirklichkeit heißt es bei KOCHSKÄMPER & NIEHUES:

"In Westdeutschland zeigen sich seit Mitte der 1980er Jahre ähnliche Unterschiede zwischen den Altersgruppen: Der durchschnittliche Zuwachs in der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen lag bei insgesamt 52 Prozent, bei den ab 75-Jährigen bei 46 Prozent, bei den unter 45-Jährigen lagen die Zuwächse hingegen zwischen 21 und 31 Prozent. Zur Einordnung der Ergebnisse ist es hilfreich, sich den Zeitraum der jeweiligen Erwerbsphase einer Alterskohorte zu vergegenwärtigen. Die Gruppe der 65- bis 74-Jährigen im Jahr 1995 ist im Zeitraum 1920 bis 1930 geboren und ist somit die erste Kohorte, die ihre Erwerbsphase zu großen Teilen vollständig in der Nachkriegsphase verbracht hat." (2017, S.120)

Die Rentnergruppe mit der höchsten Realeinkommenssteigerungen sind also nicht die Rentner, die gegenwärtig in Rente gegangen sind, sondern jene, die im Jahr 1995 65-bis 74 Jahre alt waren.

OBERHUBER zitiert die Zahlen falsch. Zwischen 1991 und 2014 haben sich stattdessen die Realeinkommen der 65- bis 74-Jährigen lediglich um rund 24 % erhöht, wie einer Grafik auf der gleichen Seite zu entnehmen ist. Die wohlhabenden Rentner sind heute also in Wirklichkeit bereits 85 Jahre und älter, also hochbetagt und damit öfters ein Pflegefall - und auch nicht mehr so wohlhabend wie sie beim Renteneintritt waren.

Wenn man also diese Falschdarstellung berücksichtigt, dann wird deutlich, dass sich die Alterseinkünfte ganz anders darstellen. Wie aber sieht es nun mit den Haushaltstrukturen und den alleinlebenden Frauen aus? Dazu schreiben KOCHSKÄMPER & NIEHUES:

"Demnach lebten im Jahr 2015 weniger 65-Jährige und Ältere in Singlehaushalten als noch Mitte der 1980er oder 1990er Jahre. Darüber hinaus ist der Anteil der ab 75-Jährigen, der in einem Paarhaushalt lebt, deutlich gestiegen. Lebten bis 1995 noch weniger als 30 Prozent der ab 75-Jährigen in einem Paarhaushalt, war es im Jahr 2015 beinahe die Hälfte der mindestens 75-Jährigen. Die zunehmende Tendenz zum Zusammenleben im Alter – entgegen des umgekehrten Trends in der Gesamtbevölkerung – dürfte somit einen relativierenden Einfluss auf das Armutsrisiko im Alter gehabt haben. Bis Mitte der 1990er Jahre dürften die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs noch zu einem überdurchschnittlichen Anteil besonders an alleinlebenden Frauen im Alter geführt haben, ein Sondereffekt, der in der Folge zunehmend ausläuft (Statistisches Bundesamt, 2015, 6 f.). Darüber hinaus könnte eine weitere Erklärung hierfür sein, dass Alleinlebende im Alter überdurchschnittlich oft in Einrichtungen leben, die im SOEP nicht abgebildet werden. Nimmt man allerdings den Anteil der Bevölkerung ab 65 Jahren (ab 75 Jahren) an der Gesamtbevölkerung im jeweiligen Alter, dann befinden sich im Jahr 2015 nur 2,6 Prozent (4,3 Prozent) der Männer in vollstationärer Pflege und leben somit in Einrichtungen, die im SOEP nicht erfasst sind. Bei den Frauen beträgt der Anteil 5,6 Prozent (9,4 Prozent). Einen weiteren Einfluss auf die Haushaltszusammensetzung kann der Altersunterschied zwischen den Ehepartnern haben, weil damit die Wahrscheinlichkeit variiert, im Alter für einen längeren oder kürzeren Zeitraum als hinterbliebener Single zu leben. Zuletzt könnten veränderte gesellschaftliche Strukturen eine Rolle spielen, die dazu führen, dass Personen sich im Alter in neuen Paarstrukturen zusammenfinden." (2017, S.128f.)

Die Daten des SOEP blenden also genauso wie die Altersgruppenbildung das Altersarmutsrisiko aus, das dadurch entsteht,

"dass Frauen ab 65 Jahren aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung mehr als doppelt so häufig allein leben wie gleichaltrige Männer. Auf Basis des Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes zeigt sich ein stärkerer Anstieg der Alleinlebendenquote älterer Frauen gegenüber Männern in den letzten Jahren (Statistisches Bundesamt, 2015, 5 ff.)."

Gemäß einer EUROSTAT Pressemeldung aus dem Jahr 2016 waren bei den 80-Jährigen und älteren in Deutschland 65,1 % Frauen und nur 34,9 % Männer.

Fazit: In keiner Weise wird OBERHUBER dem Phänomen Altersarmut gerecht. Neben der Falschdarstellung der IW Köln-Studie wird sowohl die Altersarmut durch Hartz IV und Krankheit vor dem 65. Lebensjahr als auch das Altersarmutsrisiko von Frauen über 75 Jahren verharmlost - ganz zu schweigen davon, dass die Problematik in Ostdeutschland noch nicht einmal erwähnt wird. Stattdessen verwechselt OBERHUBER ihren wohlsituierten Bekanntenkreis mit den gesamtgesellschaftlichen Zuständen.

MARSCHALL, Birgit (2017): Top-Ökonomen sprechen sich für Rente mit 70 aus.
Führende Wirtschaftswissenschaftler üben scharfe Kritik an den Wahlprogrammen: Statt Geschenke zu versprechen, sollten die Parteien die Bürger auf ein höheres Rentenalter ab 2030 vorbereiten,
in:
Rheinische Post v. 08.08.

Mit ihrer Forderung nach einer Rente mit 70 bewerben sich Marcel FRATZSCHER und Michael HÜTHER als Mitglieder der von der CDU geplanten Regierungskommission!

HÜTHER, Michael (2017): Problem Alter.
Gastkommentar: Der Autor fordert die generelle Erhöhung des Renteneintrittsalters,
in:
Handelsblatt v. 11.08.

Michael HÜTHER, Direktor der Lobbyorganisation IW Köln, predigt wieder das neoliberale Mantra im Sinne einer Demografisierung gesellschaftlicher Probleme:

"Die kommende Legislaturperiode wird die letzte sein, in der Deutschland in demografischer Hinsicht gut dasteht. Denn die Generation der Babyboomer ist dann überwiegend noch erwerbstätig. Danach werden die geburtenstarken Jahrgänge, geboren zwischen Mitte der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, nach und nach in Rente gehen.
Da zudem die Lebenserwartung steigt, wird sich der Anteil der über 67-jährigen an der Gesamtbevölkerung bis 2035 erhöhen."

Verschwiegen wird dagegen, dass die Geburtenrate stärker gestiegen ist, als in den aktuellen Vorausberechnungen angenommen. Auch die noch vor 10 Jahren erstellten Bevölkerungsvorausberechnungen gingen von falschen Annahmen zum Bevölkerungswachstum aus:

"Die (...) Zuwanderung führt (...) dazu, dass die Gesamtbevölkerung in Deutschland - anders als lange erwartet - vorerst nicht schrumpft, sondern voraussichtlich bis Mitte der 2020er-Jahre wachsen wird,

meint HÜTHER. Auch diese Annahmen sind Ausdruck des Pessimismus, den der Neoliberalismus verbreitet, um Ängste zu schüren. Die Entdeckung der Demografie als Ideologie stammt aus den 1970er Jahren. Seit damals wurde das Rentensystem ständig wegen der Alterslast vor dem Kollaps gesehen. Der Sound des Niedergangs währt also schon bald 40 Jahre. In Wirklichkeit ist nicht die Alterung der Bevölkerung das Problem, sondern die starke Limitierung der Beitragszahler durch Beitragsbemessungsgrenze und Reduzierungen des Kreises der Beitragszahler, d.h. die Lasten wurden seit den 1970er Jahren auf immer weniger Schultern verteilt. Hinzu kam, dass die Lasten der Massenarbeitslosigkeit und Wiedervereinigung zusätzlich auf die Sozialsysteme abgewälzt wurden. Es sind immer politische Entscheidungen und keine Sachzwänge aufgrund der Demografie, wenn das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern aus dem Ruder läuft. Aus der folgenden Übersicht sind unterschiedliche Indikatoren zur Entwicklung der Alterung und der Entwicklung der Rentenzahlen ersichtlich:

Übersicht: Entwicklung der Alterung und Rentnerzahlen in Deutschland 2001-2015
Jahr

Verhältnis der
Beitragszahler
(ÄQBZ) zu den
Rentnern (ÄQR)

Äquivalenzrentner
(ÄQR)
Anzahl der
Rentner
(RV 2004,
2007, 2010,
2013, 2015)
Altenquotient
(20-64-
Jährige/
65-Jährige
und Ältere)
Anzahl der
über
65-Jährigen
(Statistisches
Jahrbuch
2011, 2016)
2001 k.A

k.A.

19,232 Mill. 27,5

14,066 Mill.

2002 k.A k.A 19,463 Mill.
(
+ 231 Tsd.)
28,3
(
+ 0,8)

14,439 Mill.
(
+ 373 Tsd.)

2003 1,88 14,292 Mill. 19,558 Mill.
(
+ 95 Tsd.)
29,3
(
+ 1,0)

14,860 Mill.
(
+ 421 Tsd.)

2004 1,83 14,405 Mill.
(
+ 131 Tsd.)
19,812 Mill.
(+ 254 Tsd.)
30,5
(+ 1,2)

15,367 Mill.
(
+ 507 Tsd.)

2005 k.A k.A 20,012 Mill.
(
+ 200 Tsd.)
31,7
(+ 1,2)

15,870 Mill.
(
+ 503 Tsd.)

2006 1,84 14,561 Mill.
(
+ 156 Tsd.)
20,116 Mill.
(
+ 104 Tsd.)
32,7
(
+ 1,0)
16,299 Mill.
(
+ 429 Tsd.)
2007 1,85 14,592 Mill.
(
+ 31 Tsd.)
20,243 Mill.
(
+ 127 Tsd.)
33,2
(
+ 0,5)
16,519 Mill.
(
+ 220 Tsd.)
2008 1,88 14,651 Mill.
(
+ 59 Tsd.)
20,317 Mill.
(
+ 74 Tsd.)
33,7
(
+ 0,5)
16,729 Mill.
(
+ 210 Tsd.)
2009 1,84 14,700 Mill.
(
+ 49 Tsd.)
20,412 Mill.
(
+ 95 Tsd.)
34,1
(
+ 0,4)
16,902 Mill.
(
+ 173 Tsd.)
2010 1,81 14,748 Mill.
(
+ 48 Tsd.)
20,492 Mill.
(
+ 80 Tsd.)
33,8
(
- 0,3)
16,844 Mill.
(
- 58 Tsd.)
2011 1,97 14,755 Mill.
(
+ 7 Tsd.)
20,534 Mill.
(
+ 42 Tsd.)
33,9
(
+ 0,1)
16,603 Mill.
(
- 251 Tsd.)
2012 1,92 14,782 Mill.
(
+ 27 Tsd.)
20,609 Mill.
(
+ 75 Tsd.)
34,1
(
+ 0,2)
16,715 Mill.
(
+ 112 Tsd.)
2013 1,90 14,764 Mill.
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- 18 Tsd.)
20,576 Mill.
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- 33 Tsd.)
34,2
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+ 0,1)
16,853 Mill.
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+ 138 Tsd.)
2014 1,90 15,007 Mill.
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+ 243 Tsd.)
20,617 Mill.
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+ 41 Tsd.)
34,6
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17,089 Mill.
(
+ 236 Tsd.)
2015 1,92 15,389 Mill.
(+ 382 Tsd.)
20,822 Mill.
(
+ 205 Tsd.)
34,7
(
+ 0,1)
17,300 Mill.*
(
+ 211 Tsd.)
* Statistisches Bundesamt, Fachserie 1, Reihe 1.3, 2015, S.14; eigene Berechnung

Die unterschiedlichen Indikatoren zur Entwicklung von Alterung und Rentenempfängern zeigt, dass es keinen linearen Zusammen zwischen der Zunahme der über 65-Jährigen und der Entwicklung der Rentenempfängerzahlen bzw. Beitragszahler gibt. Dabei ist zu berücksichtigten, dass der Zensus 2011 zu einer Korrektur der Bevölkerungsentwicklung führte, die sich auf die einzelnen Indikatoren unterschiedlich auswirkte.

Im Jahr 2003 nahm die Zahl der über 65-Jährigen mehr als vier mal so stark zu als die Zahl der Rentnerneuzugänge. Im Jahr 2013 nahm die Zahl der Rentenneuzugänge sogar ab, obwohl die Zahl der über 65-Jährigen weiter stieg. Meistens überstieg die Zahl der über 65-Jährigen um ein Vielfaches die Zahl der Rentnerneuzugänge. Dies liegt u.a. daran, dass das tatsächliche Rentenzugangsalter unter dem gesetzlichen Rentenzugangsalter liegt. Aber auch Gesetzesvorhaben, die die Konditionen des Rentenzugangs neu regeln, können das Verhältnis ändern (z.B. die Rente ab 63).

Wer wie HÜTHER eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters fordert, der vernachlässigt die Potenziale, die sich aus der Differenz zwischen den über 65-Jährigen und den Rentnern ergibt. So gab es im Jahr 2001 über 5,2 Millionen Rentner mehr als über 65-Jährige. 2014 bestand immer noch eine Differenz von 3,5 Millionen. Aufgrund der Rente mit 67 wird sich die Differenz in den nächsten Jahren weiter verringern.

"Da die Lebenserwartung steigt, wird sich der Anteil der über 67-Jährigen an der Gesamtbevölkerung von derzeit knapp 18 auf rund 26 Prozent erhöhen",

erklärt uns HÜTHER, der mit pessimistischen Zahlen hantiert, denn die aktuelle 13. Bevölkerungsvorausberechnung, die bereits pessimistische Annahmen macht, beruht auf dem Ausgangsjahr 2013, als der Anteil der 67-Jährigen bereits bei 18,7 Prozent lag. Dieser steigt nach der von seriösen Wissenschaftlern benutzen Variante 2 bis 2030 auf 23,8 % und 2040 auf 27,4 %  Nimmt man den Altenquotienten der 65-Jährigen, der 2013 bei 34,2 lag, dann steigt dieser bis 2020 auf 37,3. Er steigt also in 7 Jahren um 3,1. Dies wären ca. 0,4 pro Jahr. Dies wäre vergleichbar mit dem Anstieg in den Jahren 2007 bis 2009. In den 10 Jahren von 2020 bis 2030 erfolgt dann ein Anstieg um 11,4, also pro Jahr um nicht einmal 1,2. Dies entspricht einem Anstieg. Solch einen Anstieg gab es in den Jahren 2004 und 2005. Obwohl damals sogar eine hohe Massenarbeitslosigkeit herrschte, verkraftete dies das Alterssicherungssystem. In den 10 Jahren von 2030 bis 2040 erhöht sich der Altenquotient nur noch 6,5 und liegt damit lediglich geringfügig über dem Anstieg der Jahre 2007 und 2008. Die Annahmen des Statistischen Bundesamtes sind - wie gesagt - pessimistisch, d.h. die Situation könnte sich durch die steigende Geburtenrate, die nicht angemessen berücksichtigt wurde, noch bessern.

Fazit: Der Anstieg des Altenquotienten ist keineswegs bedrohlich, sondern ist vergleichbar mit dem Anstieg in den Nuller Jahren. Selbst wenn die Konjunktur zurückgeht, wäre das kein Problem, weil die Nuller Jahre arbeitsmarktmäßig keine Glanzzeit war. Die gesetzliche Rente ist besser als ihr Ruf bei den Neoliberalen!

ÖCHSNER, Thomas & Markus ZYDRA (2016): Rente mit 69? Nein, danke.
Mit 67 Jahren soll noch nicht Schluss sein: Die Bundesbank fordert, das gesetzliche Regeleintrittsalter in den Ruhestand weiter zu erhöhen. Die Bundesregierung will davon lieber nichts hören,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 16.08.

ÖCHSNER & ZYDRA stellen uns Exkurs Zur längerfristigen Entwicklung der Alterssicherung des Monatsberichts August der Deutschen Bundesbank vor. Zum Schluss wird uns eine völlig absurde Forderung der Bundesbanker präsentiert:

"Die Bundesbank fordert die Bundesregierung auf, offizielle Prognosen zur Rentenentwicklung vorzulegen, die bis 2060 reichen. Das stärke die »Planungssicherung« für die Bürger und gebe »Orientierungsgrößen für den Bedarf ergänzender Vorsorge«"

Die Bundesbanker sind nicht einmal in der Lage die Wirtschaftsentwicklung für ein Jahr einigermaßen genau zu prognostizieren und verlangen Prognosen über rund 45 Jahre zur Rentenentwicklung. Selbst die Annahmen der Bundesbank zur Bevölkerungsentwicklung bis 2060 erweisen sich bei näherer Betrachtung als unseriös. Dazu heißt es im Monatsbericht:

"Den Angaben liegt die fernere Lebenserwartung aus Variante 2 der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zugrunde (Kontinuität bei stärkerer Zuwanderung). Vgl.: Statistisches Bundesamt (2015), Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung." (S.72)

Die Lebenserwartung wird also nach der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung angenommen. Zu dem Verhältnis von Beitragszahlern zu den Rentnern heißt es im Monatsbericht weiter:

"Zur Ermittlung der Rentenanpassungen wird der Rentnerquotient durch den demografischen Altenquotienten (definiert als das Verhältnis der über 65-Jährigen zu den 20- bis unter 65-Jährigen) aus der 13. Bevölkerungsvorausberechnung (Variante 2: Geburtenziffer konstant bei 1,4 Kindern je Frau, steigende Lebenserwartung, langfristiger Wanderungssaldo 200 000 Personen pro Jahr) approximiert." (S.72)

Eine Geburtenrate von 1,4 Kinder pro Frau ist bereits heute überholt, denn die aktuelle Geburtenrate geht auf 1,5 Kinder pro Frau zu. Diese Kinder wären damit die Berufseinsteiger ab 2040. Oder anders formuliert: Die Anzahl der potentiellen künftigen Beitragszahler wird in dieser Annahme unterschätzt. Hinzu kommt, dass sich nach den Berechnungen der 13. Bevölkerungsvorausberechnung der Altenquotient in den einzelnen Szenarien stark unterscheidet. Schon die Prognos-Berechnungen die uns kürzlich der Spiegel präsentiert hat, haben hier Defizite aufgewiesen. Erst gestern - möglicherweise sogar im Hinblick auf diese Bundesbank-Simulation - hat der prominente Ökonom Thomas STRAUBHAAR solche Praktiken scharf kritisiert.

Fazit: Angesichts der Unsicherheit der Entwicklungen bis zum Jahr 2060 wären Prognosen nichts als Kaffeesatzleserei. Ihr einziger Zweck bestände darin, berechtigte Forderungen hinsichtlich der gesetzlichen Rentenentwicklung auszuhebeln.

SIEMS, Dorothea (2017): Königsweg bei der Rente.
Von einer längeren Arbeitszeit profitieren Beitragszahler und Senioren gleichermaßen. Das zeigen neue IW-Berechnungen,
in: Welt
v. 15.08.

Dorothea SIEMS fungiert als Durchlauferhitzer für die Lobbyorganisation der Arbeitgeber, die wieder ihr Lieblingsthema ins Gespräch bringen möchte.

"Momentan stehen 100 sozialversicherungspflichtige Beitragszahler 58 Rentenempfängern gegenüber",

wird uns zum "Rentnerquotienten" erklärt. Dies entspräche einem Verhältnis von 1,72 und liegt damit unterhalb des "Rentnerquotienten" von 1,92 für das Jahr 2015, in den neben der Kopfzahl auch die Entwicklung der Löhne mit einfließt, weshalb dieser Faktor wesentlich genauer die künftige Entwicklung angibt als jener Faktor, der vom IW Köln benutzt wird (vgl. 2017, Abb. 4, S.16). Susanne KOCHSKÄMPER rechnet also das Verhältnis bewusst schlecht, um das Anliegen einer Rente mit 70 dringender zu machen.

Während die Ostrentenanpassung im Simulationsmodell berücksichtigt wird, bleiben die Auswirkungen der Entgeltumwandlung durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz unberücksichtigt. Dieses führt zu einer Senkung der Rentenansprüche. Oder anders formuliert: Was die Rente mit 70 dringlicher macht, wird in der Simulationsrechnung berücksichtigt, während gegenteilige Effekte außen vor bleiben.

"In seinem Szenario für die »Rente mit 70« geht das IW davon aus, dass die Altersgrenze 2035 auf 68 Jahre angehoben wird, 2039 auf 69 Jahre steigt und man 2043 schließlich erst mit dem 70. Geburtstag das Berufsleben beendet. Die Anhebung erfolgt damit deutlich rascher, als dies derzeit bei der Umsetzung der Rente mit 67 der Fall ist.
Denn momentan verschiebt sich die reguläre Altersgrenze lediglich um einen Monat pro Jahr",

behauptet SIEMS. Dagegen heißt es bei KOCHSKÄMPER:

"Dabei folgt das Szenario »Rente mit 67« der gegenwärtigen Gesetzgebung, in dem in der Simulation hier die Regelaltersgrenze in 2024 auf 66 Jahre und in 2031 auf 67 Jahre steigt und anschließend konstant bleibt; für die »Rente mit 70« gilt hingegen ein weitere Anstieg der Regelaltersgrenze nach 2031 im jeweils vierjährigen Rhythmus. (...).
Dabei wird hier auf ein monatliches Ansteigen der Regelaltersgrenze verzichtet, wie es die gegenwärtige Gesetzeslage vorsieht, und stattdessen ein sprunghafter Anstieg um jeweils ein Jahr modelliert; analog werden nur Versichertenjahrgänge betrachtet. Dies hat den Vorteil, dass keine Annahmen darüber zu treffen sind, wie sich die Geburtstage der Versicherten über das Jahr verteilen – wie viele Versicherte also beispielsweise im Januar und wie viele erst im Oktober die jeweilige Regelaltersgrenze erreichen. Nachteilig ist, dass es in der Simulation dadurch zu sprunghaften Veränderungen kommt, sobald eine neue Regelaltersgrenze erreicht wird und kein glatter Übergang in den Jahren zwischen zwei Regelaltersgrenzen stattfindet. Im Verhältnis zu einer monatsweisen Modellierung fallen die Änderungen von Beitragssatz und Netto-Standardrentenniveau vor Steuern zwischen einer Regelaltersgrenze bis zum Erreichen einer neuen Regelaltersgrenze stärker aus, ebenso ist die Korrektur des Anpassungspfades nach Erreichen der neuen Regelaltersgrenze abrupter als in einer Modellierung nach Monaten." (2017, S.13f.)

Die Simulation vereinfacht lediglich das Prinzip. Erst nach 2031 ist der Anstieg im Szenario "Rente mit 70" höher als bei der Rente mit 67. Dieses Arbeitgeber-Modell verschärft damit rasant das Modell der "Rente mit 69", das die Bundesbank bereits im August 2016 gefordert hat. Danach sollte jedoch erst im Jahr 2064 der erste Geburtsjahrgang 1995 mit 69 Jahren in Rente gehen.

Fazit: Obwohl sich die Situation der Rentenversicherung in den letzten Jahren verbessert hat, werden die Forderungen der Arbeitgeber und ihrer Claqueure unter den "Top-Ökonomen" und Medien immer dreister. 

HOFFMANN, Catherine (2017): Merkels Nein.
Rente mit 70 - das ist im Wahlkampf kein Hit. Also ist Angela Merkel dagegen. Kommen wird sie aber, nur später,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 06.09.

Wie schon gestern der neoliberale Wirtschaftsteil der FAZ, ist nun auch der neoliberale Wirtschaftsteil der SZ auf Seiten von Wolfgang SCHÄUBLE und Jens SPAHN, die in der CDU für die Rente mit 70 votieren  MERKEL kann sowieso versprechen was sie will, es ist auf alle Fälle unglaubwürdig:

"Es besteht in der nun kommenden Legislaturperiode tatsächlich kein Handlungsbedarf für ein höheres Rentenalter, noch nicht einmal in der Legislaturperiode danach, denn bis 2029 müssen wir erst einmal die Rente mit 67 einführen",

wird Axel-Börsch SUPAN ein Verfechter der Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung, der in Vorwahlzeiten ganz anders argumentiert hat.

Wann die Babyboomer in Rente gehen, das liegt im Belieben der Medien, die uns ständig neue Zahlen präsentieren. Für die einen gehen die Babyboomer schon heute in Rente, für die nächsten zwischen 2020 und 2030, für HOFFMANN gehen sie nun sogar zwischen 2030 und 2040 in Rente und das bei einem Babyboom, der in kaum einem Industriestaat mickriger ausgefallen ist als in Deutschland. Bereits diese Uneinigkeit zeigt, dass die Demografie als Ideologie dient, die je nach Belieben argumentativ eingesetzt werden kann. Es wundert deshalb kaum, dass die Glaubwürdigkeit der Mainstreammedien im freien Fall ist.

Fazit: Der Artikel präsentiert keine neue Fakten, sondern wiederholt lediglich das neoliberale Mantra von SUPAN als Hardliner, der eine postdemokratische Lösung mittels Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung vertritt. Das ist nichts anderes als eine Umverteilung von Arm zu Reich, denn Arme sterben früher!         

AFHÜPPE, Sven & Martin GREIVE (2017): "Die SPD ist verzweifelt".
Der CDU-Politiker und Staatssekretär greift die Sozialdemokraten an. Beim Thema Rente wirft er der SPD Lügen vor,
in:
Handelsblatt v. 07.09.

Jens SPAHN ist sichtlich gezeichnet vom Tiefschlag, dem ihn die Kanzlerin am Sonntag versetzt hat. Auf dem Foto verschränkt er die Arme vor seinem Bauch, offenbar um gegen weitere Tiefschläge aus den eigenen Reihen gewappnet zu sein. Cool sieht anders aus!

Peinlich wird es, wenn SPAHN nun seine Rente mit 70-Forderungen, die er gerne den Medien gesteckt hat, nun als absonderliche, eigene Meinung verstanden haben will ("Es gibt keinen Beschluss der CDU für eine Rente mit 70").

"In fünf bis zehn Jahren werden Millionen Menschen freiwillig länger arbeiten, weil sie für sich gerne eine Aufgabe haben",

erklärt uns SPAHN nun. Oder anders formuliert: Die Rente mit 70 wird sich ganz von alleine durchsetzen. Warum dann also sein ganzes Gelabere? Dann könnte SPAHN eigentlich das Rententhema abhaken.

"Inhaltlich und politkulturell stehen wir der FDP am nächsten",

erklärt uns SPAHN. Hier will er nun plötzlich doch wieder für seine Partei sprechen und nicht nur wie in der Rentendebatte eine absonderliche Meinung vertreten.  

SCHWENN, Kerstin (2017): Denkverbote im Renten-Wahlkampf.
Leidartikel: Rente ist Mathematik. Stellschrauben für eine Reform sind begrenzt Tabus helfen nicht,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 07.09.

Die Neoliberale Kerstin SCHWENN ist entrüstet über Angela MERKEL, die Wolfgang SCHÄUBLE und Jens SPAHN als Rente mit 70-Verfechtern in den Rücken gefallen ist. Schlimmer noch: Selbst die neoliberalen Ökonomen haben nun in der heißen Phase des Wahlkampfes Kreide gefressen:

"Nun sagen selbst renommierte Rentenexperten wie Bert Rürup oder Axel Börsch-Supan und die in der BEDA vereinten Arbeitgeber (...) im Moment sei eine Debatte über die »Rente mit 70« überflüssig."

Der FDP bescheinigt SCHWENN Cleverness, denn sie propagiert die Rente mit 70, indem sie die Flexibilität betont, denn schließlich können bei ihnen Vermögende, die sich horrende Abschläge leisten können, schon mit 60 in den Ruhestand verabschieden, während Niedriglöhnen bis 70 arbeiten müssten, weil sie nicht über die Grundsicherung im Alter hinaus kommen.

SCHWENN ist auch nicht so dumm wie Catherine HOFFMANN in der gestrigen SZ, die uns das steigende Renteneintrittsalter mit den Rentenneugängen der Babyboomer erklärte. Bei SCHWENN heißt es dagegen:

"Denn die Alterung der Gesellschaft schreitet nach 2030 verschärft voran, weil die geburtenstarken Jahrgänge dann im Ruhestand sind und immer weniger Beitragszahler dies finanzieren müssen. Die weiter wachsende Lebenserwartung belastet die Rentenkassen".

Auch das ist lediglich Spekulation, denn schon heute werden jedes Jahr mehr Kinder geboren als in den aktuellen Bevölkerungsvorausberechnungen ausgewiesen werden, die Grundlage dieser Spekulationen sind. Hinzu kommt, dass der Anstieg der Lebenserwartung nicht mehr in dem Maße erfolgen muss wie in der Vergangenheit. Es gibt also jede Mange Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen Entwicklung des demografischen Wandels.

Flexibilität ist für SCHWENN ein Zaubermittel, denn darunter subsumiert sie auch die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung, obwohl das alles andere als Flexibilität ist, nämlich: ein postdemokratischer Versuch die Demokratie auf dem Felde der Rentenpolitik auszuhebeln!

FUNKE, Eva (2017): Älteste Stuttgarterin gestorben.
Statistik: In Stuttgart leben 113 Menschen, die 100 Jahre und älter sind,
in:
Welt v. 08.09.

"Nach Angaben des städtischen Amts für öffentliche Ordnung leben derzeit 113 Menschen in Stuttgart die 100 und älter sind - und obwohl Frauen statistisch gesehen älter werden als Männer, hält in Stuttgart jetzt mit 105 Jahren ein Mann den Altersrekord",

berichtet Eva FUNKE zur Situation, nachdem die älteste Frau mit 107 Jahren in Stuttgart gestorben ist.

CREUTZBURG, Dietrich (2017): Schäuble widersetzt sich Merkels Renten-Postulat.
Nach der Absage der Kanzlerin an eine "Rente mit 70" warnt der Finanzminister vor Tabus,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 09.09.

SIMMANK, Jakob (2017): Die Lüge vom guten Altwerden.
Verweht: Wer heute in Deutschland geboren wird, wird im Schnitt über 80 Jahre alt. Die Leute leben länger und gesünder. Gleichzeitig hatte das Alter noch nie einen so schlechten Ruf. Warum?
in:
TAZ v. 23.09.

SIEVERS, Markus (2017): Jamaika und die Rente mit 70.
Die künftige Regierung muss nach Ansicht der führenden deutschen Forschungsinstitute den Bürgern einiges zumuten,
in:
Frankfurter Rundschau v. 29.09.

SCHWENN, Kerstin (2017): Rente mit 63 weiter sehr beliebt.
Rentenversicherer entwickeln übergreifende Information,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.10.

Kerstin SCHWENN schreibt von einer "abschlagfreien Rente mit 63" obwohl das falsch ist, denn diese gab es nur für die vor 1953 Geborenen. Der Jahrgang 1954 muss dagegen bereits 4 Monate länger arbeiten  und der Jahrgang 1958 kann sogar erst mit 64 Jahren in Rente gehen. Die Jahrgänge ab 1964 müssen bis 65 Jahre arbeiten, um abschlagfrei in Rente gehen zu können. Und für alle Jahrgänge gilt: Sie müssen mindestens 45 Beitragsjahre zusammen haben, was die meisten Erwerbstätigen nicht erreichen. Nichts davon lesen wir bei SCHWENN. Dort heißt es lediglich:

"Bis Ende August zählten die Rentenversicherer rund 160.000 Anträge (...). Das sind kaum weniger als vor einem Jahr. Ingesamt hatten im vergangenen Jahr 240.000 Arbeitnehmer eine Rente mit 63 beantragt."

Diese Zahlen sind jedoch nicht aussagekräftig, wenn unbekannt ist, wie viel Prozent der Neurentner das sind.

In der Publikation Rentenversicherung in Zahlen 2017 werden für das Jahr 2016 783.718 Neuzugänge bei den Altersrenten ausgewiesen (vgl. 2017 S.60). Davon entfallen 225.290 auf Renten für besonders langjährig Versicherte (Frauen: 99.234; Männer: 126.056; vgl. 2017 S.59 und 61). Wer einen Antrag stellt, geht also noch lange nicht abschlagsfrei mit 63 Jahren in Rente. Im Jahr 2015 gingen noch 274.287 Männer und Frauen abschlagfrei in Rente (vgl. Rentenversicherung in Zeitreihen 10/2016, S.62).     

FERBER, Michael (2017): Steigende Altersarmut in den Industrieländern.
Unterbrochene Erwerbsbiografien werden häufiger,
in:
Neue Zürcher Zeitung v. 20.10.

Wie Neoliberale uns verdummen, das zeigt die Berichterstattung der NZZ über die steigende Altersarmut, bei der versucht wird, das Problem der Altersarmut auf mangelnde Generationengerechtigkeit abzuschieben, obwohl es um ein Umverteilungsproblem geht:

"Über die OECD-Länder hinweg habe ein 25-jähriger Mann mit Hochschulabschluss eine um fast acht Jahre höhere Lebenserwartung als ein Gleichaltriger mit lediglich geringen Qualifikationen, schreibt die OECD. Bei Frauen betrage der Unterschied 4,6 Jahre.
Auch würden Geringverdiener tendenziell weniger alt als Menschen mit hohem Einkommen, heisst es weiter. Zudem seien die jährlichen Rentenzahlungen für über 65-Jährige heute bei Frauen durchschnittlich um 27% niedriger als bei Männern. Auch das Risiko der Altersarmut sei bei Frauen deutlich höher als bei Männern.
Die OECD-Autoren kommen in der Studie zum Schluss, die Anhebung des Rentenalters führe in der Tendenz dazu, dass die Ungleichheit der Gesamtrenten zwischen Gering- und Vielverdienern vergrössert werde, auch wenn der Effekt eher gering sei. Eine sicherere Finanzierung der Systeme bei steigender Lebenserwartung wird aber nur zu haben sein, wenn die Menschen länger arbeiten",

fasst Michael FERBER das Konfliktpotenzial einer Kopplung des Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung zusammen, wobei das Problem verharmlost wird, wenn es heißt, dass der "Effekt eher gering sei". Das ist blanker Zynismus, denn es bedeutet, dass der frühe Tod der geringverdienenden Männer im Vergleich zu den Frauen als positiver Effekt angesehen wird, da Tote die Rentenkassen nicht weiter belasten.

Fazit: Angesichts des Zynismus der Neoliberalen in Sachen sozialer Frage darf sich niemand wundern, dass sich mit der AfD eine erfolgreiche Männerpartei in Deutschland etabliert hat, wenngleich deren männliche Wählerschaft von der AfD auch nichts zu erhoffen hat.   

HAAN, Peter/HAMMERSCHMID, Anna/ROWOLD, Carla (2017): Geschlechtsspezifische Renten- und Gesundheitsunterschiede in Deutschland, Frankreich und Dänemark,
in: DIW-Wochenbericht Nr.43 v. 25.10.

Der DIW-Wochenbericht Gender Pay Gap zeigt, wie der Elitenfeminismus nur jene Themen aufgreift, die den Eliten genehm sind, während z.B. die niedrige Lebenserwartung der Männer im Vergleich zu Frauen keine Rolle spielt. Es ist der Zynismus dieser Art von Neoliberalismus, der die AfD und letztlich die Unzufriedenheit mit der Demokratie stärkt.

Untersuchungsdesigns, die die geringere Lebenserwartung von Männern im Vergleich zu Frauen außen vor lassen, geben ein verzerrtes Bild wider. Die höhere Sterblichkeit von Männern führt dazu, dass es überhaupt mehr Frauen in Altersarmut geben kann. Ein unverzerrtes Bild ergibt sich also nur, wenn als Vergleichsmaßstab die geschlechtsspezifische Altersarmut bei gleicher Sterblichkeit der Geschlechter gemessen wird. Das aber ist in elitenfeministischen Untersuchungsdesigns nicht der Fall.

Fazit: Mit der Ausblendung der niedrigen Lebenserwartung erscheint die Altersarmut als Hauptproblem und nicht etwa die geschlechtsspezifische Sterblichkeit. Es stellt sich also die Frage, wie es sein kann, dass in Sachen der Gleichberechtigung ausgerechnet das existenzielle Überleben keine Rolle spielt. Bei Haushaltsansätzen bleiben zudem die Ärmsten der Armen, nämlich Wohnungslose und Heimbewohner ausgeblendet. Auch hier zeigt sich der fatale Elitenkonsens schon im Ansatz wissenschaftlicher Untersuchungen.

BRÖCKER, Michael & Eva QUADBECK (2017): Jens Spahn fordert Aus für Rente mit 63.
Das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn spricht im Interview mit unserer Redaktion über Vertrauen in den Rechtsstaat, Sozialpolitik und sein Verhältnis zur Kanzlerin,
in: Rheinische Post Online
v. 30.10.

SPECHT, Frank (2017): Zweite Chance.
Dass Jamaika die Rente mit 63 infrage stellt, lässt hoffen, dass die nächste Regierung die Prioritäten richtig setzt,
in:
Handelsblatt v. 02.11.

Die Infragestellung der Rente mit 63 ist der Wunschtraum der Wirtschaft. Und bislang hat dafür lediglich Jens SPAHN plädiert. Im Sondierungspapier der Koalition findet sich dagegen nichts dazu. SPAHN vertritt ja gerne eigene Meinungen (siehe z.B. Rente mit 70), die nichts mit der CDU-Fraktion zu tun haben. Weshalb es bei SPECHT heißt:

"Das vage Ergebnispapier der Rentensondierung lässt genug Raum für die Hoffnung, dass Jamaika am Ende die richtigen Prioritäten setzt."

Die neoliberalen Prioritäten, die uns SPECHT präsentiert, sind nicht neu. Wir warten ab, was im Koalitionsvertrag steht.

CREUTZBURG, Dietrich (2017): Unternehmer hoffen auf Abschaffung der Rente mit 63.
Jamaika-Unterhändler dementieren angebliche Pläne. CDU-Wirtschaftsrat für beherzte Beitragsenkung,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.11.

Dietrich CREUTZBURG berichtet, dass die Bildzeitung eine Falschmeldung zur Rückabwicklung der Rente ab 63 in der Öffentlichkeit lanciert hat, deren Begründung CREUTZBURG aus dem Herzen spricht. Anton HOFREITER und Markus KURTH von den Grünen sind gegen die Abschaffung. FDP und CSU sind nicht dagegen und die Wirtschaftslobbyisten wären dankbar, weil sie in den Älteren kostengünstige Arbeitskräfte sehen, die gegen Jüngere ausgespielt werden können.

Interessant ist die umständliche Sprachregelung, mit der CREUTZBURG das Faktum umschreibt, dass gegenwärtig niemand mehr mit 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen kann:

"Wer 45 Beitragsjahre beisammen hat, kann damit seit Juli 2014 ohne Abschläge in Rente gehen, auch wenn er die reguläre Altersgrenze noch nicht erreicht hat."

Wird man bald also nur noch über die Abschaffung der Rente mit 64 Jahren reden, weil mit jedem verstreichenden Monat das Unwort "Rente mit 63" nicht mehr der Realität entspricht?

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Titelgeschichte: 100 Jahre Leben

BLAWAT, Katrin (2017): Alt, weise und zufrieden.
Etwa 17.000 Menschen in Deutschland sind älter als 100 Jahre - und ihre Zahl steigt stetig. Viele von ihnen sind mit ihrem Leben zufrieden. Von ihnen können auch Jüngere lernen, wie man erfolgreich altert,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 04.11.

"Die Französin hat nicht nur lange, sondern bis zum Schluss auch recht gut gelebt. Dank ihres wohlhabenden Mannes musste sie sich nie ums Geld sorgen. Sie verbrachte viel Zeit mit Opernbesuchen und Klavierspielen",

erzählt uns Katrin BLAWAT über das Leben einer Frau, die erst mit 110 Jahren in ein Pflegeheim zog. Die Lebenserwartung von einkommensstarken Menschen ist weit geringer als die von wohlhabenden Menschen. Dennoch klammert der Artikel diesen Aspekt aus und behauptet gar:

"Zufriedenheit mit dem ökonomischen Status, ein hohes Glücksempfinden und ein als subjektiv gut eingeschätzter Gesundheitszustand (sind entscheidend). Letzterer, das betont Rott, hänge keineswegs immer mit objektiver Gesundheit zusammen. Und auch mit seiner finanziellen Situation kann man zufrieden sein, ohne dass dies eng mit dem tatsächlichen Kontostand korrelieren muss."

Über die Sozialstruktur der Hundertjährigen schweigt sich der Artikel aus, obwohl alle einschlägigen Studien zur Entwicklung der Lebenserwartung - nicht nur in Deutschland - einen engen Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung aufzeigen.

"Allein auf gute Gene zu hoffen, dürfte (...). wenig bringen. (...).
Dafür könnte es helfen, an einem dieser sechs Orte zu leben: auf der griechischen Insel Ikaria, auf der Halbinsel Nicoya in Costa Rica, in der kalifornischen Stadt Loma Linda, auf der japanischen Insel Okinawa, ind er italienischen Kleinstadt Acciaroli oder auf Sardinien. In diesen sogenannten Blauen Oasen leben statistisch gesehen jeweils besonders viele Hundertjährige."

Ob das noch für jene gelten wird, die in 50 oder 100 Jahren dort leben, das wäre die interessantere Frage.

Der Artikel konzentriert sich auf die üblichen Modethemen: Resilienz ("Widerstandskraft") und positives Denken als Bedingungen für eine hohes Altern. Das passt zu einer neubürgerlichen Gesellschaft, in der Missstände dem Lebensstil zugeschrieben werden und nicht gesellschaftlichen Bedingungen.       

BECKER, Benedikt & Cornelia SCHMERGAL (2017): Alter Schwede.
Soziales: Die angehenden Jamaikakoalitionäre wollen den Renteneintritt flexibler machen und starre Altersgrenzen aufbrechen - eine überfällige Reform. Vorbild dafür ist Skandinavien,
in:
Spiegel Nr.46 v. 11.11.

BECKER & SCHMERGAL preisen das neoliberalisierte Schweden als Rentenvorbild. Dazu präsentieren sie uns die dünne Broschüre Meine Zeit in Schweden - Arbeit und Rente europaweit. Die Neoliberalen greifen sich jene Elemente aus dem schwedischen Alterssicherungssystem heraus, das ihnen gerade in den Kram passt. In diesem Fall die flexible Altersrente, die dem angeblich "verkrusteten" deutschen Sozialrecht gegenüber gestellt wird. Individualisierung gilt BECKER & SCHMERGAL den pauschalen Vorgaben überlegen.

Neoliberale passen ihre Rhetorik jeweils den Umständen an, weshalb nun dem besserverdienenden, gesuchten Physiker ein arbeitsunfähiger Maurer zur Seite gestellt wird. Das ist der Kritik am neoliberalen Modell geschuldet, das den Akademiker zur Norm erklärt hat und dadurch in letzter Zeit viel Gegenwind bekam. Dies zeigt sich auch in Studien, denn vor allem Gutgebildete arbeiten weiter:

"Ausgerechnet dort, wo es keine feste Altersgrenze mehr gibt, bleiben Senioren besonders lange im Berufsleben (...). In Schweden sind es 16,4 Prozent, das ist Rekord in der EU",

erklären uns BECKER & SCHMERGAL. Dumm nur, dass Länder wie Japan mit fester Altersgrenze noch mehr berufstätige 65-Jährige und Ältere aufweisen als Schweden. Hinzu kommt, dass BECKER & SCHMERGAL uns verschweigen, dass sich die erwähnte Studie Arbeiten im Rentenalter - Erwerbstätigkeit 65plus in Europa sich gar nicht auf alle 28 EU-Länder bezieht, sondern nur auf 15 EU-Länder. Die Daten stammen aus dem Jahr 2014. Just im gleichen Jahr beschwerte sich der Neoliberale Carsten LINNEMANN darüber, dass zwar in Schweden mehr Menschen über 65-Jahre weiterarbeiten, dafür aber noch mehr bereits früher aussteigen - möglichst mit 61 Jahren. Aus diesem Grund sollen die Abschläge für "Frührentner" möglichst so gestaltet werden, dass sich das nur sehr wenige Menschen leisten können. Bei BECKER & SCHMERGAL wird dies jedoch verschwiegen. Die Autoren preisen das lebenslange Lernen, d.h. der Maurer, der seine Arbeit nicht mehr ausführen kann, soll zum Bürohengst umfunktioniert werden. Ob das funktioniert, ist die andere Frage. Als letzter Ausweg gilt die Erwerbsminderungsrente, die jedoch so gestaltet werden soll, dass sie möglichst wenig kostet.

Ausgerechnet der Neoliberale Thomas STRAUBHAAR - ein Wolf im Schafspelz - wird als Lobpreiser der schwedischen Mindestrente präsentiert. STRAUBHAAR plädiert bekanntlich für ein garantiertes Grundeinkommen (das durchaus sehr niedrig sein darf!), das letztlich alle Sozialversicherungssysteme von Krankenkasse bis Rente überflüssig machen soll. Der Gedanke dahinter: mit der Aussicht auf ein Grundeinkommen lässt sich ein radikaler Abbau der sozialen Sicherung besser vermarkten. Am Schluss malen uns BECKER & SCHMERGAL ein idyllisches Bild einer Rentenreform à la Jamaika:

"Die Liberalen verfolgen seit Jahren ausdrücklich das Ziel, die Regelaltersgrenze flexibler zu machen. Die Grünen träumen von einer steuerfinanzierten Mindestabsicherung, die Union unterstützt mehr Hilfe für Erwerbsgeminderte. Diese Konzepte (...) ließen sich vereinen."

Man darf sicher sein, dass die Umsetzung nicht die Bedürfnisse der Arbeitnehmerschaft widerspiegeln wird, sondern die Kostensenkungsinteressen der Wirtschaft.

SCHORB, Friedrich (2017): Nicht Verhalten, sondern Verhältnisse ändern.
Arme Menschen sind häufiger übergewichtig und sterben früher. Grund sind vor allem die sozialen Verhältnisse,
in:
TAZ v. 14.11.

Während derzeit in Deutschland über Steuern für Dickmacher geredet wird (vgl. Tagesthema des Kölner Stadt-Anzeigers), kritisiert Friedrich SCHORB ("Dick, doof und arm") eine solche neoliberale Anreizpolitik, die an den Lebensverhältnissen der Armen vorbei geht:

"Man kann darüber streiten, woran es liegt, dass arme Menschen statistisch gesehen früher sterben. Daran, dass arme Menschen häufiger dick sind als Wohlhabende liegt es wohl eher nicht",

meint SCHORB, der sich auf Kate PICKETT & Richard WILKINSON ("Gleichheit ist Glück") beruft, die zwischen sozialen Selektionsprozessen (Krankheit macht arm) und Verursachungsprozessen (Armut macht krank) unterscheiden. Stigmatisierungsprozesse, die sich gegen Dicke richten, verschärften diese Problematik noch. Beispielhaft präsentiert SCHORB den Fall von Gabrielle DEYDIER (keine Angehörige der Unterschicht wie sie z.B. Paul NOLTE zum Feindbild des neuen Bürgertums stilisierte), deren Memoiren ("One ne naît grosse", zu deutsch etwa: Man wird nicht dick geboren) in Frankreich zum Bestseller wurden. Deutschland ist für SCHORB in Sachen Fat-Acceptance-Bewegung noch ein Entwicklungsland. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt der aktivierende Sozialstaat, der statt zu fördern, allzu oft nur fordert und Probleme allein dem individuellen Verhalten zuschreibt. 

ÖCHSNER, Thomas (2017): Sieben gute und sieben schlechte Jahre.
Wie geht's der gesetzlichen Rente? Die Bundesregierung wagt in einem Bericht den Blick in die Zukunft. Danach wird das Altersgeld um durchschnittlich gut zwei Prozent steigen. Doch von 2024 an geht es mit den Beiträgen abrupt abwärts,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 22.11.

Thomas ÖCHSNER benutzt die Erfindung eines Zwischenhochs (der Zusatz "demografisch", der auch gerne benutzt wird, fehlt jedoch), um die weitere Entwicklung der Renten zu erklären:

"Dem Bericht zufolge gibt es von 2017 bis 2023 ein Zwischenhoch mit steigenden Renten, einem stabilen Beitragssatz und stabilem Rentenniveau. Der Rentenexperte Werner Siepe, der die Zahlen der Regierung analysiert hat, spricht von »sieben guten Rentenjahren«, weil der Job-Boom viel Geld in die Rentenkasse spült. 2024 folgt dann ein Übergangsjahr. Danach kommen eher sieben schlechte Rentenjahre. »Das liegt am Eintritt der Babyboomer mit den Geburtsjahrgängen 1959 bis 1968 in den Ruhestand. Die Rentenneuzugänge in diesen Jahren werden deutlich zunehmen, was zu einem starken Anstieg der Rentenausgaben führen wird«, schreibt Finanzmathematiker Siepe in seiner Analyse."

Im Rentenversicherungsberichten 2017 und 2016 heißt es zur Bevölkerungsentwicklung:

"Ausgangspunkt für die Fortschreibung der Rentenausgaben bildet die Bevölkerungsentwicklung, die der 2017 aktualisierten Version der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes entspricht. Die Wanderungsannahmen und die Geburtenrate sind somit an die tatsächliche Entwicklung am aktuellen Rand angepasst. Die mittlere fernere Lebenserwartung 65-Jähriger beträgt im Jahr 2030 bei Männern 19,1 Jahre und bei Frauen 22,5 Jahre. Die zusammengefasste Geburtenziffer wird langfristig bei 1,5 konstant gehalten. Bezüglich der Außenwanderung wird für die langfristige Vorausberechnung von einem positiven Wanderungssaldo in Höhe von 200.000 Personen jährlich ausgegangen." (2017, S.11)

"Ausgangspunkt für die Fortschreibung der Rentenausgaben bildet die Bevölkerungsentwicklung, die sich an der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes orientiert, wobei die aktuellen Bevölkerungsdaten zum 31.12.2015 sowie die tatsächlichen Wanderungssalden der letzten Jahre berücksichtigt wurden. Auch die Veränderung der Lebenserwartung wurde am aktuellen Rand angepasst. Im Vergleich zu heute wird die mittlere fernere Lebenserwartung von 65-jährigen Frauen bis zum Jahr 2030 um 1,4 Jahre auf 22,5 Jahre ansteigen. Bei Männern wird ein Anstieg von 1,3 Jahren auf dann 19,1 Jahre erwartet. Bezüglich der Fertilität wird von einer zusammengefassten Geburtenziffer in Höhe von rund 1,4 ausgegangen. Darüber hinaus wird langfristig von einer jährlichen Nettozuwanderung von 200 000 Personen jährlich ausgegangen." (2016, S.11)

Die Annahmen unterscheiden sich lediglich in einer veränderten Geburtenentwicklung (TFR 1,5 statt 1,4), welche keinerlei Auswirkungen auf die Rentenentwicklung der nächsten Jahre hat. Vergleicht man diese Annahmen mit dem Rentenversicherungsbericht 2010, dann ergeben sich erstaunliche Unterschiede bei der Lebenserwartung:

"Die Berechnungen zur Bevölkerungsentwicklung basieren auf der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes. Die mittlere fernere Lebenserwartung von 65-jährigen Frauen wird von heute bis zum Jahr 2030 um gut 2 Jahre auf 22,8 Jahre ansteigen. Bei Männern wird ebenfalls ein Anstieg von gut 2 Jahren auf dann 19,4 Jahre erwartet. Die zusammengefasste Geburtenziffer bleibt annahmegemäß langfristig auf dem gegenwärtigen Niveau von rund 1,4. Darüber hinaus wird eine jährliche Nettozuwanderung unterstellt, die bis zum Jahr 2020 auf 200 000 Personen jährlich aufwächst." (2010, S.12)

2010 wurde im Rentenversicherungsbericht im Gegensatz zu 2016 und 2017 von einer höheren Lebenserwartung ausgegangen. Nimmt man den öffentlichen Diskurs, dann müsste eigentlich von einer steigenden und nicht von einer sinkenden Lebenserwartung ausgegangen werden.

Tatsächlich wurde auch die Lebenserwartung bei Geburt zwischen der 12. und der 13. aktualisierten Bevölkerungsvorausberechnung von 85,0 (Männer) auf 84,7 Jahre und bei Frauen von 89,2 auf 88,6 Jahre reduziert. Oder anders formuliert: Es wird heute von einem geringeren Anstieg der Lebenserwartung ausgegangen als noch vor wenigen Jahren prognostiziert wurde. Dies lässt sich auch anhand einer Tabelle zur Entwicklung der ferneren Lebenserwartung von 65-Jährigen in Deutschland ablesen. Zwischen 2005 und 2010 betrug der Anstieg der Lebenserwartung noch 0,76 Jahre, während es zwischen 2010 und 2015 gerade noch 0,2 Jahre waren. Diese Fakten stehen im Gegensatz zu der Debatte um die Erhöhung des Renteneintrittsalters, die von den Neoliberalen - nicht nur in Deutschland - vorangetrieben wird.

Der Begriff "Babyboomer" findet sich nirgends im Rentenversicherungsbericht. Steigende Rentnerzahlen drücken sich jedoch im Äquivalenzrentner aus (Die Ermittlung der Anzahl der Äquivalenzrentner erfolgt durch Division des Gesamtrentenvolumens durch eine Regelaltersrente mit 45 Entgeltpunkten). Die nachfolgende Tabelle vergleicht dessen Entwicklung anhand der Rentenversicherungsberichte (Abkürzung: RV) 2010 bis 2017 für die Jahre 2015 - 2030:

Jahr Entwicklung des Äquivalenzrentners 2015 - 2030
(in Tausend; gemäß Übersicht B 18 der Rentenver-
sicherungsberichte)
RV 2010 RV 2014 RV 2016 RV 2017 tatsächliche
Entwicklung
2015 15.097 15.420     15.389
2016 15.183 15.494 15.481    
2017 15.284 15.592 15.572 15.532  
2018 15.409 15.721 15.699 15.615  
2019 15.541 15.851 15.834 15.731  
2020 15.674 15.979 15.984 15.869  
2021 15.816 16.130 16.151 16.030  
2022 15.971 16.302 16.391 16.266  
2023 16.134 16.483 16.642 16.520  
2024 16.308 16.680 16.845 16.738  
2025   16.885 17.049 16.968  
2026   17.093 17.295 17.211  
2027   17.309 17.565 17.463  
2028   17.528 17.812 17.714  
2029     18.076 17.980  
2030     18.347 18.253  

Der Vergleich zeigt, dass die Entwicklung der Rentnerzahlen wenig aussagekräftig sind, wenn es um die Rentenentwicklung geht, sondern auch die Entwicklung der Rentenhöhe eine wichtige Rolle spielt. Bereits geringe Änderungen bei den Annahmen zur zukünftigen Entwicklung können zu gravierenden Änderungen bei der Rentenentwicklung führen - jenseits des demografischen Wandels.

STALA BW (2017): Baden‑Württemberger sind im Schnitt 43 Jahre alt.
Alterungsprozess der Bevölkerung wird vor allem in den Großstädten durch Zuwanderung deutlich abgeschwächt,
in:
Pressemitteilung des Statistischen Landesamt Baden-Württemberg v. 29.11.

Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Baden-Württemberg ist von 43,3 im Jahr 2014 auf 43,2 Jahre im Jahr 2015 gesunken, meldet das Statistische Landesamt.

DIW-Wochenbericht-Thema: Gesetzliche Rente

BUSLEI, Hermann (2017): Erhöhung der Regelaltersgrenze über 67 Jahre hinaus trägt spürbar zur Konsolidierung der Rentenfinanzen und Sicherung der Alterseinkommen bei,
in:
DIW-Wochenbericht Nr.48 v. 29.11.

Das DIW ist unter Marcel FRATZSCHER noch weiter nach rechts gerückt und liegt nun auf einer stramm neoliberalen Linie - nicht nur was die gesetzliche Rentenversicherung anbelangt.

Bei Hermann BUSLEI wird nicht etwa die aktualisierte Variante der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung zugrunde gelegt, sondern die völlig veralteten Varianten aus dem Jahr 2015. Die Geburtenrate wird konstant bei 1,4 Kinder pro Frau gehalten, obwohl sie steigt und derzeit bereits bei 1,5 Kinder pro Frau liegt. Der Anteil jüngerer Arbeitskräfte wird damit unterschätzt, insbesondere für die Jahre nach 2040. In den Ausführungen wird lediglich der Altenquotient 65+ und nicht der Altenquotient 67+ nachgewiesen - offenbar, um das Problem zusätzlich zu dramatisieren (vgl. Tabelle 1), obwohl das Simulationsmodell selber mit Annahmen zur Erwerbsbeteiligung operiert, die gar nichts mit dem präsentierten Altenquotient zu tun hat (siehe Kasten).

Die Annahmen grenzen damit an dreiste Demagogie. Das Ziel bestimmt die Annahmen! Der Autor kennt zwar die aktualisierte Variante (siehe Fn12), hält aber die alten Varianten für seine demagogischen Zwecke geeigneter.

Es werden dann Kausalschlüsse gezogen, wonach die Erhöhung der Regelaltersgrenze zu höherer Beschäftigung führt, was nichts als ein Zirkelschluss ist. Dass zwischen der Beschäftigungsentwicklung und der Regelaltersgrenze keinerlei zwingender Kausalzusammenhang besteht, das belegen die langen Jahrzehnte vor der Einführung der Rente mit 67, in denen niedrigere und höhere Beschäftigungsniveaus bestanden - trotz gleichbleibend niedriger Regelaltersgrenze.

Auch der Zusammenhang zwischen Regelaltersgrenze und den Alterseinkommen ist nicht so eng wie die Studie unterstellt, denn entscheidend ist die Lohnentwicklung, die sich in den letzten Jahren immer mehr von der Beschäftigungsentwicklung abgekoppelt hat.

Fazit: Die Studie belegt nicht, was sie zu belegen beansprucht, sondern aufgrund der Annahmen und den berücksichtigten Faktoren, kommt genau das erwünschte Ergebnis zustande. Infolgedessen ist die Literatur, auf die sich der Autor bezieht, aufschlussreicher für die Interessengeleitetheit der Studie als die dürftige, pseudowissenschaftliche "Beweisführung", die überwiegend auf Zirkelschlüssen beruht.

BÄCKER, Gerhard (2017): Entwicklung des Altersübergangs: Immer mehr Ältere wechseln aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in die Rente,
in: sozialpolitik-aktuell.de v. 04.12.

OECD (2017): Pensions reforms have slowed in OECD countries but need to continue.
Further reforms are needed across OECD countries to mitigate the impact of population ageing, increasing inequality among the elderly and the changing nature of work, according to a new OECD report,
in:
Pressemitteilung der OECD v. 05.12.

Die neoliberale Lobbyorganisation OECD hat den jährlichen Bericht Pensions at a Glance 2017 veröffentlicht. Frank SPECHT nutzt auf handelsblatt.de die Publikation, um der Politik die neoliberalen Leviten zu lesen: Woran es in der Rentenpolitik hapert.

"»Wir wollen das heutige Rentenniveau sichern und durch einen neuen Generationenvertrag die Beiträge stabilisieren«, heißt es in den Leitlinien, die der Bundesvorstand am Montag beschlossen hat und mit denen die Partei in Sondierungsgespräche mit der Union gehen will. Außerdem soll, wer ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und Rentenbeiträge gezahlt hat, im Alter nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sein",

fasst SPECHT die SPD-Position zusammen. Das neoliberale Kernprojekt - die Erhöhung der Erwerbstätigkeit im Rentenalter streicht SPECHT besonders hervor:

"Positiv hebt die Industrieländerorganisation hervor, dass hierzulande die Quote der erwerbstätigen 55- bis 64-Jährigen seit der Jahrtausendwende um gut 30 Prozentpunkte gestiegen ist. Damit ist Deutschland absoluter Spitzenreiter. Bei der Beschäftigungsquote der 65- bis 69-Jährigen liegt die Bundesrepublik allerdings leicht unter dem OECD-Durchschnitt."

Das ist für Neoliberale aber nicht ausreichend, denen die Rente mit 63 genauso ein Dorn im Auge ist wie die zu niedrigen Anreize fürs Weiterarbeiten. Die Verschiebung des neoliberalen Frontverlaufs in die richtige Richtung in Europa rekapituliert SPECHT folgendermaßen:

"Insgesamt reagierten die Industriestaaten in den zurückliegenden zwei Jahren sehr unterschiedlich auf die demografische Entwicklung. So haben Finnland, Japan und Spanien Nachhaltigkeitsfaktoren eingeführt, wie es sie auch hierzulande gibt. Sie koppeln Rentenanpassungen an die Bevölkerungsentwicklung. Frankreich und Dänemark haben das Renteneintrittsalter an die durchschnittliche Lebenserwartung geknüpft. Im OECD-Durchschnitt wird das Rentenalter für Männer bis 2060 um 1,5 Jahre und für Frauen um 2,1 Jahre steigen. Dänemark, Italien und die Niederlande haben schon heute ein Renteneintrittsalter von mehr als 68 Jahren."

Monika QUEISSERs Steckenpferd ist die Individualisierung der Alterssicherung. Aus dieser Sicht wird die Benachteiligung der Frauen im deutschen Rentensystem angeprangert (Infos auf der deutschen OECD-Website finden sich hier).

Die Absurdität der neoliberalen Sicht, zeigt sich im Ranking zur finanziellen Nachhaltigkeit der Alterssicherung. Dort wird uns die Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Rentnern für das Jahr 2075 präsentiert. Korea steht dort auf Platz 1 vor Portugal und Japan. Man kann sich über diese Art von Kaffeesatzleserei eigentlich nur wundern.

SCHWENN, Kerstin (2017): CDU-Wirtschaftsrat: "Wir müssen länger arbeiten".
Die Lebenserwartung steigt, die Rentenausgaben auch. Das zwingt die Politik zur Reformdebatte,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.12.

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) hat Daten zur Entwicklung der Rentenbezugsdauer bis 2016 vorgelegt. Die Neoliberalen leiten daraus gewagte Schlüsse ab.

Entgegen der Suggestion einer rapide steigenden Lebenserwartung, geht der neue Rentenversicherungsbericht 2017 von einer geringeren Zunahme der Lebenserwartung aus.

Entgegen der Meldung der DRV ist die Rentenbezugsdauer 2016 genauso lang wie 2015, nämlich 19,6 Jahre (vgl. Rentenversicherung in Zeitreihen, Oktober 2017, S.157). Die Rentenbezugsdauer von Frauen ist um 0,1 Jahre gesunken, während sie bei den Männern um die gleiche Zahl zugenommen hat.

Die FAZ versucht uns deshalb mit einer Grafik zu verdummen, die durch die Skaleneinteilung einen dramatischen Anstieg der Rentenbezugsdauer in den letzten Jahren suggeriert, obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist.

Von 2012 bis 2016 ist die Rentenbezugsdauer lediglich um 0,6 Jahre gestiegen. Zuvor ist sie im gleichen Zeitraum (2008 bis 2012) um 1 Jahr gestiegen. Aufgrund der Rente mit 67 ist davon auszugehen, dass sich die Rentenbezugsdauer keineswegs parallel zur Entwicklung der Lebenserwartung entwickelt, sondern stärker stagniert oder sogar rückläufig sein wird.

ÖCHSNER, Thomas (2017): Ein hartes Stück Arbeit.
Die Deutschen leben länger, die Rentenversicherung muss länger zahlen. Noch spült der Job-Boom Geld in die Kassen, aber damit könnte bald Schluss sein,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 08.12.

Thomas ÖCHSNER beschwört "dramatische Konsequenzen", indem er suggeriert, dass die Entwicklung der Vergangenheit auch in der Zukunft so weitergeht. Das jedoch ist falsch wie die Zahlen weiter oben belegen. Dass eine breite Phalanx von Neoliberalen die Kopplung an die Lebenserwartung befürwortet und eine DIW-Berechnung, die veraltete Zahlen zur Entwicklung der Lebenserwartung instrumentalisiert, ist wenig verwunderlich. Nur mit der Realität hat dies nichts zu tun.

Auch die SZ setzt Grafiken als Suggestionsmittel ein. So präsentiert z.B. ein Schaubild nicht etwa die Entwicklung der ferneren Lebenserwartung von 65-Jährigen oder 67-Jährigen, sondern die Lebenserwartung von Geburt an, die für die Rentenbezugsdauer gar nicht relevant ist. Die Entwicklung der Rentenbezugsdauer wird durch unterschiedliche Zeiträume verzerrt. Eine Gegenüberstellung der Entwicklung der ferneren Lebenserwartung und der Rentenbezugsdauer (vgl. Rentenversicherung in Zeitreihen 10/2017) wird vermieden, um die Differenzen zu verdecken. Aus der folgenden Tabelle wird ersichtlich, dass der Zusammenhang zwischen beiden Faktoren keineswegs zwingend ist:

Tabelle: Vergleich der Entwicklung der ferneren Lebenserwartung 65-Jähriger
(in Jahren) mit der Rentenbezugsdauer in Deutschland
Jahr Männer Frauen
Lebenserwartung
(in Jahren)
Rentenbezugsdauer
(in Jahren)
Lebenserwartung
(in Jahren)
Rentenbezugsdauer
(in Jahren)
1995 14,69 13,6 18,55 18,2
2000 15,72 k.A. 19,50 k. A.
2005 16,71 14,7 20,22 19,8
2010 17,47 16,2 20,69 20,9
2015 17,67 17,5 20,84 21,7

Der Vergleich zeigt, dass die Rentenbezugsdauer von Frauen oberhalb der durchschnittlichen ferneren Lebenserwartung der 65-Jährigen liegt, während es bei den Männern umgekehrt ist, wobei die Männer in den letzten Jahren aufgeholt haben.

Zwischen 2010 und 2015 ist die Lebenserwartung der Männer nur um 0,2 Jahre gestiegen. Dagegen ist die Rentenbezugsdauer im gleichen Zeitraum um 1,3 Jahre gestiegen, d.h. um mehr als das 6fache der Lebenserwartung.

Fazit: Der Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Rentenbezugsdauer ist wesentlich geringer als es die neoliberale Debatte um die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung vermuten lässt. Es stellt sich also die Frage, warum dann diese Debatte in dieser Form überhaupt geführt wird und welche Interessen tatsächlich dahinter stehen.

BEISE, Marc (2017): Die alten Deutschen.
Kommentar: Bei allen Problemen: In Wahrheit werden doch alle jünger,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 08.12.

"Alle zehn Jahre steigt die statistische Lebenserwartung der Deutschen um zweieinhalb Jahre. Jedes zweite heute geborene Baby kann damit rechnen, 100 Jahre alt zu werden. Weil gleichzeitig viel zu wenig Kinder geboren werden, verändert sich die Statik der Gesellschaft. 2035 wird es doppelt so viele 60-jährige geben wie unter 20-jährige. Deutschland wird dann die älteste Bevölkerung der Welt haben.
So wird es kommen",

behauptet Marc BEISE. Das aber glaubt noch nicht einmal das Statistische Bundesamt, das die Treffsicherheit inzwischen aus dem Kriterienkatalog für Bevölkerungsvorausberechnungen gestrichen hat und stattdessen nur noch von "politischen Signalen" spricht.

BEISE argumentiert jedoch mit der Lebenserwartung von Geburt an, die für die Rentenversicherung im Jahr 2035 irrelevant ist. Ausschlaggebend wäre dann die fernere Lebenserwartung der 67 Jährigen. Diese aber stagniert. Nach der aktualisierten 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Variante 2A) ergibt sich folgende Entwicklung der von BEISE beklagten Relation von Jungen und Alten:

Altersgruppen 2015 2020 2030 2040
unter 20-Jährige 18,3 % 18,1 % 18,3 % 17,5 %
60-Jährige und Ältere 27,4 % 29,0 % 33,8 % 34,8 %
67-Jährige und Ältere 18,7 % 19,5 % 23,2 % 26,6 %

Im Jahr 2030 wird es kaum mehr Rentner (23,2 %) als Junge (18,3 %) geben, wenn das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren liegen sollte. Dabei ist noch nicht einmal der jetzige Geburtenanstieg im ganzen Ausmaß berücksichtigt, denn auch die Variante 2 B bleibt weit hinter der tatsächlichen Geburtenzahl zurück. Der Rückgang der unter 20-Jährigen könnte also durchaus noch geringer sein.

RAU, Roland (2017): Bessere Prognosen für die Lebenserwartung.
Ungleichheiten in der Lebensspanne sollten beachtet wer den,
in:
Demografische Forschung aus Erster Hand, Nr.4  v. 19.12.

Beitrag zur Studie Lifespan Disparity as an Additional Indicator for Evaluating Mortality Forecasts von Christina BOHK-EWALD, Marcus EBELING &  Roland RAU in der Zeitschrift Demography vom 05.07.2017. In dem Beitrag werden drei Prognosemodelle zur Ermittlung der durchschnittlichen Lebenserwartung anhand der Entwicklungen in Italien, Dänemark und Japan verglichen. Es zeigt sich dabei, dass die beiden klassischen Modelle die Entwicklung der Ungleichheit in den Ländern weniger genau berücksichtigen.

In der Rentenpolitik plädieren die Mainstream-Ökonomen für eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung. Von daher hat die Frage der Ungleichheit bei der Entwicklung der Lebenserwartung durchaus Auswirkungen. Je genauer ermittelt werden kann, wer von solchen politischen Maßnahmen profitiert oder verliert, desto eher lässt sich politischer Widerstand gegen eine solche Politik organisieren.

FRÜNDT, Steffen (2017): Projekt Rente.
Wer ohne Konzept in den Ruhestand geht, kann böse Überraschungen erleben,
in:
Welt v. 22.12.

Gut betuchte Workaholics sind die Klientel von Ruhestandscoachs (kann sich jeder nennen, weil keine geschützte Berufsbezeichnung!), die ihr Geld mit banalen Tipps verdienen. Um ihre Klientel zu rekrutieren, schreiben diese dann Bücher wie Auf zu neuen Ufern - Gut vorbereitet in den Ruhestand.

Um diese Klientel geht es auch, wenn uns die Rente von neoliberalen Verfechtern eines höheren Renteneintrittsalters - oder gar der Abschaffung des Ruhestands - als kritisches Lebensereignis dargestellt wird.

BLECH, Jörg (2017): Das Schicksal in unserer Hand.
Medizin: Die Methusalem-Formel ist gefunden: Wer sich genug bewegt und ausgewogen ernährt, lebt bis zu 17 Jahre länger. Die Macht der Gene hingegen wurde weit überschätzt. Und es ist leichter als gedacht, sich gesundheitsbewusst zu verhalten,
in: Spiegel
Nr.1 v. 30.12.

Die Lebenserwartung als Mentalitätsproblem? So jedenfalls will es die Ideologie des Neoliberalismus. Die Realität sagt anderes: Die Lebenserwartung steigt mit dem Einkommensniveau. Wer arm ist stirbt früher. Armut auf ein Mentalitätsproblem zurückzuführen, das kommt auf alle Fälle den neuen Mittelschichten in ihrem Kampf gegen den Transferstaat entgegen.

 
     
 
       
     
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 04. Juni 2017
Update: 12. Februar 2019