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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Die Entwicklung der Geburtenzahlen in Deutschland

 
       
   

Eine Bibliografie der Debatte um die Geburtenentwicklung (Teil 11)

 
       
     
       
   
     
 

Vorbemerkung

Die mediale Berichterstattung zur Geburtenentwicklung richtet sich nicht nach der Faktenlage, sondern nach politischen Interessen. Um diese deutlich zu machen werden in dieser Bibliografie ab heute (02.07.2012) nach und nach ausgewählte Medienberichte und Literatur zum Thema chronologisch dokumentiert. Die Kommentare entsprechen jeweils dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, falls nichts anderes vermerkt ist.

Kommentierte Bibliografie (Teil 11: 2014)

2014

BAUM, Antonia (2014): Man muss wahnsinnig sein, heute ein Kind zu kriegen.
Wie die tollste Sache der Welt in unserer Gesellschaft für viele zu einem Albtraum geworden ist und wie man das wieder ändern könnte,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 05.01.

Politik und Wissenschaft haben nach Geld und Infrastrukturpolitik nun die Zeitpolitik als letzten Punkt einer nachhaltigen Familienpolitik (neudeutscher Ausdruck für Bevölkerungspolitik) ganz oben auf die Agenda gesetzt. Jetzt werden wir also bis zu den beabsichtigten Gesetzesänderungen die Vereinbarkeitslüge in der Burn-out-Variante erzählt bekommen. BAUM bezieht sich genauso wie HERACK auf einen Spiegel-Artikel Die große Erschöpfung von Claudia VOIGT.

"Mit dieser Überlegung wird einmal mehr offenkundig, wer es eigentlich ist, der sich öffentlich zu dem Kinder-Thema äußert: das soziale Milieu der Akademiker, der Ichs und Optimierer. Was Lastwagenfahrer und Supermarktkassierer dazu denken, ließt man überhaupt nicht und weiß folglich auch nicht, was die sich wünschen würden. Nicht jeder Mensch empfindet seinen Beruf als sinnstiftend. Und so ist auch dieser Text die Selbstaussage eines bestimmten Milieus.

Und leider völlig folgenlos, denn schließlich lesen diesen Text sowieso nur Akademiker/innen.

DESTATIS (2014): Erneuter Anstieg der Bevölkerung für 2013 erwartet,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 08.01.

"Nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) ist die Einwohnerzahl Deutschlands im Jahr 2013 erneut angestiegen. Lebten am Jahresanfang noch gut 80,5 Millionen Personen in Deutschland, waren es am Jahresende voraussichtlich knapp 80,8 Millionen Personen. Damit wird es das dritte Jahr in Folge eine Zunahme der Bevölkerung gegenüber dem Vorjahr geben. Ursache hierfür sind die erneut hohen Wanderungsgewinne gegenüber dem Ausland, die das Geburtendefizit – die Differenz aus Geburten und Sterbefällen – mehr als nur ausgleichen konnten. Für das Jahr 2013 wird mit 675 000 bis 695 000 lebend geborenen Kindern und 885 000 bis 905 000 Sterbefällen gerechnet. Da die erwartete Zunahme der Geburten etwas geringer ausfällt als die der Sterbefälle, wächst das Geburtendefizit voraussichtlich auf etwa 200 000 bis 220 000 an. Im Jahr 2012 betrug es 196 000; den 870 000 Sterbefällen standen 674 000 Geburten gegenüber. Die ohnehin schon hohen Wanderungsgewinne in den beiden Vorjahren (2011: + 279 000, 2012: + 369 000) werden der Schätzung zufolge 2013 nochmals übertroffen: Das Statistische Bundesamt rechnet damit, dass sogar erstmals seit 1993 etwas mehr als 400 000 Personen mehr aus dem Ausland zugezogen als ins Ausland fortgezogen sind. Damals hatte der Wanderungssaldo bei 462 000 gelegen", heißt es in der Pressemitteilung.

Bereits im November hatte das Statistische Bundesamt einen Anstieg der Zuwanderung im 1. Halbjahr 2013 gemeldet.

Ganz nebenbei wird gemeldet, dass mit 675.000 - 695.000 Geburten gerechnet wird. Im Jahr 2012 wurden dagegen nur 673.544 Kinder geboren.

HUMMEL, Katrin (2014): Das ist nicht mein Opa, das ist mein Papa.
Nicht nur Promis wie Ulrich Wickert tun es: Immer mehr Männer über 50 werden Vater, zum wiederholten oder auch zum ersten Mal. Ist das schlimm? Drei Kinder und zwei alte Väter erzählen,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 09.03.

"Die Zahl der alten Väter steigt hierzulande rasant. Im Jahr 2000 hatte jedes 120. Neugeborene einen Vater, der fünfzig oder älter war. Im Jahr 2012 war es schon jedes 69. Kind. Der demographische Wandel und hohe Trennungsraten sind die Ursache dafür, dass sich immer mehr jüngere Frauen mit älteren Männern zusammentun. Viele alte Papas zeugten ihre jüngsten Kinder in zweiter oder dritter Ehe, so François Höpflinger, Altersforscher und Professor für Soziologie an der Uni Zürich",

berichtet Katrin HUMMEL. Woher aber stammen die Zahlen? Die amtliche Statistik erfasst nur Mütter und keine Väter. Im Jahr 2000 wurde noch nicht einmal die biologische Geburtenfolge der Mutter erfasst, sondern nur die eheliche. Da es sich um ein sehr seltenes Ereignis handelt (Bei ca. 767.000 Geburten im Jahr 2000 wären das lediglich ca. 6390 Väter. Im Jahr 2012 wären es ca. 9760 Väter), helfen auch keine sozialwissenschaftlichen Studien weiter. Also wie kommt Frau HUMMEL auf diese Zahlen?

In der Schweiz wird das Alter von Vätern in Ehen erfasst. Dort war im Jahr 2000 jedes 92. Kind von einem verheirateten Vater 50 +, während es im Jahr 2012 bereits jedes 52. Kind war. Da die unehelichen Kinder fehlen, liegen die Zahlen höher als jene von HUMMEL.

In Baden-Württemberg war im Jahr 2000 jedes 105. Kind von einem verheirateten Vater, 2010 war es jedes 74. Kind.

BOLLMANN, Ralph & Inge KLOEPFER (2014): Mütter, geht mehr arbeiten!
Vollzeit für Mütter, Teilzeit für Väter, eine 35-Studnen-Woche für beide: Das fordert Familienministerin Manuela Schwesig - und jetzt auch Handelskammerchef Eric Schweitzer. Über den Weg dorthin streiten sie,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 06.04.

Im Familienministerium hält man nichts von einer Arbeitszeitverkürzung à la Manuela SCHWESIG für Führungskräfte. Dort arbeiten die Abteilungsleiter alle Vollzeit.

Obligatorisch ist die Frage nach der Geburtenrate, ein Ziel, das keine Familienministerin als oberste Priorität anvisiert hat - außer Ursula von der LEYEN und damit baden ging, weshalb SCHWESIG antwortet:

"Ich sehe meine Aufgabe (...) nicht in erster Linie darin, die Geburtenrate zu erhöhen. Ich will ein familienfreundliches Klima schaffen: Wer einen Kinderwunsch hat, soll ihn auch verwirklichen können."

CORNELIUS, Ivar (2014): Kinderzahlen in Baden-Württemberg im Generationenvergleich,
in:
Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg, Heft 5, S.16-22

Angeblich hat die Generation Golf (1967 - 1973 Geborene) wesentlich weniger Kinder bekommen als ihre Vorgängergeneration. Susanne GASCHKE begründete damit die Rentenkürzungen für ihre Generation im Vergleich zu den 68ern (1940-1946 Geborene). Single-dasein.de und single-generation.de hatten das bereits im Jahr 2003 kritisiert. Nun zeigen die Ergebnisse von Ivar CORNELIUS zumindest für Baden-Württemberg, dass nicht einmal die Kluft zwischen der Kriegsgeneration (1930-1935 Geborenen) und der Babyboomer-Generation (1959-1967 Geborenen ) an den Mythos heranreicht, dass jede Generation um ein Drittel kleiner sei als ihre Vorgängergeneration.
 

Müttergeneration Töchtergeneration Generationenersatz
1930 1959 77 %
1935 1963 70 %
1940 1967  
1946 1973 86-88 %
1953 1980
Quelle: Ivar Cornelius 2014, S.17-18

Die Tabelle zeigt, dass der Frauenjahrgang 1963 den Wendepunkt beim Generationenersatz darstellt. Seitdem führt der Geburtenaufschub immer mehr dazu, dass Geburten später nachgeholt werden. Seit dem Frauenjahrgang 1967 ist zudem ein Anstieg der Geburtenrate (CFR) festzustellen:

"Aus den bislang verfügbaren Informationen zu den Geburtenverläufen bei den Frauenjahrgängen aus den 1960er- und 1970er-Jahren lässt sich ableiten, dass die endgültigen Kinderzahlen der Jahrgänge 1968 bis 1973 gegenüber dem Jahrgang 1967 in Baden-Württemberg leicht ansteigen – von rund 1 500 Kindern je 1 000 Frauen auf etwa 1 580 Kinder."

Das Statistische Bundesamt geht gemäß seiner konservativen Schätzung davon aus, dass dieser Geburtenanstieg nur vorübergehend ist und die in den 1980er Jahren geborenen Frauen wieder weniger Kinder bekommen werden. Dies könnte jedoch eine Fehlinterpretation sein, weil der Anteil der Akademikerinnen an der Gesamtbevölkerung weiter zunimmt. Da jedoch Akademikerinnen hauptsächlich für den Anstieg der späten Mutterschaft verantwortlich sind, führt diese Nichtberücksichtigung zu einer Unterschätzung der Kinderzahlen in den jüngeren Frauenjahrgängen.

Es gilt weiterhin das Manko: Unsere Bevölkerungswissenschaftler melden Trends über Änderungen des Geburtenverhaltens erstens zu spät und zweitens führt ihre konservative Schätzung durch die Nichtberücksichtigung von Änderungen der Sozialstruktur zu Fehleinschätzungen.

Der Politikwissenschaftler Christian RADEMACHER hat in seiner exzellenten Studie Deutsche Kommunen im Demographischen Wandel nachgewiesen, dass die Demographisierung gesellschaftlicher Probleme zur Falscheinschätzung des demografischen Wandel führt. Es kommt zur Tendenz, dass die demografische Lage überwiegend schlechter eingeschätzt wird als sie tatsächlich ist. Dies führt dazu, dass positive Entwicklungen zu lange nicht wahrgenommen werden.

Für Baden-Württemberg kommt CORNELIUS zudem in einem früheren Artikel aus dem Jahr 2007 zum Schluss, dass die Kinderlosigkeit in Baden-Württemberg einen geringeren Anteil am Geburtenrückgang hatte als der Rückgang der kinderreichen Familien.

KAISER, Tobias & Anne KUNZ (2014): Nur die Krippe bringt's.
Die Forschung belegt: Mehr Krippenplätze sorgen für mehr Geburten. Dafür kann woanders leicht gespart werden,
in:
Welt am Sonntag v. 01.06.

Die Datenlage zur Geburtenentwicklung in Deutschland ist immer noch unzureichend. Nur alle 4 Jahre werden seit 2008 im Mikrozensus die Geburten richtig erfasst. Dies geschah erst 2012 zum zweiten Mal. Erst 2016 werden erneut solche Daten erhoben. Wenn jetzt also Daten zum Zusammenhang von familienpolitischen Maßnahmen und Geburten aus dem Hut gezaubert werden, die einen Vergleich von Daten vor 2008 mit neueren Daten beinhalten, dann sollte das kritisch gesehen werden. Der Politikwissenschaftler Christian RADEMACHER spricht in diesem Zusammenhang von Demographismus, d.h. die unzureichende Faktenlage zur Geburtenentwicklung wird durch politische Ideologien hinsichtlich des demografischen Wandels geprägt.

Aus dieser Sicht ist es erforderlich, dass die Geburten im Mikrozensus jährlich erhoben werden. Es kann nicht sein, dass weiterhin ein Haushalt ohne Kinder mit lebenslanger Kinderlosigkeit gleich gesetzt wird, wie das immer noch gängige Praxis in Deutschland ist, weil nur alle 4 Jahre Daten zu den Geburten erhoben werden.

STALA BADEN-WÜRTTEMBERG (2014): Neue Bevölkerungsvorausrechnung: Der Alterungsprozess der Gesellschaft wird sich unvermindert fortsetzen.
Die Zahl der Hochbetagten in Baden-Württemberg könnte sich bis 2060 verdreifachen,
in:
Pressemitteilung Statistisches Landesamt Baden-Württemberg v. 04.06.

Pressemitteilungen der Statistikämter suggerieren gerne Botschaften, indem sie verhindern, dass man sich selber ein Bild von ihren Vorausberechnungen machen kann. So wird verschwiegen wie sich die aktuelle Bevölkerungsentwicklung zu den letzten Bevölkerungsvorausberechnungen (BV) verändert hat. Deshalb werden hier die Vorausberechnungen aus dem Jahr 2002 (Basisjahr 31.12.2000)  und dem Jahr 2007 (Basisjahr 31.12.2005; Hauptvariante) mit der aktuellen BV (Basisjahr 31.12.2012, Hauptvariante) verglichen:

Tabelle: Vergleich der tatsächlichen Bevölkerungsentwicklung
in Baden-Württemberg mit verschiedenen Bevölkerungsvoraus-
berechnungen

Jahr

Bevölkerungs-
stand (Millionen)
BV 2002

BV 2007

BV 2014

2000 10,524      
2005 10,736 10,533    
2010 10,754 10,515    

2015

10,880 10,443

10,755

2020

  10,338

10,710

10,850

2025

   

10,632

2030

  9,996

10,511

10,801

2040

  9,464

10,167

10,656

2050

  8,804

9,692

10,314

2060

   

9,925

Quelle: Bevölkerungsstand (DESTATIS 2013 Bevölkerung und Erwerbstätigkeit;
Vorläufige Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage des
Zensus 2011; BV 2002: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 3/2002,
S.132; BV 2007: Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 2/2007,S.6;
BV 2014: Pressemitteilung 199 v. 4. Juni 2014

Während im Jahr 2007 erst für 2012 ein sich immer weiter fortsetzender Bevölkerungsrückgang in Baden-Württemberg angenommen wurde (2002 wurde er erst ab 2013/2015 erwartet), trat ein unerwarteter, vorübergehender Rückgang bereits 2008 und 2009 ein, während seit 2010 die Bevölkerung entgegen der Prognose aus dem Jahr 2007 wächst. Nach der neuen Bevölkerungsvorausberechnung geht die Bevölkerung erst 9 Jahre später - also 2021 - zurück.

Was ist von solchen Berechnungen über fast 5 Jahrzehnte zu halten? Der Statistiker Gerd BOSBACH hält sie zu Recht für Kaffeesatzleserei, weshalb hier für ein Verbot solcher Bevölkerungsvorausberechnungen plädiert wird. Meist sind solche Prognosen bereits nach 5 Jahren überholt, weil die zugrunde liegenden Annahmen falsch waren. Deshalb wäre alternativ die Gegenüberstellung von alter und neuer Bevölkerungsvorausberechnung zu fordern. Damit jeder Bürger sich selber ein Bild machen kann, statt dem Gutdünken der Statistikbehörde mit ihren kryptischen Pressemitteilungen ausgeliefert zu sein.

Die jetzige Vorausberechnung geht weiterhin von einer Geburtenrate TFR = 1,4 aus. Es wird lediglich ein weiterer Anstieg des durchschnittlichen Gebäralters berücksichtigt. Inwiefern dies angesichts höherer Geburtenraten der Anfang der 1970er Jahre geborenen Frauen realistisch ist, muss deshalb gefragt werden.

Angesichts der Tatsache, dass die letzten 3 Bevölkerungsvorausberechnungen innerhalb von nur 12 Jahren den Bevölkerungsstand von 8,8 Millionen auf 10,3 Millionen für das Jahr 2050 nach oben korrigiert haben, ist die Fragwürdigkeit langfristiger Bevölkerungsvorausberechnungen offensichtlich.

RASCHE, Uta (2014): Das Leitbild-Wirrwarr.
Erfolgreich im Job, Spitze daheim: überbordende Anforderungen machen das Müttersein unattraktiv,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.07.

ROSENFELD, Dagmar (2014): Kind und Karriere - eine Fiktion.
Die Politik hat zwar Infrastruktur und finanzielle Möglichkeiten geschaffen, die der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienen sollen. Doch an der niedrigen Geburtenzahl hat das kaum etwas geändert,
in:
Rheinische Post Online v. 07.07.

BMFSFJ (2014): Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen,
in: Im Fokus Nr.23 v. 27.08.

Mit der Studie Evaluation der Wirkung ehe‐ und familienbezogener Leistungen auf die Geburtenrate/Erfüllung von Kinderwünschen wird keineswegs die Wirkung der Bevölkerungspolitik umfassend evaluiert, denn die Stichprobe umfasst lediglich Paarhaushalte, d.h. weder Paare mit getrennter Haushaltsführung noch Alleinstehende mit Kinderwunsch werden berücksichtigt. Außen vor bleibt also die Frage, inwiefern die Bevölkerungspolitik durch die kinderlosenfeindliche Politik die Paarbildung als Voraussetzung der Familiengründung verhindert. Dazu wäre es zudem notwendig die normativen Aspekte einer solchen Politik unter die Lupe zu nehmen. Inwieweit die Prämissen der Studie überhaupt plausibel sind, ist dabei noch nicht einmal berücksichtigt.

Statt einer umfassenden Kritik der Studie werden sich die Medien wohl ihnen genehme Ergebnisse entsprechend ihrem bevölkerungspolitischen Familienleitbild heraussuchen.

DESTATIS (2014): Bei 22 % der Geburten ist die Mutter mindestens 35 Jahre alt,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes v. 03.09.

Ein beliebtes Märchen lautet, dass die Zunahme der Spätgebärenden zu einer Abnahme der Geburtenrate führt. In Irland, das eine der höchsten Geburtenraten in Europa hat, beträgt der Anteil der Spätgebärenden 30 % gegenüber nur 22 % in Deutschland:

"In sieben EU-Staaten waren späte Geburten häufiger als in Deutschland. Der Vergleich auf Basis von Eurostat-Daten ergab, dass 2012 in Spanien 34 % aller Neugeborenen eine Mutter hatten, die bei der Geburt mindestens 35 Jahre alt war. In Italien waren es 33 %, in Irland 30 %"

Eher stimmt das Gegenteil für Deutschland: Ohne die Zunahme der Spätgebärenden wäre die Geburtenrate in Deutschland noch niedriger.

STERN-Titelgeschichte: Lieb & teuer.
Was Kinder heute kosten - und was sie wirklich brauchen

SCHNEYINK, Doris (2014): Geld macht keine Kinder.
Warum sind in anderen Ländern die Geburtenraten höher? Ein Vergleich,
in: Stern Nr. 45 v. 30.04.

"Je widersprüchlicher die Rollenerwartungen an Frauen sind, desto weniger Kinder bekommen sie", fasst SCHNEYINK ein Sammelsurium an Momentaufnahmen aus den Ländern Italien, Dänemark, Frankreich und den USA zusammen. Dänemark gilt nun unter den skandinavischen Ländern als Vorbild. Zur Jahrtausendwende war das noch Schweden. Eine Analyse, die den Namen verdienen würde, müsste mehr als eine Momentaufnahme sein und Entwicklungstendenzen aufzeigen.

DESTATIS (2014): 682.000 Kinder kamen im Jahr 2013 zur Welt,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes v. 08.12.

Trotz Zunahme der späten Mütter ist die Geburtenrate leicht gestiegen. Ohne die über 39jährigen Mütter, die selbst noch Mitte der Nuller Jahre  als lebenslang Kinderlose galten, würde die Geburtenrate sinken. Das Statistische Bundesamt würdigt dies nicht, da späte Mütter bevölkerungspolitisch unerwünscht sind.

BERNDT, Christina & Ulrike HEIDENREICH (2014): Es geht aufwärts, Baby.
Das Statistische Bundesamt meldet für 2013 ein leichtes Plus bei den Geburten: 682000 Kinder kamen in Deutschland zur Welt. Aber was bedeutet das schon, wenn man die ganze Gesellschaft im Blick hat? Informationen aus den Kreissälen der Nation,
in: Süddeutsche Zeitung v. 09.12.

Christina BERNDT & Ulrike HEIDENREICH können leider nicht einmal richtig abschreiben:

"Aber auch wenn die Mütter immer älter werden, sind Entbindungen nach dem 40. Lebensjahr nicht sehr häufig: Nur drei Prozent waren es im Jahr 2013."

Das Statistische Bundesamt schreibt aber nur von 3 % ERSTEN Geburten. Dazu müssen zweite, dritte, vierte usw. Geburten hinzu gezählt werden. Leider klärt uns das Statistische Bundesamt darüber nicht auf, weil es bevölkerungspolitische Interessen vertreten muss.

"1934 brachten Frauen in Gesamtdeutschland noch 2,2 Kinder zur Welt. Dann waren es jahrzehntelang, nämlich für die Frauen-Jahrgänge 1948 bis 1972, jeweils 2,0 Kinder pro Frau",

erzählen uns BERNDT & HEIDENREICH. Zum einen wird sich auf ein Jahr bezogen, d.h. es geht um die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR). Zum anderen wird sich auf Frauenjahrgänge bezogen, sodass es eigentlich um die kohortenspezifische Geburtenrate (CFR) gehen müsste. Die Zahlen sind also absurd, weil nicht vergleichbar und zudem liegt die Geburtenrate des Frauenjahrgangs 1948 bei 1,75, während sie beim Jahrgang 1972 noch gar nicht endgültig ist. Das Statistische Bundesamt weist sie aktuell nur bis zum Frauenjahrgang 1963 aus und gibt sie mit 1,588 an.

Selbst wenn man statt der Frauenjahrgänge die Jahre 1948 bis 1972 betrachtet, d.h. die zusammengefasste Geburtsziffer, ergeben die Zahlen keinen Sinn.

Ansonsten geben die Autorinnen lediglich ein Sammelsurium von Fakten wieder, die sie sich aus unterschiedlichen Studien des Bundesinstituts für Bevölkerungswissenschaft zusammengebastelt haben. Da stehen dann Zahlen aus dem Jahr 2003 neben aktuellen Daten. So wird zum einen ausführlich die Ansicht von Jürgen DORBRITZ referiert, dass die Kinderlosigkeit schuld an der niedrigen Geburtenrate sei, obwohl an anderer Stelle nur im Nebensatz darauf hingewiesen wird, dass der niedrige Anteil von kinderreichen Familien ein entscheidender Faktor ist. Neuerdings wird dem kulturellen Faktor, d.h. dem negativen Mütterbild viel Aufmerksamkeit zuteil, während dem Geld seine Wirkung abgesprochen wird. Vom Faktor Kinderbetreuung wird erst gar nicht gesprochen, obwohl das gerade für Kinderlose ein wesentlicher Faktor ist.

Betrachtet man die Medienberichterstattung der letzten 15 Jahre, dann wechseln sich die Moden der Ursachenzuschreibungen hinsichtlich der niedrigen Geburtenrate in Deutschland sozusagen von Jahr zu Jahr, je nachdem welche bevölkerungspolitischen Projekte gerade auf der politischen Agenda stehen. Kennt heutzutage z.B. noch jemand die ehemalige ZEIT-Journalistin Susanne GASCHKE? Noch 2005 sah sie die Kinderlosigkeit der Akademikerinnen ihrer Generation bei 40 %, um das Elterngeld durchzusetzen. Dabei wusste man damals schon, dass dies falsch war. Es war der Tatsache geschuldet, dass 40jährige und ältere Akademikerinnen als lebenslang Kinderlose galten - eine Vorstellung, die die deutschen Statistiker immer noch - wider besseres Wissen - aufrecht zu halten versuchen. Inzwischen macht man dies jedoch durch Herabspielen des Beitrags dieser Altersgruppe zum Geburtenaufkommen. Z.B. dadurch, dass man die Zahlen einfach verschweigt.

BUJARD, Martin (2014): Mehr Kinder von Akademikerinnen.
Das Elterngeld wirkt sich vor allem auf das Einkommen und die Fertilität hoch qualifizierter Frauen,
in:
Demografische Forschung Aus Erster Hand v. 10.12.

Demografische Forschung Aus Erster Hand? Aktuell ist nur die Veröffentlichung der Geburtenrate am Montag durch das Statistische Bundesamt. Der Newsletter nutzt dagegen nur diese Aufmerksamkeit, um längst Bekanntes nochmals aufzuwärmen! Aktuelle Analyse? Fehlanzeige! Denn die Entwicklung der Geburtenrate der Jahre 2012 und 2013 bleibt unberücksichtigt. Von Demografischer Forschung aus erster Hand müsste man mehr erwarten können als Pseudoaktualität.

 
     
 
       
     
       
   

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webmaster@single-generation.de Erstellt: 19. Dezember 2015
Update: 21. Januar 2019