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Vorbemerkung
Die mediale Berichterstattung zur
Geburtenentwicklung richtet sich nicht nach der Faktenlage,
sondern nach politischen Interessen. Um diese deutlich zu machen
werden in dieser Bibliografie ab heute (02.07.2012) nach und
nach ausgewählte Medienberichte und Literatur zum Thema
chronologisch dokumentiert. Die Kommentare entsprechen jeweils
dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, falls nichts
anderes vermerkt ist.
Kommentierte Bibliografie (Teil 10: 2013)
2013
RASCHE, Uta (2013): "Nirgendwo sonst stehen Eltern so unter
Druck".
Die niedrige
Geburtenrate in Deutschland hänge auch mit den hohen Ansprüchen
zusammen, die Eltern an ihre Kinder stellen, sagt der
Bevölkerungsforscher Norbert Schneider. Damit wachse das Risiko
des Scheiterns. Ein Interview,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung v. 09.01.
DESTATIS (2013):
2012 erneuter Bevölkerungsanstieg erwartet,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden
v. 14.01.
"Für das Jahr 2012 wird mit
660.000 bis 680.000 lebend geborenen Kindern und 860 000 bis 880
000 Sterbefällen gerechnet", meldet das Statistische Bundesamt.
SPIEGEL-Titelgeschichte:
Das Sorgenkind.
Deutschlands gescheiterte Familienpolitik |
DETTMER, Markus/HÜLSEN, Isabell/MÜLLER, Peter/NEUBACHER,
Alexander/SAUGA, Michael/TIETZ, Janko (2013): Der
200-Milliarden-Irrtum.
Kaum ein Land Europas gibt so viel
für Familien aus wie Deutschland, doch die Geburtenzahl sinkt. Eine
Regierungsstudie zeigt: Der Großteil des Geldes wird verschwendet.
Stattdessen müsste in Kinderbetreuung und Bildung investiert werden,
in: Spiegel Nr. 6
v. 04.02.
"Die Zahl der Entbindungen
ist auf ein Rekordtief gesunken. Knapp 663.000 waren es 2011,
zehn Jahre zuvor waren es noch 72.000 Babys mehr",
begründet der Spiegel
die Kritik an der Bevölkerungspolitik. Die Nennung der Zahlen
ist willkürlich und hätte auch ganz anders sein können, wäre
das Ziel des Artikels gewesen, die Wirksamkeit der deutschen
Bevölkerungspolitik zu belegen...
PÖTZSCH, Olga (2013): Wie wirkt sich der Geburtenaufschub auf
die Kohortenfertilität in West und Ost aus?
in:
Wirtschaft und Statistik,
Heft 2
Gemäß Olga PÖTZSCH werden
die Ergebnisse des Mikrozensus 2012 und das heißt, der
Entwicklung der Kinderlosigkeit in den vergangenen 4 Jahren,
erst im Herbst - also voraussichtlich in der heißen Phase des
Bundeswahlkampfes - veröffentlicht und können damit -
wie bereits im Jahr 2005 - zu Wahlkampfzwecken missbraucht
werden. Dies könnte auf zwei Arten geschehen: entweder durch
gezielte Teilveröffentlichung von Fakten, die genehm sind bzw.
durch Nichtveröffentlichung von Fakten, die der
familienpolitischen Intention widersprechen.
Im Jahr 2005 wurde
bekanntlich behauptet, dass Akademikerinnen, die Mitte der
1960er Jahren geboren wurden, zu über 40 % lebenslang
kinderlos bleiben werden.
Tatsächlich lag der Anteil bei ca. 30 % (Stand 2008).
Angesichts der Entwicklung
der Geburtenraten stellt sich die Frage, welchen unsäglichen
Einfluss die politische Debatte auf die Geburtenentwicklung
hat. Denn offenbar sorgt der andauernde Richtungsstreit um die
Familienpolitik keineswegs für Lust auf Kinder. In der
"familienpolitischen Kampfpause" von 2007-2010 wurden
kurzzeitig Kinderwünsche früher realisiert als in den
vorangegangenen Frauenjahrgängen:
"Die maximale Abweichung
im
»Tiefpunkt«
und der Rückstand in der kumulierten Kohortenfertilität am
Ende des gebärfähigen Alters haben sich von Kohorte zu
Kohorte vergrößert.
Bei den frühen
1970er-Jahrgängen wird diese Entwicklung allerdings
unterbrochen. Die absolute maximale Abweichung zur
Referenzkohorte war bei den Kohorten 1970 bis 1975 –
entgegen dem bisherigen Trend – geringer als bei den
älteren, Ende der 1960er-Jahre geborenen Frauen. Bei der
Kohorte 1973 steigt die kumulierte Fertilität im Alter
zwischen 34 und 37 Jahren (das heißt in den Kalenderjahren
2007 bis 2010) besonders schnell. Nach der Kohorte 1975
vergrößert sich die maximale Abweichung wieder deutlich. Bei
der Kohorte 1980 ist sie beinahe doppelt so groß wie bei den
Kohorten von Ende der 1950er-Jahre, die durchschnittlich 1,6
Kinder je Frau zur Welt gebracht haben."
Seit der
Debatte um das Betreuungsgeld, dem
Hickhack um den Kitaausbau wächst die Verunsicherung
wieder. Der diesjährige Bundeswahlkampf dürfte zusätzlich Öl
ins Feuer gießen,
was frühere Bundestagswahlkämpfe belegen. Insbesondere die
Bestrafung von Kinderlosen, d.h. von potentiellen Eltern, die
von Nationalkonservativen aller Parteien gefordert wird, ist
kontraproduktiv. Denn damit werden falsche Signale an die
potentiellen Eltern ausgesandt, die eine bessere
Betreuungsinfrastruktur und eine Politik der besseren
Vereinbarkeit von Beruf und Familie erwarten.
Angesichts der gegenwärtigen
familienpolitischen Blockadepolitik wäre ein weiterer Aufschub
des Kinderkriegens nur logisch.
RASCHE, Uta (2013): "Wir malen keine Horrorszenarien".
Krippenplätze in Deutschland:
Die Landkreise können den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz
erfüllen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung des Deutschen
Landkreistags,
in:
Frankfurter Allgemeine
Zeitung Online v. 22.02.
Bislang herrschte
allenthalben Alarmismus in Sachen Krippenplätze. Nun plötzlich
die argumentative Kehrtwende. Warum? Die Antwort gibt RASCHE
am Ende:
"Der Deutsche
Städtetag erwartet in Großstädten einen Betreuungsbedarf von
40 bis 50 Prozent. Er geht weiterhin davon aus, dass nicht
alle seine Mitglieder den Rechtsanspruch erfüllen können. Er
hat sogar Rechtsgutachten darüber erstellen lassen, ob
Städte von Eltern wegen eines fehlenden Platzes verklagt
werden könnten. Dabei kam heraus, dass dann, wenn die Städte
nachweisen, sich um den Ausbau bemüht, aber kein Personal
gefunden zu haben, kein Schadensersatz fällig wird".
Der gesetzliche
Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz soll also unterlaufen
werden. Dazu diente in der bisherigen familienpolitischen
Argumentation das von der CSU durchgesetzte, aber weiterhin
umstrittene Betreuungsgeld.
KOPPETSCH, Cornelia (2013): Die Wiederkehr der Konformität.
Streifzüge durch die gefährdete Mitte, Campus Verlag
MPIDR (2013): Endgültige Geburtenraten werden steigen.
Neue Vorausberechnung: Die
Zeit sinkender Kinderzahlen pro Frau in entwickelten Ländern
geht zu Ende. Auch in Deutschland wird die Rate wieder wachsen,
in:
Pressemitteilung des
Max-Planck-Institut für demografische Forschung v. 21.03.
"Langfristig niedrige
Annahmen der Periodenfertilität, wie etwa 1,4 für die
mittlere Variante der deutschen Vorausberechnungen
erscheinen wenig realistisch"
wird in der
Pressemitteilung Joshua GOLDSTEIN vom Max-Planck-Institut für
demografische Forschung zitiert. Erst vor kurzem hatte eine
Auftragsstudie
Alterssicherung,
Arbeitsmarktdynamik und neue Reformen
der neoliberalen
Bertelsmannstiftung drastische weitere Rentenreformen mit der
Begründung gefordert, dass die Deutschen bis 2060 nur 1,4
Kinder pro Frau bekommen werden.
Im
Gegensatz zum Statistischen Bundesamt, das
lediglich von einer kurzzeitigen Trendumkehr bei den Anfang
der 1970er Jahre geborenen Westfrauen ausgeht, gehen die
Forscher des Max-Planck-Institut von einer generellen
Trendumkehr bei den in den 1970er Jahre geborenen deutschen
Frauen aus:
"»Mit den Frauen, die in
den 1970ern geboren wurden, kommt die Trendwende«,
sagt Joshua Goldstein. Im Osten markiert der Jahrgang 1971
das Ende des Rückgangs: Dessen Frauen werden endgültig 1,51
Kinder geboren haben. Danach steigen die Werte, und die 1979
geborenen Frauen werden bereits 1,58 Kinder zur Welt
gebracht haben. Im Westen erreicht die Talsohle schon der
1968er-Jahrgang mit endgültig 1,46 Kindern. Die nur elf
Jahre jüngeren Frauen des Jahrgangs 1979 werden hingegen auf
1,57 gekommen sein, wenn sie 50 Jahre alt sind."
Die unterschiedlichen
Einschätzungen beruhen insbesondere darauf, dass das
Statistische Bundesamt die Geburtenentwicklung
insbesondere an den Westfrauen und der Referenzkohorte 1946
festmacht, während die Max-Planck-Forscher die
Kohortenfertilität nach einer anderen Methode prognostizieren.
Dahinter steht auch die
Frage, ob sich die ostdeutsche Geburtenentwicklung der
Westdeutschen annähert oder nicht und wie sich der
Geburtenaufschub im Verhältnis zum Nachholen von Geburten
verhält.
Das Prinzip der amtlichen
Stellen beruht auf Intransparenz, d.h. Vergleichbarkeit mit
früheren Prognosen wird vermieden bzw. durch Bezug auf jeweils
andere Geburtskohorten verhindert. Dabei wäre der Vergleich
mit früheren Prognosen durchaus erkenntnisbringend.
Vergleicht man z.B. die
Prognosen von Jürgen DORBRITZ aus dem Jahr 2004 mit den
Zahlen von Olga PÖTZSCH, dann ergibt sich, dass der
Nachholeffekt bei den Frauen der Geburtsjahrgänge 1967ff.
unterschätzt wurde. So schätzte DORBRITZ die endgültige
Kinderzahl des westdeutschen Frauenjahrgangs 1968 auf 1,439.
Diese wurde jedoch bereits im Alter von 40 Jahren fast
erreicht: 1,436 gemäß PÖTZSCH. Beim Jahrgang 1967 hatten die
über 40 jährigen Frauen bis zum Alter von 44 Jahren noch 30
Geburten pro 1000 Frauen nachgeholt, d.h. der Jahrgang 1968
könnte demnach auf ca. 1,466 kommen. Dies entspricht in etwa
der Prognose des Max-Planck-Instituts von 1,46.
Man kann deshalb davon
ausgehen, dass die Unterschätzung der endgültigen Kinderzahlen
der jüngeren Frauen durch die amtlichen Stellen (Statistisches
Bundesamt, Institut für Bevölkerungsforschung) ein generelles
Faktum ist.
Da Gewissheit über die
weitere Geburtenentwicklung erst in den nächsten Jahrzehnten
herrschen wird, werden Neoliberale weiterhin Kaffeesatzleserei
- Bevölkerungsvorausberechnung genannt - betreiben, die uns
alternativlose Reformen vorgaukeln wollen.
WURZBACHER, Ralf (2013): "Und solche Leute beraten die
Politiker…".
Bertelsmann-Stiftung
frisierte Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung – und wurde
dabei erwischt. Gespräch mit Gerd Bosbach,
in:
junge Welt v. 22.03.
EUROSTAT (2013): Im Jahr 2012 entfielen auf jede Person im Alter
von 65 Jahren oder älter 4 Personen im erwerbsfähigen Alter.
Bericht zur
Demografie: 40% der Kinder wurden 2011 außerehelich geboren,
in: Pressemitteilung Europäisches Statistikamt v.
26.03.
WIERTH, Alke (2013): Von Kindern kalt erwischt.
Schulplatznot: In Berlin
steigt die Kinderzahl schneller als erwartet. In manchen
Bezirken platzen die Grundschulen schon aus allen Nähten.
Schnelle Hilfe ist aber nicht in Sicht,
in:
TAZ Berlin v. 28.03.
"Die
Senatsbildungsverwaltung musste ihre Prognose über die
Schülerzahlentwicklung von 2012 auf 2013 allein für
Grundschüler um gut 19.000 nach oben korrigieren. Insgesamt
wird die Schülerzahl in Berlin nach der neuen Prognose bis
2020 um gut 12 Prozent steigen: von 289.152 auf 325.630.
Noch vor einem Jahr hatte die Verwaltung einen Anstieg in
diesem Zeitraum auf nur 300.000 erwartet. (...). Der
unerwartete Anstieg der Schülerzahlen sei der
»außerordentlich positiven Bevölkerungsentwicklung seit der
Erstellung der letzten Prognose im Jahr 2008«
zu verdanken, heißt es aus der Senatsbildungsverwaltung.",
berichtet Alke WIERTH.
Während neoliberale Kaffeesatzleser von gleich bleibenden
Geburtenzahlen bis 2060 ausgehen, sieht die Realität schon
heute ganz anders aus.
Die
Bevölkerungsvorausberechnungen der letzten Jahrzehnte
waren das Papier nicht wert, auf denen sie geschrieben
standen. Inzwischen kritisiert auch Joshua GOLDSTEIN, Direktor des
Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, die
Prognosepraxis in Deutschland.
BREUER, Ingeborg (2013): Neue Ergebnisse der Demografie.
Deutschlands Bevölkerung nimmt
wieder zu: Hunderttausende strömen als Arbeitssuchende in die
Bundesrepublik. Zudem prognostizieren Wissenschaftler eine
steigende Geburtenrate. Während Optimisten hoffen, den
demografischen Wandel stoppen zu können, bleiben Statistiker
realistisch,
in:
DeutschlandRadio v. 18.04.
Ingeborg BREUER berichtet
über die
Kontroverse um die Geburtenentwicklung in Deutschland.
Während
Olga PÖTZSCH vom Statistischen Bundesamt keine
Trendwende bei der Geburtenrate erkennen will, geht
Michaela KREYENFELD vom Rostocker Max-Planck-Institut
dagegen von steigenden Geburtenraten in Deutschland aus.
Bettina SOMMER vom Statistischen Bundesamt geht davon
aus, dass auch eine veränderte Zuwanderung und Geburtenrate
den demografischen Wandel bis 2060 nicht gravierend
beeinflussen wird.
Verschwiegen wird dagegen,
dass diese "Kaffeesatzleserei" (Gerd BOSBACH) auf Daten beruht, die mit dem Zensus -
dessen Ergebnisse politisch motiviert immer noch verschwiegen
werden - als vollkommen überholt gelten müssen.
Bevölkerungsvorausberechnungen sind zudem meist nach kurzer
Zeit überholt.
Wie wir z.B. von
neoliberalen Think Tanks wie der Bertelsmann-Stiftung, die
sich ihr willfähriges wissenschaftliches Personal sucht,
hinsichtlich der Alterung in Deutschland manipuliert werden,
das berichtet Gerd
BOSBACH in einem Interview.
Unabhängig von den
tatsächlichen Entwicklungen, stellt sich die Frage, inwiefern
der demografische Wandel folgenreich für die weitere
politische, ökonomische und soziale Entwicklung in Deutschland
ist.
Horrorszenarien, wie sie z.B. von Franz-Xaver KAUFMANN
("Schrumpfende Gesellschaft") vertreten werden, steht die Einschätzung entgegen, dass
der
Geburtenrückgang ein Glücksfall für Deutschland ist.
KALARICKAL, Jasmin (2013): "Die Kohortenfertilität nimmt zu".
Demografie:
Eine neue Prognose sagt, dass Frauen in Deutschland wieder mehr
Kinder kriegen. Das sei ein echter Wendepunkt, meint die
Demografin Michaela Kreyenfeld,
in: TAZ
v. 29.04.
Jasmin
KALARICKAL interviewt Michaela KREYENFELD zu einer Prognose des
Max-Planck-Institut für demografische Forschung, die
bereits am 21. März
dieses Jahres veröffentlicht wurde:
"Wieso sitzen wir
einer verzerrten statistischen Interpretation auf?
Statt der Geburtenziffer für jedes Jahr - 2011, 2012 und
so weiter - kann man die Kinderzahl von Frauen nach ihren
Geburtsjahrgängen - 1970, 1972 und so weiter - berechnen.
Das Fachwort dafür heißt »Kohortenfertilität«,
die Fruchtbarkeit pro Jahrgang. Bei Frauen, die jetzt
zwischen 45 und 50 sind, können wir mit Sicherheit sagen,
wie viele Kinder sie bekommen haben, weil sie am Ende ihrer
Reproduktionsphase sind. Für die Jahrgänge um 1965 waren es
durchschnittlich 1,5 bis 1,6 Kinder. Das sind höhere Werte,
als es die jährliche Geburtenziffer vorgibt."
Für regelmäßige Leser dieser Website ist das alles andere als
eine Neuigkeit, neu ist lediglich, dass nun auch die
Medien über das Problem der zu niedrig ausgewiesenen
Geburtenrate der jüngeren Geburtsjahrgänge berichten -
wenngleich noch mehr als zögerlich.
Ging es bislang um die
Geburten der Mitte der 1960er Jahren geborenen Frauen, so
geraten nun die in den 1970er Jahren geborenen Frauen in den
Blickpunkt:
"Was ist mit den
Jahrgängen ab den 70er Jahren? Für die jüngeren Jahrgänge
muss prognostiziert werden, weil sie noch ein paar Jahre vor
sich haben, in denen sie Kinder bekommen können. Je nach
Methode gibt es einen leichten Anstieg oder ein Verharren
auf demselben Niveau. Bei einer konservativen Schätzung kann
man annehmen, dass die Frauen, die jetzt 40 sind, genauso
viele Kinder kriegen wie diejenigen, die das Jahr zuvor 40
waren. Wenn man aber den Tempoeffekt berücksichtigt - also
die Annahme, dass Frauen immer später Kinder bekommen -,
kommt man zu dem Ergebnis, dass die Kinderzahlen in
Deutschland leicht steigen werden."
Mit "konservativer
Schätzung" ist die Sichtweise des Statistischen Bundesamtes gemeint. Olga PÖTZSCH
weigert sich weiterhin von einem Wendepunkt in der
Geburtenentwicklung zu sprechen. Dieses Spielchen kennt man
bereits von der Debatte um den Frauenjahrgang 1965, dem lange
Zeit eine Kinderlosigkeit von einem Drittel zugeschrieben
worden ist. Erst mit einer Änderung der Erhebungsmodalitäten
des Mikrozensus 2008 musste der Anteil der Kinderlosen
drastisch nach unten korrigiert werden.
Der jetzt erst diskutierte Anstieg der Geburten bei den in den
1970er Jahren geborenen Frauen ist bereits seit 2003 bekannt.
Erst im Jahr 2004 - die Agenda 2010 musste erst durch eine als
alternativlos dargestellte Bevölkerungsvorausberechnung
durchgepeitscht werden - gab das Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung zu, dass es diesen Anstieg gibt:
Nur Tempoeffekte, kein Babyboom wehrte Jürgen DORBRITZ
damals ab.
Das politische Ziel
Elterngeld stand nun auf der Agenda und einen Anstieg der
Geburtenrate durfte es auf keinen Fall geben. Die Popliteratur
nahm die unfruchtbare
Jugend von heute ins Visier und auf dieser Website
wurde die
neue Front im Demografiekrieg konstatiert.
Es hat also 10 Jahre
gedauert, bis der Geburtenanstieg ernsthaft in den Medien
diskutiert wird. Das
Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung
ist mit seiner aktuellen
Broschüre (Keine) Lust auf Kinder? zum Thema weiterhin auf Abwehrkurs - schließlich
ist Bundestagswahlkampf.
Fallende absolute
Geburtenzahlen werden in den Medien gerne instrumentalisiert,
aber sie widersprechen nicht unbedingt dem Anstieg der
Geburtenrate:
"Die Zahl der Frauen, die
Kinder bekommen, sinkt eher. Also selbst wenn die endgültige
Geburtenrate steigt, heißt das nicht, dass die absolute
Anzahl an Kindern steigt."
Wir werden also noch einige Zeit einen politisch motivierten
Deutungskampf um die Geburtenrate erleben.
DESTATIS (2013): Zensus 2011: 80,2 Millionen Einwohner lebten am
9. Mai 2011 in Deutschland.
Rund 1,5
Millionen Einwohner weniger als bislang angenommen,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden
v. 31.05.
Das Ergebnis des Zensus
2011 ist der Tendenz nach wenig überraschend. Entscheidend
sind aber die Details - insbesondere das was heute auf der
Bundespressekonferenz verschwiegen wurde: Die Anzahl der
Kinder unter 18 Jahren ist unterdurchschnittlich
zurückgegangen, während die Anzahl der gebärfähigen Frauen
überdurchschnittlich zurückgegangen sein könnte (Darauf deutet
zumindest der überdurchschnittliche Rückgang der 18-49
Jährigen hin (siehe Tabellenband zur Bundespressekonferenz,
Tabelle 3.1). Dies müsste dann zwangsläufig zur Korrektur der
Geburtenrate (TFR) nach oben führen.
Da das Statistische
Bundesamt die Tabellen für den Altersgruppenvergleich
Zensus/Mikrozensus 2011 nicht nach Geschlechtern getrennt
aufführt, lassen sich die genauen Daten nur durch eigene
Berechnungen ermitteln. Warum liefert das Statistische
Bundesamt diese Daten nicht, obwohl sie doch familienpolitisch
von Interesse sind? Passen die Daten nicht zur gegenwärtigen
familienpolitischen Strategie der Bundesregierung?
EISENACH, Tanja (2013): Niedrigere Einwohnerzahl, höhere
Geburtenrate in Deutschland.
Der
Zensus, seine Ergebnisse und die Folgen,
in: Pressemitteilung der Universität Bamberg v.
31.05.
Die SZ klärte
vor einiger Zeit ihr Online-Publikum darüber auf, dass die
gefühlte Geburtenrate viel höher sei als die tatsächliche. Der
Zensus 2011 stellt nun richtig: die gefühlte Geburtenrate
liegt näher an der tatsächlichen Geburtenrate als die von
unseren Bevölkerungswissenschaftlern bislang verbreitete
Geburtenrate. Das sieht nun auch die
Bevölkerungswissenschaftlerin Henriette ENGELHARDT-WÖLFLER von
der Universität Bamberg so:
"Beachtenswerte
Konsequenzen hält der Zensus auch für die Messung des Niveaus
der Fertilität bereit, die neben Mortalität und Migration das
Hauptinteressensgebiet der Bevölkerungswissenschaft darstellt:
Betrachtet man die dafür relevanteste Altersgruppe, also
Frauen, die zwischen 1961 und 1981 geboren wurden, dann hätte
sich ihre Gesamtzahl laut Fortschreibung auf knapp 23,2
Millionen Personen belaufen müssen. Tatsächlich erbrachte der
Zensus ein Ergebnis von ca. 22,6 Millionen und damit eine
Differenz von knapp 600.000 Frauen in dieser Altersgruppe.
Dazu Henriette Engelhardt-Wölfler: »Wenn die Geburtenzahlen
stimmen, und davon können wir ausgehen, weil diese in den
Krankenhäusern und Geburtshäusern registriert werden, dann
würde dieses Ergebnis bedeuten, dass die Geburtenrate höher
liegt als bislang angenommen.«"
Dass diese Konsequenzen - wie auf single-generation.de
bereits bemängelt - in der Bundespressekonferenz verschwiegen
wurden, sollte zu denken geben.
Die Ergebnisse des Zensus
2011 haben zudem gravierende Auswirkungen auf den Bedarf an
Kinderbetreuung:
"Die Höhe der Geburtenrate
bzw. die der Geburten hat wiederum Auswirkungen auf die
Bedarfs- und Infrastrukturkalkulationen bei Kindergärten und
-tagesstätten, Krippen und Schulen, wie Engelhardt-Wölfler zu
berichten weiß:
»Am
Beispiel Bambergs lässt sich das schön zeigen. Der Zensus
zählt 9.900 Personen, die zwischen 1994 und 2011 geboren sind,
was laut Fortschreibung eine Differenz von plus 300 ergibt.
Damit erhöht sich natürlich der Bedarf an Kindergärten,
-tagesstätten, Krippen und Schulen.«"
Es ist seit langem bekannt,
dass in Deutschland die Geburtenrate unterschätzt wird. Das
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung und das Statistische
Bundesamt verweigern sich (noch) beharrlich der Anerkennung
dieser Realität, wie das
gerade erschienene Heft 3 von Bevölkerungsforschung Aktuell
belegt. Dort wird noch einmal der Standpunkt aus einer
Sendung des
DeutschlandRadio bekräftigt.
Man darf wohl vor den
Bundestagswahlen nicht mit einer Revidierung dieser Sichtweise
rechnen. Einzig die jetzt wohl unvermeidliche Debatte über die
Fehlprognosen hinsichtlich des unterschätzten Bedarfs an
Kinderbetreuungseinrichtungen könnte hier den notwendigen
Druck erzeugen.
KOPPETSCH, Cornelia (2013): Binde mich!
Die Kernfamilie schlägt
zurück: Wie die coolen Singles der 80er ins Abseits gedrängt
wurden,
in:
TAZ v. 14.06.
"Noch in den 1980er
Jahren galten Singles als Speerspitze des Fortschritts. Sie
prägten das Lebensgefühl einer ganzen
Generation der »Babyboomer«
- also der zwischen 1958 und 1969 Geborenen",
erklärt uns die "Babyboomerin"
Cornelia KOPPETSCH. Man fragt sich höchstens,
warum die
Soziologie so lange geschlafen hat, dass diese Erkenntnis
sich erst jetzt langsam verbreitet?
Haben uns Soziologen nicht
noch in den 1990er Jahren die Singles als Speerspitze des
Fortschritts verkauft, obwohl sich schon Ende der 1980er Jahre
die Mentalitäten gewandelt haben? Die
Individualisierungsthese von Ulrich BECK und ihre Rezeption in
Wissenschaft und Medien wurde auf dieser Website als
Ausdruck dieses Mentalitätswandels beschrieben. Dem Klischee
von der "Single-Gesellschaft" war von Anfang an eine negative
Bedeutung eingeschrieben.
Biografische Illusionen:
Singles aus der Baby-Boom-Generation ist ein Kapitel im
Buch Die Wiederkehr
der Konformität von KOPPETSCH überschrieben. In der
taz werden zwei Frauenbiografien - eine westdeutsche
Aufsteigerin und eine Ostdeutsche - exemplarisch für den
Niedergang der "Single-Kultur" vorgestellt. Es ist wohl kein
Zufall, dass ausgerechnet Frauen für diese "biografischen
Illusionen" besonders anfällig gewesen sind.
Auf dieser
Website wurde das anhand der Aufsteigerin Katja KULLMANN
dargestellt (mehr auch
hier). Frauen konnten noch länger als Männer dem
Mythos
des Singles als Pionier des flexiblen Kapitalismus
nachhängen.
"Doch ab Ende der 1990er
Jahre mussten sich die Ideale von Individualismus und
Selbstverwirklichung plötzlich auf einem entfesselten
kapitalistischen Markt bewähren. (...). Diejenigen, die am
Gestus des Politischen festhalten, rücken ins Abseits. Die
Angehörigen dieser Generation spalteten sich nun häufiger in
»Gewinner«,
die den Absprung in die gesicherten Lebensumstände
rechtzeitig geschafft haben und nun über ein festes
Einkommen, Beruf und meist auch Familie verfügen. Das
Vorweisen einer solch
»intakten«
Familie wird für sie oft zum wichtigen Statusmerkmal
innerhalb des eigenen Milieus, aber auch zur Abgrenzung von
den prekären Lebenslagen. Dem gegenüber stehen
»Verlierer«
(...), die in unkonventionellen Lebensformen verblieben
sind.
Sie bekommen nun die Folgen des Verzichts auf biografische
Festlegungen und kollektive Einbindungen in aller Härte zu
spüren."
Ein bisschen einfach macht
es sich KOPPETSCH schon, wenn sie den Niedergang der
Single-Kultur als Ergebnis des entfesselten Marktes
beschreibt. Entscheidend haben vielmehr die politischen
Weichenstellungen (Hartz IV, Bevölkerungspolitik, "Umbau" des
Sozialstaats) zum Niedergang der Single-Kultur beigetragen.
Dies wurde detailliert auf single-dasein.de und
single-generation.de u. a. anhand der
Themen des Monats
beschrieben. Dort lässt sich nachlesen, wie Singles politisch
ins Abseits gedrängt wurden.
Wer sich als Single darüber
Illusionen gemacht hat, der ist auch einer verschnarchten
Soziologie aufgesessen.
MONATH, Hans (2013): Schröder: Geburtenrate können wir nicht
heben.
Koalition legt Bewertung der
Familienpolitik vor,
in:
Tagesspiegel v. 21.06.
BOLLMANN,
Ralph (2013): Jedes Jahr 200 Milliarden Euro für die Familien.
Die Deutschen sollen mehr
Kinder kriegen. Das war das Ziel der Familienpolitik. Doch davon
redet jetzt keiner mehr. Stattdessen wird noch mehr Geld
verteilt,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 23.06.
HANK, Rainer
& Bettina WEIGUNY (2013): Für mehr Geburten zu sorgen ist nicht
die Sache des Staates.
In private Entscheidungen
dürfe sich die Politik nicht einmischen, sagt die
Staatsrechtlerin Ute Sacksofsky. Finanzielle Nachteile soll sie
aber ausgleichen,
in:
Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung v. 23.06.
DESTATIS (2013): 2012: Mehr Geburten, Sterbefälle und
Eheschließungen,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden
v. 04.07.
"Im Jahr 2012 sind in
Deutschland 674.000 Kinder lebend geboren worden. (Das)(...)
waren (...) 11.000 Kinder mehr als im Jahr 2011 (+ 1,6 %)",
meldet das Statistische Bundesamt.
BUJARD, Martin & Norbert F. SCHNEIDER (2013): Das "Gedöns" und
die Geschlechter.
Familienpolitik: Deutschland braucht mehr Gleichberechtigung –
sonst bleiben die Geburtenraten niedrig,
in:
Die ZEIT Nr.30 v.
18.07.
DORBRITZ, Jürgen & Robert NADERI (2013): Trendwende beim
Kinderwunsch?
in: Bevölkerungsforschung
aktuell, Nr.4, August
Las man in den vergangenen
Jahren Berichte über den Kinderwunsch der Deutschen aus dem
Institut für Bevölkerungsforschung, dann waren das
immer Hiobsbotschaften. Kritik an der Kinderwunschforschung
war ein Tabu. Auf dieser Website und auf single-dasein.de
wurde die Kinderwunschforschung immer wieder kritisiert (hier,
hier und
hier). Nun gibt es neue Töne in
Sachen Kinderwunsch:
"Eine
der zentralen Schlussfolgerungen des Workshops war es daher,
auf längerfristige Zeithorizonte und auf die Zusammenfassung
vieler Altersgruppen zu verzichten. Den Kinderwunsch mit
einer der zusammengefassten Geburtenziffer adäquaten
Altersgruppe von 15 bis 49 Jahren abzubilden, ist daher
nicht sinnvoll. Gleichfalls führt es zu eingeschränkten
Ergebnissen, wenn 20-Jährige, die ihre Lebensumstände in 15
oder 20 Jahren nur schwer abschätzen können, auf die Frage
antworten, wie viele Kinder sie später einmal haben wollen."
Selbst
diese Revision greift jedoch viel zu kurz. Wie sinnvoll ist es
z.B. Kinderlose, Mütter von einem, zwei oder noch mehr Kinder,
in Befragungen zum Kinderwunsch zusammenzufassen, wie das in
Umfragen immer noch geschieht?
Mitte
der Nuller Jahre machte die Rede von einer
"Kultur der
Kinderlosigkeit" die Runde und ein Anstieg der
Geburtenrate wurde für Niedrigstfertilitätsländer wie
Deutschland für unmöglich gehalten. Jetzt gibt das BIB
Entwarnung:
"Aufgrund
der Vielzahl der Messungen, die in eine Richtung zeigen, ist
von einem Wiederanstieg des Kinderwunsches auszugehen. Man
hatte es um das Jahr 2000 lediglich mit einer relativ kurzen
Phase niedriger Kinderwünsche zu tun. Es scheint sich eine
Trendwende bezüglich des »Ideals der freiwilligen
Kinderlosigkeit«
(Peuckert 2012: 217) abzuzeichnen.
Der zweite hervorzuhebende Sachverhalt ergibt sich aus
diesem Trend. Bislang herrschte Unklarheit darüber, ob ein
einmal gesunkener Kinderwunsch kurzfristig wieder ansteigen
kann oder ob er zu einer wenig veränderbaren Obergröße für
das Fertilitätsniveau wird. Letztere Gefahr scheint nicht zu
bestehen, da der Kinderwunsch in einem kurzen Zeitraum von
etwa 10 Jahren erheblich angewachsen ist."
Erstaunlich, dass von einer "relativ kurzen Phase
niedriger Kinderwünsche" um das Jahr 2000 gesprochen wird.
Stattdessen belegt die Tabelle 2, dass die Debatte um eine
Kultur der Kinderlosigkeit erst mit Daten der BIB-Surveys
PPAS 2003 und GGS 2005 entfacht wurde. Hauptakteur war
ausgerechnet Jürgen DORBRITZ, der davon nun nichts mehr wissen
will!
Haben
wir es hier wieder mit Wahlkampf zu tun? Schließlich war die
Kultur der Kinderlosigkeit das Thema des Familienwahlkampfes
2005. Zeichnet sich hier bereits der Trend des
diesjährigen Familienwahlkampfes ab? Die
Publikation der Zahlen zur
Kinderlosigkeit in Deutschland aus dem Mikrozensus 2012
steht immer noch aus. Lässt sich aus dem Artikel also
herauslesen, dass die Kinderlosigkeit zwischen 2008 und 2012
weiter zurückgegangen ist?
DESTATIS (2013): 80,5 Millionen Einwohner am Jahresende 2012
–Bevölkerungszunahme durch hohe Zuwanderung,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 27.08.
"Die Zahl der Gestorbenen
übersteigt die Zahl der Geborenen immer mehr. Das dadurch
rasant wachsende Geburtendefizit kann nicht von der
Nettozuwanderung kompensiert werden. Die Bevölkerungszahl in
Deutschland, die bereits seit 2003 rückläufig ist, wird
demzufolge weiter abnehmen. Bei der Fortsetzung der
aktuellen demografischen Entwicklung wird die Einwohnerzahl
von circa 82 Millionen am Ende des Jahres 2008 auf etwa 65
(Untergrenze der
»mittleren«
Bevölkerung) beziehungsweise 70 Millionen (Obergrenze der
»mittleren«
Bevölkerung) im Jahr 2060 abnehmen",
hieß es in der
Einführung zur 12. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung vom November 2009. Im Juli 2012
hieß es dann in einer Pressemeldung:
"Zum Jahresende 2011
stieg nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen
Bundesamtes (Destatis) die Einwohnerzahl Deutschlands im
Vergleich zum Vorjahr um 92 000 Personen (+ 0,1 %) auf mehr
als 81,8 Millionen. Dies ist die erste, wenn auch nur
leichte Zunahme der Bevölkerung in Deutschland seit 2002.
Hauptursache war die deutlich gestiegene Zuwanderung in
2011"
2012 ist die Bevölkerung
erneut gestiegen - eine Entwicklung, die nicht vorgesehen ist.
Und es kommt noch
schlimmer! Da der Zensus 2011 eine um 1,5 Millionen geringere
Zahl von Einwohnern sowie Verschiebungen im Bevölkerungsaufbau
erbrachte, muss sowohl die Geburtenrate
als auch die
rohe Geburtenziffer nach oben korrigiert werden. Die
aktuelle 12. Bevölkerungsvorausberechnung muss also so schnell
wie möglich ersetzt werden. Voraussetzung dafür ist jedoch die
Umstellung der Berechnungen auf die Basis des Zensus 2011.
Dafür lässt sich das Statistische Bundesamt jedoch Zeit.
Könnte man sonst keinen populistischen Familienwahlkampf
führen?
BUJARD, Martin (2013): Die fünf Ziele des Elterngelds im
Spannungsfeld von Politik, Medien und Wissenschaft,
in:
Zeitschrift für
Familienforschung, Heft 2, September, S.132-153
Martin BUJARD destilliert
anhand parlamentarischer Dokumente, einer oberflächlichen
Medienanalyse und einer Auswahl wissenschaftlicher Texte die
Zielhierarchie von Politik, Medien und Wissenschaft
hinsichtlich der beabsichtigten Ziele des Eltergeldes heraus,
um daraus eine Kommunikationsstrategie für die Politikberatung
abzuleiten. Folgende fünf Ziele werden dabei herausgearbeitet:
1) Einkommen sichern
2) Zeit/Schonraum gewähren
3) Mütterwerbstätigkeit fördern
4) Gleichstellung
5) Geburtenrate erhöhen
Den Beginn der
Medienanalyse grenzt BUJARD folgendermaßen ein:
"Die
Bundesfamilienministerin Renate Schmidt hat auf der
Klausurtagung des Bundeskabinetts in Bonn am 5.9.2004 den
Vorschlag eines einkommensabhängigen Elterngelds in aller
Deutlichkeit in die mediale Öffentlichkeit und gleichzeitig
ins Zentrum der politischen Arena gebracht (Bannas 2004;
Kamann 2004). Inhaltsanalysen mehrer überregionaler
Zeitungen wie Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung und
Süddeutsche Zeitung belegen, dass diese Kabinettsklausur als
Startschuss für die öffentliche Debatte fungiert, denn der
Begriff »Elterngeld« ist erstmals zu diesem Zeitpunkt im
Titel bzw. überhaupt in den Archiven dieser Medien erwähnt.
Knapp zwei Jahre später, am 20.6.2006, wurde der
Gesetzentwurf der Fraktionen SPD sowie CDU, CSU eingebracht
und am 25.8.2006 der Gesetzentwurf der Bundesregierung
(...). Am 29.9. 2006 wurde das BEEG (Anm.:
Bundeselterngeld- und
Elternzeitgesetz) im Bundestag verabschiedet und am
3.11.2006 im Bundesrat."
Die Medienanalyse
beschränkt BUJARD auf die FAZ, FAS und faz.net:
"Bei der Inhaltsanalyse
werden beide Methoden Valenzanalyse und Frequenzanalyse
kombiniert (...). Grundlage ist die Berichterstattung der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) inklusive Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) und
Internetberichterstattung (FAZ.NET) von 2004 bis 2012. Die
FAZ ist eine der am meisten verbreiteten und renommiertesten
Tageszeitungen in Deutschland und lässt sich dem
konservativen Spektrum zuordnen. Die Auswahl nur einer
Zeitung folgt pragmatischen Gründen und dabei der Annahme,
dass sie keine journalistische Einseitigkeit im Kontext des
Elterngelds aufweist. (...). Einbezogen wurden sämtliche
Beiträge in FAZ, FAS und FAZ.NET, bei denen das Wort
»Elterngeld« im Titel
oder Untertitel enthalten ist - insgesamt 176 Artikel von
frühestens am 5.9.2004 bis Ende 2012. Zeitlich gesehen
handelt es sich um eine Vollerhebung aller für das Eltergeld
potenziell besonders relevanten Artikel
(Überschrift-Kriterium)."
Überprüft man dies, dann kommt man allein im FAZ-Archiv
(Beiträge in FAZ und FAS) auf 185 Treffer im genannten
Zeitraum. Dabei fehlen alle FAZ.NET-Artikel. Es muss also
noch weitere einschränkende Kriterien geben, die BUJARD nicht
nennt.
Die Annahme, dass die
FAZ/FAS keine "journalistische Einseitigkeit im Kontext
des Eltergeldes aufweist" widerlegt bereits die Anlassanalyse:
"Bemerkenswert für den
politisch-medialen Prozess in Deutschland ist, dass das
Elterngeld nur selten durch Verbände auf die Agenda gesetzt
wurde. Die wenigen derartigen Artikel sind auf
Presseerklärungen der Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände (BDA) oder Gremien der Katholischen
Kirche zurückzuführen - auch wenn es eine Vielzahl an
Familienverbänden gibt, die das Elterngeld mit
Presseerklärungen begleiten. Diese geringe Medienpräsenz
belegt die schwach ausgeprägte familienpolitische
Interessenvertretung durch Verbände, der strukturelle
Ursachen wie eine geringe Organisationsfähigkeit und
Schwierigkeiten der Mobilisierung von Familien zugrunde
liegen (...). Dazu können mediale Selektionskriterien eine
Rolle spielen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der
auffälligste Verband in der medialen Diskussion um das
Elterngeld die BDA ist, nicht die Interessen von Familien,
sondern die von Arbeitgebern vertritt."
Dass in einer
wirtschaftsnahen Zeitung wie der FAZ der BDA auffällig
vertreten ist, ist kaum verwunderlich und ist eher den
"medialen Selektionskriterien" geschuldet. Darauf verweist
auch die starke Präsenz der katholischen Kirche. Hätte BUJARD
z.B. die taz analysiert, dann hätten die Evangelische
Kirche und der Verband der alleinerziehenden Mütter und Väter
(VAMV) sicherlich eine größere Rolle gespielt. Dass BUJARD das
Defizit der Beschränkung auf die FAZ selber sieht, belegt eine
Fußnote, in der für zukünftige Analysen der Vergleich von
Kommentaren verschiedener Zeitungen empfohlen wird.
Die Analyse
parlamentarischer Dokumente ergibt für das Elterngeld eine
Zielhierarchie, bei der die Steigerung der Geburtenrate die
niedrigste Priorität und die Steigerung des Einkommens in der
Familiengründungsphase die höchste Priorität hat.
Dagegen steht in der
öffentlichen Debatte die Steigerung der Geburtenrate an erster
Stelle, was Zeitungszitate von Politikern zeigen. Das Abrücken
der Politiker vom Ziel "Steigerung der Geburtenrate" passiert
erst nach dem Inkrafttreten des Gesetzes als sich andeutet,
dass das Elterngeld nicht nachhaltig zu einer Erhöhung der
Geburtenrate (TFR) beigetragen hat. Das lässt sich z.B. beim
Wechsel im Bundesfamilienministerium von Ursula von der LEYEN
zu Kristina SCHRÖDER (geb. KÖHLER) ablesen.
Für die Wissenschaft findet
BUJARD keine Zielhierarchie, sondern das Überwiegen von
Drittmittelaufträgen, d.h. der Finanzierung von
Evaluationsstudien im Auftrag der Bundesregierungen.
Inwiefern die Wissenschaft
Anlass zur öffentlichen Debatte um das Elterngeld gibt,
beschreibt BUJARD folgendermaßen:
"Wissenschaftliche
Anlässe machen 19 % der Elterngeldartikel aus, 8,6 % beruhen
auf Mitteilungen des Statistischen Bundesamtes und 10,4 %
auf wissenschaftlichen Studien. Beide Anlässe sind
kontinuierlich über die Zeit verteilt, wobei es eine leichte
Häufung im Sommer 2008 gibt, nachdem zum ersten Mal Zahlen
der Elterngeldstatistik für den kompletten Zeitraum von 14
Monaten für die Anfang 2007 geborenen Kinder vorliegen. Die
meisten wissenschaftlichen Anlässe sind mit dem Themen
Väterbeteiligung und Geburtenentwicklung verbunden."
Auch hier stellt sich die
Frage nach medialen Selektionseffekten, die sich aus der Nähe
von Zeitungen zu speziellen Lobbygruppen ergeben, die wiederum
wissenschaftliche Studien in Auftrag geben. Eine Analyse
anderer Zeitungen hätte hier sicherlich andere Verteilungen
erbracht.
Aufschlussreich ist auch
die Analyse zu Verschiebungen der Bewertungen des Elterngeldes
im Zeitraum nach der Reform:
"Hat sich die Valenz der
Berichterstattung zum Elterngeld im Zeitverlauf geändert) Um
dieser Frage nachzugehen, wurden drei Zeiträume separat
betrachtet: Der Zeitraum vor Einführung des BEEG
(Z_2004-06), der unmittelbar danach (Z_2007-09) und die
letzten drei Jahre (Z_2010-12). "
BUJARD kommt zum Schluss,
dass das "Elterngeld inzwischen wieder etwas stärker
umstritten ist." Um das Elterngeld rhetorisch abzusichern,
empfiehlt BUJARD deshalb:
"Je mehr Ziele mit dem
Elterngeld verbunden werden, desto positiver ist die
Bewertung. Die Schlussfolgerungen für die Politikberatung
liegen auf der Hand: Es ist wenig hilfreich, ein Ziel,
dessen Wirkung gerade Konjunktur hat, zu betonen.
Insbesondere wenn dessen Wirkungsbefund nicht kausal ist und
zu einem späteren Zeitpunkt anders aussehen könnte -
so geschehen bei dem im September 2008 verkündeten
vermeintlichen Anstieg der Geburtenrate. Vielmehr könnte
eine Kommunikationsstrategie zu einer positiven Valenz
führen, die konsequent den Fünfklang der Ziele betont."
(S.149)
Für die Zukunft sieht
BUJARD in der mangelnden Verteilungsgerechtigkeit ein Problem
des Eltergeldes:
"Die offene Flanke des
Elterngelds liegt eher bei der Verteilungswirkung. So
nachvollziehbar die lebenslaufbezogene Argumentation ist,
bleibt es eine Herausforderung, die höheren Leistungen für
Mittelschichtfamilien, akademische Berufsfelder und ältere
Eltern gegenüber anderen, weniger privilegierten Gruppen zu
kommunizieren. Dass dieser potenzielle Kritikpunkt in den
letzten Jahren relativ zurückgegangen ist, mag erstaunlich
sein; eine Erklärung wäre mit Bezug auf die Parteipolitik
die, dass bei Christdemokraten eher Geburtenentwicklung,
Müttererwerbstätigkeit und Betreuungsgeld im Fokus standen
und in der SPD die Gleichstellungsaspekte und die
Modernisierung der Familienpolitik den Diskurs dominiert
haben. Die Verteilungsfrage ist allerdings ein wichtiger
Aspekt für eine mögliche weitere Reform des Elterngelds."
(S.150)
BUJARD, Martin & Jasmin PASSET (2013): Wirkungen des Elterngelds
auf Einkommen und Fertilität,
in:
Zeitschrift für
Familienforschung, Heft 2, September, S.212-237
Besonders umstritten ist in
der öffentlichen Debatte der Beitrag des Elterngeldes zur
Steigerung der Geburtenrate. Dazu analysieren Martin BUJARD &
Jasmin PASSET zum einen mit Hilfe von Längsschnittdaten des
Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) die Veränderung des Übergangs
vom ersten zum zweiten Kind im Zeitraum 2003-2006 (vor der
Reform) und zwischen 2007-2008 (nach der Reform) und zum
anderen vergleichen sie die altersspezifischen Geburtenraten (ASFR)
von Akademikerinnen mit anderen Bildungsgruppen.
Statistisch signifikant
erweist sich nach den SOEP-Daten jedoch nur die Erhöhung der
Wahrscheinlichkeit der Geburt eines zweiten Kindes nach der
Reform für 36- bis 45-jährige Frauen. Mit Hilfe der
Mikrozensen 2003 - 2011 zeigen die Autoren auf, dass es sich
bei den Spätgebärenden insbesondere um westdeutsche
Akademikerinnen handelt.
Dabei ist zu beachten, dass
BUJARD & PASSET eine im internationalen Vergleich (aber in
Deutschland übliche) enge
Definition von Akademikerin verwenden:
"- Frauen ohne
beruflichen Abschluss (ISCED 1 und 2, Anteil 13,9 %)
- Frauen mit beruflichem Abschluss (oder Hochschulreife),
beispielsweise Lehrausbildung oder Fachschulabschluss,
jedoch ohne akademischen Abschluss (ISCED 3, 4 und 5 B,
Anteil 69,5 %)
- Frauen mit (Fach-)Hochschulabschluss (ISCED 5 A und 6,
Anteil 16,6 %)
Bei dieser dreistufigen
Differenzierung wird bewusst die engere
Akademikerinnen-Definition verwendet, da das
durchschnittliche Geburtenverhalten von Frauen mit
Abschlüssen nach ISCED 5 B (Fachschulabschluss) dem der
Frauen mit ISCED 3- und 4-Abschlüssen eher ähnelt als den
Frauen mit Hochschulabschluss. Dabei sei betont, dass die
hier verwendete Defintion von Akademikerinnen von der in
internationalen Studien (OECD 2011) abweicht, da dort ISCED
5 B den Akademikerinnen zugeordnet wird." (S.228f.)
BUJARD & PASSET sehen einen
Anstieg der Geburtenrate bei Akademikerinnen im Vergleich zu
Nichtakademikerinnen:
"Der Anstieg der Geburten
bei Akademikerinnen ab 30 und besonders ab 35 Jahre hat
erheblich dazu beigetragen, dass die geschätzte TFR bei den
Akademikerinnen bis 2011 das Niveau der mittleren
Bildungsgruppe erreicht hat". (S.229)
Diese Analyse verdeckt die
enormen Schwankungen, denen die Geburtenrate von
Akademikerinnen vor und nach der Reform unterlegen hat. So
betrug die Schwankungsbreite vor der Reform 1,22 bis 1,34.
Nach der Reform ergibt sich folgendes Bild:
2007: 1,27
2008: 1,37
2009: 1,32
2010: 1,37
2011: 1,41
Außer Acht bleiben dabei
Einflüsse wie Arbeitsmarktsituation, Ausbau der
Kinderbetreuung, Reformen des Eltergeldes nach 2007 (z.B.
volle Anrechnung für Hartz IV-Empfängerinnen) usw.
Ein Erfolg des Elterngeldes
kann nur verbuchen, wer eine qualitative Bevölkerungspolitik
zugunsten von Akademikerinnen befürwortet.
Was aber, wenn die geschätzte ASFR gar kein adäquater
Indikator für eine nachhaltige Geburtenentwicklung ist?
Erst die Entwicklung der Kohortenfertilität (CFR) gibt darüber
Aufschluss. Hier zeigt sich
jedoch, dass diese bereits vor der Reform des Elterngeldes für
die um 1970 Geborenen gestiegen ist.
In erster Linie hat das
Elterngeld den Stellenwert einer Symbolpolitik, denn sie steht
für die Durchsetzung einer qualitativen Bevölkerungspolitik
zugunsten von Akademikerinnen und einen Abschied von sozialer
Gerechtigkeit in der Familienpolitik. Die Beiträge von BUJARD
und BUJARD & PASSET muss man als den Versuch einer
rhetorischen Absicherung dieser Maßnahme betrachten.
Ausgeblendet wurde in der
Analyse von BUJARD & PASSET insbesondere die Entwicklung der
Kinderlosigkeit von Akademikerinnen, die im Brennpunkt der
öffentlichen Debatte um das Elterngeld stand. Hier zeigt
jedoch die Veröffentlichung zur
Geburtenentwicklung 2012, dass sich - bei gering
steigender Kinderlosigkeit zwischen 2008 und 2012 - auch hier
eine Verschiebung zwischen Akademikerinnen und
Nicht-Akademikerinnen vollzogen hat.
LOIS, Daniel (2013): Zur Erklärung von sozialer
Ansteckung beim Übergang zur Elternschaft.
Ein Test vermittelnder
Mechanismen,
in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie,
Heft 3, September, S.397-422
In den Nuller Jahren erlebte die
Niedrig-Fertlitäts-Falle einen Medienhype. Das Phänomen wurde durch
Frank SCHIRRMACHERs Buch Minimum popularisiert und kumulierte
in der Rede von einer Kultur der Kinderlosigkeit. Angeblich gab es ab
einem bestimmten TFR-Niveau, nämlich 1,3, aus der Niedrig-Fertilitäts-Falle keinen
Ausweg mehr. In Zeiten steigender TFR-Geburtenraten ist das widerlegt
und muss nun
revidiert werden. Hans-Peter KOHLER war ein Pionier dieser
"Niedrig-Fertilitäts-Falle"-These. Tatsächlich haben solche
makrosoziologischen Erklärungen ein Problem, das Daniel LOIS
folgendermaßen beschreibt:
"Ein Beispiel für eine
makrosoziologische Studie ist der Beitrag von Kohler (2000), der die
langfristige Fluktuation von nationalen Nettoreproduktionsraten in 13
Ländern zwischen 1930 und 1995 untersucht und darin latente
Gleichgewichtszustände wie ein »high-fertility-regime« oder ein »low-fertility-regime«
findet. Der Autor geht davon aus, dass für die Herausbildung
derartiger Fertilitäts-Regime nicht allein die Veränderung
sozio-ökonomischer Anreize verantwortlich gemacht werden kann.
Vielmehr wird angenommen, dass insbesondere der Prozess eines
abnehmenden Fertilitätsniveaus durch soziale Vergleichsprozesse und
ein wechselseitiges Nachahmungsverhalten beschleunigt worden ist
(...). Infolge der makrosoziologischen Perspektive derartiger Studien
kann allerdings über die konkrete Funktionsweise von
Ansteckungsprozessen auf der Individualebene wenig ausgesagt werden."
(2013, S.404)
Der Begriff der "sozialen
Ansteckung" soll nun solche Prozesse der Selbstverstärkung
mikrosoziologisch erhellen:
"Neben sozialem Druck und
sozialer Unterstützung wird in der jüngeren Forschung ein dritter
Mechanismus diskutiert, der sich als soziale Ansteckung (»social
contagion«) bezeichnen lässt. Hierunter kann vereinfacht der Prozess
verstanden werden, in dem ein Akteur (Ego) eine neue Handlungsweise
oder Einstellung von einem anderen Akteur (Alter) übernimmt, mit dem
er interagiert (...). Im vorliegenden Fall ist hiermit gemeint, dass
die Familiengründung als neue Handlungsalternative in sozialen
Netzwerken »diffundiert« und es im Zuge eines wechselseitigen
Nachahmungsverhaltens zu »Geburtswellen« innerhalb von
Freundschafts- oder Verwandtschaftsnetzwerken kommt." (2013, S.398)
Das Hauptproblem besteht jedoch
in der Erklärung von Trendwenden im Geburtengeschehen und dafür ist
der Indikator "zusammengefasste Geburtenziffer" vollkommen ungeeignet.
Ausgangspunkt kann nur die endgültige Kinderzahl von Frauenjahrgängen
sein, d.h. die Kohortenfertilität. Diese ist bis zum Geburtsjahrgang
1968 gefallen und steigt für die nachfolgenden Frauenjahrgänge wieder.
Nur eine genaue Analyse dieses veränderten Geburtenverhaltens kann
Aufschlüsse über mögliche Ursachen ergeben. Neben der Rolle von
sozialen Einflüssen sind hier mediale Einflüsse relevant, denn diese
können sowohl verstärkend als auch im Gegenteil kontraproduktiv sein.
Auf dieser Website wird von Letzterem ausgegangen.
HAUN, Daniel (2013): Werden wir wirklich zu alt?
Dossier: Vier Irrtümer über
den Demografiewandel und eine Bitte an den Bundestag,
in:
ZEITWISSEN,
Oktober/November
Dass die Geburtenrate der
Frauen höher liegt als die 1,4 Geburten pro gebärfähiger
Frau, ist auf dieser Webseite schon häufig kritisiert
worden. Daniel HAUN erwähnt zudem nicht, dass die
Zahl der gebärfähigen Frauen aufgrund
der Zensusdaten ebenfalls stärker zurückgegangen ist als in
der Bevölkerungsfortschreibung angenommen, d.h. die
Geburtenrate wird dadurch höher ausfallen.
HAUN sieht das Problem
der geringen Geburtenrate nicht erst bei den jungen Frauen,
sondern bei der Generation ihrer Mütter. Zudem wird mit
Hinweis auf eine
Studie von Rainer HUFNAGEL-PERSON darauf verwiesen, dass
Akademikerinnen seit Mitte der 1990er Jahre mehr Kinder
als andere Frauen bekommen - nur später. HAUN sieht
(mittlerweile) politisch korrekt den Aufschub der
Mutterschaft kritischer als einen
fehlenden Kinderwunsch:
"Während
bisher Personen ohne Kinderwunsch, ungeachtet der Tatsache,
dass sie nicht reduzieren können, in ein Gesamtmodell
integriert wurden, haben wir diese separat betrachtet. Eine
Gruppe, die bisher in der Literatur kaum Beachtung fand,
sind die Personen mit einem unsicheren Kinderwunsch. Diese
haben wir als Subsample in unsere Analysen integriert.
Insgesamt gesehen bestätigen unsere Analysen bisherige
Forschungsergebnisse, die besagen, dass der Kinderwunsch
über die Zeit hinweg eher instabil ist. (...). Ein relativ
hoher Anteil, nämlich gut ein Drittel aller betrachteten
Personen, verändert seine realistisch erwartete Kinderzahl
innerhalb nur eines Jahres.
(Petra Buhr & Anne-Kristin Kuhnt
"Die kurzfristige
Stabilität des Kinderwunsches in Ost- und Westdeutschland:
eine Analyse mit den ersten beiden Wellen des deutschen
Beziehungs- und Familienpanels",
2013, S.294)
Es ist merkwürdig, dass
mediale Fakten gerade dann als Irrtümer ausgewiesen werden,
wenn sie ihre politische Schuldigkeit getan haben. Aber das
ist natürlich das Kennzeichen politischer Propaganda.
BUJARD, Martin (2013): Familienpolitik braucht einen langen
Atem.
Effekte auf die Geburtenrate
sind langfristig und benötigen eine kohärente Politik,
in:
Demografische Forschung aus erster Hand, Nr.3 v. 09.10.
DESTATIS (2013): Geburtentrends und Familiensituation in Deutschland
2012, Statistisches Bundesamt: Wiesbaden, Begleitheft zur
Pressekonferenz am 07.11.
Erstmals ignoriert das Statistische Bundesamt in einer
Publikation die Kohortenfertilität (CFR) und die Tempoeffekte
nicht. Bisher wurde strikt geleugnet, dass die
Geburtenrate (TFR) für die zukünftige Geburtenentwicklung in
Deutschland nicht aussagekräftig ist:
"Die in den 1930er Jahren
geborenen Frauen brachten in beiden Teilen Deutschlands im
Durchschnitt etwa gleich viele Kinder zur Welt: die
endgültige Kinderzahl der Frauen dieser Kohorten lag bei
über zwei Kindern je Frau. Innerhalb der nächsten 30 Jahre
ging die Kohortenfertilität im früheren Bundesgebiet um etwa
25 % zurück. Besonders schnell sank sie zwischen den
Jahrgängen 1934 (2,2 Kinder je Frau) und 1943 (1,8). Dieser
Rückgang spiegelte den Übergang vom stark ausgeprägten
familienorientierten Geburtenverhalten in den Zeiten des
sogenannten Babybooms (Ende der 1950er bis Mitte der 1960er
Jahre) zu neuen Lebensverläufen wider, die sich infolge des
sozialen Wandels um das Ende der 1960er und Anfang der
1970er Jahre herausgebildet haben. Danach hat sich der
Rückgang fortgesetzt, er verlief aber langsamer. Die Frauen
der Kohorte 1963, die im Jahr 2012 das 50. Lebensjahr
erreichten, haben im früheren Bundesgebiet durchschnittlich
nur noch 1,5 Kinder zur Welt gebracht" (2013, S.17),
heißt es nun. Im Jahr 2003
forderte die frühere ZEIT-Redakteurin und vor kurzem
als Kieler Oberbürgermeisterin zurückgetretene Susanne GASCHKE:
Kein Nachwuchs, keine Rente. Sie begründete dies mit
falschen Zahlen zur Geburtenrate der 68er und
nachfolgender Generationen. Das Statistische Bundesamt
bestätigt nun die damalige Analyse von single-generation.de
und Detlef GÜRTLER.
Wir erinnern uns: Weil
angeblich die Nach-68er im besonderen Maße zum
Geburtenrückgang unter das Bestandserhaltungsniveau
beigetragen hätten, so die Argumentation, müssen die jüngeren
Jahrgänge umso länger arbeiten und Rentenkürzungen in Kauf
nehmen. Faktisch waren dagegen bereits die 68er für den
größten Rückgang der Geburtenrate verantwortlich.
Es ist an der Zeit die
Lebenslügen dieser Republik zur Kenntnis zu nehmen. In
Deutschland wurde jahrelang Sozialabbau mit Hilfe angeblicher
demografischer Sachzwänge begründet, die unhaltbar sind. Dabei
ist erst die Spitze des Eisbergs sichtbar.
DESTATIS (2013): Jede fünfte Frau zwischen 40 und 44 Jahren ist
kinderlos,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v. 07.11.
Erst nach dem
Bundestagswahlkampf 2005 und nach der Durchsetzung der Agenda
2010 wurden vereinzelt Stimmen laut, dass die Kinderlosigkeit
mit ca. 33 % bei den 1965 geborenen Frauen und 40 % bei den
westdeutschen Akademikerinnen zu hoch geschätzt ist. Die
zweite Mikrozensus-Erhebung der Kinderlosigkeit in Deutschland
zeigt, dass Anfang des Jahrtausends krasse Fehleinschätzungen
im Umlauf waren.
Für die 1970er Geburtsjahrgänge wurden sogar
Kinderlosenzahlen von 40 % prognostiziert.
Akademikerinnen sollten gar zu 50 % kinderlos bleiben. Die
Tendenzen zeigen dagegen, dass die Anfang der 1970er Jahre
geborenen Frauenjahrgänge eher zu einem niedrigeren Anteil
kinderlos bleiben werden, was bereits im Jahr
2003 erkennbar war.
Auf dieser Webseite werden
die Fakten in nächster Zeit genau analysiert werden, da die
Interpretationen des Statistischen Bundesamtes
bevölkerungspolitisch motiviert sind, d.h. Trendwenden werden
erst dann verkündet, wenn sie sich nicht mehr leugnen lassen.
Mit 1,38 Kindern pro
gebärfähiger Frau lag die Geburtenrate (TFR) 2012 höher als
2011 (1,36). Da diese Geburtenrate jedoch auf veralteten
Volkszählungsdaten basiert, muss die Geburtenrate nach oben
korrigiert werden, was jedoch - unverständlicherweise - erst
mit dem Mikrozensus 2013 geschehen wird.
KÖLNER
STADT-ANZEIGER-Tagesthema:
Später zur Familie.
In Deutschland setzt
sich der Trend fort, dass Frauen mit der Mutterschaft warten. Laut
Statistik sind sie beim ersten Nachwuchs 29 Jahre alt |
STOLZENBACH, Kathy
(2013): Gebildet, westdeutsch, kinderlos.
Frauen gründen immer später eine
Familie - Geburtenrate bleibt dennoch zunächst stabil,
in:
Kölner Stadt-Anzeiger
v. 08.11.
TICHOMIROWA, Katja
(2013): Einseitiges Bild,
in:
Frankfurter Rundschau
v. 08.11.
HEIDENREICH, Ulrike (2013): Plädoyer für eine Kindergrundsicherung,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 08.11.
ÖCHSNER, Thomas (2013):
Jede fünfte Frau bleibt kinderlos.
Besonders Akademikerinnen bekommen
weniger Babys. Statistiker erwarten weiteren Rückgang der
Geburtenrate,
in:
Süddeutsche Zeitung
v. 08.11.
In der angeblichen
Qualitätszeitung kann man nicht einmal richtig abschreiben:
"Die Behörde rechnet
zunächst mit einer weiter stabilen Geburtenrate. Von 2020 an
befürchtet sie aber einen Rückgang (...). Für eine stabile
Geburtenzahl wäre dann eine höhere jährliche Geburtenrate
von mindestens 1,6 notwendig, sagte Egeler",
heißt es bei Thomas ÖCHSNER
anlässlich einer Pressekonferenz
Geburtentrends und
Familiensituation in Deutschland des Statistischen
Bundesamtes. Tatsächlich muss es heißen, dass bei einer
stabilen GeburtenRATE die GeburtenZAHLEN weiter zurückgehen
werden, wenn die ZAHL der potentiellen Mütter sinkt. Ob die
GeburtenRATE stabil bleibt, zurückgeht oder sogar steigt,
darüber sagt die Behörde in den zitierten Sätzen gar nichts
aus. Die Headline "Statistiker erwarten weiteren Rückgang der
Geburtenrate" ist also grob irreführend. Richtig müsste es
heißen, dass die Statistiker bei gleich bleibender
Geburtenrate einen Rückgang der Geburtenzahlen erwarten. Das
ist aber das genaue Gegenteil dessen, was uns die SZ
vermeldet!
Qualität ist eben
Glücksache und kein Ergebnis von Journalismus!
SIEMS, Dorothea (2013): Studiert und kinderlos.
Noch nie blieben in Deutschland so
viele Frauen ohne Nachwuchs,
in:
Welt
v. 08.11.
Dorothea SIEMS kann
zumindest abschreiben:
"Weil die meisten Frauen
ihre Kinder im Alter zwischen 25 und 35 bekommen, ist für
die künftige Entwicklung der Geburtenzahlen entscheidend,
wie sich diese Altersgruppe in den nächsten Jahren verhält.
Bis 2020 bleibt die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen relativ
konstant. Deshalb rechnen die Statistiker für diesen
Zeitraum mit weitgehend stabilen Geburtenzahlen. Danach
jedoch schrumpft diese Altersgruppe rapide, weshalb nach
diesem Zeitpunkt deutlich weniger Kinder zu erwarten sind
als heute. Nur bei einem deutlichen Anstieg der Geburtenrate
auf 1,6 ließe sich der absehbare Einbruch der Geburtenzahlen
nach 2020 noch verhindern",
Sobald SIEMS jedoch in den
Kommentarmodus schaltet, werden die Fakten ignoriert:
"Ab 2020, so warnt das
Statistische Bundesamt, droht in Deutschland ein Absturz der
Geburtenraten. Denn seit Jahrzehnten schon leisten sich die
Bürger hierzulande wenig Kinder. Somit sind viele Frauen,
die demnächst Nachwuchs bekommen könnten, nie geboren
worden."
SIEMS ignoriert dann den
Unterschied zwischen GeburtenRATE und GeburtenZAHLEN genauso
wie Thomas ÖCHSNER in der SZ.
EPD
(2013): Zahl der Kinderlosen steigt,
in:
TAZ
v. 08.11.
"In Deutschland bleibt
jede fünfte Frau kinderlos. Das geht aus Daten zur
Geburtenentwicklung und zur Kinderlosigkeit hervor, die das
Statistische Bundesamt vorstellte. Nach dem Mikrozensus von
2012 haben 22 Prozent der Frauen zwischen 40 und 44 Jahren
kein Kind. Die Kinderlosigkeit ist in den alten Ländern mit
23 Prozent deutlich ausgeprägter als im Osten (15 Prozent).
Sie nimmt laut Statistik aber auch in den neuen Ländern zu,
bei Akademikerinnen stärker als bei Frauen ohne
Hochschulabschluss"
läßt die taz durch
den Evangelischen Pressedienst (epd) verkünden. Dadurch
wird verschwiegen, dass sich die Kinderlosenzahlen in den für
die zukünftige Geburtenentwicklung relevanten Altersgruppen
verschoben haben:
"Drei
von zehn westdeutschen Akademikerinnen im Alter zwischen
45 und 49 Jahren haben kein Kind geboren. Im Hinblick auf
die weitere Entwicklung ist allerdings zu erwarten, dass
Akademikerinnen der etwas jüngeren Jahrgänge (1968 bis 1972)
zu weniger als 30 % kinderlos bleiben werden. Sie hatten die
30 %-Marke bereits im Jahr 2012 erreicht. Bei gleichem
Geburtenverhalten wie bei den fünf Jahre älteren Frauen
würde ihre Kinderlosenquote in den nächsten Jahren
voraussichtlich noch um weitere zwei Prozentpunkte sinken.
Bei den Frauen ohne
einen akademischen Bildungsabschluss, die rund 80 %
eines Jahrgangs stellen, ist dagegen mit einem weiteren
Anstieg des Anteils der Frauen ohne Kind zu rechnen. Dies
gilt auch für die Frauen in den neuen Ländern."
(2013, S.9)
heißt es in der Publikation
Geburtentrends und
Familiensituation in Deutschland des Statistischen
Bundesamtes.
Die unsägliche Medienkampagne mit dem Motto, dass die Falschen
die Kinder bekommen, war also außerordentlich erfolgreich,
mit der Konsequenz, dass die Kinderlosigkeit gestiegen ist,
weil
Akademikerinnen für die Geburtenrate (noch) nicht annähernd so
relevant sind, wie es die Medienelite gerne hätten.
Wer eine höhere
Geburtenrate möchte, der muss akzeptieren, dass auch die
"Falschen" Kinder bekommen.
Oder
es gilt den Geburtenrückgang zu akzeptieren, was nicht das
Schlechteste wäre.
Es gilt somit Schluss zu
machen mit der Heuchelei in Sachen Geburtenrückgang und den
Kult um die Geburtenrate (TFR).
KRINGS,
Dorothee
(2013): Warum Paare kinderlos bleiben.
Analyse: Jede fünfte Frau in
Deutschland zwischen 40 und 44 Jahren hat kein Kind. Doch steht
dahinter oft keine bewusste Entscheidung, sondern Lebenswege
ergeben sich so – und darin spiegeln sich die sozialen
Verhältnisse,
in:
Rheinische Post
v. 09.11.
Jetzt schlägt wieder die
Stunde der Heuchler. Angeblich spiegelt die wachsende
Kinderlosigkeit die sozialen Verhältnisse wider. Wenn man dies
ernst nehmen würde, dann müssten sich nicht Frauen für ihre
Kinderlosigkeit rechtfertigen wie im untenstehenden Artikel,
sondern die Wirtschaft, die Bildungseinrichtungen und die
Politik. Warum, so müssten sich ihre Repräsentanten fragen
lassen, wurde eine Politik der Vereinbarkeit von Beruf und
Familie nicht
bereits Mitte der 1980er Jahre betrieben, als sich
abzeichnete, dass das traditionelle Familienbild in der
jüngeren Generation an Allgemeinverbindlichkeit verloren hat?
Offenbar waren die
Wirtschaft, die Bildungseinrichtungen und die Politik damals
nicht an einer verbesserten Vereinbarkeit von Beruf und
Familie interessiert. Jetzt den Rückgang der Geburtenzahlen zu
beklagen ist deshalb heuchlerisch. Hätte man vor 30 Jahren in
Wirtschaft, Politik und Bildung umgesteuert, statt an der
traditionellen Familie als Leitbild festzuhalten, dann könnte
man heutzutage darauf verzichten Kinderlose an den Pranger zu
stellen
Es
stellt sich jedoch die Frage, inwiefern wir es momentan
überhaupt mit einer steigenden Kinderlosigkeit zu tun haben.
Angeblich haben wir derzeit den höchsten Stand der
Kinderlosigkeit in Deutschland. Dabei wurde der Anteil der
Kinderlosen erstmals 2008 erfasst (sieht man von einer
Vorerhebung im Jahr 2006 ab). Wie hoch die Kinderlosigkeit in
Deutschland in der Vergangenheit war, das wissen wir überhaupt
nicht. Vor 10 Jahren wurden noch Kinderlosenanteile von einem
Drittel (bei Akademikerinnen sogar von 40 und 50 %) in Umlauf
gebracht, weil Eltern in Kinderlose umdefiniert wurden. Alles
schon wieder vergessen?
Unberücksichtigt bleiben auch die sozialstrukturellen
Verschiebungen innerhalb der Gruppe der Kinderlosen, sowie der
Rückgang der Kinderlosenanteile in speziellen Altersgruppen
und Milieus.
Nicht zuletzt täuscht die
Geburtenrate (TFR) darüber hinweg, dass bislang noch kein
einziger Frauenjahrgang nur 1,4 Kinder pro gebärfähiger Frau
erreicht hat, sondern der niedrigste Wert lag bei 1,5 (CFR).
Erstmals ignoriert das Statistische Bundesamt in einer
Publikation die Kohortenfertilität (CFR) und die Tempoeffekte
nicht. Bisher wurde strikt geleugnet, dass die
Geburtenrate (TFR) für die zukünftige Geburtenentwicklung in
Deutschland nicht aussagekräftig ist:
"Die in den 1930er Jahren
geborenen Frauen brachten in beiden Teilen Deutschlands im
Durchschnitt etwa gleich viele Kinder zur Welt: die
endgültige Kinderzahl der Frauen dieser Kohorten lag bei
über zwei Kindern je Frau. Innerhalb der nächsten 30 Jahre
ging die Kohortenfertilität im früheren Bundesgebiet um etwa
25 % zurück. Besonders schnell sank sie zwischen den
Jahrgängen 1934 (2,2 Kinder je Frau) und 1943 (1,8). Dieser
Rückgang spiegelte den Übergang vom stark ausgeprägten
familienorientierten Geburtenverhalten in den Zeiten des
sogenannten Babybooms (Ende der 1950er bis Mitte der 1960er
Jahre) zu neuen Lebensverläufen wider, die sich infolge des
sozialen Wandels um das Ende der 1960er und Anfang der
1970er Jahre herausgebildet haben. Danach hat sich der
Rückgang fortgesetzt, er verlief aber langsamer. Die Frauen
der Kohorte 1963, die im Jahr 2012 das 50. Lebensjahr
erreichten, haben im früheren Bundesgebiet durchschnittlich
nur noch 1,5 Kinder zur Welt gebracht" (2013, S.17),
heißt es nun. Im Jahr 2003
forderte die frühere ZEIT-Redakteurin und vor kurzem
als Kieler Oberbürgermeisterin zurückgetretene Susanne GASCHKE:
Kein Nachwuchs, keine Rente. Sie begründete dies mit
falschen Zahlen zur Geburtenrate der 68er und
nachfolgender Generationen. Das Statistische Bundesamt
bestätigt nun die damalige Analyse von single-generation.de
und Detlef GÜRTLER.
Wir erinnern uns: Weil
angeblich die Nach-68er im besonderen Maße zum
Geburtenrückgang unter das Bestandserhaltungsniveau
beigetragen hätten, so die Argumentation, müssen die jüngeren
Jahrgänge umso länger arbeiten und Rentenkürzungen in Kauf
nehmen. Faktisch waren dagegen bereits die 68er für den
größten Rückgang der Geburtenrate verantwortlich.
Es ist an der Zeit die
Lebenslügen dieser Republik zur Kenntnis zu nehmen. In
Deutschland wurde jahrelang Sozialabbau mit Hilfe angeblicher
demografischer Sachzwänge begründet, die unhaltbar sind. Dabei
ist erst die Spitze des Eisbergs sichtbar.
ISRINGHAUS, Jörg
(2013): "Ich mag Kinder, aber es müssen nicht meine eigenen sein".
Kinderlosigkeit – Zwei Frauen
erzählen,
in:
Rheinische Post
v. 09.11.
Statt journalistisch aufbereitete
Artikel zu lesen, sollte man sich die Internet-Foren zum Thema,
z.B. dem der FAZ, ansehen. Dort lassen sich die
Klischeevorstellungen, die von unseren Medien jahrzehntelang in
Umlauf gebracht wurden, in ihren tatsächlichen Wirkungen studieren.
EUROSTAT (2013):EU28 Bevölkerung von 505,7 Millionen am 1.
Januar 2013.
Europäische
Demografie: Mehr als 5 Millionen Geburten in der EU28 im Jahr
2012,
in: Pressemitteilung Europäisches Statistikamt v.
20.11.
DESTATIS (2013): Zuwanderung nach
Deutschland steigt im 1. Halbjahr 2013 um 11 %,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt Wiesbaden v.
21.11.
Wie schnell
Bevölkerungsvorausberechnungen veraltet sind, das lässt
sich an der 12. Bevölkerungsvorausberechnung aus dem Jahr 2009
demonstrieren, die vor genau 4 Jahren erstellt wurde. Danach
war man von einem permanenten Bevölkerungsrückgang in
Deutschland ausgegangen.
|
Jahr |
Bevölkerungsstand (gemäß Statistischer Jahrbücher) |
Bevölkerungsstand (gemäß Homepage DESTATIS) |
2009 |
81
802 |
81
802 |
2010 |
81
752 |
81
752 |
2011 |
81
844 |
80
328 |
2012 |
82
040* |
80
524 |
|
*
Fortschreibung ohne Zensuskorrektur (eigene Berechnung) |
Das Statistische Bundesamt
hat auf seine Fehlprognosen schnell reagiert und inzwischen
auf seiner Homepage für die Jahre 2011 und 2012 die
niedrigeren Bevölkerungszahlen, die sich aus dem Zensus 2011
ergeben haben, publiziert. Merkwürdigerweise gilt das für die
Geburtenrate jedoch nicht.
Es ist ersichtlich, dass
die Bevölkerung seit 2010 gewachsen ist (während die Homepage
ein Wachstum erst ab 2011 suggeriert, denn ein Hinweis auf die
Zensus-Korrektur fehlt), also kaum, dass die
Bevölkerungsvorausberechnung publiziert war. Nichtsdestotrotz
werden uns andauernd Vorausberechnungen für die Jahre 2030
oder gar 2060 präsentiert. Was sind solche Berechnungen wert,
außer dass damit politisch Missbrauch getrieben wird?
Zusätzlich zu denken geben
sollte, dass ca. 1,5 Millionen Deutsche weniger per Zensus
2011 die vergangenen Jahre nicht aufgefallen sind.
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