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Vorbemerkung
Die mediale Berichterstattung zur
Geburtenentwicklung richtet sich nicht nach der Faktenlage,
sondern nach politischen Interessen. Um diese deutlich zu machen
werden in dieser Bibliografie ab heute (02.07.2012) nach und
nach ausgewählte Medienberichte und Literatur zum Thema
chronologisch dokumentiert. Die Kommentare entsprechen jeweils
dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, falls nichts
anderes vermerkt ist.
Kommentierte Bibliografie
2004
BÖLSCHE, Jochen u.a.
(2004): Land ohne Lachen.
Deutschland schrumpft - und ergraut.
Die Bundesrepublik rangiert mit ihrer Geburtenrate unter 190
Staaten auf Platz 185. Vier von zehn deutschen Akademikerinnen
verzichten auf Mutterglück und Mutterstress. Sind die Frauen in
den Gebärstreik getreten - oder die Männer in den
Zeugungsstreik?
in: Spiegel Nr.2 v. 05.01.
SCHLEGEL, Matthias
(2004): "Wenn Arbeitslose gehen, ist das eine Entlastung".
Wirtschaftsforscher sieht in der Abwanderung kein Drama. Nach
seiner Einschätzung ziehen mehr Höherqualifizierte in den Osten,
in: Tagesspiegel v. 02.01.
Herbert BUSCHE vom Institut
für Wirtschaftsforschung in Halle über die nicht vorhandenen
demografischen Probleme des Osten:
"Die
niedrige Geburtenrate in Ostdeutschland verschärft ja noch
das demografische Problem.
Das wird sich bald wieder entschärfen: Zu DDR-Zeiten
haben die Frauen mit 18 bis 20 Jahren Kinder bekommen. Nach
der Wende haben sie sich westdeutschen Verhältnissen
angepasst und warten damit zehn Jahre länger. Diesen Knick
in der Geburtenrate werden wir bald hinter uns haben.
Bleibt nicht die Zukunftsfähigkeit des Ostens insgesamt
auf der Strecke, wenn so viele junge Leute weglaufen?
In der DDR gab es damals eine Geburtenrate von 2,2, im
Westen von 1,4. 1990 ging sie im Osten sprunghaft auf 1,1
zurück. Wir schieben dort also immer noch einen
Geburtenüberschuss vor uns her. Auch deshalb ist die
Abwanderung von jungen Leuten unter dem Strich kein Drama."
Während Kanzler SCHRÖDER das
Weiter-So der Agenda 2010 durch den Rücktritt vom Parteivorsitz
retten möchte, bröckelt die mediale Einheitsfront.
Lange Zeit stand single-generation.de
mit dem Vorwurf, die Prognosen des
nationalkonservativen Bevölkerungswissenschaftlers Herwig BIRG
seien unrealistisch, fast völlig alleine.
Der Journalist
Detlef GÜRTLER hatte dann im
August 2003 in der Welt zur
neuesten Prognose geschrieben:
"Man
kann solche extrem unwahrscheinlichen Annahmen treffen. Die
wissenschaftliche Redlichkeit würde dann allerdings erfordern,
noch mindestens eine andere Annahme durchzurechnen. Zum Beispiel
die Bevölkerungsvorausberechnung der Vereinten Nationen, die
Deutschland im Jahr 2050 eine Geburtenrate von 1,64
prognostiziert. Das Statistische Bundesamt hingegen hat zwar
diverse unterschiedliche Wanderungs- und
Lebenserwartungsszenarien beschrieben, die Geburtenrate aber
konstant bei 1,4 belassen. Warum? Unter anderem um »den
Handlungsdruck auf die Politik aufrechtzuerhalten«, wie einer
der Beteiligten ebenso freimütig wie anonym zugab."
Das passte damals jedoch nicht
zur politischen Stimmung, weswegen der Artikel in der
Mitte-Presse keinerlei Widerhall fand.
In der jungen
Welt (17./18.02.2003) berief sich
z.B. Manfred SOHN in einer zweiteiligen Serie ausdrücklich auf
die Prognosen von Herwig BIRG, um den Geburtenrückgang zu
dramatisieren.
Nun wird erstmals ein
Statistikprofessor, Gerd BOSBACH,
als Kritiker der Prognose mit Namen genannt:
"die
demographische Prognose von der unbezahlbaren Überalterung ist
offensichtlich Humbug, wie jetzt ein Statistikprofessor
aufgedeckt hat, der selbst jahrelang im Statistischen Bundesamt
tätig gewesen ist. Gerd Bosbach
lehrt heute an der Fachhochschule Koblenz Statistik, Mathematik
und Empirik, und was er Hahlen vorhält, unterstreicht einmal
mehr, daß sich das derzeitige Sozialabbauprogramm auf gewagte
Kaffeesatzleserei und bewußte Halbwahrheiten stützt.
Drei Haupteinwände hält Gerd Bosbach den »vorgegebenen und
unausweichlichen« Prognosen (...) entgegen: Erstens sei eine
Bevölkerungsprognose bis zum Jahre 2050 als Grundlage
politischer Entscheidungen heute schlicht untauglich.
Hätte man z. B. 1953 eine
Prognose für 2000 als zielsicher und handlungsleitend
ausgegeben, hätte man millionenfach daneben gelegen:
Wegen Anwerbeverträgen für »Gastarbeiter«,
Pillenknick
und 1989er
Zusammenbrüchen, von mehreren Kriegen
und entsprechenden Fluchtbewegungen ganz zu schweigen.
Nicht von ungefähr betrug die »Gültigkeitsdauer« der letzten
neun Bevölkerungsprognosen des Statistischen Bundesamtes im
Schnitt vier Jahre. Einige Vorgängerprognosen mußten sogar
gänzlich über den Haufen geworfen werden.
Die Prognose (...) unterschlägt – das ist das zweite Argument
von Gerd Bosbach – wesentliche demographische und ökonomische
Größen. So kommt (...) nicht vor, daß auch unproduktive Kinder
und Jugendliche ernährt werden müssen. Rechnet man aber diese
Bevölkerungsgruppe in die Prognose ein, dann müssen heute
hundert Menschen zwischen 20 und 60 Jahren 82 Junge und Alte
ernähren. Im Jahre 2050 würden es 112 Junge und Alte sein. Nicht
80 Prozent mehr als heute sondern 40 Prozent mehr. Und nur zwölf
Prozent mehr als 1970, als 100 Erwerbsfähige 100 Junge und Alte
ernährten. Solche undramatischen Zahlen enthält auch die
offizielle Bevölkerungsvorausberechnung. Aber der Präsident des
Amtes, die hohe Politik und die Medien wollen sie offensichtlich
nicht zur Kenntnis nehmen.
Eine andere Zahl wird von den Bundesdemographen allerdings
komplett ausgeblendet: die absehbare, steigende
Arbeitsproduktivität."
Wenn jetzt plötzlich die
Prognose selbst in der Kritik steht, dann zeigt dies, dass die
Agenda 2010 viel grundsätzlicher zur Disposition steht, als dies
die Mitte-Politiker glauben machen wollen.
HORX, Matthias (2004): Deutschland im Jahre 2015.
Vier Szenarien für die Zukunft unserer
Republik,
in: Welt v. 21.02.
"In
den deutschen Betten beginnt eine fieberhafte Produktivität. Die
Geburtenrate steht mit 2,0 auf dem höchsten Stand seit 40
Jahren. Nach dem dritten Kind zahlen deutsche Bürger bis zu
einem Einkommen von 100 000 Euro keine Steuern mehr, darüber nur
linear 15 Prozent. Eine Vielzahl von steuerlich absetzbaren
privaten Dienstleistungen macht Karriere auch mit Kindern
möglich. Die Städte Deutschlands vibrieren vor Vitalität - sie
sind rund um die Uhr geöffnet. Mit fünf bis sechs Prozent
Dauerwachstum ist Deutschland wieder die Wachstumslokomotive
Europas. Aber dies fordert einen Preis",
lautet eines der Szenarien, mit denen Matthias HORX
die Leser der Welt zur kostenlosen Mitarbeit an seinem neuen
Projekt auffordert.
KRALINSKI, Thomas (2004): Kinder an die Macht.
"Bevölkerungspolitik"?
Ausgerechnet bei uns in Deutschland? Das Wort klingt bedrohlich
nach überwundener Vergangenheit. Doch im 21. Jahrhundert können
nur Kinder den Sozialstaat retten. Für eine aufgeklärte
Bevölkerung,
in: Berliner Republik Nr.2, März/April
Was noch im
letzten Jahr nur für single-generation.de denkbar war,
das ist nun zum neuen Gesellschaftssport der reaktionären
Elite geworden: das Plädoyer für die Bevölkerungspolitik. Thomas
KRALINSKI fördert die typischen Klischees hervor:
"In
der hedonistischen »Revolution« der Achtundsechziger wurzelt
eine weitere Ursache für die heutige Kinderlosigkeit.
Individualisierung, die säkularisierte Familie,
Selbstverwirklichung haben jeden einzelnen »glücklicher«
gemacht. Doch die neuen Werte lassen sich, so die
Überzeugung der Individualisierten, am ehesten bei
Kinderlosigkeit leben. Mittlerweile ist das Lebensgefühl der
»Singleisierung« weit in die Gesellschaft vorgedrungen. Zwar
signalisieren Umfragen, dass Familie und Freunde wieder hoch
im Kurs stehen, doch zu mehr Kindern führt das noch lange
nicht."
KRALINSKI gehört zur
Kategorie der Pharisäer. Der neue Geschlechterpakt hat längst
die individualisierte Familie hervorgebracht. Kinderhaben
und Single-Lebensstil ist für diese neue Elite kein Gegensatz
mehr (siehe Prenzlauer-Berg-Mütter), sondern wird dank
Niedriglohn-Hauspersonal zum neuen Statussymbol! Gösta
ESPING-ANDERSEN ist der Guru dieser neuen
Hauspersonal-Gesellschaft. In
den USA hat jüngst
Caitlin FLANAGAN dieses neue
Ausbeutungsverhältnis gerechtfertigt und auch in der NZZ
("Tamas Tränen", 15.03.2004) )konnte man jüngst darüber lesen. Man
muss Michel HOUELLEBECQs zentralen Gedanken aus dem Roman
Plattform aufgreifen, um eine neue Form von Kolonialismus
der postfeministischen Familie deutlich zu machen. Der
Sextourist sorgt gemäß HOUELLEBECQ für einen fairen Austausch
zwischen erster (reiche, aber feminismusgeschädigte Sexaholics)
und dritter Welt (arme, aber sexy Dienende). Die
neue individualisierte Familie beruht auf einem ähnlichen
Dienstleistungsverhältnis, das jedoch weniger verrucht ist,
weswegen dieser Tausch auch ohne große Probleme
gesellschaftlich akzeptiert wird. Wir wollen hier auch gar
nicht moralisieren, sondern es geht darum, zu zeigen, dass
unsere neue Mitte durchaus ihre Privilegien genießt. Der
gewöhnliche Mitte-Sozialdemokrat hängt das natürlich nicht an
die "große Glocke" (was würde sonst seine nicht-privilegierte
Wählerschaft von ihm denken!), sondern beschäftigt sein
Hauspersonal ganz verschämt! Doppelmoral Hoch zwei! Wir
möchten von KRALINSKI auch keine falschen Angaben über die
lebenslange Kinderlosigkeit lesen:
"Immer
mehr junge Frauen verzichten ganz auf Kinder. In der Gruppe
der 1965 geborenen Frauen bleiben heute etwa 30 Prozent ohne
Kinder, bei den 1955 geborenen Frauen liegt diese Quote bei
nur sechs Prozent."
Eine empirische
Untersuchung von
Gert HULLEN hat nachgewiesen, dass
die lebenslange Kinderlosigkeit bei den in den 1960er Jahren
geborenen Frauen bei 14 % liegt! Das sind 50 ( F- Ü - N - F -
Z - I - G) Prozent weniger als uns die Polarisierer vom
Schlage eines KRALINSKI weismachen möchten! Single-dasein.de
und single-generation.de haben bereits vor 3 Jahren
darauf hingewiesen, dass ein
Abbau von 50 % der
Kinderlosen bis zur Bundestagswahl 2006
möglich sei - allein aufgrund STATISTISCHER Interpretationen!
So mancher hat das als Satire oder als völlig weltfremd
abgetan. HULLENs Ergebnisse zeigen jedoch, dass die
Wirklichkeit meist viel unglaubwürdiger erscheint als die
Erfindungen mancher Wissenschaftler!
Es braucht
eigentlich gar nicht mehr erwähnt werden, dass KRALINSKI ein
richtiger Hardliner in Sachen Bevölkerungspolitik ist und auch
vor einer "Diktatur der Eltern" nicht zurückschreckt!
Rente nach
Kinderzahl und das Familienrecht
sind für ihn legitime Zwangsmodelle angesichts des angeblichen
Kinderlosen-Staates. Wir
werden Euch Eure falschen Zahlen so lange vorhalten, bis es
auch der LETZTE in diesem Land begriffen hat: Die
Single-Gesellschaft ist ein Mythos, von dem vor allem die
Eliten profitieren!
MAYER, Susanne (2004): Her mit den Kindern!
Plädoyer für eine moderne
Bevölkerungspolitik, die den Namen verdient,
in: Die ZEIT Nr.11 v. 04.03.
Bevor in Deutschland eine
moderne Bevölkerungspolitik gefordert werden kann, müsste
zuerst einmal eine moderne Bevölkerungsstatistik eingeführt
werden! Die
von Susanne MAYER verbreiteten Zahlen zum Ausmaß der
Kinderlosigkeit in Deutschland sind in keiner Weise hieb- und
stichfest
Gert HULLEN hat
Tempo und Quantum der Reproduktion
in Deutschland untersucht. Im Gegensatz zur amtlichen
Statistik ist der Münchner Familiensurvey eine repräsentative
Untersuchung, dessen Daten 1988, 1994 und 2000 erhoben wurden
und aufgrund der Erfassung des Lebensverlaufs das Ausmaß der
Kinderlosigkeit genauer erfassen kann als unsere lückenhafte
Bevölkerungsstatistik. Es
ist ein himmelschreiender Skandal, dass in Deutschland die
Kinderlosigkeit nicht genau erfasst werden kann. HULLEN
schreibt dazu:
"Die endgültige Kinderlosigkeit wird in
der laufenden Bevölkerungsfortschreibung bislang nicht
ausgewiesen. Sie zu ermitteln wird dadurch erschwert, dass
amtlicherseits die eheliche Parität der Geburten
festgehalten wird, d.h. die Ordnungsnummer des Kindes in der
bestehenden Ehe." (2003,
S.33).
Scheidungen und
Wiederverheiratungen sind in der Bevölkerungsstatistik genauso
wenig vorgesehen wie uneheliche Kinder! Seit 15 Jahren
behaupten unsere Sozialpopulisten, dass die Normalfamilie im
Verschwinden ist. Wie ist es also möglich, dass die
Normalfamilie noch immer das Erfassungskriterium unserer
Bevölkerungsstatistik ist? Offenbar
verhindern einflussreiche politische Kreise eine exakte
Erfassung. Sie könnte nämlich offenbaren, dass eine
Geburtenkrise nicht existiert! Anhand der Daten des
Familiensurvey kommt Gert HULLEN zu einem erstaunlichen
Ergebnis:
"Bei den vor 1960 geborenen Frauen lag
die Kinderlosigkeit bei ungefähr 16 Prozent, bei den
jüngeren, den zwischen 1950 und 1959 Geborenen, ein bisschen
darüber. Die Kohorte der in den 60er Jahren Geborenen aber
bekam noch bis über 35 Jahre hinaus häufiger erste Kinder,
»überholte« dabei die älteren Frauen und hatte schließlich
eine geringere Kinderlosigkeit (14 Prozent). Die
Geburtenrate dieser Kohorte blieb auch in der zweiten Hälfte
der fertilen Phase, Jahre nach dem Median, sehr hoch,
während sie bei den früheren Kohorten bald (...) abflachte."
(2003, S.32f.)
Die Berechnungen von HULLEN
widersprechen also eindeutig den in der Öffentlichkeit von
Bevölkerungswissenschaftlern verbreiteten Zahlen. Das Ausmaß
der Kinderlosigkeit ist wesentlich geringer als behauptet.
Nochmals HULLEN:
"Während die Kinderlosigkeit der älteren
Frauen des Familiensurveys also mit den genannten
Berechnungen übereinstimmt, zeichnen sich die jüngeren
Kohorten der Stichprobe durch eine deutlich unter den
Erwartungen liegende Kinderlosigkeit aus." (2003, S.33).
Im Klartext: Unsere
deutschen Bevölkerungswissenschaftler weisen die Geburtenrate
der jüngeren Frauen viel zu niedrig aus!
WITTSTOCK, Uwe (2004): Die Grundlage für die Arbeit der
Bundesregierung.
Seit 30 Jahren sagt das "Bundesinstitut
für Bevölkerungsforschung" Deutschlands Rentenkrise voraus -
aber keiner will es hören,
in: Welt v. 23.03.
Die
Rentenkrise gibt es so genauso lange wie die Rentenreformen,
nämlich seit 1957!
Wer das nicht glaubt, der soll das Buch
Die Transformation der Sozialpolitik. Vom Sozialstaat zum
Sicherungsstaat lesen.
Frank NULLMEIER & Friedbert W. RÜB ("Die Transformation der
Sozialpolitik")
haben darin bereits 1993 die demografische Debatte seit 1957
nachgezeichnet:
"Demographische »Bedrohungen« haben die Rentenpolitik immer
begleitet. Prognostizierte »Rentenberge« spielten sowohl bei der
Reform 1957 eine Rolle wie auch Mitte der 60er Jahre. (...).
Bereits seit 1977/78 wurden die Folgen des Geburtenrückgangs als
Rentenberg nach dem Jahre 2010 für restriktive Eingriffe in die
Gesetzliche Rentenversicherung angeführt. Steigende Alterslasten
und selbst die Warnung vor dem »Aussterben der Deutschen« waren
und sind keine Rezessionsthemen."
NEON-Titelgeschichte:
Warum kriegen wir so wenige Kinder?
Gebärstreik, Egoismus, degenerierte Spaßgesellschaft - so lauten
die schrillen Vorwürfe an die jungen Erwachsenen. 2,1 Kinder pro Frau
wären nötig, um die Bevölkerungszahl in diesem Land stabil zu halten -
was sind die Gründe dafür, dass Deutschlands Frauen im Schnitt nur
noch 1,35 Kinder zur Welt bringen? Acht NEON-Autoren antworten auf die
Vorwürfe an unsere Generation |
Die Neon-Elite probt einen letzten Aufstand
gegen die sich etablierende nationalkonservative Demografiepolitik
in Deutschland. Gerade
ist von Frank SCHIRRMACHER das Buch
Das Methusalem-Komplott erschienen. Darin wird die
Demografiepolitik aus der familienpolitischen Einengung befreit,
ein Schritt, der für die Durchsetzung der Demografiepolitik
zukünftig entscheidend sein wird. Kinderlosigkeit wird dadurch zum
geopolitischen Skandal. Einen ersten Eindruck vermittelt ein Artikel
von Paul S. HEWITT in der FAZ v. 23.03.2004. Die
Neon-Elite ist angesichts dieser anschwellenden Debatte hoffnungslos
antiquiert.
Kinderlosigkeit
wird nun wieder unter militärstrategischen Gesichtspunkten
diskutiert. Wenn aber die Verteidigungsfähigkeit des Vaterlandes von
der Gebärfreudigkeit der Frauen abhängt, dann erhöht dies den Druck
auf die Kinderlosen weit mehr, als wenn "nur" die sozialen
Sicherungssysteme bedroht sind.
KNIEBE, Tobias (2004): 1. Vorwurf.
"Die junge Generation ist bindungsunfähig!",
in: Neon, April
Tobias
KNIEBE schreibt aus der Perspektive des
individualisierten Milieus, das die
"Liebe als Religion" (Ulrich BECK)
zelebriert.
Der
französische Soziologe Jean-Claude KAUFMANN hat sich diesem neuen
Liebesmodell in dem brandaktuellen Buch
Der
Morgen danach
gewidmet. Darin geht es um den "Erfahrungshunger" bei der
Partnerwahl. Im Thema des Monat April werden die Konsequenzen
dieses neuen Liebesmodells erörtert werden KNIEBE
beschreibt die "neue Kinderlosigkeit" als Folge des neuen
Partnerschaftsideals.
DECKERT, Marc (2004): 2.Vorwurf.
"Die jungen Erwachsenen brechen den Generationenvertrag!",
in: Neon, April
Marc DECKERT will nicht einsehen,
dass die Jungen den Generationenvertrag gebrochen haben.
"Die jungen Kinderlosen pinkeln
sich selbst ans Bein. Das aber kann uns eigentlich niemand
vorwerfen, oder?"
Poppen
für die Rente findet er keinen vernünftigen Grund fürs
Kinderkriegen. In Kindern nur die Einzahler zu sehen, das ist
blanker Zynismus. Und
Kinder in eine überalternde Gesellschaft zu setzen, das will erst
recht überlegt werden. DECKERT befürchtet, dass
Zukunftsinvestitionen zugunsten des Hier und Jetzt vernachlässigt
werden.
Ach ja. DECKERT hat noch eine milde Kolumne über die jungen Milden geschrieben, die ist so milde, dass es kaum
jemanden aufregen wird. Neon
ist ein braver Teil der Konsensgesellschaft, denn wirklich brisante
Themen werden erst gar nicht aufgegriffen. Die
Verteidigung der Kinderlosen ist so lau, dass sie niemanden wirklich
provozieren wird...
SCHNITZLER, Meike (2004): 3. Vorwurf.
"Die junge Generation will nicht erwachsen werden!",
in: Neon, April
Meike SCHNITZLER stellt einen Zusammenhang zwischen der
neuen Langlebigkeit und der Fruchtbarkeit her. In
einer
Gesellschaft der Langlebigen
werden
Spätgebärende die Norm sein. Die Kehrseite ist die zunehmende
ungewollte Kinderlosigkeit und die vermehrte Inanspruchnahme der
Reproduktionsmedizin.
KIENLE, Dela (2004): 4. Vorwurf.
"Junge Frauen sind nur noch auf Karriere aus!",
in: Neon, April
Dela KIENLE weist darauf hin, dass nicht das Karriere-Paar
die Norm ist, sondern das Doppelverdiener-Paar. Die
niedrige Geburtenrate von Akademikerinnen führt KIENLE auf die
mangelhafte Versorgung mit staatlicher Kinderbetreuung zurück.
SCHNURR, Eva-Maria (2004): 5. Vorwurf.
"Junge Männer drücken sich vor der Verantwortung!",
in: Neon, April
Eigentlich sollte diesen Artikel ein
"neuer Vater" schreiben, aber offenbar hat sich keiner bereit
gefunden. Also
vertritt Eva-Maria SCHNURR hier ihre implizite Gebärstreikthese.
MOCEK, Ingo (2004): 6. Vorwurf.
"Die junge Generation hat eine völlig maßlose Auffassung von
Freizeit!",
in: Neon, April
Der übliche Spaßgesellschafts-Vorwurf mit seinen
porschefahrenden kinderlosen Egoisten ist eigentlich allseits
bekannt. Ingo MOCEK führt ihn nochmals weitschweifend aus, um ihn
anschließend kurz zurück zu weisen.
STOLLE, Oliver (2004): 7. Vorwurf.
"Die deutsche Kulturnation stirbt aus - und der jungen Generation
ist das egal!",
in: Neon, April
Oliver STOLLE plädiert im Gegensatz zum Geburtenwettlauf à
la Herwig BIRG für mehr Zuwanderung.
KLOTZEK, Tim (2004): 8. Vorwurf.
"Die junge Generation traut sich nicht, das materielle Risiko
einzugehen, das Kinder nun mal mit sich bringen!",
in: Neon, April
Tim KLOTZEK rechnet uns noch einmal vor, was Kinder
kosten, um dann das Kostenargument zur Seite zu schieben. Eher
mangelt es ihm an Sicherheit angesichts des Schwindens von
Normalarbeitsplätzen.
KONIETZKA, Dirk &
Michaela KREYENFELD (2004): Angleichung oder Verfestigung von
Differenzen?
Geburtenentwicklung und
Familienformen in Ost- und Westdeutschland,
in: Berliner Debatte Initial 15, 4, S.26-41
"Nach einem
drastischen Rückgang in den Jahren 1992 - 1994 auf einen
historischen Tiefstand von 0,8 stieg die zusammengefasste
Geburtenziffer schließlich in der zweiten Hälfte der 1990er
Jahre wiederum an. Im Jahr 2000 lag sie in den neuen Ländern bei
1,2 und damit (nur noch) etwas niedriger als in den alten
Ländern.
(...).
Die Geburtenentwicklung könnte demnach auf die Formel
»erst Krise, dann
Angleichung« an das (niedrige) westdeutsche Geburtenniveau
gebracht werden.
Diese Interpretation scheint zwar durch den Verlauf der
zusammengefaßten Geburtenziffer gedeckt. Sie ist
nichtsdestotrotz ein Trugschluß über die Geburtendynamik, der
eng mit den Eigenschaften der statistischen Maßzahl der
zusammengefaßten Geburtenziffer zusammenhängt" (S.27f.),
kritisierten Dirk KONIETZKA &
Michaela KREYENFELD die herrschende Sichtweise zur Entwicklung
der Geburtenrate in den alten und den neuen Bundesländern.
BIRG, Herwig (2004): Generationenstreß.
Mit und
ohne Nachkommen: Die Demographie wird zum Krisenherd,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 02.04.
Herwig BIRG darf -
dank Generation Methusalem-SCHIRRMACHER - im Vorfeld
der Veröffentlichung der neuesten Geburtenzahlen durch das
Statistische Bundesamt, schon einmal die erwünschten
Denkbahnen prägen, auf denen sich die öffentliche Debatte
bewegen soll:
"Wir sind mitten in
einem neuen Geburtenrückgang, der ab 2030 wiederum zu
einem Eltern- beziehungsweise Geburtenrückgang führt."
Diesen zentralen
Satz finden wir nach einer langen Einleitung, in der das
Altern der Gesellschaft auf das Problem der Unterjüngung
reduziert wird.
Zwischen 1965
und 1978 gingen die Geburtenzahlen in Westdeutschland von
ca. 1,05 Mill. um 500.000 auf ca. 550.000 Geburten zurück.
Die Frauen des Jahrgangs 1964 sind mittlerweile im 40.
Lebensjahr, d.h. dieser geburtenstärkste Jahrgang wird kaum
mehr zur Geburtenrate der kommenden Jahre beitragen. Ein
drastischer Rückgang der Geborenenzahlen ist also in den
nächsten Jahren zu erwarten - selbst wenn
die Geburtenrate in den letzten Jahren angestiegen ist,
wie single-generation.de - im Gegensatz zu BIRG
annimmt.
Die absolute Zahl der Geburten wird also zurück gehen und
nur darauf spielt BIRG an. Nichts ist damit darüber
ausgesagt, ob die jungen Frauen tatsächlich gebärfauler
sind, als ihre Vorgängerinnen. Dieser Punkt ist es jedoch,
der von BIRG verschwiegen wird, und der von
single-generation.de hervorgehoben wird.
Es geht hier um die
zentrale Frage, ob junge Singles die GANZEN LASTEN der
zukünftigen demografischen Entwicklung tragen müssen. Es ist
zumindest offensichtlich, dass die 68er-Generation
genau das politisch durchsetzen möchte. Der Baby-Boom der
1960er Jahre ist im Grunde eine
Altlast der Generation Adolf HITLER.
Ohne die infolge des zweiten Weltkrieges ausgefallenen
Geburten und den dann in den Zeiten des Wirtschaftswunders
nachgeholten Geburten hätte es kaum zu einem solch
außergewöhnlichen Baby-Boom kommen können. Dieser Aspekt
wird jedoch in allen Debatten konsequent ausgeblendet,
stattdessen wird der schwarze Peter jenen Generationen
zugeschoben, die in diese a-normale Altersstruktur
hineingeboren wurden. Mit moralischen Totschlagargumenten
soll jeder Widerstand gegen die geplanten Reformen zu Lasten
der jungen Generation bereits im Keim erstickt werden.
Wenn jetzt gut
situierte Rentner auf die Straße gehen, um ihren Besitzstand
zu verteidigen, dann werden sich die jungen Singles dazu
genötigt sehen, aus dem Rentensystem auszusteigen! Niemand
kann sie dazu zwingen, Beitragszahler in einem System zu
werden, das radikal von jung zu alt umverteilt. Die Flucht
in die Selbstständigkeit oder in die Reduzierung der
Arbeitszeit wird dem Rentensystem die notwendigen Beiträge
entziehen.
Nicht Voice, sondern EXIT ist
die Konsequenz. Das Rentensystem
würde dadurch vorzeitig kollabieren. Dies würde dann bereits
die 68er-Generation treffen und nicht erst - wie
geplant - die Post-68er.BIRG
beschreibt in seinem Artikel fünf angeblich demografisch
verursachte Konfliktlinien:
1) der
Interessengegensatz zwischen Jung und Alt
2) der Interessengegensatz zwischen alten und neuen
Bundesländern
3) der Konflikt zwischen der "autochthonen"
(alteingesessenen, eigentlich müsste es hier deutsche
Bevölkerung heißen, denn alle Bevölkerungspolitik ist im
Kern nationalistisch!) und der zuwandernden Bevölkerung
4) den Krieg der Familien(-haushalte) gegen die
Single(-haushalte), den BIRG und Kumpanen gerade mit aller
Macht anzetteln zu versuchen
5) der Konflikt zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.
Wo Konflikt ist, da
ist der Streß nicht weit und BIRG spricht in diesem
Zusammenhang vom "Generationenstreß". Was BIRG jedoch
verschweigt: die genannten Konfliktlinien beruhen auf einer
speziellen Problemdefinition und auf einem ganz speziellen
Lösungsversuch. Grundlage ist der
katholische
Sozialstaat.
In dieser Sicht wird von einem Drei-Generationen-Vertrag
ausgegangen. In seiner zu Ende gedachten Konsequenz wird
oftmals die
Beitragsdifferenzierung nach Kinderzahl
propagiert.
Die Politikwissenschaftler NULLMEIER & RÜB ("Die
Transformation der Sozialpolitik") haben diesen Denkansatz
folgendermaßen charakterisiert:
"Die
Beitragssatzdifferenzierung nach Kinderzahl verschiebt die
gesellschaftliche Verantwortung für Bevölkerungszahl und
Altersstruktur auf die Familie; Arbeitnehmer und Staat
bleiben von der Finanzierung des generativen Beitrags
verschont. Der Familienlastenausgleich, immer dem Staat
als ureigenste Aufgabe zugeschrieben (...), würde zu einer
internen Angelegenheit der Arbeitnehmerschaft werden."
(1993, S.382)
In dieser Sicht wird
ein ursprünglicher Klassenkonflikt elegant zum Konflikt
innerhalb der Arbeitnehmerklasse (Sozialismus in einer
Klasse à la LaFONTAINE) umgebogen. Familien- und
Bevölkerungspolitik wird dadurch von den lebenslang
Kinderlosen (zu wenig) UND den Kinderarmen (Ein- und
Zwei-Kind-Familie) finanziert.
"Der Staat kann so
als Finanzier des Familienlastenausgleichs zurücktreten,
diese öffentliche Aufgabe in die Gesellschaft
rückverlagern und auf eine Teilgruppe der Bevölkerung
abwälzen" (1993, S.387).
Aus den Ausführungen
wird deutlich, warum Unternehmer, Arbeitgeber, Selbständige
und Staat an einem Strang ziehen, während sich abhängig
beschäftigte Eltern und Kinderlose erbitterte Kämpfe
liefern.
"Im Jahr 2003
wurden 715 000 Kinder lebend geboren, 9 000 oder 1,3% weniger
als 2002. Die Geburten gehen damit seit 1991, mit Ausnahme der
Jahre 1996 und 1997, zurück. Die Zahl der Sterbefälle war von
1993 bis 2001 ständig gesunken und dann 2002 erstmals wieder
angestiegen. Mit rund 858 000 Sterbefällen gab es im Jahr 2003
erneut ein Plus von 13 000 bzw. 1,6%. 2003 starben somit etwa
143 000 Menschen mehr, als Kinder geboren wurden. Im Jahr 2002
war das Geburtendefizit um etwa 23 000 geringer ausgefallen",
meldet das Statistische Bundesamt.
Obwohl die
Überschrift eigentlich eine Negativschlagzeile ist, sind die
veröffentlichten Zahlen sensationell:
"Nach den
vorläufigen Ergebnissen der Behörde wurden 2003 rund 715 000
Kinder lebend geboren, das sind 9000 oder 1,3 Prozent weniger
als 2002."
Ein
solch geringer Geburtenrückgang ist angesichts des dramatischen
Geburtenrückgangs in den 1960er/1970er Jahren nicht zu erwarten
gewesen (siehe hierzu den
Kommentar zum
Artikel von Herwig BIRG). Zumindest
wenn man den offiziellen Verlautbarungen folgt.
Ohne eine starke Zunahme von
Spätgebärenden ist dies nicht erklärbar. 1969 wurden z.B. allein
in Westdeutschland ca. 90.000 weniger Kinder geboren als im Jahr
1970. Trotz des Geburtenrückgangs könnte deshalb erstmals die
Geburtenrate nach oben weisen. Dies wäre - aufgrund der
wirtschaftlichen Situation - eigentlich doppelt überraschend...
Die FAZ
verspricht Hintergründe zum aktuellen Geburtenrückgang.
Dazu präsentiert
man den Bevölkerungswissenschaftler Jürgen DORBRITZ.
Keine der Fragen, die Kinderlose interessieren könnten, werden
jedoch gestellt, geschweige denn beantwortet.
Unsere Bevölkerungswissenschaftler stellen sich taub. Es werden
weiterhin die nicht mehr haltbaren Zahlen der Vergangenheit
verteidigt.
Kein Wort
darüber, dass
Gert HULLEN anhand des Münchner
Familiensurvey die Daten der Bevölkerungsfortschreibung
widerlegt hat. Der Anteil der in den 1960er Jahren geborenen
kinderlosen Frauen ist nach dieser repräsentativen Befragung um
die Hälfte niedriger als es die Zahlen der amtlichen Statistik
ausweisen.
Solange dies nicht in der Öffentlichkeit diskutiert wird, sind
unsere deutschen Bevölkerungswissenschaftler nicht mehr ernst zu
nehmen!
Spiegel Online nutzt die
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamtes, um eine aktive
Bevölkerungspolitik zu fordern. Vom nationalkonservativen
Bevölkerungswissenschaftler
Herwig BIRG über
Susanne MAYER von der ZEIT bis zum ostdeutschen Hardliner
Thomas KRALINSKI
reicht das Spektrum der zitierten Sozialpopulisten, die mittels
Horrorszenarien die Biologisierung sozialer Konflikte betreiben.
VAUPEL, James W. (2004): Deutschlands
größte Herausforderung.
Wider die
demografische Ignoranz: Unsere Lebensläufe und die unserer
Kinder werden sich ändern, weil das Leben länger dauern wird,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.04.
Der US-amerikanische
Demograf James W. VAUPEL, der an der Universität Rostock
Honorarprofessor ist, gibt sich erstaunlich selbstkritisch:
"Im Gegensatz zur
begrenzten Zahl konstruktiver Beiträge ist ein Großteil der
jüngsten Diskussion über die Bevölkerungsentwicklung geprägt
von Übertreibungen, Schreckensszenarios, uniformierten
Spekulationen und Fatalismus".
VAUPEL wirbt für eine
verstärkte demografische Forschung.
Im Gegensatz zu Herwig BIRG
formuliert VAUPEL das Kinderlosenproblem wesentlich
vorsichtiger:
"Vermutlich haben sich
manche jüngere Deutsche noch nicht gänzlich gegen Kinder
entschieden, sondern schieben ihren Kinderwunsch lediglich
auf, weshalb die zukünftigen Geburtenraten etwas steigen und
durchschnittlich 1,5 oder 1,6 Kinder pro Familie betragen
könnten. Allerdings bleibt ein Viertel der jungen Deutschen
bis zum Alter von fünfzig Jahren kinderlos, während drei
Viertel die notwendige Zahl von zwei Kindern erfüllen."
VAUPEL, Jahrgang 1945
und selbst ein später Vater, kennt die Probleme offenbar aus
eigener Erfahrung und ist deshalb aufgeschlossener als unsere
deutschen Bevölkerungswissenschaftler. Während
Sozialpopulisten behaupten, dass nur schnelle Reformen gute
Reformen seien, behauptet VAUPEL, dass das Zeitfenster für
Reformen länger offen sei:
"Es gibt einen
zeitlichen Spielraum für die Reformen. Der Umbau sollte zwar
umgehend beginnen, kann sich aber auf die nächsten
Jahrzehnte erstrecken."
VAUPEL hofft, dass rege
Forschung politische Entscheidungsfindung erleichtert. Man
würde sich wünschen, dass deutsche Bevölkerungswissenschaftler
ebenfalls selbstkritischer wären und nicht ihr Heil in
Demagogie suchen würden. Langfristig führt dies zu einem
Glaubwürdigkeitsverlust. Spätestens wenn die Geburtenrate
stärker steigt, als von unseren Bevölkerungswissenschaftlern
behauptet, wird man sie zur Rede stellen. Und dann können sie
sich nicht mehr damit herausreden, dass dies nicht
vorhersehbar war!
WEIGUNY, Bettina
(2004): Und ein Gläschen zum Dessert.
Deutschland vergreist. Die Geburtenrate erreicht den tiefsten
Stand in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Hersteller von
Baby-Produkten brauchen dringend eine neue Zielgruppe: Die
Senioren. Jedes fünfte Obst-Gläschen ißt bereits ein
Erwachsener,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 11.04.
Der Artikel
ist ein gutes Beispiel dafür wie in Deutschland mit
demografischen Daten Demagogie betrieben wird. Die
Bundesrepublik existiert für Bettina WEIGUNY erst seit 1990, dem
Jahr als zum ersten Mal statistische Daten für Gesamtdeutschland
erhoben wurden. Durch den dramatischen Geburtenrückgang in den
neuen Bundesländern, wo sich die Geburtenzahlen mehr als
halbierten, kann man einen gesamtdeutschen Geburtenrückgang von
ca. 200.000 Geburten konstruieren. Tatsächlich hätte die
Babynahrungsindustrie ohne die Wiedervereinigung einen
wesentlich geringeren Absatzmarkt gehabt. 1989 wurden in den
alten Bundesländern ca. 681.000 Kinder geboren. Dies müsste der
Vergleichsmaßstab sein. Inwieweit Deutschland die niedrigste
Geburtenrate hat, das muss sich erst noch zeigen. Die absoluten
Zahlen sagen noch nichts über die Geburtenrate aus.
HUMMEL,
Katrin (2004): Wie eine
Gemeinde die Geburtenfreude steigert.
Das
Beispiel Laer bei Münster. Wo die Ganztagsbetreuung gesichert
ist, entscheiden Frauen sich leichter fürs Kinderkriegen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.04.
Neben dem urbanen
Popelternmodell à la Prenzlauer Berg existiert noch die
katholische Landvariante im nordrheinwestfälischen Laer. Von
dort berichtet MEL. Was dabei zu beachten ist: Sozialpopulisten
nehmen den Geburtenrückgang, d.h. den zahlenmäßigen Rückgang von
Geburten, gerne zum Anlass, um die jungen Singles zu verdammen.
Heutzutage ist es jedoch so, dass hinter einem Geburtenrückgang
eine Steigerung der Geburtenrate, d.h. mehr Geburten pro Frau im
gebärfähigen Alter stehen kann. Dies ist in Laer der Fall.
Und es könnte auch bundesweit der Fall sein.
Der vor kurzem gemeldete
Geburtenrückgang sagt für sich genommen also noch nichts aus.
SCHWÄGERL,
Christian (2004): Im alten Land.
Raum ohne Volk: Zwischen Usedom
und Fichtelgebirge wird man schon im Jahr 2020 kaum noch
Menschen begegnen,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 23.04.
PETER, Joachim
(2004): Die Gegensätze verschärfen sich.
Bevölkerungswanderungen in wohlhabende Gebiete - Dramatischer
Geburtenrückgang - Der Osten verliert,
in: Welt v. 23.04.
COLEMAN, David A. (2004): Im Angesicht des 21. Jahrhunderts.
Neue
Entwicklungen und alte Probleme,
in: pro familia magazin, Schwerpunkt Familienpolitik
= Bevölkerungspolitik, H.1,S.23-24
Deutsche
Bevölkerungswissenschaftler und Politiker dramatisieren
gegenwärtig den Geburtenrückgang.
Bert RÜRUP hat in seinem Gutachten
Nachhaltige Familienpolitik im Interesse einer aktiven
Bevölkerungsentwicklung die
Kinderlosigkeit zum zentralen gesellschaftlichen Problem
erklärt. Dies ist eine Kriegserklärung an die Singles in
Deutschland. RÜRUP schließt sich in seiner Argumentation, die
empirisch wenig stichhaltig ist, den Verfechtern einer
Polarisierungsthese an. Für diese
Hardliner ist die entscheidende Frage, ob Frauen überhaupt
Mütter werden, d.h. es geht diesen Polarisierern darum, die
Freiheit der Reproduktion einzuschränken.
RÜRUP blendet alle wissenschaftlichen Ergebnisse aus, die seiner
Argumentation widersprechen könnten. Zum einen wird behauptet,
dass die Erhöhung des Erstgebäralters mit einer niedrigeren
Geburtenrate verbunden ist.
Dem
widersprechen eindeutig die
Erkenntnisse von Gert HULLEN.
RÜRUP und seine Co-Autorin müssen den Beitrag kennen, denn sie
zitieren andere Autoren aus dem DJI-Sammelband Partnerschaft
und Familiengründung, in dem HULLENs Ergebnisse publiziert sind.
In dem
neuesten Heft des pro familia magazins wird das Gutachten
von RÜRUP diskutiert.
Der wichtigste Beitrag stammt jedoch von
dem
britischen Demografen David A. COLEMAN, der an der Oxford
University lehrt. Er behauptet, dass
inzwischen ein gewisses Einvernehmen darüber bestehe, dass das
tatsächliche Geburtenniveau höher sei, als es die meisten
europäischen Länder ausweisen. Single-generation.de hat
des Öfteren auf diese Sachverhalt hingewiesen. Im
RÜRUP-Gutachten heißt es dagegen:
"Im Jahr 2001
betrug für Deutschland die zusammengefasste Geburtenziffer 1,29
(...). Für die neuen Bundesländer gehen Schätzungen sogar von
einer niedrigeren Geburtenhäufigkeit von 1,2 aus. Da das
bestandserhaltende Niveau einer Bevölkerung bei 2,1 Kindern pro
Frau liegt, wird jede Elterngeneration in Deutschland nur zu
etwa zwei Dritteln durch Kinder ersetzt werden." (S.8).
Während RÜRUP von 1,2 Kindern pro Frau spricht,
schreibt COLEMAN, dass sich das Geburtenniveau in Deutschland
knapp unter 1,7 Kindern pro Frau stabilisiert habe.
Wie ist es möglich, dass es eine solch gravierende Differenz in
der Einschätzung der deutschen Geburtenrate gibt?
Die Erklärung liegt
darin, dass RÜRUPs Geburtenniveau keinen Unterschied zwischen
jüngeren und älteren Frauenjahrgängen macht. Die Erhöhung des
Erstgebäralters bei jüngeren Frauenjahrgängen hat jedoch dazu
geführt, dass der traditionelle Ansatz in der Beschreibung des
Geburtenverhaltens versagt. Dies hat
Gert HULLEN anhand des Familiensurvey
empirisch nachgewiesen.In
Deutschland wird diese Erkenntnis jedoch von den Medien bislang
totgeschwiegen. COLEMANs Beitrag macht dies zum ersten Mal
außerhalb des Fachpublikums öffentlich.
Der
belgische Demograf Ron LESTHAEGHE
hatte bereits im Rahmen des Pflegeurteils 2001 die Sicht der
deutschen Demografen kritisiert. Vom Interview in der
Berliner Zeitung nahm jedoch - außer single-dasein.de -
niemand Notiz.
Wie lange lässt sich dieses Thema noch von unserer Elite
unterdrücken? Wenn Singles diese Fakten nicht vehement in die
öffentliche Debatte einbringen, dann wird das niemand tun.
Stellen Sie die Politiker zur Rede. Konfrontieren Sie die
Politiker mit diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Es ist
keineswegs so, dass dieses Thema nur lebenslang Kinderlose
angeht. Ganz im Gegenteil! Die Hauptlast der neuen
Bevölkerungspolitik werden die Eltern tragen, deren Kinder nicht
mehr im Haushalt leben - allein schon deswegen, weil sie die
Mehrheit sein werden!
Die FAZ ("Von 2005 an höherer
Pflegebeitrag für Kinderlose", 29.04.2004) hat darauf hingewiesen, dass
Kinderlose - und hier sind eben nicht ausschließlich lebenslang
Kinderlose gemeint, einen höheren Beitrag zur Pflegeversicherung
zahlen sollen. Dies wäre der Einstieg in den
katholischen
Sozialstaat.
Ein solcher Einstieg ist mit
gravierenden Folgen verbunden, der offenbar kaum jemanden
bewusst ist, denn sonst müsste ein wütender Protest durch die
Republik gehen.
Die Polarisierer arbeiten mit einem weiten Kinderlosenbegriff,
der alle Menschen, die gerade nicht mit Kindern in einem
Haushalt leben zu Kinderlosen umdefiniert.
Auch der
Geburtenrate, die von RÜRUP verwendet wird, unterliegt ein
weiter Kinderlosenbegriff, insofern potentielle Eltern als
lebenslang Kinderlose gezählt werden. Bei COLEMAN ist das nicht
im gleichen Ausmaß der Fall, denn die jahrgangsspezifische
Geburtenrate ist sich der Verzerrung durch späte Erstgeburten
bewusst.
Seit einiger Zeit wird gerne auf das
Vorbild Frankreich verwiesen. Frankreich sei ein einig
Familienland. 1,9 Geburten je Frau wird uns Deutschen
vorgerechnet.
In der aktuellen Titelgeschichte des
Pariser Magazins Nouvel Observateur
("Les nouveaux célibataires", 29.04.2004) geht es um die neuen Singles in Frankreich. Von 1999 bis
heute sind laut Marie LEMONNIER die Single-Haushalte in
Frankreich um 5 Millionen auf ca. 14 Millionen angestiegen.
In Deutschland
gab es dagegen den letzten starken Anstieg der Single-Haushalte
in den 1980er Jahren.
Stefan HRADIL, der
Singles zu Pionieren der Moderne stilisiert hatte,
musste vor einiger Zeit sogar zugeben, dass die Entwicklung der
Single-Haushalte in Deutschland unter den Erwartungen zurück
geblieben sei.
Frankreich
beweist zu allererst, dass der Zusammenhang zwischen
Geburtenrate und Anstieg der Einpersonenhaushalte keineswegs ein
negativer sein muss. Ein Anstieg der Single-Haushalte darf also
nicht mit einem Rückgang der Geburtenrate verwechselt werden,
obwohl das gerne nahe gelegt wird.
Nicht verschwiegen werden soll jedoch, dass LEMONNIER in ihrem
Beitrag auch die Alleinerziehenden ("monoparents") zu den
Singles zählt. Aber auch wenn man diese 1,8 Millionen
Alleinerziehenden abzieht, bleibt unter dem Strich ein starker
Anstieg übrig.
David A.
COLEMAN weist in seinem Beitrag darauf hin, dass der
französische Babyboom überschätzt wird. Deutschland steht
dagegen angesichts des dramatischen Geburtenrückgangs in den
neuen Bundesländern gar nicht so schlecht dar. COLEMAN verweist
darauf, dass der Geburtenrückgang in Italien, Spanien und
Österreich stärker sei, als dies in der traditionellen
Berechnung der Geburtenrate zum Ausdruck komme. Im nächsten Heft
des pro familia magazin soll der Beitrag von COLEMAN in
voller Länge publiziert werden. Dann findet sich hoffentlich
auch ausführlicheres Zahlenmaterial.
Mit dem
Beitrag von COLEMAN ist nun hoffentlich auch in Deutschland die
Debatte um die Berechnung der Geburtenzahlen eröffnet, die im
internationalen Rahmen bereits seit längerem geführt wird.
"Solange
wir kein Kind hatten und die bundesdeutsche Wirtschaft gut lief,
konnte uns die Diagnose, ausdifferenzierte moderne
Gesellschaften krankten an mangelndem Grundkonsens, nicht
schrecken. Als aber unser Sohn da war, sah die Welt von Grund
auf anders aus. Nicht bloß weil aus Doppelverdienern zunächst
Einfachverdiener wurden, die im Lauf der Jahre lernten, mit
anderthalb nicht wachsenden Monatsgehältern auszukommen."
In den letzten Jahren häufen
sich Artikel, in denen sich Yuppie-Paare, die zu Eltern mutiert
sind, als Letzte ihrer Art präsentieren dürfen.
Quasi
als Vorgriff auf den letzten Deutschen, wie ihn der Spiegel
vorgestellt hat, stilisieren sie sich zu Exoten:
"Die
Statistiken über die niedrige bundesdeutsche Geburtenrate,
kulminierend in dem Umstand, dass mehr als vierzig Prozent der
deutschen Akademikerinnen kinderlos sind, wurden für uns Teil
einer bedrohlich konkreten Lebensrealität."
MEDICUS, 1953 geboren,
versucht mittels einer Statistik seiner Dramatisierung
Glaubwürdigkeit zu verpassen.
Tatsächlich ist keine
Statistik weniger unglaubwürdig als die Erfassung der
Kinderlosigkeit.
Die von MEDICUS missbrauchte
Statistik bezieht sich weder auf seinen Jahrgang, noch auf
arbeitende Kolleginnen.
Sollte jemand
irgendwann einmal eine Statistik über die Anzahl von Artikeln,
die von jammernden Vätern und Müttern in Mitte-Zeitungen
verfasst worden sind, erstellen, dann müsste er feststellen,
dass kinderlos offenbar immer nur die anderen sind...
DORBRITZ,
Jürgen (2004): "Nur Tempoeffekte, aber kein Babyboom".
"Gerontokratie? Nichts da! Bald kommt
der Babyboom", so überschrieb Detlef Gürtler einen Artikel, der
am 19.08.2003 in der "Welt" erschien. Dort wurde ein dritter
demographischer Übergang vorhergesagt, der nicht - wie die
beiden ersten - zu einem deutlichen Geburtenrückgang führen
wird, sondern einen neuen Baby-Boom bringen soll,
in: BIB-Mitteilungen, Nr.2 v. 22.06.
Das Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung (BIB) hat sich fast ein Jahr Zeit
gelassen, um auf die
berechtigte Kritik von Detlef GÜRTLER
zu reagieren.
Die Verteidigung von Jürgen
DORBRITZ fällt dementsprechend äußerst mager aus und muss
deshalb als Rückzugsgefecht gewertet werden.
DORBRITZ bestätigt die
Richtigkeit der Berechnungen von GÜRTLER, möchte dessen
Schlussfolgerungen aber nicht ganz folgen. Nichtsdestotrotz
spricht DORBRITZ nun erstmalig vom Ende des Geburtenrückgangs
in Westdeutschland (Aus internationaler Perspektive wurde
dieser bereits im Jahr 2002 von
John BONGAARTS
für die Industrieländer prognostiziert). Der Geburtsjahrgang
1968 markiert hier den Geburtentiefpunkt:
"Die bislang für einen westdeutschen
Geburtsjahrgang niedrigste endgültige Kinderzahl wird mit
1439 für die 1968 geborenen Frauen geschätzt. Für die danach
geborenen Frauen (1969, 1970) erwarten wir mit 1456 bzw.
1472 leichte Anstiege der endgültigen Kinderzahl. Der
Rückgang der endgültigen Kinderzahlen, der bereits seit dem
Jahrgang 1933 (2224) bestand, ist damit abgeschlossen."
DORBRITZ unterscheidet
strikt zwischen dem Ende des Geburtenrückgangs in den alten
Bundesländern und einem sich anbahnenden neuen Babybooms:
"Ein sich anbahnender Geburtenboom ist in
diesen Zahlen jedoch nicht zu erkennen. Bei genauerem
Hinsehen stellt man fest, dass 1. die im Zeitraum zwischen
1968 und 1975 geborenen Frauen ihre Kinder etwas früher
geboren haben und es 2. einige wenige Jahrgänge geben
könnte, die wieder eine etwas höhere endgültige Kinderzahl
erreichen".
DORBRITZ verweist in seiner
Argumentation auf die Entkopplung zwischen dem
durchschnittlichen Erstgebäralter und der endgültigen
Kinderzahl.
Diese Entkopplung hat Gert HULLEN jedoch
bereits im Jahr 2003 in seinem Beitrag
Tempo und Quantum der Reproduktion
empirisch nachgewiesen. Auch hier wird also nur zugegeben, was
den Experten sowieso bereits seit längerem bekannt ist. Darauf
wurde bislang nur von single-dasein.de und
single-generation.de hingewiesen, während in der
öffentlichen Debatte
weiterhin ein enger Zusammenhang zwischen beiden Faktoren
hergestellt wird. Es geht dabei immer um die Inszenierung des
Aussterbens der Deutschen.
DORBRITZ belegt diese Entkopplung mit den beiden willkürlich
herausgegriffenen Frauenjahrgängen 1965 und 1972.
In seiner weiteren
Argumentation geht DORBRITZ auf den Babyboom der Anfang 1970
geborenen Frauen ein:
"Zweitens haben die in der ersten Hälfte
der 70er Jahre geborenen Frauen mehr Kinder als die in der
zweiten Hälfte der 60er Jahre Geborenen. Der Geburtsjahrgang
1973 hatte, bezogen auf 1000 Frauen im Alter 27, 597 Kinder.
Im Jahrgang 1968 waren es nur 558".
Die Argumentation von DORBRITZ, dass sich
dieser Babyboom bei den nach 1975 geborenen Frauen nicht
fortsetzt, steht jedoch angesichts der Entkopplungsthese auf
tönernen Füßen, weshalb er hinzufügt, dass hierzu eine
"endgültige Beurteilung noch nicht erfolgen kann".
Die Frage, ob sich ein
Babyboom anbahnt oder nicht, lässt sich - entgegen der
großmäuligen Überschrift - anhand der Daten von DORBRITZ also
gar nicht entscheiden. Damit kann DORBRITZ auch die These von
GÜRTLER letztendlich nicht mit wissenschaftlichen Mitteln
widerlegen, sondern DORBRITZ missbraucht das
Interpretationsmonopol des BIB.
Das Problem der Demografen
besteht darin, dass Babybooms nur retrospektiv (d.h.
rückblickend) und nicht prospektiv (d.h. vorausschauend)
erfasst werden können.
Obgleich Karl SCHWARZ in seiner
Erwiderung auf den amerikanischen Demografen
James VAUPEL (FAZ vom 08.04.2004)
den Erkenntnisstand der deutschen Demografen als hervorragend
dargestellt hatte, muss DORBRITZ diverse Defizite eingestehen.
Zum einen können die
Demografen den Babyboom (definiert als Anstieg der
zusammengefassten Geburtsziffer, d.h. der Geburten aller
Frauen im gebärfähigen Alter von 15 und 45 Jahren) Anfang der
90er Jahre nicht erklären:
"Dieser Anstieg der Geburtenhäufigkeit um
1990 ist (...) nicht nur ein in Deutschland aufgetretenes
Phänomen. Er ist sehr deutlich in Schweden und Norwegen
ausgeprägt. Man findet ihn aber auch in den Niederlanden
oder in Österreich, er ist aber nicht für alle europäischen
Länder (insbesondere Südeuropa) charakteristisch. Warum
diese temporären Effekte um 1990 in einigen Ländern
aufgetreten sind, lässt sich nicht beantworten."
Zum anderen ist die
Geburtenentwicklung selbst in Deutschland enorm uneinheitlich.
Zwischen den alten und neuen Bundesländern, aber auch regional
differenziert stehen sich sozusagen Geburtenrückgänge und
Geburtenwachstum gegenüber. Solange für die deutschen
Bevölkerungswissenschaftler einzig die zusammengefasste
Geburtenziffer die Maßzahl ist, mit der ein Babyboom
beschrieben wird, solange sind auch in Zukunft keine besseren
Prognosen der Geburtenentwicklung zu erwarten. Die Meldung:
Huch! Wir hatten einen Babyboom, wird deshalb auch in Zukunft
keine Überraschung sein.
Eines ist jedoch deutlich geworden: Die
Beurteilung der Gebärfaulheit der jüngeren Frauenjahrgänge
lässt sich nicht mehr in jener sozialpopulistischen Form
behaupten wie dies
im Anschluss an Susanne GASCHKE
immer wieder versucht wird.
Der Trend eines kontinuierlichen
Geburtenrückgangs wie er die
politische Konstruktion der Geburtenkrise
beherrscht, ist durch DORBRITZ in jedem Fall widerlegt.
KAUFMANN,
Franz-Xaver (2004): Gibt es einen Generationenvertrag?
Gerechtigkeit zwischen den Generationen, Verträge mit
Ungeborenen: Was steckt hinter den politisch aufgeladenen
Begriffen? Die Gerechtigkeit ist es nicht, der gängigen Lesart
entsprechend, in erster Linie eine Frage der Finanzen. Sie hängt
vor allem an der Zahl der Geburten und der damit verbundenen
Bevölkerungsentwicklung,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.07.
Der Soziologe
Franz-Xaver
KAUFMANN,
Angehöriger der Flakhelfer-Generation, verlässt mit diesem
Artikel den Boden der seriösen Wissenschaftlichkeit und mischt
sich parteiisch in die politische Debatte ein.
Um seine
Polarisierungsthese des Geburtenrückgangs
(dieser wird als das zentrale deutsche Problem beschrieben) zu
begründen, blendet KAUFMANN den Beitrag der Zuwanderung zur
Bevölkerungsentwicklung aus, und widmet sich stattdessen der
Mechanik der Reproduktion, die er folgendermaßen
veranschaulicht:
"Bei einer Fertilität von
1,4 Kindern haben 1000 zwischen 1955 und 1975 geborene Frauen
667 erwachsen werdende Töchter, welche nun zwischen 1985 und
2015 bei gleicher Fertilität nur noch 444 Töchter oder
Enkelinnen ins Erwachsenenalter bringen."
In dieser Rechnung - das
verschweigt KAUFMANN jedoch - sind jede Menge Unbekannten
verborgen.
Zum
einen ist die deutsche Fertilitätsrate selber umstritten. Nach
internationalen Schätzungen liegt sie
mittlerweile bei 1,6 bis 1,7
Kinder pro gebärfähiger Frau.
Zum anderen
ist die
Annahme einer gleich bleibenden
Geburtenrate bis 2015 ebenfalls eine Annahme, die wenig
überzeugend ist.
Angenommen wird eine
Verhaltenskonstanz, die bereits für die letzten 30 Jahre nicht
gestimmt hat. In den neuen Bundesländern ist z.B. die
Geburtenrate dramatisch eingebrochen. Daraus lässt sich
ableiten, dass die Menschen sehr wohl auf veränderte
gesellschaftliche Bedingungen mit einem veränderten
Geburtenverhalten reagieren.
KAUFMANN möchte den
Geburtenausfall der letzten 30 Jahre als Investitionslücke
begreifen. Damit hat er die Sündenböcke für die desolate Lage in
Deutschland identifiziert:
"Die Staatsverschuldung,
oft als Verletzung der Generationengerechtigkeit thematisiert,
wie auch die Finanzierungsprobleme des
Sozialversicherungssystems haben ihren Kern in dem Umstand,
daß die seit etwa 1950 geborenen Generationen zahlenmäßig so
geringen Nachwuchs hervorgebracht haben, daß die
nachwachsenden Generationen in ihrer Handlungsfreiheit
erheblich eingeschränkt und mit den Verpflichtungen »die die
vorangehenden Generationen ihnen hinterlassen haben,
überfordert werden«".
Die
politische Konstruktion dieser
angeblichen Geburtenkrise
wurde bei single-generation.de bereits ausführlich
dargestellt.
Nimmt man den
Babyboom der 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts - also einen
Ausnahmezustand - als Ausgangspunkt der demografischen
Entwicklung, dann erscheint KAUFMANNs Sicht logisch.
In einer historischen Sicht zeigt
sicht jedoch schnell, dass seit 1900 kaum eine Generation ihren
Beitrag zur Bestandserhaltung geleistet hat. Einzig die
Nazigeneration hat uns einen Baby-Boom beschert. Zwei Kriege
haben zudem die Bevölkerungspyramide erheblich durcheinander
gebracht. Beide Faktoren werden von KAUFMANN ausgeblendet.
KAUFMANN hebt
weiterhin auf die Polarisierungsthese ab, die von den
Verfechtern einer nationalkonservativen
Bevölkerungspolitik bevorzugt wird.
KAUFMANN kommt deshalb zum Schluss:
"Es ist (...)
vordergründig, allein von einem Verteilungskonflikt zwischen
den Generationen zu sprechen; dahinter verbergen sich
mindestens zwei weitere Verteilungskonflikte, nämlich
derjenige zwischen den Geschlechtern und derjenige zwischen
Eltern und Kinderlosen."
Eine solche Sicht ist
identisch mit einem
Klassenkampf von oben,
der sich bei KAUFMANN mit den Vorstellungen eines katholischen
Sozialstaats deckt.
Ausgehend vom oben
genannten katholischen SCHREIBER-Plan plädiert KAUFMANN
konsequenterweise für das
Konzept der
Beitragsstaffelung nach Kinderzahl in der Rentenversicherung
wie es Hans-Werner SINN in die gegenwärtige Debatte eingeführt
hat. Er findet diesen Vorschlag als ein "in der gegenwärtigen
Situation praktikables Konzept".
WIESEMANN, Hans-Olaf
(2004): Gesellschaft im Zeitalter erhöhter Langlebigkeit.
Frank
Schirrmachers "Methusalem-Komplott",
in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr.7/8,
Juli-August
Hans-Olaf WIESEMANN, Jahrgang
1967, begrüßt den Einstellungswandel zum Demografieproblem:
"Jetzt ist die demografische
Frage, der simultane Geburtenrückgang und Anstieg der
Lebensdauer, in das gesellschaftliche Bewusstsein, in die
Talkshows unseres Leitmediums Fernsehen, gedrungen. Frank
Schirrmachers Buch
Das Methusalem-Komplott
kommt zur rechten Zeit und trägt zur Versachlichung bei",
schreibt WIESEMANN.
WIESEMANN ist offensichtlich
selbst Opfer dieser Debatte, denn einen "simultanen
Geburtenrückgang und Anstieg der Lebensdauer" gibt es in
Deutschland nicht. Dies hat kürzlich selbst das Bundesinstitut
für Bevölkerungsforschung verlautbaren lassen:
"Die bislang für einen
westdeutschen Geburtsjahrgang niedrigste endgültige Kinderzahl
wird mit 1439 für die 1968 geborenen Frauen geschätzt. Für die
danach geborenen Frauen (1969, 1970) erwarten wir mit 1456 bzw.
1472 leichte Anstiege der endgültigen Kinderzahl. Der Rückgang
der endgültigen Kinderzahlen, der bereits seit dem Jahrgang 1933
(2224) bestand, ist damit abgeschlossen." (Jürgen
DORBRITZ in den BIB-Mitteilungen vom 22.06.2004)
GIERTH, Matthias (2004): Hilfe, wir schrumpfen!
Deutschland braucht eine neue Bevölkerungspolitik.
Der Geburtenrückgang droht 2004 alle Negativrekorde zu schlagen.
Die Parteien reagieren hilflos: Ganztagsbetreuung allein löst
das Problem nicht,
in: Rheinischer Merkur Nr.36 v. 02.09.
GIERTH
fordert angesichts des erwartbaren Geburtenrückgangs eine neue
Bevölkerungspolitik.
Was GIERTH jedoch verschweigt: der Geburtenrückgang aufgrund der
Tatsache, dass nun die geburtenschwachen Jahrgänge ins
gebärfähige Alter kommen, sagt nichts über die Geburtenrate der
jüngeren Jahrgänge aus. Vielmehr hat der
Bevölkerungswissenschaftler
Jürgen DORBRITZ
in der neuesten Ausgabe der BIB-Mitteilungen das Ende des
Geburtenrückgangs in Deutschland verkündet. Gerade im Hinblick
auf die Debatte um den Beitrag der Kinderlosen in der
Pflegeversicherung muss deshalb zwischen der Geburtenrate der
jüngeren Jahrgänge (diese kann trotz Geburtenrückgang steigen!)
und den absoluten Geburtenzahlen unterschieden werden.
GREFE, Christiane & Susanne MAYER (2004): "Mehr als nur Geld".
70000 Geburten weniger als 2003 –
Anlass zum Handeln für eine Familienministerin? Ein Gespräch mit
Renate Schmidt über Elterngeld, Gerechtigkeit und das Problem,
den Kanzler überzeugen zu müssen,
in: Die ZEIT Nr.40 v. 23.09.
Die
Behauptung, dass es 2004 ca. 70.000 Geburten weniger geben wird,
wurde von single-generation.de
bereits kommentiert.
Was in absoluten Zahlen
dramatisch klingt, das erweist sich bei der Betrachtung der
Geburtenrate weniger dramatisch: Trotz Geburtenrückgang ist die
Geburtenrate gegenüber dem Vorjahr annähernd gleich geblieben!
Aufgrund des
immer noch steigenden Erstgebäralters ist mit Verzerrungen (so
genannten Tempoeffekten) zu rechnen, d.h. die endgültige
Geburtenrate der jüngeren Jahrgänge könnten immer noch höher
liegen als es die Querschnittsbetrachtung (alle gebärfähigen
Frauen zwischen 15 und 45Jahren werden zusammen betrachtet)
derzeit ausweist.
Meldungen
über eine sinkende Geburtenrate,
wie sie von Anhängern einer aktiven Bevölkerungspolitik,
kürzlich verbreitet worden sind, lassen sich anhand der Zahlen
aus Baden-Württemberg also keinesfalls bestätigen.
SCHWENTKER, Björn (2004): Schuld ist natürlich das Volk.
In Deutschland werden zuwenig Kinder
geboren ,heißt es. Doch gesicherte Daten für Prognosen gibt es
nicht. Weil sich niemand richtig nachzufragen traut,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 31.10.
Björn SCHWENTKER widmet
sich einem Thema, das in Deutschland ein Tabu ist: die
katastrophale Datenlage zu Kinderlosen in Deutschland.
Einzig single-dasein.de
und single-generation.de haben immer wieder auf diesen
Missstand hingewiesen, weswegen der folgende Satz mehr als
merkwürdig ist:
"Einig sind sich die deutschen
Demographen (...), daß die deutschen Kinderlosenzahlen in
Europa einzigartig unzuverlässig sind".
Aber hat überhaupt jemals
ein einziger deutscher Demograf auf diesen Missstand
hingewiesen?
Man muss sich nur die
Aussagen unserer Demografen anschauen, dann wird schnell klar,
dass ihnen gar nichts an Aufklärung liegen kann.
Vielmehr tragen
Polarisierer wie
Herwig BIRG
dazu bei, das Problem zu verschleiern.
Obwohl es seit Jahren ein
offenes Geheimnis ist, dass unsere
ehezentrierte Statistik
aufgrund der hohen Scheidungsraten und der Zunahme unehelicher
Geburten gar nicht in der Lage ist, das Ausmaß der
Kinderlosigkeit zu beziffern, wurde dies in der öffentlichen
Debatte noch nie so offen ausgesprochen wie bei SCHWENTKER:
"Die Standesämter melden zwar
ordnungsgemäß jede Geburt, geben aber die Reihenfolge der
Kinder in der Familie nur innerhalb einer bestehenden Ehe
an. Zudem wird die große und steigende Zahl unehelicher
Geburten ganz ohne Reihenfolge der Kinder erfaßt. Wieviel
unverheiratete Kinderlose erstmals Mutter werden, ist aus
den Zahlen der Standesämter nicht ersichtlich. Und in der
Geburtenstatistik wird etwa eine Frau mit zwei Kindern, die
sich scheiden läßt und neu heiratet, als kinderlos gezählt."
Single-generation.de hat diesen
Skandal der Überschätzung dauerhaft Kinderlosen als
Ergebnis einer "katholischen Statistik"
kritisiert.
Die Soziologin Michaela
KREYENFELD vom Max-Planck-Institut für demographische
Forschung in Rostock beschreibt die Folgen:
"Die Kinderlosigkeit wird (...)
generell überschätzt, (...) das führt etwa zu der
Horrormeldung von 40 Prozent
Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen."
Dieses Phänomen wurde von
single-generation.de bereits vor längerem als
politische Konstruktion der Geburtenkrise
kritisiert.
Auch wenn man den Mikrozensus, statt der
Geburtenstatistik zweckentfremdet, wird die Erfassung der
Kinderlosen nicht besser, denn
hier werden nur Kinder erfasst, die im
Haushalt der Eltern leben.
Mit dem Neuentwurf des Mikrozensusgesetzes ist durch den
Bundesrat wiederum eine Chance vergeben worden, die
Kinderlosigkeit genauer zu erfassen.
Es ist offenbar von Seiten der Politik
nicht erwünscht, genauere Daten zu erhalten, denn es könnte
sonst offenbar werden, dass es gar nicht so viele dauerhaft
Kinderlose gibt, wie das von
Sozialpopulisten
behauptet wird.
STATISTISCHES BUNDESAMT (2004): Statistik erwartet für 2004 einen
geringen Bevölkerungsrückgang,
in: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamt v. 29.12.
"Zwar dürfte die Geburtenzahl
2004 nur geringfügig niedriger als 2003 (707 000) ausgefallen
sein und die Anzahl der Sterbefälle (2003: 854 000) deutlich
zurückgegangen sein. 2004 werden voraussichtlich insgesamt etwa
110 000 mehr Menschen gestorben sein als Kinder zur Welt kamen.
Das Geburtendefizit wäre damit 2004 erheblich niedriger als
2003, als es 147 000 betragen hatte. Allerdings hat sich 2004
auch der Wanderungsüberschuss gegenüber dem Ausland weiter
abgeschwächt. 2003 waren 143 000 Personen mehr nach Deutschland
zugezogen als von hier fortgezogen. 2004 dürfte dieser
Wanderungssaldo nur noch etwa 70 000 bis 80 000 betragen. Damit
reichen die Wanderungsgewinne nicht aus, um das Geburtendefizit
auszugleichen, und die Bevölkerungszahl (Jahresende 2003: 82,532
Millionen) dürfte auf knapp 82,5 Millionen gesunken sein",
meldet das Statistisches Bundesamt zur Bevölkerungsentwicklung
2004.
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