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Vorbemerkung
Die mediale Berichterstattung zur
Geburtenentwicklung richtet sich nicht nach der Faktenlage,
sondern nach politischen Interessen. Um diese deutlich zu machen
werden in dieser Bibliografie ab heute (02.07.2012) nach und
nach ausgewählte Medienberichte und Literatur zum Thema
chronologisch dokumentiert. Die Kommentare entsprechen jeweils
dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, falls nichts
anderes vermerkt ist.
Kommentierte Bibliografie (Teil 16: 2019)
2019
SCHNEIDER, Norbert F./SULAK, Harun/PANOVA, Ralina (2019):
Was kommt nach der Rushhour? Lebenslagen und
Lebensverläufe von Frauen und Männern in der Lebensmitte.
Sankt Augustin/Berlin: Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Aufschlussreich an der
Studie ist, welche Auswirkungen die Umstellung z.B. der
ehelichen Geburtenfolge auf die biologische Geburtenfolge
seit dem Jahr 2009 für die Beschreibung der
Geburtenentwicklung in Deutschland hat. Die
Unterschiede werden aus der Abbildung 1 auf Seite 12 auf den
ersten Blick deutlich:
Das Erstgebäralter liegt
bei Betrachtung der ehelichen Geburtenfolge um ca. ein Jahr
höher als bei der Berücksichtigung der außerehelichen
Geburten. U.a. wurde in Deutschland mit dem Anstieg des
Erstgebäralters als Ursache des Geburtenrückgangs
argumentiert.
Die Eheorientierung der
amtlichen Statistik wurde auf dieser Website bereits seit
den Anfängen kritisiert. Eine erste Zusammenfassung der
Kritik erfolgte im Februar
2004. Nur nach und nach fanden die Verzerrungen auch
in der rückständigen deutschen Bevölkerungswissenschaft
Beachtung. Die statistischen Mängel wurden erst in den
späten Nuller Jahren - aber auch nur halbherzig - beseitigt,
nachdem die Blockade der Politik nach dem Beschluss des
Elterngeldgesetzes ein Ende fand. Eine Aufarbeitung dieses
politischen Skandals ist auch über 10 Jahre später noch
nicht geschehen. Man darf davon ausgehen, dass die Debatten
der Nuller Jahre anders verlaufen wären, wenn die
gravierenden statistischen Mängel früher beseitigt worden wären.
Immer noch wird jedoch die Kinderlosigkeit nur alle 4 Jahre
in der amtlichen Statistik richtig erfasst, was den Medien
großen Spielraum für Falschinformationen lässt.
Lautstarke Kritik kam
erst lange nach dem
Pflegeurteil
des Bundesverfassungsgerichts auf, das mit gravierenden
Fehlschlüssen des nationalkonservativen
Bevölkerungswissenschaftler Herwig BIRG begründet wurde. Im
Beitrag
Politikdiskussion fehlt verlässliche statistische Grundlage
aus dem Jahr 2004 kritisierte z.B. Michaela KREYENFELD die
Statistikmängel in Sachen Kinderlosigkeit, während sich die
amtlichen Stellen in Verteidigung der traditionellen
Herangehensweisen übten oder ganz in Schweigen hüllten, wenn
es um Kritik ging.
Die Studie vernachlässigt
die Differenzierung von Lebensverläufen verschiedener
Milieus, was in unserer neuen Klassengesellschaft die
Lebenssituation in Deutschland nicht angemessen
widerspiegelt. So z.B. wenn in der Abbildung 3 das Leben mit
Kindern im Haushalt betrachtet wird (vgl. S.17). Im Kapitel
3 soll differenzierter herangegangen werden, was bereits im
Ansatz scheitern muss, weil Paare ohne gemeinsamen Haushalt
in der amtlichen Statistik nicht erfasst werden, sondern als
Partner- und Kinderlose gezählt werden. Nur sehr vereinzelt
werden andere Datenquelle zu Rate gezogen.
Noch in den 1990er Jahren
war die These von der Kopplung von Ehe und Elternschaft, auf
der die amtliche Statistik bis zum Jahr 2009 beruhte, in der
rückständigen deutschen Bevölkerungswissenschaft
unumstritten. Inzwischen wird jedoch von einer zunehmenden
Entkopplung von Ehe und Elternschaft ausgegangen:
"Einer der Gründe für das
spätere Heiratsalter ist die zunehmende Entkopplung von Ehe
und Elternschaft. Dies wird auch am wachsenden Anteil der
nichtehelichen Geburten im Vergleichszeitraum deutlich, der
sich von knapp 17 % (1996) auf über 35 % (2016) verdoppelt
hat. Unabhängig vom Familienstand hat sich auch das Alter
der Frauen bei der Geburt ihrer Kinder in Deutschland seit
den 1980er Jahren durchgehend erhöht. Allein seit 1996 ist
eine Zunahme des Alters der Mütter bei der ersten Geburt um
rund drei Jahre zu beobachten. Heute sind Mütter bei der
Geburt ihres ersten Kindes im Durchschnitt 29,6 Jahre alt,
beim zweiten Kind 31,8 und beim dritten Kind 32,9 Jahre.
Männer waren im Jahr 2016 bei der Geburt ihrer Kinder im
Durchschnitt 34,5 Jahre alt. Mit dieser Verschiebung kommen
Geburten in den höheren Altersjahren auch deutlich häufiger
vor. Gegenwärtig gebären etwa 38 % aller Frauen Kinder nach
dem 35. Lebensjahr, bei 12 % dieser Frauen ist es ihr erstes
Kind." (S.53)
Aufgrund fehlender
Erhebung sind die Aussagen zum Anstieg des Erstgebäralters
erst ab dem Jahr 2009 belegbar. Vorher handelt es sich um
Schätzungen, die zu Fehlschlüssen führten, wie weiter oben
bereits angedeutet wurde.
Die amtliche Statistik
war bis zum Jahr 1996 eine Familienstatistik. Erst ab 1996
wurde auf einen Lebensformenansatz umgestellt, was Andrea
LENGERER in dem Buch Partnerlosigkeit in Deutschland (2011)
folgendermaßen beschreibt:
"Dass Paare
unverheiratet zusammenleben, wird von der amtlichen
Statistik erst seit 1996 mit der Einführung des Konzepts der
Lebensformen systematisch berücksichtigt (...). Seither
werden unterhalb der Ebene des Haushalts nicht nur Familien,
sondern auch Lebensgemeinschaften als soziale Einheiten
abgegrenzt. Entlang der Kriterien Partnerschaft und
Elternschaft zählen dazu Paare mit Kindern, Paare ohne
Kinder sowie Alleinerziehende. (...).
Mit dem neuen Konzept erschließt die amtliche Statistik
erstmals
Lebensformen jenseits der »Normalfamilie«. Obwohl es im
Mikrozensus seit 1996 umgesetzt ist, basieren die dazu
veröffentlichten Ergebnisse bis einschließlich 2004 auf
Sonderauswertungen (...). Das standardisierte
Tabellenprogramm der amtlichen Familienstatistik ist erst
seit 2005 umgestellt. Seither gilt auch ein neuer
Familienbegriff". ( S.21)
Was die Lebensformen
jenseits der "Normalfamilie" betrifft, stellt der
Lebensformenansatz jedoch nur eine
kosmetische Korrektur dar. Wenn in der Studie
nun vorrangig Vergleiche zwischen den Jahren 1996 und 2016
zu finden sind, dann ist dies der Rückständigkeit der
amtlichen Statistik und der fehlenden Ergänzung durch andere
Datenquellen geschuldet.
DESTATIS (2019):
Schätzung für 2018: Bevölkerungszahl auf 83,0 Millionen
gestiegen,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 25.01.
"Die Anzahl lebend
geborener Kinder dürfte 2018 gegenüber dem Vorjahr moderat
(...) zugenommen haben. Für 2018 wird der Schätzung nach mit
785.000 bis 805.000 Geborenen (...) zu rechnen sein",
meldet das
Statistische Bundesamt. Im Januar letzten Jahres
lautete die Schätzung
770.000 bis 810.000 Geburten für das Jahr 2017. Die
Geburtenzahl lag dann bei 784.884 Lebendgeborenen (Destatis-Website,
Stand 25.01.2019).
Die Schätzung beruht auf einer Hochrechnung der
Geburtenzahlen von Januar bis September.
Die aktualisierte
Variante 2-A der 13. koordinierte
Bevölkerungsvorausberechnung aus dem Jahr 2017 geht für das
Jahr 2018 von 758.600 Lebendgeborenen aus. Das wären weit
weniger als voraussichtlich tatsächlich geboren werden. Für
das Jahr 2016 wurden 754.800 Lebendgeborene berechnet. das
liegt über 30.000 Geburten niedriger als die tatsächliche
Geborenenzahl.
Fehleinschätzungen
hinsichtlich der Geburtenentwicklung sind fatal und haben
einen
großen Anteil am Lehrermangel in Deutschland zu
verantworten. Die 13. koordinierte
Bevölkerungsvorausberechnung vom April 2015,
deren Annahmen
auf dieser Website frühzeitig kritisiert wurden, liegt
bei der Geburtenentwicklung drastisch daneben. Die Variante
2 auf der die aktualisierte Version 2-A aufbaut, ist von
lediglich 706.000 Lebendgeborenen ausgegangen. das sind rund
80.000 Geburten zu wenig als tatsächlich geborenen wurden.
Bereits
im letzten Jahr hat single-generation.de die
mangelnde Treffsicherheit bei der Geburtenentwicklung
kritisiert.
Auch die Annahmen der
Variante 2 zum Wanderungssaldo lagen in allen Jahren unter
der tatsächlichen Zuwanderung. Die Variante 2-A hat dagegen
einen höheren Wanderungssaldo angenommen, die derzeit noch
leicht über dem tatsächlichen Wanderungssaldo liegt.
Fazit: Eine neue
Bevölkerungsvorausberechnung, bei der die Annahmen zur
Geburtenentwicklung korrigiert werden müssen, ist
unabdingbar. Bereits seit langem wird in Deutschland das
Ausmaß des zukünftigen Erzieher- und Lehrermangels
verharmlost. Im Gegensatz zu den Beteuerungen der Politik,
dass Kinder unsere Zukunft seien, ist die Realität eine
völlig andere!
OBERTRIES, Sarah (2019):
So viele Einwohner wie noch nie.
Die Bevölkerung in Deutschland ist
2018 auf 83 Millionen gewachsen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 26.01.
"Zwar gehen die Statistiker nach den höheren Flüchtlingszahlen in den
vergangenen Jahren davon aus, dass eine Frau in Deutschland nun im
Durchschnitt 1,5 statt 1,4 Kinder zu Welt bringen wird",
erklärt uns Sarah
OBERTRIES die Geburtenentwicklung politisch
korrekt, aber falsch.
EUROSTAT (2019): Über 5 Millionen Geburten im Jahr 2017 in der EU.
Geburten und Fruchtbarkeit:
Frauen in der EU bekommen ihr erstes Kind im Schnitt mit 29 Jahren,
in:
Pressemitteilung des
statistischen Amt der Europäischen Union v. 12.03.
Zur Entwicklung der Geburtenrate (TFR)
im Jahr 2017 heißt es:
"Im Jahr 2017 war
Frankreich (1,90
Geburten pro Frau) der Mitgliedstaat mit der höchsten
Gesamtfruchtbarkeitsrate in der EU. Darauf folgten
Schweden
(1,78), Irland
(1,77),
Dänemark (1,75) und das
Vereinigte
Königreich (1,74). Die niedrigsten Fruchtbarkeitsraten
verzeichneten hingegen Malta (1,26 Geburten pro Frau),
Spanien
(1,31),
Italien und Zypern (je 1,32),
Griechenland (1,35),
Portugal
(1,38) und Luxemburg (1,39)."
In der EUROSTAT-Datenbank bzw.
Pressemeldung werden für die 28 EU-Länder folgende Geburtenraten und
Geburtenzahlen angegeben:
Rang |
Land |
Geburtenzahl |
Geburtenrate (TFR) |
9 |
Belgien |
119.690 |
1,65 |
15 |
Bulgarien |
63.955 |
1,56 |
7 |
Tschechien |
114.405 |
1,69 |
4 |
Dänemark |
61.397 |
1,75 |
14 |
Deutschland |
784.901 |
1,57 |
13 |
Estland |
13.784 |
1,59 |
3 |
Irland |
61.537 |
1,77 |
24 |
Griechenland |
88.553 |
1,35 |
27 |
Spanien |
391.265 |
1,31 |
1 |
Frankreich |
770.045 |
1,90 |
21 |
Kroatien |
36.556 |
1,42 |
25 |
Italien |
458.151 |
1,32 |
26 |
Zypern |
9.229 |
1,32 |
8 |
Lettland |
20.828 |
1,69 |
10 |
Litauen |
28.696 |
1,63 |
22 |
Luxemburg |
6.174 |
1,39 |
16 |
Ungarn |
94.646 |
1,54 |
28 |
Malta |
4.319 |
1,26 |
11 |
Niederlande |
169.836 |
1,62 |
17 |
Österreich |
87.633 |
1,52 |
20 |
Polen |
401.982 |
1,48 |
23 |
Portugal |
86.154 |
1,38 |
6 |
Rumänien |
202.151 |
1,71 |
12 |
Slowenien |
20.241 |
1,62 |
18 |
Slowakei |
57.969 |
1,52 |
19 |
Finnland |
50.321 |
1,49 |
2 |
Schweden |
115.416 |
1,78 |
5 |
Großbritannien |
754.754 |
1,74 |
Während
im Jahr 2015 noch in Frankreich EU-weit die meisten Kinder geboren
wurden, werden seit 2016 in der EU die meisten Kinder in Deutschland
geboren. Im Jahr 2010 hatte die Geburtenrate in der EU mit 1,62 ihren
Höchststand. Bis 2017 ist sie auf 1,59 gesunken.
BUJARD, Martin u.a. (2019): Kinderreiche Familien in Deutschland.
Auslaufmodell oder Lebensentwurf für die Zukunft?
in: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung v. 26.06.
Martin BUJARD u.a. haben für die
Frauenjahrgänge 1970-1972 den Anteil der Frauen mit 3 und mehr Kindern
(kinderreiche Familien) und ihre regionale Verteilung geschätzt. Die
Daten stammen aus dem Jahr 2011 als Deutschland noch in 412 Kreise
unterteilt war. In 14 Kreisen war die Fallzahl selbst für den Zensus
zu niedrig. Die Studie hat in erster Linie historischen Wert.
Inzwischen gibt es in Deutschland nur noch 401 Kreise. Der
Frauenjahrgang war damals 38 bis 41 Jahre alt. Die Kohortenfertilität
der Anfang der 1970er Jahre geborenen Frauen ist höher als diejenige
der in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre geborenen Frauen. Die
betrachteten Frauenjahrgänge haben also mittlerweile das Ende des
gebärfähigen Alters erreicht. Sowohl die verstärkte Zuwanderung als
auch die steigende Geburtenrate seit 2011 haben zu Veränderungen der
Geburtenstruktur in Deutschland geführt, die in der Studie
unberücksichtigt bleiben.
Aus den politischen Handlungsempfehlungen ist zudem ersichtlich, dass
diese in erster Linie auf die Wünsche der Akademikerinnen ausgerichtet
sind, d.h. die Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht im
Mittelpunkt, während die Probleme von Nichtakademikerinnen
unterbelichtet bleiben. Aus der nachfolgenden Tabelle sind die Kreise
mit den höchsten Anteilen an kinderreichen Familien, getrennt nach
Ost- und Westdeutschland ersichtlich (vgl. BUJARD u.a. 2019, S.53-56):
Westdeutschland |
Ostdeutschland |
Rang |
Kreis |
Bundesland |
Anteil |
Rang |
Kreis |
Bundesland |
Anteil |
1 |
Cloppenburg |
Niedersachsen |
25,4 % |
1 |
Eichsfeld |
Thüringen |
16,8 % |
2 |
Vechta |
Niedersachsen |
25,0 % |
2 |
Bautzen |
Sachsen |
14,8 % |
3 |
Emsland |
Niedersachsen |
23,2 % |
3 |
Erzgebirgskreis |
Sachsen |
14,3 % |
4 |
Unterallgäu |
Bayern |
23,1 % |
4 |
Görlitz
(Landkreis) |
Sachsen |
14,0 % |
5 |
Ostallgäu |
Bayern |
22,8 % |
4 |
Güstrow |
Mecklenburg-Vorpommern |
14,0 % |
6 |
Schwäbisch
Hall |
Baden-Württemberg |
22,4 % |
6 |
Weimar |
Thüringen |
13,6 % |
6 |
Borken |
Nordrhein-Westfalen |
22,4 % |
7 |
Sächsische
Schweiz |
Sachsen |
13,5 % |
8 |
Grafschaft
Bentheim |
Niedersachsen |
22,2 % |
8 |
Meißen |
Sachsen |
12,6 % |
9 |
Ostalbkreis |
Baden-Württemberg |
21,8 % |
8 |
Wismar |
Mecklenburg-Vorpommern |
12,6 % |
10 |
Günzburg |
Bayern |
21,6 % |
10 |
Dresden |
Sachsen |
12,5 % |
10 |
Lindau/Bodensee |
Bayern |
21,6 % |
|
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Der Anteil von kinderreichen Familien ist in Ostdeutschland deutlich
geringer als Westdeutschland, denn die Vereinbarkeit von Beruf und
Familie lässt sich keineswegs auf die Frage der Kinderbetreuung und
Ganztagsschulen reduzieren.
Vergleicht man die
Ergebnisse
der Landtagswahlen in Sachsen mit den Kreisen, die zu jenen mit
dem höchsten Anteil kinderreicher Familien zählen (die
letzte Kreisgebietsreform lag vor 2011), dann zeigt sich, dass
dort die AfD ihre besten Ergebnisse erzielte.
DESTATIS (2019): Bevölkerung im Wandel.
Annahmen und Ergebnisse der 14. koordinierten
Bevölkerungsvorausberechnung,
in: Begleitheft zur Pressekonferenz v. 27.06.
"Die in den 1970er und 1980er
Jahren geborenen Frauen werden nach Abschluss der gebärfähigen Phase
durchschnittlich mehr Kinder zur Welt bringen als die Jahrgänge 1968
und 1969. Obwohl die Stabilisierung der endgültigen Kinderzahl je Frau
um 1,5 (bei deutschen Frauen) noch eine sehr zaghafte Veränderung ist,
deutet sie das Ende des rückläufigen Trends an" (2019, S.31),
heißt es zu den Annahmen der
weiteren Geburtenentwicklung. Noch im
Juni 2018 widersprach Olga PÖTZSCH als Hauptakteurin der
Interpretation der Geburtenentwicklung in Deutschland beim
Statistischen Bundesamt dieser Sicht.
Auf dieser Website hieß es damals:
"Angesichts
der Tatsache, dass
PÖTZSCH ihre Positionen in der Vergangenheit ständig räumen musste,
weil sie zu pessimistisch waren, lassen sich durchaus Indizien
finden, die ein
Anstieg auf 1,7 Kinder pro Frau möglich erscheinen lassen."
Die aktuelle
Bevölkerungsvorausberechnung schließt nun erstmals einen Anstieg auf
1,7 Kinder pro Frau - anders als noch letzten Juni - nicht kategorisch
aus, sondern hat in einer der Hauptvarianten diese Möglichkeit
berechnet. Weiterhin wird jedoch von einer sehr restriktiven Annahme
ausgegangen, denn die Geburtenrate (CFR) von 1,7 wird erst für die
1990er Frauenjahrgänge angenommen und dies auch nur in einer von drei
Entwicklungspfaden:
"Für die künftige
Fertilitätsentwicklung ergeben diese einen voraussichtlichen Anstieg
der endgültigen Kinderzahl bei den Frauen der 1970er und 1980er
Jahrgänge auf etwa 1,6 Kinder je Frau. Anschließend sind dagegen
mehrere Optionen möglich (Stabilität, Zunahme oder Rückgang der
Kohortenfertilität), da das künftige Geburtenverhalten der heute noch
sehr jungen Frauen und Mädchen unbekannt ist." (2019, S.31)
Die restriktive Beurteilung von
PÖTZSCH resultiert aus der falschen Annahme, dass die Kinderlosigkeit
der Hauptfaktor für die niedrige Geburtenrate sei. Das Institut für
Bevölkerungsforschung sieht dagegen - nicht erst in ihrer
gestrigen Publikation das Hauptproblem in
dem geringen Anteil der kinderreichen Familien:
"Letztlich ist der
Geburtenrückgang in der Bundesrepublik Deutschland zu 26 Prozent auf
den Anstieg der Kinderlosigkeit und zu 68 Prozent auf den Rückgang
kinderreicher Familien zurückzuführen" (2019, S.20)"
Die Bevölkerungsvorausberechnung
geht in ihrer positivsten Annahme zur Geburtenentwicklung von
folgenden Überlegungen aus:
"Die zusammengefasste
Geburtenziffer steigt in den nächsten 20 Jahren auf 1,73 Kinder je
Frau bei gleichzeitiger Zunahme des durchschnittlichen Gebäralters um
1,3 Jahre und bleibt dann auf diesem Niveau. Diese Annahme zeigt, wie
sich die aktuellen Veränderungen in der Geburtenhäufigkeit nach
Kalenderjahren auswirken würden, wenn sie die künftige Entwicklung
determinieren würden. Der damit einhergehende Anstieg der endgültigen
Kinderzahl je Frau auf 1,7 wäre nur zu realisieren, wenn sich das
Geburtenverhalten gravierend ändern würde. So müsste zum Beispiel die
Kinderlosenquote von derzeit 21 % auf mindestens 15 % sinken und/oder
zugleich der Anteil der dritten und weiteren Kinder an allen Geburten
zunehmen. Eine solche Entwicklung setzt zum einen voraus, dass sich
wirtschaftliche und sozialpolitische Rahmenbedingungen auf die
Familienplanung günstig auswirken. Zum anderen wäre dafür
erforderlich, dass das Geburtenniveau der Zuwanderinnen stabil hoch
bleibt und dem Rückgang der Fertilität im Alter unter 30 Jahren
entgegenwirkt." (2019, S.34)
Dass nur Zahlen für den notwendigen
Rückgang der Kinderlosenquote, nicht jedoch für den Anstieg der
Kinderreichenquote genannt werden, zeigt das Hauptproblem
unserer derzeitigen Bevölkerungspolitik an. Die folgende Tabelle
vergleicht die positivsten Annahmen der letzten
Bevölkerungsvorausberechnungen zur Geburtenentwicklung mit der
tatsächlichen Geburtenentwicklung (Stand 28.06.2019 per Seitenabruf
Geburtentabelle des Statistischen Bundesamts). Für alle Annahmen der
13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnungen gilt, dass sie die
tatsächliche Geburtenentwicklung immer wieder unterschätzt haben.
Tabelle 1:
Vergleich der 13. und 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnungen
des Statistischen Bundesamtes mit der tatsächlichen
Geburtenentwicklung |
Jahr |
BVB
2015
(Variante 2)
TFR: 1,4 |
BVB
2015
(Variante 5)
TFR: 1,4 |
BVB 2017
(Variante 2a)
TFR: 1,6 |
BVB 2019
(Variante 3)
TFR: 1,55 |
BVB 2019
(Variante 7)
TFR: 1,73 |
tatsächliche
Geburtenzahl |
2014 |
685.000 |
694.000 |
|
|
|
714. 927 |
2015 |
691.000 |
707.000 |
737.600 |
|
|
737.575 |
2016 |
697.000 |
719.000 |
747.300 |
|
|
792.141 |
2017 |
|
|
754.800 |
|
|
784.901 |
2018 |
|
|
758.600 |
|
|
787.560 |
2019 |
|
|
759.800 |
790.000 |
793.000 |
|
2020 |
|
|
758.900 |
790.000 |
798.000 |
|
2021 |
|
|
756.000 |
788.000 |
802.000 |
|
2022 |
|
|
751.800 |
785.000 |
801.000 |
|
2023 |
|
|
746.500 |
780.000 |
800.000 |
|
2024 |
|
|
740.300 |
775.000 |
797.000 |
|
2025 |
|
|
733.300 |
769.000 |
794.000 |
|
|
Inwieweit die Annahmen zur
Geburtenentwicklung der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung
realistischer sind, bleibt abzuwarten, denn die meisten Hauptvarianten
gehen von mehr als pessimistischen Annahmen zur Geburtenentwicklung
aus. Der versäumte rechtzeitige Ausbau der Kinderbetreuung und die
gravierenden Fehleinschätzungen zur Entwicklung der Schülerzahlen
könnten der positiven Entwicklung der Geburtenzahlen durchaus einen
politisch verschuldeten Dämpfer versetzen. Davon lesen wir in den -
die Familienpolitik lobpreisenden - Texten des Statistischen
Bundesamtes natürlich nichts!
Die Bevölkerungsvorausberechnungen
gehen seit 2017 von einem Rückgang der Lebendgeborenen in den Jahren
2021/2022 aus, was dem
angenommenen Rückgang der potenziellen Mütter geschuldet ist. Die
Variante 5 aus dem Jahr 2015 ging dagegen erst im Jahr 2023 von einem
Rückgang der Lebendgeborenen aus. Welchen Einfluss der Rückgang der
potenziellen Mütter tatsächlich haben wird, das aber hängt von einer
Reihe weiterer Annahmen ab, die durchaus zu ganz anderen Entwicklungen
führen können. So gehen z.B. alle Annahmen von einem weiteren Anstieg
des Erstgebäralters aus, d.h. eine Stagnation oder gar Sinken des
Erstgebäralters wird ausgeschlossen. Das Statistische Bundesamt
jedenfalls macht die Vielzahl ihrer tatsächlichen Annahmen zur
Geburtenentwicklung, die z.B. hinter dem Konzept der
altersspezifischen Geburtenziffern stecken, nicht wirklich
transparent. Überraschungen werden deshalb auch in den nächsten Jahren
wohl nicht ausbleiben.
DESTATIS (2019):
In Deutschland leben mehr Menschen als je zuvor.
Anstieg um 227 000 Personen zum Vorjahr,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt v. 27.06.
Während die Pressemeldung zu den
Geburten lediglich ein Geburtendefizit von rund 167.000 Geburten
verlauten lässt, gibt die Website des Statistisches Bundesamtes die
Zahl der Lebendgeborenen mit 787.560 an, was einen Anstieg der
Geburtenzahl von 2.659 zum Jahr 2017 bedeutet. Diese vorläufige
Geburtenzahl läge im unteren Bereich der
Schätzung vom Januar. Damals ging das Statistische Bundesamt von
785.000 bis 805.000 Geborenen
aus.
SCHMITT, Peter-Philipp (2019): Mehr Ausländer,
weniger Deutsche.
Die Bevölkerungszahl ist 2018 in
Deutschland auf 83 Millionen gestiegen,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.06.
Peter-Philipp SCHMITT geht im Rahmen des Artikels auch auf die 14.
koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung ein, wobei er der
Sprachpolitik des Statistischen Bundesamts folgt, wenn er von einer
"moderaten Entwicklung" der Geburtenhäufigkeit schreibt, und damit die
Fortschreibung von 1,55 Kindern pro Frau bis 2060 meint. "Moderate
Entwicklung" müsste jedoch Stagnation ("Stabilität" im Sinne des
Begleithefts S.31) heißen oder noch richtiger Rückgang, denn im Jahr
2017 lag die Geburtenrate bei 1,57 Kinder pro Frau.
Der Anstieg der Geburtenrate ist im
Grunde erstaunlich angesichts des ansteigenden Gebäralters. So hatten
die 15-20-Jährigen des Frauenjahrgangs 1950 pro 1000 Frauen noch
durchschnittlich 308,4 Kinder zur Welt gebracht. Der Frauenjahrgang
1970 kam dagegen nur auf 112,4, d.h. fast ein Drittel weniger. Beim
Frauenjahrgang 1990 sind es 57,5 gewesen, was ungefähr einer weiteren
Halbierung innerhalb von 20 Jahren entspricht.
Die pessimistische Sicht des
Statistischen Bundesamts gründet sich neben der "hohen"
Kinderlosigkeit auf den Anstieg des Gebäralters. Die dahinter stehende
Annahme lautet, dass dadurch der Ausfall früher Geburten in Zukunft
immer weniger kompensiert werden kann. Inwiefern diese Annahme stimmt
und inwiefern nicht Trendbrüche in der Zukunft erfolgen, das ist
deshalb die entscheidende Frage.
Vergleicht man die 21-25-Jährigen
der Frauenjahrgänge 1950, 1970 und 1990, dann zeigt sich auch hier ein
Rückgang der Geburten pro 1000 Frauen. So bekamen tausend Frauen des
Jahrgangs 1950 noch durchschnittlich 597,1 Kinder. 20 Jahre später kam
der Jahrgang 1970 noch auf 319,3 und weitere 20 Jahre später der
Jahrgang 1990 nur auf 199 Kinder.
Stellt man in Betracht, dass in den
1990ern ein gravierender
Geburteneinbruch in Ostdeutschland stattfand, mittlerweile jedoch
die Geburten mehr als damals vermutet nachgeholt wurden, dann zeigt
sich, dass auch historische Ereignisse mitberücksichtigt werden
müssen.
So wurde z.B. den in den 1970er Jahren geborenen Frauen lange kein
Anstieg der endgültigen Kinderzahl zugetraut, was mittlerweile
auch vom Statistischen Bundesamt korrigiert werden musste. Die
Fehleinschätzungen zur Geburtenentwicklung unserer Amtstatistiker sind
teilweise so gravierend, dass dadurch falsche politische
Weichenstellungen argumentativ begründet werden konnten, ohne dass es
zu einem Aufschrei in den Medien kommen konnte. Das
Beispiel Sachsen zeigt die Fehlentwicklungen besonders krass. Der
neoliberale Musterknabe, der von Ökonomen - trotz aller
Fehlentwicklungen - immer noch zum ostdeutschen Ideal erhoben wird,
könnte in den nächsten Jahren zum Sinnbild katastrophaler
Entwicklungen werden. Der Großstadt
Leipzig wurde zu lange eine Schrumpfungskarriere vorausgesagt und
danach das Wachstum grandios unterschätzt, weshalb inzwischen der
Wachstumskollaps droht. Statt hohem Leerstand, der mit einer Politik
mit der Abrissbirne begegnet wurde, droht Wohnungsnot und
Überforderung der sozialen Infrastruktur. Auf der anderen Seite
vernachlässigte die elitäre Leuchtturmpolitik in Sachsen den
ländlichen Raum, was sich mittlerweile rächt. In
Görlitz
könnte sich im September das Schicksal des amtierenden
Ministerpräsidenten entscheiden. Sachsen zeigt die Verwüstungen, die
der Demographisierung
gesellschaftlicher Probleme geschuldet sind, nur besonders
deutlich.
STALA BW (2019): Baden-Württemberg: Höchste Geburtenzahl seit 1998.
Im Schnitt 1,58 Kinder je Frau –
Stadtkreis Pforzheim mit höchster, Stadtkreis Heidelberg mit
niedrigster Geburtenhäufigkeit im vergangenen Jahr,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Landesamt
Baden-Württemberg v. 22.07.
"In Baden-Württemberg wurden im
Jahr 2018 rund 108 900 Kinder lebend geboren. Damit lag die Zahl der
Lebendgeborenen nach Angaben des Statistischen Landesamts im Jahr 1998
letztmals höher. Eine Ursache für diesen positiven Trend wird in der
in den vergangenen Jahren enorm angestiegenen Zuwanderung gesehen, die
auch zu einer Zunahme der Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter
geführt hat. Hinzu kommt, dass nun Kinder der geburtenstarken
Jahrgänge Anfang der 1960er-Jahre, die sogenannten Babyboomer, selbst
wieder Kinder bekommen.
Schließlich ist die hohe Geburtenzahl auch auf einen Anstieg der
Geburtenrate, also der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau, in den
vergangenen Jahren zurückzuführen. Diese lag im Jahr 2018 bei
1,58 Kindern je Frau; sie war damit die zweithöchste seit 1973.
Lediglich 2016 war sie geringfügig höher (1,59).
(...).
Innerhalb des Landes zeigen sich durchaus bemerkenswerte Unterschiede:
Spitzenreiter unter den 44 Stadt- und Landkreisen war im Jahr 2018 der
Stadtkreis Pforzheim mit einer Geburtenrate von 1,84 Kindern je Frau,
gefolgt vom Alb-Donau-Kreis und dem Landkreis Tuttlingen (jeweils
1,80). Am Ende der Skala rangieren die Stadtkreise Heidelberg (1,17),
Stuttgart (1,29) und Karlsruhe (1,33).
Die Gründe für die regionalen Unterschiede in der Geburtenhäufigkeit
sind vielfältig. Auffällig ist weiterhin ein traditionelles, wenn auch
nicht mehr flächendeckendes »Land-Stadt-Gefälle«. Das heißt, dass in
den meisten ländlich geprägten Gebieten die Kinderzahl je Frau über
der der Städte liegt.
In Hochschulstandorten wie Heidelberg ist die Geburtenrate besonders
niedrig, weil dort viele jüngere Frauen leben, bei denen Studium
und Berufseinstieg im Vordergrund stehen und deshalb (noch) keine
Familiengründung geplant ist. Tendenziell gilt, dass mit steigendem
Bildungsniveau der Frauen die Zahl der geborenen Kinder abnimmt.3
Einen Einfluss auf die Höhe der Geburtenrate dürfte auch der regional
unterschiedliche Anteil der ausländischen Frauen besitzen.4
Ausländische Frauen brachten im Jahr 2018 in Baden-Württemberg im
Schnitt 1,93 Kinder zur Welt, bei Frauen mit einer deutschen
Staatsangehörigkeit waren es dagegen lediglich 1,49",
meldet das Statistische Landesamt
Baden-Württemberg, das Fakten mit politisch korrekten Interpretationen
vermischt. Die hohe Geburtenrate in der kreisfreien Stadt Pforzheim,
einer Hochburg der AfD in Baden-Württemberg, wird auf die dortigen
Ausländer zurückgeführt.
Erstaunlich und dagegen nicht
erwähnt, ist die hohe Geburtenrate in der kreisfreien Stadt
Baden-Baden, die mit 1,68 Kinder pro Frau über dem Landesdurchschnitt
liegt. Baden-Baden ist das Gegenteil einer Universitätsstadt, nämlich
ein Kurort
mit einem sehr hohen Altersdurchschnitt.
2016 lag die Einwohnerschaft von Baden-Baden mit 47,4 Jahren weit
über dem Landeswert von 43,3 Jahren und war damit die älteste der 44
Regionen in Baden-Württemberg.
DESTATIS (2019):
Gestiegene Geburtenhäufigkeit bei älteren Müttern,
2.600 Babys mehr als im Vorjahr –
Geburtenziffer stabil bei 1,57 Kindern je Frau,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 03.09.
"Im Jahr 2018 kamen in
Deutschland 787.500 Babys zur Welt. Das waren rund 2.600 Neugeborene
mehr als im Vorjahr. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis)
mitteilt, blieb 2018 die durchschnittliche Kinderzahl je Frau auf
dem Vorjahresniveau: Die zusammengefasste Geburtenziffer betrug 1,57
Kinder je Frau. In den neuen Ländern (ohne Berlin) war sie mit 1,60
Kindern je Frau höher als im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) mit
1,58. Bemerkenswert ist die steigende Geburtenhäufigkeit der Frauen
ab 40 Jahren. Mütter im Alter ab 40 Jahren brachten 2018 rund 42.800
Babys zur Welt. Zwar war ihre Geburtenhäufigkeit mit 88 Kindern je
1.000 Frauen immer noch relativ gering, hat sich aber gegenüber 23
Kindern je 1.000 Frauen in 1990 fast vervierfacht.
(...).
In Niedersachen und Brandenburg war 2018 die zusammengefasste
Geburtenziffer mit 1,62 Kindern je Frau am höchsten. Mit Ausnahme
Mecklenburg-Vorpommerns war sie auch in den übrigen ostdeutschen
Bundesländern sowie in Bremen und Nordrhein-Westfalen mit 1,60
Kindern je Frau relativ hoch. Besonders niedrig war die
Geburtenziffer dagegen in Berlin (1,45 Kinder je Frau). Auch im
Saarland (1,47) und in Hamburg (1,49) war sie deutlich niedriger als
den übrigen Bundesländern",
meldet das Statistische
Bundesamt, das erstmals auch die
rohen Geburtenziffern
besonders hervorhebt, um
die "Vergreisung" Deutschlands als Problem herausstreichen zu können.
Die rohen Geburtenziffern sind kein Indikator für das
Geburtenverhalten, sondern für die Altersstruktur der Bevölkerung
und die Tatsache, dass künstliche Befruchtung für ältere Frauen
gesellschaftlich geächtet und kein sozial erwünschtes
Geburtenverhalten ist.
"Die Zahl der Geborenen wird
allerdings nicht nur durch das Geburtenverhalten, sondern auch durch
die aktuelle Altersstruktur der Bevölkerung beeinflusst. In
Bundesländern mit einer relativ jungen Bevölkerung gibt es mehr
potenzielle Eltern. Dort werden deshalb – bezogen auf die
Einwohnerzahl – vergleichsweise mehr Kinder geboren. An erster
Stelle standen hier 2018 die Stadtstaaten Hamburg mit 12 Kindern
sowie Berlin und Bremen mit jeweils 11 Kindern je 1.000
Einwohnerinnen und Einwohner. In den Bundesländern mit einer
verhältnismäßig alten Bevölkerung und weniger potenziellen Eltern
wurden dagegen im Verhältnis zur Einwohnerzahl weniger Kinder
geboren. So kamen in den neuen Ländern (außer Sachsen) und im
Saarland nur 8 Babys je 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner zur Welt.
In Deutschland insgesamt wurden 9 Kinder je 1.000 Einwohnerinnen und
Einwohner geboren, im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) 10
Kinder",
erklärt uns Lesern das
Statistische Bundesamt. Was aber bedeutet dies wirklich? In den
neuen Bundesländern ist die Altersstruktur ungünstig, trotzdem liegt
dort die Geburtenrate über dem der alten Bundesländer. Das aber ist
aus Sicht des Amtes eine schlechte Nachricht, weil es dem
bevölkerungspolitischen Imperativ verpflichtet ist.
Fazit: Mit der Darstellung der
Geburtenentwicklung in Deutschland in dieser Pressemeldung will uns
das Statistische Bundesamt sagen, dass wir zu wenig bzw. zu spät
Kinder kriegen. Eine solche Demografisierung gesellschaftlicher
Probleme ist längst zur unhinterfragbaren Selbstverständlichkeit
geworden, die auch die
Stärkung von Parteien wie die AfD befeuert.
In Ostdeutschland ist übrigens die Veröffentlichung der rohen
Geburtenziffer und nicht wie im Westen die Geburtenrate der
Standardindikator für die Geburtenentwicklung. Deutschland ist auch
hier in Ost und West gespalten. Bedeutet diese
Einübung des Westens
in ostdeutsche Betrachtungsweisen, dass wir in Zukunft auch in
Westdeutschland mit wesentlich höheren AfD-Stimmenanteilen rechnen
müssen?
LANGE, Kerstin & Olga PÖTZSCH (2019):
Neues Imputationsverfahren bei Antwortausfällen zu geborenen Kindern
im Mikrozensus,
in:
Wirtschaft und Statistik
Nr.5 v. 11.10.
LANGE & PÖTZSCH stellen ein neues
Schätzverfahren bei Antwortausfällen zur Anzahl der geborenen Kinder
vor. Im Gegensatz zum vierjährigen Abstand von
Mikrozensusbefragungen zur Kinderlosigkeit, wurden nach 2016 nun
auch 2018 Fragen zur Kinderlosigkeit im Mikrozensus gestellt.
Begründet wird das durch eine umfangreiche Umstellung der
Mikrozensuserhebungen. Das neue Schätzverfahren führt zu gering
erhöhten Kinderlosigkeitsquoten, wobei letztlich unklar bleibt, ob
dies einer tatsächlichen Erhöhung entspricht oder ob es sich dabei
lediglich um Forschungsartefakte handelt.
Während für den Mikrozensus 2016
sowohl das alte als auch das neue Verfahren angewandt wurde, wird
uns für 2018 nur das durch das neue Verfahren entstandene Ergebnis
präsentiert. Dazu heißt es:
"Die Ergebnisse des Mikrozensus
2018 weisen im Vergleich zum Mikrozensus 2016 (auf Basis des neuen
Imputationsverfahrens) einen geringen Anstieg der
Kinderlosenquote und einen leichten Rückgang der
durchschnittlichen Kinderzahl je Frau in fast allen
Altersgruppen nach. Lediglich im Alter zwischen 40 und 49 Jahren hat
sich die durchschnittliche Kinderzahl je Frau stabilisiert
beziehungsweise sogar zugenommen. Außerdem weisen die
Mikrozensusergebnisse auf eine gestiegene Fertilität bei
zugewanderten Frauen im Alter unter 30 Jahren hin, was den Befunden
der Geburtenstatistik entspricht. Ausführliche Ergebnisse des
Mikrozensus 2018 zu Geburten und Kinderlosigkeit werden im November
2019 veröffentlicht."
Olga PÖTZSCH gehört zu jenen
Bevölkerungswissenschaftlern, die der Kinderlosigkeit eine große
Bedeutung für die Geburtenentwicklung in Deutschland zuschreiben,
obwohl inzwischen die Bedeutung des Fehlens kinderreicher Familien
als gravierender angesehen werden muss. In der Vergangenheit
bestimmten
weit überhöhte Kinderlosenquoten von Nationalkonservativen im
Dunstkreis von Herwig BIRG die Debatte.
Gravierende Fehldeutungen und
statistische Mängel waren die Gründe. Die Verbesserung der
Datenlage wurde durch die Politik bis nach der Durchsetzung des
Elterngeldes verhindert. Sowohl die
Verteidiger der traditionellen
Familie als auch die
Verfechter der Vereinbarkeit von Beruf und Familie waren nicht
an einer realistischen Datenlage zum Geburtenverhalten interessiert.
Bei der Datenlage hat es zwar seit 2008 Verbesserungen gegeben, aber
der Mikrozensus
ist weiterhin nicht in der Lage modernen Lebensverhältnissen gerecht
zu werden.
Während der flexible Kapitalismus
hohe Anforderungen an die Mobilität der Arbeitnehmer stellt, werden
andererseits Paare ohne gemeinsamem Haushalt weiterhin als
Partnerlose klassifiziert. Der Mikrozensus verhindert z.B. die
Erforschung der Auswirkungen von Partnerlosigkeit auf die
Familiengründung. Multilokale Lebensformen, zu denen auch
Fernbeziehungen gehören,
führen immer noch ein Nischendasein in der Forschungslandschaft,
obwohl sie im Akademikermilieu inzwischen - zumindest als
Lebensphase - selbstverständlich geworden sind. Aber auch
Nicht-Akademiker wurden
in der Hartz-Gesellschaft vermehrt auf solche Arrangements
verwiesen. Im Gegensatz zu früher als solche Arrangements als
Aufstiegsmöglichkeit gefeiert wurden, sind sie mittlerweile als
Mittel zur Verhinderung des Abstiegs verbreitet.
Die in den Nuller Jahren
verbreitete Rede von einer
Kultur der
Kinderlosigkeit verleugnet strukturelle Hindernisse.
Probleme des
Paarbildungsprozesses kommen bei solchen Zuschreibungen erst gar
nicht in den Blick. In der Bevölkerungswissenschaft wurden
multilokale Arrangements erst spät als Problem entdeckt. Die
propagierten familienfreundlichen Lösungen, d.h.
Umzug statt
pendeln, gingen zudem an der Realität des flexiblen Kapitalismus
vollkommen vorbei.
Fazit: In Sachen der Erforschung
der Kinderlosigkeit bestehen weiterhin gravierende Defizite. Die
bevölkerungswissenschaftliche Sicht auf Kinderlosigkeit ist nicht
auf der Höhe der gesellschaftlichen Entwicklungen, sondern
transportiert weiterhin nationalkonservative Vorstellungen, die
statischen, aber nicht dynamischen Gesellschaftsformationen
angemessen sind. Die amtlichen Statistiken sind nicht in der Lage
die Hindernisse der Familiengründung angemessen zu erfassen, sondern
verfestigen reaktionäre Zuschreibungsprozesse, die wenig hilfreich
sind.
DESTATIS (2019):
Jede fünfte Frau zwischen 45 und 49 Jahren war 2018 kinderlos,
Bei Akademikerinnen ist die
Kinderlosigkeit gesunken,
in:
Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts v. 11.12.
2017 zum Mikrozensus 2016 hieß
die Schlagzeile:
Die Kinderlosigkeit in Deutschland ist nicht weiter gestiegen.
2013 zum Mikrozensus 2012 hieß es:
Jede fünfte Frau zwischen 40 und 44 Jahren ist kinderlos. 2009
wurden die Zahlen des Mikrozensus 2008 veröffentlicht. Damals hieß
es:
Kinderlosigkeit nimmt zu.
Damals hieß es auf dieser
Website:
"Das
Statistische Bundesamt hat heute die aktuellen Zahlen zur
Kinderlosigkeit in Deutschland für das Jahr 2008 veröffentlicht.
Danach blieben die Geburtsjahrgänge 1964 - 1968 nur zu 21 %
kinderlos.
Wer die Debatte
der vergangenen 10 Jahre verfolgt hat, der weiß, dass
dem Geburtsjahrgang 1965 von Nationalkonservativen eine
Kinderlosigkeit von über 32 % nachgesagt wurde."
Nun meldet das Statistische
Bundesamt:
"Die sogenannte endgültige
Kinderlosenquote (Anteil der kinderlosen Frauen an allen Frauen
zwischen 45 und 49 Jahren) stieg zwischen 2008 und 2018 von 17 % auf
21 %."
Aus der Broschüre
Kinderlosigkeit, Geburten und Familien. Ergebnisse des Mikrozensus
2018 wird anderes deutlich: Die Kinderlosigkeit der
Frauenjahrgänge 1964 - 1968 ist von 21 % auf 20 % gesunken. 2008
waren diese Jahrgänge 40 - 44 Jahre alt. 2018 sind dies die 50 -
54-Jährigen.
Die 17 Prozent gelten dagegen für
die Frauenjahrgänge 1959 - 1963, die im Jahr 2008 bereits 45 - 49
Jahre alt waren. Deren Kinderlosigkeit wird nun mit 19 Prozent
angegeben! Zu erwarten wäre eigentlich ein Rückgang der
Kinderlosigkeit, aber keine Erhöhung um 2 Prozent! Dafür gäbe es
verschiedene Erklärungsmöglichkeiten: Erstens eine erhöhte
Müttersterblichkeit in dieser Altersgruppe während er letzten 10
Jahre, zweitens eine Zuwanderung älterer Kinderloser oder drittens
eine Abwanderung von älteren Müttern. Aber auch das Forschungsdesign
weist Probleme auf: Stichprobenfehler (siehe Broschüre S.39) oder
Änderungen beim Schätzverfahren. Eine
Rückfrage beim Statistischen Bundesamt hat ergeben, dass man dort
auch keine anderen Erklärungen für diesen Sachverhalt hat.
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