|
Vorbemerkung
Die mediale Berichterstattung zur
Geburtenentwicklung richtet sich nicht nach der Faktenlage,
sondern nach politischen Interessen. Um diese deutlich zu machen
werden in dieser Bibliografie ab heute (02.07.2012) nach und
nach ausgewählte Medienberichte und Literatur zum Thema
chronologisch dokumentiert. Die Kommentare entsprechen jeweils
dem Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, falls nichts
anderes vermerkt ist.
Kommentierte Bibliografie (Teil 5: 2008)
2008
DESTATIS (2008): 2007: Bevölkerungsrückgang erwartet,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt
Wiesbaden v. 16.01.
Das Statistische
Bundesamt schätzt die Zahl der Geburten auf 680.000 bis 690.000 für
das Jahr 2007. Dies
entspricht exakt der geschätzten Geburtenzahl des Jahres 2005, die
am 17. März 2006 veröffentlicht wurde. 3 Tage zuvor hatte die
Welt noch niedrigere falsche Zahlen veröffentlicht und damit die
Medienkampagne um das Buch Minimum von Frank SCHIRRMACHER erst
richtig entfacht.
Deutschland am Abgrund hieß das
Motto.
Diesmal
platzt die Meldung in eine ganz andere Stimmungslage.
Hoffen auf ein Geburtenwunder umschrieb
single-generation.de diese Stimmung bereits im Juli 2007. Noch kurz
vor Weihnachten machte das Statistische Bundesamt nochmals Hoffnung
auf das Geburtenwunder. Im Jahresrückblick fasste das
single-generation.de unter dem Motto zusammen
"Der Geburtenrückgang hält auch 2006
unvermindert an - das ist jedoch (momentan) kein Problem".
Die Politik braucht aufgrund der Einführung des Elterngeldes
kurzfristig Erfolge. Dies verstellt den Blick.
Eine
dpa-Meldung,
heute veröffentlicht auf handelsblatt.com
zeigt, dass nun wieder die Hysteriker das Wort haben:
"Die
Zahl der Geburten lag erstmals 1972 niedriger als die der
Sterbefälle. Diese Lücke konnte bis 2002 mit Zuwanderung geschlossen
werden, seither aber nicht mehr."
Bevölkerungsrückgänge
gab es auch nach 1972. Sowohl in Deutschland als auch im früheren
Bundesgebiet, ging die Bevölkerung 1974 - 1978 und 1982 - 1985
zurück. Beide Male waren durch
kurzfristige Geburtentiefs - aber
auch durch Arbeitsmarktkrisen - gekennzeichnet. Nun
kommen auch wieder Bevölkerungsprognosen ins Spiel:
"Eine
Umkehr des Bevölkerungsrückgangs, der 2002 eingesetzt hat, als
Deutschland mit 82,54 Mill. Einwohnern den Höchststand nach der
Wiedervereinigung erreicht hatte, ist nach Ansicht von Fachleuten
nicht in Sicht. Die Statistiker in Wiesbaden gehen davon aus, dass
die Republik 2050 nur noch etwa 78,74 Millionen Menschen zählen
wird; der Bielefelder Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg
rechnet sogar nur noch mit rund 68 Millionen."
Die
langfristige Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2050 ist jedoch
keineswegs so vorprogrammiert, wie uns das die Verfechter von
Bevölkerungsvorausschätzungen einzureden versuchen.
Vergleicht
man die Bevölkerungsstände der dpa-Meldung für das Jahr 2050
mit der aktuellen 11. koordinierten Bevölkerungsvorausschätzung
(eine Übersicht der 11 Vorausschätzungen finden Sie
hier), dann klafft zwischen der
Zahl des Statistischen Bundesamt (78,4 Mill.) und Herwig BIRG (68
Mill.) eine Lücke von 10 Millionen. Im
Teil 1 der Serie Bevölkerungsentwicklung in
Deutschland sind aus einem Schaubild die
letzten 5 Vorausschätzungen
ersichtlich, die für das wiedervereinigte Deutschland erstellt
wurden. Die
Zahl des Statistischen Bundesamtes von 78,4 Millionen Einwohnern
liegt noch über der Variante "relativ junge Bevölkerung", die im
Schaubild als hohe Variante (gold) abgebildet ist. BIRG dagegen
wählt die niedrige Variante (rot). Alles
andere wäre für Herwig BIRG auch überraschend gewesen. Der Mann, der
sich nie irrt, liebt die Extreme. Bei
der
Schätzung der Kinderlosigkeit in Deutschland
liegen seine Werte jedoch um mindestens 20, wenn nicht gar 25 % zu
hoch, wie die Sondererhebung Geburten in Deutschland ergab.
Es gibt also wesentlich weniger Kinderlose in den Reihen der in den
1960er Jahren geborenen Frauen als BIRG und seine Sympathisanten
bislang verkündeten. Im
Buch
Die Single-Lüge werden die Tricks
und Kniffe, mit denen die Nationalkonservativen um Herwig BIRG den
Geburtenrückgang dramatisieren ausführlich dargestellt.
Obwohl
(oder vielmehr gerade?) die Geburtenrate in Deutschland in den
letzten 30 Jahren ziemlich stabil blieb, scheiterten die
"Prognostiker" Anfang der 1990er an der
Geburtenentwicklung in Ostdeutschland. Auch
wenn die Bevölkerungsentwicklung im Trend stimmte, so stellte sich
im Nachhinein meist heraus, dass es ganz andere als die angenommenen
Komponenten waren, die zum scheinbar richtigen Ergebnis führten.
In
den letzten Jahren sind viele Mythen über den Geburtenrückgang in
Vergangenheit und Zukunft entstanden. Single-generation.de
wird diese Mythen mit den Fakten konfrontieren.
BORGMANN, Thomas (2008):
Stuttgart lockt zum Wohnen und Arbeiten.
Mehr als 591 000
Einwohner - Abwanderung in die Region,
in: Stuttgarter Zeitung v. 26.01.
Im Buch Die demografische
Lage der Nation des Berlin-Institut für Bevölkerung und
Entwicklung aus dem Jahr 2005 hat Stuttgart für die Kinderzahl
die schlechteste Note erhalten: 6. Dabei kann
Stuttgart seit 3 Jahren auf
einen Geburtenüberschuss verweisen. So etwas dürfte es gemäß
traditioneller bevölkerungswissenschaftlicher Theorie überhaupt
nicht geben:
"Utz Lindemann, der die
Statistik seit 1980 führt und analysiert, sagt: »Seit drei
Jahren haben wir einen sogenannten Geburtenüberschuss - also
deutlich mehr Neugeborene als Sterbefälle. (...)«"
BERTRAM, Hans (2008): Die Mehrkinderfamilie in Deutschland.
Zur demographischen Bedeutung der Familie mit drei und mehr
Kindern und zu ihrer ökonomischen Situation. Expertise für das
Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen im BMFSFJ,
Februar
Der Soziologe Hans
BERTRAM sieht nicht in der Kinderlosigkeit, sondern im
Verschwinden der Mehrkinderfamilie das Hauptproblem des
Geburtenrückgangs in Deutschland:
"Schon 1995
hat Franz-Xaver Kaufmann darauf hingewiesen, dass die
demographische Entwicklung in Deutschland zu einer
Polarisierung der Lebensformen zwischen Kinderlosen und
Erwachsenen mit Kindern führen wird (...) (Kaufmann, 1995).
Manche
Autoren sehen in der steigenden Kinderlosigkeit in Deutschland
mit angeblich 36 Prozent eine der Hauptursachen für die
geringen Geburtenraten in Deutschland (Adema OECD 2007). So
überzeugend solche Thesen zunächst auch zu sein scheinen, so
halten sie empirischen Überprüfungen nicht stand. Vergleicht
man ausgewählte europäische Länder mit unterschiedlichen
Geburtenraten, so zeigt sich, dass die Geburtenentwicklung in
Deutschland im Wesentlichen durch das Verschwinden der
Mehrkinderfamilie geprägt ist." (2008, S.5)
"Die entscheidende Abweichung von
der europäischen Entwicklung liegt in Deutschland bei der
Familie mit drei Kindern. Waren es bei den 1935 geborenen
Frauen noch 20 auf 100 Frauen, die drei Kinder hatten, sind es
heute noch etwa 12 Prozent. Dagegen haben in Frankreich,
Finnland und den Niederlanden auch heute noch zwischen 22
Prozent (Frankreich) und 18 Prozent (Niederlande) der 1960
geborenen Frauen drei Kinder. Lebten also bei 100 in 1935
geborenen Frauen noch 60 Kinder mit zwei Geschwistern, sind es
heute nur noch etwa 36 Kinder. Die Konsequenzen für die
Geburtenraten in den einzelnen Ländern sind klar
nachzuvollziehen. Um zu einer Geburtenrate von etwa 210
Kindern pro 100 Frauen zu kommen, fehlen jene 50 Kinder, die
in der Generation der heutigen Mütter mit zwei, drei oder mehr
Geschwistern aufwuchsen; zudem fehlen die etwa 17 bis 20
Kinder aufgrund der gestiegenen Kinderlosigkeit." (2008, S.7)
NIEJAHR, Elisabeth (2008): Die Legende von der
Kinderlosigkeit.
Wenn der Staat will, dass die Zahl
der Geburten zunimmt, sollte er die Großfamilien besser
fördern,
in: Die ZEIT Nr.10 v. 28.02.
HUFNAGEL, Rainer (2008): Kinderwunsch und Partnerwahl in
Deutschland,
in: Hauswirtschaft und
Wissenschaft, Heft 1, März
Rainer HUFNAGEL kommt
aufgrund der Auswertung der Mikrozensen 1996 - 2002 zum
Ergebnis, dass Akademikerinnen seit Mitte der 1990er Jahre
mehr Kinder bekommen als schlechter gebildete Frauen.
Noch im
Bundestagswahlkampf 2005 wurde bekanntlich das Elterngeld
damit begründet, dass 40 % der Akademikerinnen lebenslang
kinderlos bleiben würden. Dieser Prozentsatz ergab sich
jedoch nur deshalb, weil auch noch 40jährige und ältere
Akademikerinnen erste Kinder bekommen bzw. der Begriff
"Akademikerin" in diversen Studien unterschiedlich verwendet
wurde.
Es stellt sich also die
berechtigte Frage, wieso Rainer HUFNAGEL seine Ergebnisse
erst im Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau der
Kinderbetreuung präsentiert und nicht bereits während der
Elterngeld-Debatte.
Wie zudem bekannt sein
sollte, lässt sich anhand des Mikrozensus gar keine Aussagen
über die Zahl der eigenen Kinder machen, sondern nur über
die Zahl der Kinder im Haushalt.
Sollte HUFNAGEL also z.B.
nur die Altersgruppen der 40 - 45jährigen Frauen untersucht
haben, weil Akademikerinnen ihre Kinder eher spät bekommen,
so entstehen Verzerrungen bereits dadurch, dass die Kinder
von schlechter gebildeten Frauen eventuell nicht mehr im
Haushalt leben. Michaela KREYENFELD & Dirk KONIETZKA
schreiben in ihrem Buch
Ein Leben ohne Kinder,
"dass in
Westdeutschland Mikrozensus und Bevölkerungsstatistik bis
zum Alter von 39 Jahren zu sehr ähnlichen Ergebnissen
kommen. Ab diesem Alter liegt die Schätzung der Kinderzahl
mit Hilfe des Mikrozensus jedoch unter der der
Bevölkerungsstatistik. Da die Kinder der über 39-jährigen
Frauen bereits häufiger das Elternhaus verlassen haben,
liefern die im Haushalt lebenden Kinder laut Mikrozensus
keine hinreichende Annäherung an die tatsächliche Anzahl
der Frauen. (2007, S.23)"
Die diversen
Zusammenfassungen bleiben Informationen über diesen
wichtigen Aspekt schuldig. Ein
anderer möglicher Grund für die Ergebnisse von HUFNAGEL
könnte darin bestehen, dass normalerweise nur der
Bildungsabschluss und nicht zusätzlich der ausgeübte Beruf
in die Untersuchungen mit eingeht. HUFNAGEL hat
offensichtlich auch den Verdienst der Paare miteinbezogen.
Ein akademischer Abschluss heißt ja nicht unbedingt, dass
dieser mit einem entsprechenden Gehalt verbunden ist.
Nicht unerwähnt bleiben
soll auch, dass Hans BERTRAM bereits im Bericht Starke
Familie aus dem Jahr 2005 darauf hinwies, dass die
Akademikerinnen-Kinderlosigkeit in den 1970er Jahren höher
war als 1995 und 2003. Dies wurde hier bereits im
Jahresrückblick 2005 auf single-generation.de
erwähnt.
Der
Wissenschaftsjournalist Björn SCHWENTKER schrieb
am 14.06.2006
dazu in der ZEIT:
"Der
Soziologe Hans Bertram, der als familienpolitischer
Berater bei Ursula von der Leyen derzeit ein und aus geht,
beteiligt sich ebenfalls am Verwirrspiel um das
Gebärverhalten deutscher Akademikerinnen. So zeigt Bertram
im Bosch-Bericht Starke Familie Daten, die das gängige
Bild komplett auf den Kopf stellen: Dort kann man
nachlesen, dass die Kinderlosigkeit der westdeutschen
Akademikerinnen schon 1971 bei 40 Prozent lag, seitdem
aber gefallen ist. Was ist hier richtig? Woran soll sich
eine Familienpolitik orientieren, die gerade dabei ist,
viel Energie und Geld zu investieren, um auch – oder
vielleicht gerade – den höher Gebildeten die Erfüllung
ihrer Kinderwünsche möglich zu machen? Am Institut des
Soziologieprofessors Bertram an der Berliner
Humboldt-Universität war man sich selbst nach dreimaliger
Nachfrage nicht sicher, mit welcher Methode die
Kinderlosenzahlen in der Studie eigentlich berechnet
worden waren."
Eine abschließende
Bewertung der Befunde von HUFNAGEL ist aufgrund der
genannten Unklarheiten und der Zusammenfassungen des
Artikels bzw. der Meldungen in der Presse nicht möglich.
FICK, Axel (2008): "Ansturm der Väter".
Gespräch mit Ursula von der Leyen,
in: Thüringer Allgemeine v. 16.04.
Ursula von der LEYEN sieht
eine Trendwende bei der Geburtenrate:
"Ich bin
davon überzeugt, dass die Geburtenrate für 2007 deutlich über
1,4 gestiegen ist. Das wäre der höchste Wert seit der
Wiedervereinigung. Ich sehe da eine Trendwende, mit ausgelöst
durch die neue Familienpolitik, eine breite gesellschaftliche
Debatte über Leben mit Kindern, natürlich auch durch die gute
Konjunktur. Aber ganz klar: Familienpolitik alleine wird den
Babyboom nicht herbeizaubern können."
STATISTISCHES LANDESAMT
BADEN-WÜRTTEMBERG (2008): Neue Form der
Familienberichterstattung in Baden-Württemberg.
Erste Ausgabe zum Thema »Kinderreiche
Familien« erschienen – Anteil kinderreicher Familien an den
Familien insgesamt ist stark zurückgegangen,
in: Pressemitteilung Statistisches Landesamt
Baden-Württemberg v. 16.04.
PFISTER, Rene & Markus FELDKIRCHEN
(2008): Nun jammern Sie mal nicht.
Spiegel-Gespräch: Bundesfamilienministerin Ursula von der
Leyen, 49, über Gleichberechtigung, die grauen Herren aus
ihrer Partei und die Frage, warum so viele Frauen mit Til
Schweiger ins Bett, aber kein Kind von ihm wollen,
in: Spiegel Nr.18 v. 28.04.
"Es gibt gerade in einer
konservativen Partei immer die Frage, wie man modernisiert,
ohne Werte über Bord zu werfen. Wir hatten 2007 zum ersten Mal
seit Jahren keinen Geburtenrückgang mehr, sondern mit 1,45 die
höchste Geburtenrate seit der Wiedervereinigung. Das zeigt,
dass unser Weg richtig ist", verkündet Ursula von der LEYEN
voreilig.
SCHULTE, Ulrich (2008): Ausbildungsplus dank Geburtenrückgang.
Der Chef der Industrie- und
Handelskammern sagt für dieses Jahr mehr offene Lehrstellen
als Bewerber voraus. Er interpretiert die Statistik sehr
optimistisch. Die Regierung rechnet mit 200.000 Jugendlichen,
die leer ausgehen,
in: TAZ v. 14.05.
SPIEGEL
-Titelgeschichte: Tausendmal probiert ... und nie ist was
passiert.
Das Geschäft mit der
Sehnsucht nach dem Kind |
DEMMER, Ulrike & Udo LUDWIG (2008): Geschäft mit der Hoffnung.
Viele
hunderttausend Paare bleiben in Deutschland ungewollt
kinderlos - und es werden immer mehr. Die verhinderten Mütter
und Väter fühlen sich von den Nachbarn mitleidig beäugt, von
den Ärzten ausgenommen und von der Politik im Stich gelassen,
in: Spiegel Nr.22 v. 26.05.
Ulrike DEMMER & Udo LUDWIG widmen dem
"menschheitsgeschichtlich widernatürlichen Spätgebären der
Babyboomer-Generation" einen
Artikel, der zwischen bevölkerungspolitischem Gebot zur
Finanzierung reproduktionsmedizinischer Maßnahmen
("volkswirtschaftlich gebotene Ziel, die Überalterung der
Gesellschaft durch mehr Geburten einzudämmen"), Kritik an der
Bezahlung von Abtreibungen durch Krankenkassen, Aufklärung
über falsches Verhalten ("Die Hälfte der ungewollt kinderlosen
Paare hatte an den durchschnittlich fünf fruchtbaren Tagen pro
Monat gar keinen Sex") und der Verteidigung "natürlicher"
Familienformen ("das gültige Familienmodell fundamental
ausgehebelt") hin und herpendelt.
BARTSCH, Matthias & Caroline SCHMIDT (2008): Kampf um
Erzieherinnen.
Ursula von der
Leyens Vorzeigeprojekt stößt vor allem in Großstädten an
Grenzen: Das Personal für den Ausbau von Kinderkrippen wird
knapp,
in: Spiegel Nr.22 v. 26.05.
Bis vor einigen Jahren
galten Städte als kinderfreie Zonen. In den Neue-Mitte-Medien
galt bis zur Verabschiedung des Elterngeld-Gesetzes im Juni
2006, dass es in Großstädten keinen Baby-Boom geben durfte
(z.B.
Christian SCHWÄGERL in der FAZ v. 27.04.2005).
Das massenhafte Aufkommen der
Family-Gentrifier in den trendigen Großstadtvierteln galt mehr
oder weniger als Tabuthema (single-generation.de
schrieb dagegen bereits im März 2002 über die
"Family-Gentrifier als neue Gruppe auf dem Wohnungsmarkt").
Die Kehrseite dieser
Geburtenrückgangs-Propaganda ist, dass es nun zu wenig
ausgebildete Erzieher gibt.
AMT FÜR STATISTIK BERLIN-BRANDENBURG
(2008): Geburtenüberschuss in Berlin im Jahr 2007,
in: Pressemitteilung Amt für Statistik Berlin-Brandenburg
v. 23.06.
"Eine kleine Sensation hat
es aus Sicht der Bevölkerungsstatistiker des Amtes für
Statistik im Jahr 2007 gegeben. Die Zahl der Geburten war mit
31 174 Kindern größer als die der Gestorbenen (30 980
Personen), der Überschuss an Geburten betrug somit 194
Personen. Einen Geburtenüberschuss hat es in den statistischen
Aufzeichnungen nach dem Krieg nur Mitte der 60er und in den
80er Jahren im ehemaligen Ostteil der Stadt gegeben", meldet
das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg.
KNEIST, Sigrid & Stephanie WALTER (2008): Babyboom in Berlin.
Die Statistiker sind von der
Bevölkerungsentwicklung in Berlin überrascht. Im Jahr 2007 gab
es mehr Geburten als Todesfälle,
in: Tagesspiegel v. 24.06.
SATTEL, Verena (2008): Sensationelle Geburtenzahlen - mehr
Nachwuchs für Berlin.
Besonders viele Babys im Bezirk Pankow
registriert,
in: Welt v. 24.06.
CICERO-Titelgeschichte:
Das neue Baby-Wunder |
EICHEL, Christine (2008): Das Baby-Wunder.
Nicht nur Statistiker staunen: Seit
vielen Jahren steigen die Geburten erstmals wieder an.
Offenbar gelten Kinder nicht mehr als Problem,
Emanzipationsrisiko oder Armutsfalle, sondern als sinnstiftend
und als emotionale Lebensversicherung,
in: Cicero, August
Vor 3 Jahren hieß die Botschaft beim
Cicero
Die
Bevölkerung schrumpft? Wunderbar!
Nun also haben wir ein
Baby-Wunder, meint zumindest EICHEL. Da steht sie jedoch mit
der Bundesfamilienministerin so ziemlich alleine auf weiter
Flur.
Trendwenden bei den Geburten erlebte Westdeutschland in den
letzten 30 Jahren bereits viele. Es
ist jetzt die Fünfte. Eine dauerte gerade mal ein Jahr.
Mitte der 1980er Jahre -
die Geburtenrate war so niedrig wie nie - wurde von den
schwarzen Alt- und grünen Neukonservativen die
neue Mütterlichkeit
aus der Taufe gehoben. Trendherbeischreiben sollte eine
vernünftige Familienpolitik ersetzen. Aber das klappte nicht,
wie wir inzwischen wissen. Weder im
Guten, noch im Schlechten.
Nur eines scheint sicher: die nächste Babyflaute kommt
bestimmt.
DESTATIS (2008): 2007:
Durchschnittliche Kinderzahl steigt auf 1,37 Kinder je Frau,
in: Pressemitteilung Statistisches Bundesamt
Wiesbaden v. 20.08.
Die "durchschnittliche
Kinderzahl je Frau (betrug im Jahr 2007 in Deutschland) 1,37
nach 1,33 im Jahr 2006. Sie nahm damit 2007 erstmals seit 2004
wieder zu. Einen höheren Wert hatte die durchschnittliche
Kinderzahl je Frau zuletzt 2000 erreicht (1,38). 2007 waren
rund 685 000 Kinder geboren worden, etwa 12 000 mehr als 2006.
Wie in den vergangenen Jahren ging die durchschnittliche Zahl
der Geburten bei jüngeren Frauen auch 2007 zurück, während sie
bei den Frauen ab Ende 20 zunahm. Besonders ausgeprägt war
diese Zunahme 2007 auch im Vergleich zu den Vorjahren bei den
Frauen von etwa 33 bis 37 Jahren.
Sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands hat die
durchschnittliche Kinderzahl im Jahr 2007 zugenommen und
beträgt jetzt jeweils 1,37. Damit lag die durchschnittliche
Kinderzahl je Frau erstmals seit 1991 in den neuen
Bundesländern so hoch wie im früheren Bundesgebiet (jeweils
ohne Berlin).
Im Westen kam es damit erstmals seit 2004 und zuvor 2000
wieder zu einer Zunahme dieser Kennzahl. Die durchschnittliche
Kinderzahl erreichte 2007 wieder den Stand von 2004, fiel aber
niedriger aus als in den Jahren 1996 bis 2001. Im Osten
Deutschlands stieg sie 2007 deutlich auf den höchsten Wert
seit der Wiedervereinigung an, nachdem sie bis 2006 auf dem
Niveau, das 2004 erreicht wurde, verharrt hatte. Zuvor hatte
die durchschnittliche Kinderzahl dort nach ihrem Tief Anfang
der 1990er Jahre bereits deutlich zugenommen", meldet das
Statistische Bundesamt
KLINGHOLZ,
Reiner/KRÖHNERT, Steffen/HOßMANN, Iris (2008): Die
demografische Zukunft von Europa. Wie sich die Regionen
verändern, München: Deutscher Taschenbuch Verlag
"Wie entwickelt sich das
gute »alte« Europa? Vielerorts liegen die Kinderzahlen auf
niedrigem Niveau und immer mehr Menschen kommen ins
Rentenalter. Überall stehen die Sozialsysteme vor großen
Herausforderungen. Alte wie neue Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union wollen von der EU-Erweiterung profitieren.
Billige Produktion wandert gen Osten, aber am meisten verdient
wird nach wie vor in den Innovationszentren im Norden und im
Westen. Gleichzeitig hat sich halb Europa auf die Wanderschaft
gemacht - immer den Arbeitsplätzen hinterher. Eines ist
sicher. Das Europa von 2030 wird völlig anders aussehen wie
der Kontinent von heute. Alle 27 EU-Länder und wichtigen
Nicht-EU-Länder wie Island, Norwegen und die Schweiz werden
mittels eines statistischen Indikatorensystems in ihrer
demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung analysiert und
bewertet",
erläutert uns der
Klappentext das Anliegen des neoliberalen Berlin-Instituts für
Bevölkerung und Entwicklung. Wie Lehrer in der Schule werden
in dem Buch Noten verteilt und die folgende fragwürdige
Rangliste verkündet, die von allen Medien im Schlepptau der
DESTATIS-Pressemeldung begierig aufgegriffen wurde:
Rang |
Land |
Gesamtnote |
Demografienote |
Progonose2030note |
1 |
Island |
1,91 |
2,0 |
1,0 |
2 |
Schweiz |
2,08 |
2,7 |
2,0 |
3 |
Schweden |
2,17 |
2,8 |
2,0 |
|
Norwegen |
2,17 |
2,5 |
1,0 |
5 |
Dänemark |
2,33 |
3,0 |
3,0 |
6 |
Niederlande |
2,58 |
2,7 |
2,0 |
7 |
Irland |
2,71 |
1,3 |
1,0 |
|
Finnland |
2,71 |
3,2 |
3,0 |
|
Großbritannien |
2,71 |
2,8 |
3,0 |
10 |
Zypern |
2,74 |
1,8 |
1,0 |
11 |
Österreich |
2,83 |
3,0 |
3,0 |
12 |
Luxemburg |
2,86 |
2,0 |
2,0 |
13 |
Frankreich |
2,92 |
2,5 |
2,5 |
14 |
Deutschland |
3,13 |
3,5 |
4,0 |
15 |
Belgien |
3,17 |
2,8 |
3,0 |
|
Spanien |
3,17 |
3,0 |
3,0 |
17 |
Portugal |
3,33 |
3,0 |
3,0 |
18 |
Slowenien |
3,38 |
3,3 |
3,0 |
19 |
Italien |
3,50 |
3,7 |
4,0 |
20 |
Estland |
3,54 |
3,3 |
5,0 |
21 |
Tschechien |
3,58 |
3,3 |
4,0 |
22 |
Malta |
3,61 |
2,3 |
1,0 |
23 |
Litauen |
3,63 |
3,7 |
5,0 |
24 |
Griechenland |
3,75 |
3,3 |
3,0 |
25 |
Lettland |
3,79 |
3,7 |
5,0 |
26 |
Ungarn |
4,00 |
3,5 |
4,0 |
|
Slowakei |
4,00 |
3,0 |
4,0 |
28 |
Polen |
4,33 |
3,3 |
4,0 |
29 |
Bulgarien |
4,43 |
4,5 |
6,0 |
30 |
Rumänien |
4,50 |
4,0 |
5,0 |
BERTH, Felix (2008): Ein Land und seine zahlreichen Geburtstage.
SZ-Tagesthema
Kindersegen in Deutschland: Viele halten
das Elterngeld für das Wundermittel, doch dies ist nicht alleine
der Grund für den Anstieg der Kinderzahl,
in: Süddeutsche Zeitung v. 21.08.
Felix BERTH verbreitet
Optimismus. Er stilisiert Dänemark zum Vorbild. Das
skandinavische Land führte 1983 ein Elterngeld ein. Danach
stieg gemäß BERTH die Geburtenrate innerhalb von 10 Jahren
kontinuierlich von 1,38 auf über 1,8.
BERTH, Felix (2008):
Unterm Strich bleibt die Hoffnung.
SZ-Tagesthema
Kindersegen in Deutschland: Im Vergleich
zu Frankreich oder Island ist die Geburtenrate in Deutschland
niedrig - aber jetzt kann wenigstens kaum noch einer von
Kinderfeindlichkeit reden,
in: Süddeutsche Zeitung v. 21.08.
Felix BERTH stellt 3
Behauptungen auf, die er zu belegen versucht:
"Die Geburtenrate
ist erstens unwichtig, zweitens ungenau und drittens
ungeheuer interessant."
Ersteres zielt darauf
ab, dass der Einfluss der Geburtenrate auf die
Bevölkerungszahl eher gering ist. Der
zweite Aspekt zielt auf
Verzerrungen durch den sog. Tempoeffekt
ab und der dritte Aspekt rankt sich um die
Problemdefinition, die an spezifischen Geburtenraten
festgemacht wird.
Um die
Geburtenraten von
2,1 (Bestandserhaltungszahl)
und 1,3 (z.B. low fertility trap, siehe
Kultur der
Kinderlosigkeit oder lowest low
fertility, siehe New
York Times Magazine "No Babies?", 29.06.2008) haben
Demografen inzwischen wirkungsmächtige Mythen konstruiert.
SLAVIK, Angelika (2008):
Lust und was dazu gehört.
SZ-Tagesthema
Kindersegen in Deutschland:
Entscheidungsgründe der Eltern,
in: Süddeutsche Zeitung v. 21.08.
KAMANN, Matthias (2008): Babyboom in den Dreißigern.
33- bis 37-Jährige Hauptprofiteure
des Elterngeldes - Statistik könnte über Sondereffekte
hinwegtäuschen,
in: Welt v. 21.08.
Die Veröffentlichung von
Geburtenzahlen oder Geburtenraten ist
wie immer in den letzten Jahren
die Stunde der Schaumschläger à la Wahlkämpfer SINGHAMMER.
Bislang ist wenig über die Wirkungen des Elterngeldes bekannt,
aber was bekannt ist, das kommt einem Mißerfolg gleich. Weder
ist der Anteil weiblicher Familienernährer entscheidend
gestiegen, noch ist der Anteil der Väter bedeutend gestiegen,
die sich mehr als einen verlängerten Jahresurlaub gönnen.
Robert HABECK hat in seinem diese Woche erschienenen Buch
Verwirrte Väter
die
Fehlanreize des Elterngeldes
anschaulich verdeutlicht und einen konsequenten Gegenentwurf
zu den neuen Reaktionären vorgelegt.
Der geringe Anstieg der Geburtenrate geht wohl entweder auf
das Konto von Tempoeffekten durch das weiter steigende
Gebäralter oder muss als Mitnahmeeffekt gedeutet werden.
Schließlich hat die kontraproduktive Bevölkerungsdebatte im
Vorfeld der Einführung des Elterngeldes enorm zur Abschreckung
beigetragen. Aufgeschobene Kinderwünsche werden jetzt
nachgeholt.
Die
Propagandamaschine des Berlin-Instituts für Bevölkerung und
Entwicklung nutzt die momentane Aufmerksamkeit, um eine
neue Studie über
Die
demografische Zukunft von Europa
ins Gespräch zu bringen. Überschriften wie
Ostdeutschland droht bald auszusterben
erinnern an die
hysterische
Bevölkerungsdebatte im Frühjahr 2006.
Bücher wie
jenes von Robert HABECK
lassen dagegen hoffen, dass endlich die Familienpolitik in den
Mittelpunkt von Wahlkämpfen rückt und damit von
bevölkerungspolitischen Irrwegen abgerückt wird.
DESTATIS (2008): 1. Halbjahr 2008: Mehr Geburten, Sterbefälle und
Eheschließungen,
in:
Pressemeldung des Statistischen Bundesamts
v. 11.11.
"Wie das Statistische
Bundesamt (Destatis) mitteilt, ist nach vorläufigen
Ergebnissen die Zahl der lebend geborenen Kinder in
Deutschland im ersten Halbjahr 2008 mit 334 200 Kindern
gegenüber dem ersten Halbjahr 2007 (330 400) leicht
angestiegen (+ 1,2%). Bei den Sterbefällen ergab sich im
ersten Halbjahr 2008 ein Anstieg um 16 400 Fälle oder um 3,9%
auf 437 600. Somit kamen im ersten Halbjahr 2008 103 400
Kinder weniger zur Welt als Menschen verstarben. Im ersten
Halbjahr 2007 hatte der Saldo aus lebend geborenen Kindern und
Sterbefällen - 90 800 betragen. Im ersten Halbjahr 2008
heirateten 140 600 Paare, in den ersten sechs Monaten des
Vorjahres waren es 138 500 gewesen. Damit ist für die Zahl der
Eheschließungen im Vergleichszeitraum ein leichter Anstieg um
2 100 oder 1,5% zu verzeichnen. Da es sich bei diesen
Ergebnissen um eine erste Zählung der Meldungen der
Standesämter im ersten Halbjahr 2008 handelt, lassen sich
hieraus noch keine längerfristigen Entwicklungstendenzen
ableiten", meldet das Statistische Bundesamt.
BERTH, Felix (2008):
Baby-Boom in München.
Im ersten Halbjahr 2007 steigt die Zahl
der Geburten in der Landeshauptstadt deutlich an - das Elterngeld
hat einen Anteil daran,
in:
sueddeutsche.de v. 14.11.
Für Felix BERTH erklärt
das Elterngeld die vergleichsweise hohen Geburtenzuwächse in
Großstädten wie München:
"Plausibel
ist (...), dass das neu eingeführte Elterngeld gerade in
wohlhabenden Städten wie München Wirkung zeigt. Denn wie
viel Geld Eltern vom Staat erhalten, hängt von ihrem
Einkommen vor der Babypause ab. Wohlhabende Paare
profitieren stärker, weshalb der finanzielle Anreiz zum
Kinderkriegen in München höher ausfällt als in ärmeren
Städten, wo viele Eltern nur den Elterngeld-Mindestsatz
von 300 Euro bekommen."
DESTATIS-Bericht: Geburten
und Kinderlosigkeit in Deutschland.
Bericht über die Sondererhebung 2006
"Geburten in Deutschland" |
PÖTZSCH, Olga & Dieter EMMERLING (2008): Neue Daten zu
Kinderlosigkeit und Geburten
in:
Statistisches Bundesamt v. 09.12.
Zur Kinderlosigkeit in Deutschland liegt
jetzt eine 75seitige Broschüre vor. Bereits im
Dezember 2007 waren erste Ergebnisse
veröffentlicht worden.
|
|