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Kommentierte Bibliografie

 
       
   

Einsamkeit

 
       
   

Vom Alleinsein in der paar- und familienorientierten Gesellschaft. Eine Bibliografie (Teil 3)

 
       
     
   
     
 

Kommentierte Bibliografie (Teil 3: 2012 - 2016)

2012

WEBER, Bettina (2012): Besser dran ohne die bessere Hälfte.
Singlefrauen über 35 haben auch heute noch mit Vorurteilen zu kämpfen: Man bemitleidet sie und hält sie für unglücklich. Dabei, so zeigen Studien, ist niemand so wenig einsam wie eben Frauen ohne Partner,
in:
Tages-Anzeiger Online v. 18.01.

FRISSE, Juliane (2012): Die vier Einsamkeitsfallen.
Das Gefühl, allein zu sein, kann jeden treffen. Doch manche Lebenssituationen sind besonders gefährlich,
in: zitty Nr.5 v. 23.02.

BARTENS, Werner (2012): Schmerz der Ausgrenzung.
Isolation, Jobverlust und Einsamkeit tun auch körperlich weh,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 31.03.

SCHOBIN, Janosch (2012): Mit Würde allein sein.
Einsamkeit: Dauerhafte Kontaktlosigkeit gilt heute als individuelles Scheitern. Diese Deutung zementiert die Isolation. Dabei gibt es Alternativen,
in:
TAZ v. 13.04.

Janosch SCHOBIN glorifiziert eine angeblich positiv erfahrende Einsamkeit in den 1950er und 1960er Jahren in Deutschland. Damals soll man noch in Würde einsam gewesen sein:

"In der Nachkriegszeit traf die Einsamkeit diejenigen, die ihre Familienangehörigen und Freunde in den Konzentrationslagern, auf den Schlachtfeldern, im Bombenhagel oder in den Nachkriegswirren verloren hatten: also potenziell alle. Vereinsamung gehörte zum kollektiven Schicksal einer gescheiterten Gesellschaft. Das Wirtschaftswunder und die darauf folgenden Wohlstandsjahre brachten hingegen eine prädestinierte Trägergruppe der Einsamkeit hervor: die Aufsteiger und ihre Familien"

Es handelt sich dabei um eine Heroisierung des Aufsteigertums der 68er-Generation im Nachhinein, das eher eine sehr kleine Gruppe betraf, die sich jedoch medial herausragend inszenierte. Die Normalität des Aufsteigers dagegen hat mit diesem inszenierten männlichen Heroentum nichts zu tun.

"Das Selbstverständnis von der geopferten Generation trägt in den Jahrgängen geringer Geburtenzahlen und kleiner Aussichten nicht mehr weit",

doziert SCHOBIN. Hier wird den geburtenstarken Jahrgängen ein Selbstverständnis untergeschoben, das nicht existiert. Die Babyboomer eine geopferte Generation? Schön wäre es, denn dann würde die reaktionäre Rhetorik unserer Eliten nicht verfangen, sondern es gäbe einen Aufschrei der Empörung angesichts der gegenwärtigen bevölkerungspolitischen Medienkampagne.

Die Soziologisierung der Einsamkeit wie sie hier propagiert wird, passt zur Umdeutung der Einsamkeit der letzten Jahre, in denen das unternehmerische Selbst im Mittelpunkt steht.

"Das Gefühl des Einsamseins häuft sich mittlerweile in einer disparaten Gruppe von Menschen, die sich nicht so recht zusammenbringen lassen: bei den Alten, Erwerbslosen und Alleinstehenden",

berichtet SCHOBIN. Und das soll in der Nachkriegszeit anders gewesen sein? Man spürt hier eine gewaltige Sehnsucht nach Verklärung, die sehr viel mit dem Ideal des unternehmerischen Selbst und der Inszenierung der neuen Bürgerlichkeit der Generation Berlin zu tun hat.

HEINRICH, Andreas (2012): Rezepte gegen die Einsamkeit.
Allein im Alter unter vielen. Einsam im Hochhaus. Oder gar tot und unentdeckt, nach Jahren erst gefunden – wie jüngst der Fall in Hagen. Einzelfälle oder doch mehr?
in:
WAZ Online v. 21.05.

RME (2012): Singles und einsame Senioren sterben früher.
Menschen, die sich im Alter einsam fühlen, haben einer aktuellen Studie zufolge ein erhöhtes Sterberisiko. Nach einer anderen Untersuchung enden Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch bei "jüngeren" Singles häufiger tödlich,
in:
Deutsches Ärzteblatt Online v. 19.06.

SAUM-ALDEHOFF, Thomas (2012): Im Gefängnis der Einsamkeit.
Wir sind von morgens bis abends am Kommunizieren. Auf Facebook sammeln wir Freunde wie früher Briefmarken. Und doch fühlen sich immer mehr Menschen inmitten von "Kontakten" tief isoliert. Woher rührt die Epidemie der Einsamkeit, die sich in unserer Gesellschaft ausbreitet? Und wie findet man hinaus?
in: Psychologie Heute, Juli

Thomas SAUM-ALDEHOFF stellt zuerst klar, dass Alleinsein und Einsamkeit zwei verschiedene Dinge sind. Danach referiert er verschiedene Aspekte der Einsamkeit und Zusammenhänge mit anderen Phänomenen wie Alleinsein, Depression, Zurückweisung und soziale Bindungen. Zur Entstehung von Einsamkeit können unterschiedliche Faktoren beitragen wie kritische Lebensereignisse, Vermeidungsverhalten, sozialer Rückzug usw. Danach referiert SAUM-ALDEHOFF Untersuchungen zu den schädlichen Wirkungen von Einsamkeit, um dann die zeitdiagnostisch lapidare Aussage zu treffen, dass Einsamkeit ein Phänomen unserer Zeit sei:

"Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung wohnen heute in Deutschland 16 Millionen Menschen solo - vor 20 Jahren waren es nur knapp 12 Millionen. Das liegt nicht vorrangig an der Alterung der Bevölkerung und dem höheren Anteil an Verwitweten. Vielmehr ist der Anteil von Singlehaushalten vor allem bei jungen Menschen im Alter von 20 bis 35 Jahren gestiegen."

Während zu Beginn des Artikels die Unterschiede zwischen Alleinsein und Einsamkeit betont werden, werden im Rahmen der Zeitdiagnostik diese Unterschiede ignoriert bzw. der statistische Sachverhalt des Alleinlebens mit Alleinsein gleichgesetzt, obwohl zu den Alleinlebenden auch Zusammenwohnende gehören, die nur nicht zusammenwirtschaften bzw. Menschen, die in Wohngemeinschaften leben. Eine Seite zuvor heißt es dagegen bei SAUM-ALDEHOFF:

"Nicht in jungen, wohl aber in mittleren Lebensjahren leiden einsame Menschen (...) unter Stressoren, die ihren sozialen Rückzug noch verstärken: mehr Scheidungen, mehr Nachbarschaftsstreit, mehr Konflikte am Arbeitsplatz, mehr Entfremdung."

Dies aber würde dafür sprechen, dass nicht die Zunahme der Singlehaushalte im Alter von 20 - 35 Jahren, sondern die geringe Anzahl von Singlehaushalten bei den 35-45 Jährigen zur Einsamkeit beiträgt. Darunter befinden sich die Problemgruppen der männlichen Scheidungssingles sowie der unfreiwillig Partnerlosen.

Der Zusammenhang zwischen Alleinleben und Einsamkeit wird von SAUM-ALDEHOFF zu undifferenziert gesehen. Zu den Gefahren sozialer Netzwerke wird einzig das Buch Verloren unter 100 Freunden von Sherry TURKLE referiert.

Der wichtige Aspekt der modernen Arbeitswelt mit seinen Mobilitätsanforderungen wird dagegen nur kurz und sehr oberflächlich abgehandelt.

Zum Abschluss des Artikels stellt SAUM-ALDEHOFF das Gegenmittel vor:

"Das Gegenmittel gegen Einsamkeit ist nicht bei anderen eingeforderte Zuwendung - das bringt allenfalls Mitleid, häufiger aber bewirkt es erst recht den Rückzug der solcherart Bedrängten. Nicht Aufmerksamkeit fordern ist also die Arznei, sondern: Aufmerksamkeit schenken."

Im Anschluss an John T. CACIOPPO werden 4 Strategien vorgeschlagen: 1. Den Radius erweitern (darunter wird das Üben von Small Talk abgehandelt); 2. In Aktion treten, d.h. ehrenamtliche Tätigkeiten übernehmen, die einem nicht überfordern; 3. Selektieren, d.h. Gleichgesinnte für Geselligkeiten suchen; 4. Das Beste erwarten, d.h. "anderen gegenüber Wärme und guten Willen" zeigen.

Man könnte auch sagen, dass heutzutage ein neues Ethos der Einsamen erforderlich ist, denn die Vereinbarkeit von Beruf und  Alleinleben/Zusammenleben stellt neue Herausforderungen dar. Einsamkeit kann in dieser Sicht auch als Regulationsmodus verstanden werden.

GEO-Titelgeschichte: Der Nachbar

EBERLE, Ute (2012): Guter Nachbar, böser Nachbar.
Die Psychologie der ungewollten Nähe,
in:
GEO, August

"In Tübingen (...) starb 2010 ein 72-jähriger Mann in seiner Wohnung, der bis dahin zehn Jahre lang für seine bettlägerige Frau gesorgt hatte. Der Frau gelang es nicht Hilfe zu rufen. Eine Woche dauerte es, bis Nachbarn bemerkten, dass sie den Mann länger nicht gesehen hatten. Als Polizisten in die Wohnung eindrangen, fanden sie die 82-Jährige tot, vermutlich verdurstet",

erzählt EBERLE. Gewöhnlich wurden in der Vergangenheit solche Geschichten erzählt:

"Rentnerin lag vier Wochen tot in ihrer Hochhauswohnung! Erst als Nachbarn auf den Geruch aufmerksam wurden, brach die Polizei die Tür auf."

Dieses Beispiel stammt aus dem Ratgeber Solo in die Jahre kommen von Frank NAUMANN, der vor 15 Jahren erschien und seiner Zeit weit voraus war, denn dort hieß es:

"Das kann Ihnen auch im Ehestand passieren. Nach fünfzig Jahren glücklicher Ehe stirbt Ihr Partner, und plötzlich stehen Sie allein da. Kaum Freunde, die Sie trösten, da Sie beide sich immer selbst genug waren. Die Kinder leben weit entfernt und stecken gerade in der Midlife-Krise. Für überlebende Partner steigt das Todesrisiko in den ersten Monaten nach der Verwitwung dramatisch an. Wenn es Sie jetzt erwischt, bleiben Sie ebenso unbemerkt wie die einsame Oma, die schon seit Jahren mit niemandem mehr ein Wort gesprochen hat."

Frank NAUMANN setzte auf Freunde, modern gesprochen: soziale Netzwerke, als Helfer in der Not, EBERLE zeigt dagegen auf wie wichtig gute Nachbarschaft sein kann, denn:

Wir haben das "Gefühl, dass wir ohnehin keine Wahl haben: wenn Familien schrumpfen, die globalisierte Arbeitswelt die Reste verstreut und die Sozialleistungen schwinden, ist der Nachbar oft der Einzige, der noch vor Ort ist, wenn Not am Mann herrscht."

Nicht nur alarmistische Nostalgiker wie Frank SCHIRRMACHER, die mit rührseligen Geschichten vom Donner-Pass das Zurück zur althergebrachten Familie als Allheilmittel betrachten, übersehen, dass heutzutage die multilokale Mehrgenerationenfamilie die weit verbreiteste Lebensform ist. Und immer mehr ältere Paare leben getrennt zusammen (living apart together).

Für Forscher wie Daniel ALDRICH ist die  Nachbarschaft bei der Bewältigung von Naturkatastrophen am hilfreichsten.

EBERLE beschreibt die neuen Nachbarschaftshilfe, die z.B. durch Wohnprojekte, Tauschbörsen oder mittels Internet (nirio.com, allenachbarn.de) entstehen.

WELDING, Malte (2012): Wie in Einzelhaft.
Ein Essay über die wachsende Einsamkeit in unserer Welt und die Frage, warum viele ihr nicht entkommen,
in: Badische Zeitung v. 06.08.

RÖTZER, Florian (2012): Alleinlebende haben höheres Sterberisiko im mittleren Alter.
Während eine Studie ein erhöhtes Risiko bei Alleinlebenden sieht, führt eine andere das höhere Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko auf Einsamkeit zurück, die es auch bei Paaren gibt,
in: Telepolis v. 10.08.

ECONOMIST (2012): The attraction of solitude.
Living alone is on the rise all over the world. Is this bad news?
in: Economist v. 23.08.

ELBING, Eberhard (2012): Allein allein.
John T. Cacioppo und William Patrick vereinen in ihrem Buch bio- und sozialwissenschaftliche Aspekte der Einsamkeit,
in: Psychologie Heute,
September

EMOTION-Dossier: Ich kann gut allein sein.
Wer gern mit sich ist, wird auch mit anderen glücklich

KALOFF, Susanne (2012): Leere bedeutet auch: Raum für sich.
Einsamkeit ist ein tiefer Schmerz, dass man sich niemandem nahe fühlt, hat unsere Autorin erfahren müssen. Aber sie hat auch gelernt, dass dieser Schmerz sie stark werden lässt,
in:
emotion, September

STEINRÜCK, Alrun (2012): Lieber glücklich allein...
Interview: ... als einsam zu zweit. Ihre Freiheit als Single geben Frauen heute nicht mehr für einen Kompromissmann auf, sagt der US-Soziologe Eric Klinenberg,
in:
emotion, September

Alrun STEINRÜCK interviewt den Soziologen Eric KLINENBERG, dessen Buch Going Solo dieses Jahr erschienen ist. Alleinlebende sind vor allem eines - Projektionsfiguren Zusammenlebender:

"emotion: Leben Sie selbst allein?
Eric Klinenberg: Nein, ich bin verheiratet und habe zwei kleine Kinder. Und ich bin glücklich, wenn ich abends zu meiner Familie nach Hause komme. Meine Frau nennt meine Studie allerdings mein »Fantasiebuch«.
emotion: Wieso denn das?
Eric Klinenberg: Ich habe früher allein gelebt. Jetzt verbringe ich meine Tage oft allein als Schriftsteller und Wissenschaftler. Ich genieße diese Zeit wirklich. Wir leben in einer so extrem vernetzten Welt, dass wir Ruhe und Stille mehr denn je brauchen. Wenn ich meine Kinder morgens zur Schule bringe, sprechen mich viele Eltern darauf an, wie gern sie mehr Zeit für sich selbst hätten. Wenn man ganz ehrlich ist, gibt es wohl kein perfektes Leben. Wer allein lebt, sehnt sich nach Gesellschaft, und wer mit jemanden zusammenlebt, nach Zeit allein. Das ist die Krux des Menschseins."

KALOFF, Susanne/DELVALLE, Barbara/BARTELS, Stephan/THOLL, Tom/ROKAHR, Lisa (2012): Warum ich jetzt gern Single bin.
Dossier Fünf Singles erzählen: Es werden immer mehr. Und das ist gut so. Denn unsere Gesellschaft braucht Singles. Nie war es einfacher, allein zu leben - und dabei glücklich zu sein,
in: Brigitte Nr.38 v. 19.09.

PETSCHEK, Peter (2012): Allein ist spitze.
Single-Männer: Single-Männern geht's mies, das legt eine Studie nahe: Ohne Frau, so scheint es, können sie einfach nicht glücklich sein. Wer aber seinen alleinstehenden Kumpel mit Verkupplungsversuchen zwangsbeglücken möchte, sei gewarnt - so elend ist das Alleinsein nicht,
in: Spiegel Online v. 21.09.

"Ungünstig für Männer, für mich persönlich aber ohne direkte Folgen ist eine andere Studie, die mir letztens in die Finger kam. Wissenschaftler der Uni Kent hatten sozusagen einen Glücksatlas für Singles erstellt, und dort kam mein Geschlecht gar nicht gut weg. Während Single-Frauen ein hohes Glücksniveau haben, reisen, Freundinnen treffen, viel unternehmen und mittendrin im sozialen Leben sind, wirkt sich ein Single-Leben auf Männer bedrohlich aus: Von Zufriedenheit keine Spur, eher enden die Kerle irgendwann als einsame, Pizza-futternde Sozial-Honks vor der Mattscheibe",

schreibt PETSCHEK. In Deutschland wird das positive Image des Alleinlebens ("Single-Daseins") insbesondere durch Frauen und Frauenzeitschriften geprägt, z.B. aktuell in der Brigitte und der Zeitschrift emotion. Spätestens seit Michel HOUELLEBECQs Romanen Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen gilt der Singlemann als Problemfall.

LIERE, Judith (2012): Fang den Mann.
Ab dreißig überkommt Männer die große Bindungsangst. Frauen glauben dann, die einsamen Wölfe an sich binden zu müssen. Doch damit wird alles nur schlimmer,
in: Neon, Oktober

BENDER, Justus & Jan Philipp BURGARD (2012): "Einsamkeit ist schon ein Thema".
Claudia Roth, die Bundesvorsitzende der Grünen, im Gespräch über ihre Liebe zu Winnetou, einsame Abende im Hotel und Beziehungen in der Politik,
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.11.

FREY, Carina (2012): Allein unter vielen.
Einsamkeit betrifft nicht nur Singles,
in:
Märkische Allgemeine Online v. 14.11.

SCHIRG, Oliver (2012): Allein, aber nicht einsam.
Hamburger Haushalte: In 52 Prozent von Hamburgs Haushalten lebt nur eine Person. Viele der Singles in der Hansestadt sind mit der Situation aber ganz zufrieden,
in: Hamburger Abendblatt v. 22.12.

2013

KOLOSOWA, Wlada (2013): Allein, nicht einsam.
Single-Haushalte: Jeder fünfte Deutsche lebt allein, weltweit steigt die Zahl der Ein-Personen-Haushalte. Was bedeutet das für die Gesellschaft? Werden wir egoistischer, isolierter? Mitnichten, meint der Soziologe Eric Klinenberg. Einsamkeit ist weder eine Frage der Wohnverhältnisse - noch des Beziehungsstatus,
in:
Spiegel Online v. 02.01.

PROFIL-Titelgeschichte: Lebensgefühl Einsamkeit.
1,3 Millionen Single-Haushalte in Österreich: Warum immer mehr Menschen allein sind und wie man der sozialen Isolation entkommt

HAGER, Angelika & Sebastian HOFER (2013): Isolationshaft Einsamkeit.
Einsamkeit gilt als Schreckgespenst einer digital restlos vernetzten und manisch beziehungssüchtigen Gesellschaft. Alleinsein muss jedoch nicht nur krank machen, sondern kann auch zum Trainingslager für ein besseres Ich werden,
in:
Profil v. 07.01.

KLUTE, Hilmar (2013): Allein.
Zuschauen, entspannen, nachdenken. Nix twittern, mit niemandem reden. Herrlich! Ein Loblied auf die Einsamkeit,
in: Süddeutsche Zeitung v. 23.02.

"Immer wieder liest man von Menschen, die so lange alleine waren, bis es anfing im Hausflur zu riechen. (...)(Die) traurige Seite des Alleinseins (...) überschattet (...) alle anderen Facetten, denn das Alleinsein ist im Zeitalter der Allgegenwart von Freunden und der Allverfügbarkeit von Ablenkungen, meist digitaler Art, mehr als unpopulär geworden",

kritisiert Hilmar KLUTE. Wer allein sein will, der gilt schnell als Gestörter:

"Alleine sein heißt heute Single sein, Nerd oder Autist. (...) Heute halten viele das Alleinsein für eine gefährliche soziale Störung, von der man insbesondere alte Menschen fernhalten muss. Deshalb werden sie betreut wie Kranke".

Nichtsdestotrotz wird heutzutage dem Alleinsein - wenn es als Event (z.B. als Auszeiten im Kloster) oder als Therapie daherkommt:

"Das Alleinsein gehört wie das Entspannen, das Essen und das Nichtausgebrannt sein zu den Lebenstechniken, die offenbar behutsam wieder erlernt werden müssen. Und wie bei allen Dingen, die wir verlernt haben, steht eine ganze Industrie bereit, uns wieder auf die Sprünge zu helfen. Denn wenn das Alleinsein ein Baustein für die Optimierung ist, kann es sogar als Therapie eingesetzt werden."

Die "Verkitschung des Alleinseins als Erleuchtungshilfe" fängt für KLUTE mit den Büchern von Paul COELHO ("Die Schriften von Accra") an. Eine Kulturgeschichte des Alleinseins müsste die Bilder von Carl SPITZWEG (der Einsame als Sonderling) und Edward HOPPER sowie das Werk von Gottfried BENN ("Feier der Solitude") umfassen. KLUTEs Fazit:

"Das Alleinsein ist ein Zustand, den klügere Menschen zur Optimierung ihrer Sinne und Fertigkeiten benutzen, für weniger helle Köpfe ist das Alleinsein eine Leerstelle, die gefüllt werden muss."

Wenn man "klügere Menschen" mit den Kreativen und "weniger helle Köpfe" mit der Masse gleichsetzt, erklärt das den schlechten Ruf des Alleinseins, wie man bereits 1991 bei dem Soziologen Peter GROSS und seiner Soziologie des Nicht-Sozialen nachlesen konnte. Das Alleinsein als Optimierung der Sinne und Fertigkeiten wurde auf single-generation.de bereits im Jahr 2006 u. a. anhand des Buches Einsamkeit von Ulf POSCHARDT vorgestellt. Es ging dabei um das neue Ethos der Einsamen.

ALA (2013): Achtung, verfügbar und ansprechbar!
Single-Mode: Ein Verlangen, ein T-Shirt, eine Botschaft: Im US-Bundesstaat Arizona will eine Unternehmerin Millionen vereinsamter Singles zusammenführen. Ganz altmodisch und analog - dank Gutzy-Meet-Me-Klamotte,
in:
Spiegel Online v. 07.05.

GOLDMANN, Lisa (2013): Niemand antwortet mehr.
Nachlass: Entrümpler sind die Letzten, die sich ein Bild vom Leben mancher Verstorbener machen. Ausweise, Fotos, Liebgewordenes fassen sie noch einmal an, bevor sie es in Müllsäcke stopfen,
in:
TAZ v. 14.06.

"765 Menschen sterben, statistisch gesehen, in Deutschland jeden Tag. Viele von ihnen haben keine Hinterbliebenen - so wie Heinz Ocvirk. (...). Keine Frau, keine Kinder, keine Familie."

Das sind die Geschichten, die unser neues Bürgertum so innig liebt! Geschichten, die die Wiederkehr der Konformität - wie von Cornelia KOPPETSCH beschrieben - zementieren sollen. Ein einsamer Alleinlebender - selber schuld! Oder doch nicht?

Lange tot, bevor sie/ihn jemand fand - trotz Frau (kurz zuvor gestorben), Kind (Kontakt schon vor langer Zeit abgebrochen), Familie (im Ausland lebend). Das ist der wahre Horror, den es nicht geben darf in den Wohlfühlblättern der neuen Mitte. Dann doch lieber Friedhofsromantik.

LILL, Felix (2013): Eine Puppe gegen die Einsamkeit.
Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt kämpft mit einer rasch alternden Gesellschaft. Roboter als Helfer in der Altenpflege sind in Japan daher schon längst Realität geworden,
in: Die Presse
v. 30.06.

BERGEN, Stefan von (2013): Geht der Schwund der Familien so weiter, nimmt die Einsamkeit im Alter zu.
Haushalte ohne Kinder sind heute in der Überzahl. Sind die Familie und das Überleben der Schweiz bedroht? Man habe heute bei Lebensmodellen die freie Wahl, sagt Dominik Schöbi, Familienforscher an der Uni Freiburg,
in:
Berner Zeitung Online v. 14.07.

MIKA, Bascha (2013): Die besseren Single.
Frauen vereinsamen seltener, weil sie sozialer sind. Alleinstehende Männer tun sich verdammt schwer, als Single durchs Leben zu kommen. Sie neigen dann dazu, viel zu saufen und viel zu rauchen,
in:
Berliner Zeitung v. 15.10.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG-Serie: Beziehungsweisen (Teil 10)

UHLMANN, Berit (2013): Aus der Welt.
Einsiedler: Seit Jahrtausenden suchen manche Menschen die völlige Einsamkeit - oft aus religiösen Gründen. Andere wollen auch nur ein paar Jahre lang ungestört an ihrem PC spielen,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 20.11.

Berit UHLMANN fasst unter Einsiedler so unterschiedliche Phänomene wie das japanische Hikikomori und Eremiten zusammen. Letzteren soll "ein weitgehend konsumverweigerndes, kontemplatives Leben im Glauben" gemein sein, während ersteres mit den Möglichkeiten und Konflikten bzw. psychischen Krankheiten in modernen Gesellschaften in Verbindung gebracht wird (Geburtenrückgang, Nesthockermentalität, Rollenkonflikte).

Es schwingt aber auch immer die Frage mit, inwiefern Einsamkeit zum Sehnsuchtsort geworden ist. In seinem Aufsatz Die Angst vor der Gemeinschaft beschreibt Urs STÄHELI Schüchterne als Pioniere, die auf die Defizite moderner Gemeinschaften verweisen. Die modernen, "liberalen" Gemeinschaftsformen können in dieser Sicht als Überforderung gesehen werden.

SIMON, Violetta (2013): Allein zu zweit.
Fotoserie mit fiktiver Freundin: Wenn Pärchen und Familien zu Weihnachten zusammenrücken, fühlen sich viele Singles noch alleinstehender. Ein japanischer Fotograf hat seine Einsamkeit in einer Bilderserie dargestellt und sich damit eine Menge neuer Freunde gemacht,
in:
sueddeutsche.de v. 06.12.

WALTER, Tanja (2013): Gefahr für Senioren und Singles.
So krank macht Einsamkeit,
in:
Rheinische Post Online v. 12.12.

KAPPERT, Ines (2013): Erfolgreich, sportlich, attraktiv, charmant. Und einsam.
Chefinnen: Was haben neue Fernsehserien mit Emanzipation zu tun? Zweierlei. Sie haben sich vom Fernsehen emanzipiert. Und sie verhandeln Emanzipation: Wie nie zuvor in der TV-Geschichte bieten sie weiblichen Hauptfiguren eine Plattform. Allerdings gibt es da einen großen Haken,
in:
TAZ v. 31.12.

2014

MAITLAND, Sara (2014): Ich bin dann mal raus.
Rückzug: Nichts ist uns so wichtig wie Freiheit. Aber wenn ein Mensch wirklich allein leben will, versteht das kaum jemand. Ein Plädoyer,
in: Freitag Nr.4 v. 23.01.

Der Freitag hat einen langen Essay der Schriftstellerin Sara MAITLAND, die seit 20 Jahren allein in den schottischen Highlands lebt, gekürzt und übersetzt. Von MAITLAND ist gerade das Buch How to be alone erschienen. Einsamkeit ist für MAITLAND eine Ressource und kein Problem oder gar eine Krankheit.

MIKA, Bascha (2014): Ganz schön allein.
Single sein macht krank und unglücklich. Sagt wer? Eine Agentur für Partnervermittlung. Was für eine Überraschung!
in: Frankfurter Rundschau v. 05.02.

Bascha MIKA hält uns Leser für besonders doof und setzt die Anzahl der Einpersonenhaushalte mit Partnerlosigkeit gleich, obwohl gerade in Großstädten lediglich das multilokale Wohnen zunimmt. Der Mobilitätszwang der Hartz-Gesellschaft führt zur Zunahme von Paaren ohne gemeinsamen Haushalt. Dass der Mobilitätszwang für Partnerschaften nicht unbedingt förderlich ist, das leugnet MIKA, nur weil eine Partneragentur, der es lediglich um das Geschäft mit der Einsamkeit geht, das als Marketinginstrument missbraucht. Genauso wie MIKA die Alleinlebenden für ihren Single-Gesellschaft-Mythos missbraucht.

BERG, Sibylle (2014): Sonntags, wenn wir uns selbst auflösen.
Einsamkeit: Schon wieder dieser Tag, an dem wir allein sind und plötzlich fürchten, dass uns keiner braucht, dass sich keiner für uns interessiert, ja, dass es uns eigentlich gar nicht gibt. Wäre da nicht wenigstens ein Hund, der uns die Pfote reicht,
in:
Spiegel Online v. 02.03.

FREYNSCHLAG, Sophia (2014): Das Geschäft mit einsamen Herzen.
Eine Partnervermittlung verlangte von einem Steirer mehr als 6000 Euro - auch beim Online-Dating lauern Fallen,
in: Wiener Zeitung Online v. 15.04.

KUNZ, Gabriele (2014): Die Einsamkeit der Alten.
Wie hat sich das Leben von Witwen und Witwern in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Zumindest in finanzieller Hinsicht hat sich ihre Lage verbessert,
in: Psychologie Heute, August

Gabriele KUNZ fasst den Artikel Persönliche Bilanzierung der Herausforderungen einer Verwitwung im Zeit- und Geschlechtervergleich von François HÖPFLINGER, Stefanie SPAHNI & Pasqualina PERRIG-CHIELLO zusammen, der in der Zeitschrift für Familienforschung, Heft 3/2013 veröffentlicht wurde. Die Wissenschaftler haben 1979, 1994 und 2011 die Lebenssituation von Witwen und Witwern in zwei Schweizer Kantonen untersucht.

BRIGITTE-Dossier: Warum wir keine Kinder wollen.
Es gibt viele Frauen, die nicht Mutter werden wollen und ein Leben ohne Nachwuchs auch nicht als Mangel empfinden. Dafür müssen sie sich erstaunlich oft rechtfertigen. Warum eigentlich?

DIEHL, Sarah (2014): "Bin ich denn ein Freak?"
Wenn Frauen ihr Leben ohne Kinder prima finden, so wie es ist, und auch keine biologische Uhr ticken hören, sind ihnen Nachfragen sicher. Die Autorin fragt sich, was für ein Bild von Weiblichkeit dahintersteckt,
in: Brigitte
Nr.23 v. 22.10.

Sarah DIEHL befasst sich mit dem, was gemeinhin als "gewollte" Kinderlosigkeit bezeichnet wird, im Grunde aber eher die Ambivalenz heutiger Kinderwünsche bezeichnen sollte. Da das Ziel ihres Buches die Beseitigung von Zweifeln an der eigenen Gewolltheit der Kinderlosigkeit ist, ist die Sichtweise genauso einseitig wie derjenigen, die von "ungewollter" Kinderlosigkeit reden, weil die grundlegende Ambivalenz heutiger Lebensverhältnisse unberücksichtigt bleibt.

Kinderlosigkeit wird einerseits als Selbstschutz gegen eine imaginierte Überforderung durch die Mutterschaft dargestellt, andererseits wird aber in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie keine Alternative gesehen. Tatsächlich gibt es durchaus gute Gründe, kinderlos bleiben zu wollen, da ganz offensichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie Grenzen gesetzt sind bzw. die Ansprüche an die Kindererziehung so hoch sind, dass Frauen sich diesen nicht gewachsen fühlen. Da hilft ein Journalismus wenig, der das lediglich als unberechtigte Jammerei abtut. Die Kindstötung ist dann nur der Extremfall einer solch falsch verstandenen Mutterschaft.

Berechtigte Kritik übt DIEHL an den gesellschaftlichen Stereotypen:

"Die kinderlose Frau (...) gilt als tragisch und einsam oder als Opfer der Emanzipation, das seine natürlichen Bedürfnisse einfach nicht mehr sehen kann.
Für kinderlose Frauen gibt es gesellschaftlich gesehen keine positiven Role-Models. Als Gegenmodell zur Mutter gibt es nur die verhärmte, gefühlskalte Karrierefrau (was natürlich lächerlich ist, schon allein wenn man bedenkt, wie wenig Frauen es immer noch in Führungspositionen gibt)".

Und es gibt seit längerem einen Trend im Journalismus, der darauf hinausläuft, dass in den so genannten "Qualitätsmedien" fast nur noch einsame Karrierefrauen zu Wort kommen. Oder wie es DIEHL ausdrückt:

"Unsere Gesellschaft, so scheint es mir, lauert fast spöttisch auf das späte Bedauern der Kinderlosen: »Du wirst das später mal bereuen.« Diesen Satz hören Frauen wie ich so häufig, explizit und implizit, dass es schwer ist, ihn nicht zu verinnerlichen und sich zu fragen, ob vielleicht tatsächlich etwas nicht stimmt."

Das Beispiel einer Frau, die wegen einer Krankheit keine Kinder bekommen konnte und aufgrund der Diskriminierung unverheirateter Paare bei Adoptionen auch kein Kind adoptieren wollte, zeigt, dass "gewollte" Kinderlosigkeit keine Frage individueller Entscheidungen ist, sondern von den individuellen Lebensumständen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht zu trennen ist.

Nicht zuletzt kritisiert DIEHL den Trend zur Demografisierung gesellschaftlicher Probleme. Politische Alternativen zum Allheilmittel einer Geburtensteigerung sieht DIEHL durch die

"Erleichterung der Zuwanderung, das Erweitern des Familienbegriffs, mehr Geld für Pflegearbeit und Kinderbetreuung."

DIEHL weist außerdem darauf hin, dass Kinderlose - im Gegensatz zu Eltern, die sich in die Privatheit der Familie zurückziehen, vermehrt gesellschaftspolitisch engagieren:

"statt sich in die Familie zurückzuziehen, schaffen viele Kinderlose neue Formen des solidarischen Zusammenlebens, die unsere alternde Gesellschaft dringend braucht. Viele meiner Interviewpartnerinnen basteln an Wohnprojekten, Mehrgenerationenhäusern und Landkommunen; und sie versuchen, Themen wie drohende Altersarmut und Pflege darin zu integrieren.
Sie machen so auch die Unzufriedenheit über die herkömmlichen Familienkonzepte und Geschlechterverhältnisse nach außen hin deutlich, denn sie schaffen Alternativen abseits der gewohnten Kleinfamilie, die dann auch wieder das Zusammenleben mit Kindern ermöglichen - es müssen ja nicht immer zwingend die biologisch eigenen sein."

HUMMEL, Katrin (2014): Naiv, verliebt, betrogen.
Sie ist einsam, er umwirbt sie. Dann braucht er viel Geld, sie überweist es ihm. Warum funktioniert die Masche immer wieder? In Zeiten des Internets ist der Liebesbetrug so verbreitet, wie nie zuvor,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 02.11.

ZEIT-Thema: Wer hat Angst vor solchen Frauen?
Sie sind jung, gut im Beruf und behaupten sich im Leben. Viele von ihnen bleiben ohne Partner - und werden ständig gefragt - warum

PAUER, Nina (2014): Unheimlich unabhängig.
Sie ist der beliebteste Leistungsträger unserer Gesellschaft: Die junge Frau, erfolgreich, attraktiv und sozial vernetzt. Trotzdem findet sie keinen Mann. Ist das schlimm?
in: Die ZEIT Nr.50 v. 04.12.

Nina PAUER schwadroniert über Alleinleben und Einsamkeit (ein Begriff, der im Zeichen der Ökonomisierung des Sozialen einen Wandel erfahren hat). Sie ist damit Teil des Problems, das sie angeblich beschreibt, aber vielmehr erst miterzeugt. Man erfährt viel über neubürgerliche Spießigkeit, aber nichts über die Wirklichkeit derjenigen, die amtsstatistisch als alleinlebend definiert werden. Bereits die Formulierung "Menschen im heiratsfähigen Alter zwischen Ende 20 und Ende 30" setzt im Grunde Partnerschaft mit Ehe gleich, ergo sind Unverheiratete einsam und partnerlos. Während jedoch nicht-alleinlebende Unverheiratete als "partnerlose Unterschicht" nicht einmal erwähnenswert erscheinen, ist das Alleinleben der Karrierefrau inzwischen zum neubürgerlichen Symbol einer fehlgeleiteten Moderne geworden.

Wer das 1990 erschienene Buch Das ganz normale Chaos der Liebe gelesen hat, der kennt dieses Gitterstäbe-der-Einsamkeit-Gerede bereits zur Genüge, das Nina PAUER da über die Leserschaft ergießt, als ob es der allerneueste Schrei wäre, obwohl es lediglich die Sicht der 68er-Generation unreflektiert nachplappert und ein geringfügiges Update verpasst:

"Eigens auf sie abgestimmte Identifikationsangebote wie die Fernsehserie Girls (...) porträtieren liebenswert neurotische und sehr einsame Großstadtfrauen (...). Anders als die pummelige Kalorien zählende" Figur der Bridget Jones (...), haben die neuen Protagonistinnen der Einsamkeit sich aber in ihrem Zustand eingerichtet."

Erst zum Schluss des Artikels kommt PAUER zu den Motiven dieser Vorstellungen über das Single-Dasein:

"Unsere Zeit, in der Fortpflanzung als demografische Bürgerpflicht angesehen wird, fasst die einsame junge Frau als biologische Beleidigung auf. (...). Offenbar mutwillig fördert sie die unheimlich-futuristisch anmutende Vision einer kommenden Normalität in selbstbestimmter Fortpflanzung, die social freezing, das Einfrieren von Eizellen, als praktische Lösung entdeckt hat, um die Lebensplanung komplett frei gestaltbar werden zu lassen und damit auch die letzte Abhängigkeit an eine alte, verstaubte Zeit zu kappen, in der Faktoren wie Mann, Zeit, Biologie eine Rolle spielen."

Kurzgefasst: Die erfolgreiche Singlefrau symbolisiert die immerwährende Angst vor dem Aussterben und bietet sich damit hervorragend als Projektionsfläche neubürgerlicher Werte an.

PAUER beschäftigt sich lediglich mit den typischen Single-Bildern, was fehlt: die Realität des Single-Lebens. Das liegt nicht nur daran, dass wir hier im Feuilleton sind, sondern auch daran, dass sich die empirische Forschung für das Single-Dasein nicht mehr interessiert - höchstens als Negativfolie zur heiligen Familie. Längst vorbei sind die Zeiten als der Feminismus die Singlefrau in den 1980er Jahren als Pionierin der Moderne entdeckte. In den 1990er Jahren wurde sie dann noch von der Lifestyle-Industrie getragen, während der neubürgerliche Wertewandel, dessen erster Bestseller Das ganz normale Chaos der Liebe hieß, bereits seinen langen Schatten vorauswarf. Bridget Jones gehört dagegen bereits jener Ära an, die im Single nur noch das Leidbild, aber nicht mehr das Leitbild sieht.

RADISCH, Iris (2014): Sie hatte viele beste Freundinnen.
Gar nicht einsam: Tuğçe A. starb, weil sie junge Frauen verteidigte,
in: Die ZEIT Nr.50 v. 04.12.

KÜMMEL, Peter (2014): Mädchen im Sturz.
Von Unsichtbarkeit bedroht, zu Rollenklischees verdammt: Die einsame Frau in den populären Erzählungen von heute,
in: Die ZEIT Nr.50 v. 04.12.

Peter KÜMMEL kennt nur vier Frauenrollen: die Mutter ("Boyhood" von Richard LINKLATER), die lüsterne Frau ("Nymphomaniac" von Lars von TRIER), die Heilige ("Groß und Klein" von Botho STRAUß) und die Rächerin ("Carrie" von Stephen KING).

Die Artikelüberschrift verweist auf die Erzählung Mädchen im Sturz von Dino BUZZATI, die in der ZEIT vom 16. September 1960. Dort heißt es:

"Solche Flüge – besonders von Mädchen – waren keine Seltenheit im Hochhaus und bedeuteten eine interessante Zerstreuung für die Mieter; deswegen war auch der Preis für die Wohnungen besonders hoch."

HAAF, Meredith (2014): Junge Frauen.
Wie der Fall Tuğçe in der Feminismusdebatte instrumentalisiert wird,
in: Süddeutsche Zeitung v. 10.12.

Meredith HAAF kritisiert das ZEIT-Thema der letzten Woche über partnerlose Frauen als skurril und geschmacklos:

"Als Kronzeugin dafür wird in einem beispiellosen Fall von überdrehtem Deutungsopportunismus die Lehramtsstudentin Tuğçe A. ins Feld geführt, die Ende November auf einem Parkplatz in Offenbach von einem betrunkenen, sexuell aggressiven jungen Mann erschlagen wurde. Auch sie sei eine der »weiblich selbstbewussten Premiumsingles«, um die es gehen müsse, heißt es da, »jung, schön«, mit einem großen Freundeskreis ausgestattet, aber trotzdem ein Beispiel für »gebildete, frauenvernetzte Einsamkeit« - schließlich habe sie die ganze Nacht nur mit ihren Freundinnen verbracht, was die Autorin offenbar für sehr modern und bemerkenswert hält. (Laut Presseberichten stand A. tatsächlich kurz vor der Verlobung mit ihrem Freund.) Und das alles steht dann irgendwie in einem Zusammenhang mit der Fernsehserie »Girls«, dem Sado-Maso-Film »Nymphomaniac« und der hohen Aktivität junger Frauen in sozialen Netzwerken."

Wie bereits letzte Woche auf dieser Website kritisiert, wird unverheirateten Frauen oftmals Partnerlosigkeit angedichtet und mit soziodemografischen Daten untermauert, die dafür ungeeignet sind. Auch Medienberichten über Paare mit zwei Wohnungen liegt oftmals diese unterschwellige neubürgerliche Ideologie zugrunde, die lediglich der Ehe (trotz hoher Scheidungsquoten) den "Willen zu lebenslanger Partnerschaft" zuschreibt (vgl. Anke BRODMERKEL, "Ein Paar, zwei Wohnungen", Psychologie Heute, 12/2014).

Man hat es hier oftmals mit Projektionen zu tun, die der Tatsache geschuldet ist, dass dem Neubürgerlichen die materielle Grundlage für ein selbstbewusstes Bürgertum fehlt und deshalb Abwertungen als Kompensation nötig sind. Der Soziologe Heinz BUDE spricht deshalb von einer Bürgerlichkeit ohne Bürgertum.

2015

PFISTER, Simona (2015): Welches Kunstwerk wären Sie gern?
Gestern war Valentinstag. Horror für einsame Singles. Heute melden sich wieder viele bei Partner-Portalen im Internet an. Dort geben sie alles für das große Glück.l Und verhindern es damit,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 15.02.

AMOJO, Korede (2015): Allein sein, nein danke.
Hallo? Die Rentnerin Elke Schilling denkt groß: Mit ihrer Krisenhotline "Silbernetz" will sie alten Menschen aus der Einsamkeit helfen,
in: TAZ v. 20.04.

FOCUS-Titelgeschichte: Single.
Die neue Lust aufs Leben. So funktioniert der Solo-Lifestyle

HARTMANN-WOLFF, Elke & Jennifer REINHARD (2015): Die große Freiheit.
Von wegen traurig und einsam - Forscher beweisen, dass das Glück nicht vom Beziehungsstatus abhängt. Sechs Singles zeigen exemplarisch, wie ein erfülltes Leben ohne Partner gelingt,
in: Focus v. 13.06.

Die Focus-Autorinnen können sich nicht entscheiden über was sie eigentlich schreiben wollen. In einem Kasten mit der Überschrift Das Wesen der Singles werden 4 Grafiken präsentiert, deren Herkunft nur unzureichend gekennzeichnet ist. Sind mit Singles Einpersonenhaushalte, Alleinlebende oder Partnerlose gemeint?

Die Überschrift spricht von 6 Singles, während im Artikel 7 Personen vorgestellt werden. "Ich bin Teilzeit-Single" wird ein 53jähriger Partnerloser zitiert. Teilzeit-Single, weil er am Wochenende mit seinem Sohn zusammenwohnt. Teilzeit-Singles wären aber doch eher - wenn überhaupt - jene Alleinlebenden, die eine Wochenendbeziehung führen.

Drei der vier Grafiken zum Wesen der Singles zielen eindeutig auf Partnerlosigkeit und nicht auf das Alleinwohnen ab. Die Grafik Auf Solopfaden untergliedert Singles nach dem Alter, aber nicht nach dem Geschlecht. Es werden keine absoluten, sondern lediglich Prozentzahlen angegeben. Nur im Text ist von 15 Millionen Singles die Rede und zwar für das Jahr 2014. Mikrozensus-Zahlen gibt es aber bislang nur für das Jahr 2013.

Die 7 Vorzeige-Singles des Focus sind zwischen 33 und 57 Jahre alt. Gemäß Single-Grafik des Focus repräsentieren diese damit gerade einmal 38 % der Singles, wenn man die Altersgruppe der 30-59Jährigen betrachtet. Die drei Single-Frauen sind 33, 55 und 57 Jahre, die vier Single-Männer dagegen 36, 42, 50 und 53 Jahre alt. Typischerweise ist das Single-Dasein im mittleren Lebensalter von 30-49 Jahren männlich, während das Alter weiblich ist. Dies wird im Artikel verschwiegen. Es ist nur ersichtlich, dass 46,2 % der Singles gemäß Focus-Grafik 60 Jahre und älter sind.

Dass die Singleforschung in Deutschland quasi nicht existiert, ist daran zu erkennen, dass lediglich zwei Soziologen zum Thema zitiert werden: zum einen der emeritierte Lifestyle-Soziologe Stefan HRADIL, dessen Single-Studie bereits 20 Jahre zurückliegt, und zum anderen Stephan BAAS, Mitautor des 2008 erschienenen Buches Singles im mittleren und höheren Erwachsenenalters. Und im Grunde recycelt die jetzige Titelgeschichte mehr oder weniger nur die Titelgeschichte des Jahres 2008. Statt Online-Partnerbörsen sind nun jedoch Dating-Apps wie Tinder im Trend. Und natürlich darf der Modebegriff "Mingle" nicht fehlen, der das "Swinging Single"-Klischee der 1960er/1970er-Jahre zeitgeistig erneuert.

Die exemplarischen Singles entsprechen mit ihren Berufen dem individualisierten Akademikermilieu (Kreative, Unternehmensberater usw.) bzw. dem Bobo-Stereotyp des neuen Bürgertums. Hier gilt: wenn jemand schon nichts anderes als ein "Angestellter im öffentlichen Dienst" ist, dann muss er wenigstens in der Freizeit ein wenig Bohème Glamour ausstrahlen und sei es nur indem er als Statist am Theater mitwirkt. Das Bauer sucht Frau, Schwiegertochter gesucht oder Single mit Kind-Klientel gehört definitiv nicht zur Focus-Zielgruppe.

Die vorgestellten Single-Frauen sind entweder kinderlos oder haben Kinder, die bereits ausgezogen sind. Dies entspricht z.B. nicht der Single-Definition des Buches Singles im mittleren und höheren Erwachsenenalters, passt aber zum in der Titelgeschichte verwendeten "Teilzeit-Single"-Begriff, bei dem sogar das nur zeitweilige Zusammenleben mit einem Kind den Single-Status "beschädigt". In Zeiten, in denen Kinderlose zunehmend diskriminiert werden und der in die Defensive geratene Alleinerziehenden-Verband sich verzweifelt um Abgrenzung zu Singles bemüht, da wird der Single-Begriff gesäubert und - zumindest auf rhetorischer Ebene - auf Kinderfreiheit verengt. Die Vorzeige-Singlefrauen des Focus sind 33 Jahre alt oder 55 und 57 Jahre, d.h. zwischen 35 Jahren und 55 Jahren hat die Akademikerin späte Mutter zu sein und damit definitiv nicht Single. Der Mann dagegen darf sich auch im Familienlebensalter als Single austoben.       

Ein Kasten mit der Überschrift Was das Solo-Leben leichter macht gibt Tipps für den "Alltag ohne Partner". So verschwindet Einsamkeit z.B. durch positives Denken ("Veränderung der Wahrnehmung") oder Meditation, was der neubürgerlichen Ethik der Einsamen entspricht: wer einsam ist, ist lediglich selber schuld!

HOLLERSEN, Wiebke (2015): Anleitung zum Alleinsein.
Die Vereinzelung in der Gesellschaft nimmt zu. Kaum ein Mensch wird dem entgehen. Jedoch kann man lernen, dabei nicht einsam zu sein,
in: Welt am Sonntag v. 14.06.

"»In unserer Gesellschaft, die immer mehr Freiheiten bietet und in der es zugleich weniger Kontinuität gibt, müssen wir uns mehr mit dem Alleinsein auseinandersetzen«, sagt etwa Dietrich Munz. Er ist der Vorsitzende der Psychotherapeutenkammer und hat zusammen mit anderen einen Band über eine Psychoanalytiker-Tagung zur »Fähigkeit zum Alleinsein« herausgegeben",

liest man bei Wiebke HOLLERSEN. Wäre es nicht seriös gewesen zu schreiben, dass die Tagung bereits im Jahr 2008 statt fand und der Band 2009 erschienen ist und seit 2011 in 2. Auflage vorliegt?

"In Deutschland leben 16 Millionen Menschen allein. Meistens wird dieser Satz in einem besorgten Tonfall ausgesprochen. Man stellt sich Menschen vor, die verhärmt in dunklen Wohnungen sitzen",

heißt es passend zum Thema Einsamkeit. Im gestrigen Focus heißt es dagegen:

"15 Millionen Singles hierzulande. Damit lebt jeder Fünfte - in den Großstädten gar jeder Vierte - nicht in einer Partnerschaft."

Im Mittelpunkt der Focus-Titelgeschichte stehen nämlich nicht die einsamen Alleinlebenden, sondern die große Freiheit der Singles.

Die derzeit aktuellen Zahlen zu Einpersonenhaushalten stammen aus dem Jahr 2013. Damals gab es in Deutschland 16,176 Millionen Einpersonenhaushalte, aber nur 15,757 Millionen Alleinlebende, weil zu den Einpersonenhaushalte sowohl Haupt- als auch Nebenwohnsitze gezählt werden.

Amtsstatistiker und Haushaltsfetischisten unter den Soziologen und Ökonomen definieren ein Paar amtsstatistisch durch das gemeinsame Haushalten, während sich in der Bevölkerung immer weniger Paare durch einen gemeinsamen Haushalt definieren, obgleich sie sogar in einer gemeinsamen Wohnung leben, im gleichen Haus, in der gleichen Stadt oder aber aus beruflichen Gründen eine Fernbeziehung führen.

NIEJAHR, Elisabeth & Kolja RUDZIO (2015): Und jetzt?
Wer nicht mehr arbeitet, ist seine Pflichten los. Das kann zum Problem werden. Wie man es im Ruhestand schafft, der Langeweile und der Einsamkeit zu entkommen,
in: Die ZEIT Nr.31 v. 30.07.

KAMANN, Matthias (2015): Die jungen Alten.
Die Erwerbstätigkeit bei Senioren steigt. Viele pflegen aufopferungsvoll Angehörige zu Hause. Frauen aber droht Einsamkeit im demografischen Wandel,
in: Welt v. 30.07.

GRASSHOFF, Friederike Zoe (2015): Leerstelle.
Jeder ist vernetzt, wo soll da noch Platz für Einsamkeit sein? Nun will ein Autor ein verdrängtes Gefühl wieder salonfähig machen,
in: Süddeutsche Zeitung v. 22.08.

FEIX, Thomas (2015): Die Einsamen erkennt man nicht.
Seit Peters Tod ist ihr die Wohnung zu groß, und die Tage sind es auch. Sie geht raus, damit die Zeit vergeht. Doch Britta gibt nicht auf,
in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 04.10.

LANGENAU, Lars (2015): Schriftverkehr.
Im Internet nehmen sogenannte Love-Scammer einsame Frauen aus und hinterlassen gebrochene Herzen. Ein Opfer erzählt, wie es auf einen Betrüger hereinfiel,
in:
Süddeutsche Zeitung v. 10.10.

PSYCHOLOGIE HEUTE-Titelgeschichte: Zum Glück allein.
Warum Sie bei sich selbst gut aufgehoben sind

NUBER, Ursula (2015): Editorial,
in: Psychologie Heute, Dezember

Ursula NUBER setzt Singles mit Alleinlebenden gleich. Bei aller vorgestellter Heterogenität wird jedoch die große Zahl der Paare ohne gemeinsamen Haushalt ignoriert, denn diese moderne, mobile Lebensform passt nicht zum Bild des typischen Alleinlebens, das ein Produkt der 1990er Jahre ist.

Die Zahlen, die NUBER präsentiert stammen vom Sommer 2012, d.h. dem Mikrozensus 2011. Das war nicht der letzte Mikrozensus wie NUBER erzählt, aber es war der Letzte, der die Zahlen zu Alleinlebenden mundgerecht für Journalisten servierte. Die letzten verfügbaren Zahlen stammen vom Mikrozensus 2014. Demnach ist der Anteil der Alleinlebenden fast gleich geblieben: Gab es im Jahr 2011 ca. 19,64 % Alleinlebende, so sind es im Jahr 2014 ca. 19,7 % (Anstieg von 15,898 auf 15,997 Millionen Alleinlebende). Die Zahlen aus dem Jahr 2011 sind jedoch nicht zensuskorrigiert.

Seit Mitte der Nuller Jahre hat im Mainstream der deutschen Gesellschaft ein Paradigmenwechsel in Sachen Alleinsein bzw. Einsamkeit stattgefunden. Darauf deutet das Phänomen "Mangel an Einsamkeitsfähigkeit" hin, das NUBER erwähnt. War in der hysterischen Debatte um die Single-Gesellschaft in den 1980er/1990er Jahren oftmals Einsamkeit auf soziale Isolation reduziert worden, so gilt Einsamkeit neuerdings als selbst verschuldet:

"Situationen des Alleinseins können auch für Menschen, die in festen sozialen Bindungen leben, eine Herausforderung sein, die sie nicht immer gut bewältigen.
Alleinsein zu können ist eine Kompetenz, an der es vielen Menschen mangelt".

Einsamkeit wird zur Ressource bzw. zum Regulationsmechanismus im Zeitalter des Selbstunternehmers.

HECHT, Martin (2015): Zum Glück allein.
Die Bibel hat recht "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei." Einsamkeit ist kein schöner Zustand. Doch oft gerät in Vergessenheit: Alleinzeiten sind Voraussetzung für ein erfülltes Leben. Sie sind Oasen in der Wüste der Dauerverbundenheit,
in:
Psychologie Heute, Dezember

"Sucht man nach einer positiven Begleitung (...), wird man eher bei der Philsophie als bei der Psychologie fündig (...). Letztere sah bislang im Menschen in erster Linie ein Beziehungswesen und stufte einen Mangel an Bindung zu jedem Lebenszeitpunkt als problematisch ein",

merkt NUBER zum Beitrag von Martin HECHT an, der sich der Thematik kulturgeschichtlich nähert:

"Einsamkeit wurde ursprünglich nicht ausschließlich mit einem bedrückenden Zustand in Verbindung gebracht. Das mag daran liegen, dass die Verlusterfahrung von Gemeinschaftsformen noch nicht so virulent erlebt wurde wie in der Gegenwart. Kulturgeschichtlich gerät die Einsamkeit erst mit dem Beginn der Moderne unter Generalverdacht, und zwar in dem Maß, in dem die Bande der traditionellen Gesellschaft zerreißen und den Menschen in Vereinzelung zurücklassen."

Nicht so sehr die Psychologie - wie NUBER behauptet - , sondern die  Soziologie in Verbindung mit der Psychoanalyse hat das Alleinsein bzw. die Einsamkeit unter Generalverdacht gestellt. Der Aufstieg und Niedergang der einseitig wahrgenommenen Individualisierungsthese von Ulrich BECK geht einher mit der Blickverengung auf die soziale Isolation und die negative Sicht auf Einsamkeit. Die große Ausnahme war in dieser Zeit der Beitrag Solitäre Enklaven von Peter GROSS, der die positive Sicht auf das Alleinsein/die Einsamkeit hervorhob. Am Beispiel des Alleinreisens wurde dieser Ansatz hier gewürdigt.

Während Martin HECHT im Jahr 2000 noch dem Verschwinden der Heimat in der Offline-Gesellschaft nachtrauerte, muss nun die Online-Gesellschaft als Ursache mangelnder Einsamkeitsfähigkeit herhalten. Wenn Einsamkeitsfähigkeit jedoch auf eine psychische Kompetenz bzw. Ressource reduziert wird, dann geraten die gesellschaftlichen Verhältnisse einer neoliberalen Gesellschaft der Selbstunternehmer aus dem Blick.

TRÄGER, Eva-Maria (2015): Ich bin nicht allein, ich habe ja mich.
Alleinsein ist für viele ein Übel, das unbedingt zu meiden ist. Wer den Alleingang scheut, mag sich sicher fühlen - er nimmt sich damit aber auch die Chance auf wertvolle (Selbst-)Erfahrungen,
in:
Psychologie Heute, Dezember

Eva-Maria TRÄGER widmet sich der Frage, warum wir so ungern alleine ausgehen bzw. alleine reisen, obwohl wir uns dadurch wichtige Erfahrungen entgehen lassen. Welche Ängste halten Singles bzw. Partnersuchende von Aktivitäten außer Hause ab (mehr auch hier und hier)? Befürchten wir das negative Urteil der Anderen zu Recht oder leiden wir unter Wahrnehmungsverzerrungen? Verschafft uns das Alleinreisen nicht wichtige neue Erfahrungen? Liegen die Ursachen unseres Unwohlseins in der Kindheit. Können wir das Alleinsein erst genießen, wenn unsere Grundbedürfnisse gestillt sind, wie das z.B. der Psychologe Abraham MASLOW annimmt, oder ist nicht vielmehr entscheidend, ob unser Alleinleben als mehr oder weniger freiwillig erlebt wird?

WELT AM SONNTAG-Titelgeschichte: Warum wir so einsam sind.
Die Furcht vor dem Alleinsein ist das dominante Gefühl der Zeit. Bindungsängste und Nomadentum im Job treiben immer mehr Menschen in die Isolation

GASCHKE, Susanne (2015): Zu oft allein.
Weihnachten rückt näher – für alle Einsamen die schrecklichste Zeit des Jahres. Susanne Gaschke nähert sich einem Leiden, das immer mehr Menschen in unserer hochmodernen Gesellschaft kennen. Ein bisschen Hoffnung freilich gibt es,
in: Welt am Sonntag v. 06.12.

Susanne GASCHKE ("Die Emanzipationsfalle") liefert einen 08/15-Artikel ab, der ohne empirische Daten zur Einsamkeit in Deutschland auskommt. Stattdessen werden US-amerikanische Soziologen wie David RIESMAN ("The Lonely Crowd") und Richard SENNETT ("Der flexible Mensch") zitiert. Aus der Entwicklung der Einpersonenhaushalte und der Scheidungsziffern wird kurzerhand auf Einsamkeit geschlossen. Während im aktuellen Psychologie Heute-Heft, Einsamkeit als Mangel an "Einsamkeitsfähigkeit" beschrieben wird, bleibt GASCHKE dem altmodischen Gemeinschafts-Paradigma der Soziologie verhaftet. Sowohl die Psychologisierung  als auch die Gleichsetzung von Einsamkeit mit objektiven Indikatoren blendet die Demographisierung gesellschaftlicher Probleme aus und die damit verbundene Normierung der Sichtweisen auf gesellschaftliche Phänomene.

Warum erscheinen gehäuft Einsamkeits-Artikel vor Weihnachten, obwohl Einsamkeit an keine bestimmte Zeit gebunden ist, sondern an individuelle Situationen? Die Familie gilt insbesondere in Zeiten der Demographiepolitik als Wert, der für alle in Form der Kernfamilie gelebt werden sollte. Tatsächlich ist dies ein enger Familienbegriff, der z.B. Freunde oder andere Wahlfamilien ausschließt. In diesem Sinne wären solche Artikel über Einsamkeit Teil des Problems: Sie erzeugen mithin erst Einsamkeitsgefühle.

AUTHALER, Theresa (2015): Hauptsache, nicht allein sein.
Immer mehr Menschen stehen im Alter ohne Familie da. Die Angst vor der Einsamkeit verschafft Senioren-WGs großen Zulauf. Auch die Politik hat gemerkt, dass sie sich der neuen Form des Zusammenlebens annehmen muss,
in:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 06.12.

NIEJAHR, Elisabeth (2015): Helfen statt Heulen.
Alt und Jung: Ein Werbefilm über einen einsamen alten Mann rührt Millionen. Dabei sind immer weniger Menschen allein,
in:
Die ZEIT Nr.50 v. 10.12.

Elisabeth NIEJAHR erwidert auf den Einsamkeits-Mainstream in deutschen Medien (mehr hier und hier):

"Einsamkeit sei das große Problem der Gegenwart, heißt es derzeit, Single-Statistiken und Scheidungsraten gelten als Belege. In der Tat waren noch nie so viele Menschen gut darin, Einsamkeit zu überwinden. Sozialwissenschaftliche Studien zeigen: Die Menschen haben mehr Lust auf Gemeinschaft als früher, gerade wenn sie alt sind."

Genannt wird eine "kürzlich" erschienene Studie von Eric KLINENBERG: Going Solo aus dem Jahr 2012 und eine Befragung des Gerontologen Andreas KRUSE. Die Scheidungsrate ist nach Ansicht von NIEJAHR kein geeigneter Indikator für Einsamkeit, denn:

"In Deutschland sind sie seit vielen Jahren nahezu stabil. Das grenzt an ein Wunder, wenn man bedenkt, dass der gesellschaftliche Druck zum Heiraten abnimmt, die Suche nach einem neuen Partner durch das Internet einfacher wird und außerdem die Lebenserwartung steigt.
Die durchschnittliche Dauer von Ehen fällt daher nicht, sondern steigt."

Nur Arme und Hochaltrige kämpften wirklich mit der Einsamkeit, meint NIEJAHR. Zu den Armen schweigt NIEJAHR, nur Hochaltrigen denkt sie mittels Internetplattformen wie The Amazings aus ihrer sozialen Isolation helfen zu können.

SIMON, Felix (2015): An Weihnachten wird's viral.
Auf die Verpackung kommt es an: Edeka schenkt sich zum Fest der Liebe einen Werbespot, der auf Youtube Rekorde bricht. Warum lassen sich plötzlich Millionen von Reklame zu Tränen rühren?
in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.12.

"Für die Kampagnen zum Fest der Liebe scheinen den Kreativen in den Agenturen männliche oder weibliche Singles als Werbeträger ungeeignet. Sie könnten mit Einsamkeit assoziiert werden – wie »unsexy«",

schrieb Ursula NUBER im aktuellen Psychologie Heute-Heft. Der Edeka-Werbespot Heimkommen zeigt dagegen, dass Einsamkeit durchaus Werbefilm tauglich ist.

"Dass viele Menschen leiden wie Petra und Torsten, zeigen die heftigen Reaktionen auf den aktuellen Edeka-Weihnachtswerbespots, in dem es um einen einsamen alten Mann geht. Das Gefühl der Verlorenheit prägt unsere Zeit",

meint die ehemalige ZEIT-Redakteurin Susanne GASCHKE in der Welt am Sonntag, während Elisabeth NIEJAHR in der heutigen ZEIT schreibt:

"Wenn in diesem Jahr mehr Großeltern Post von ihren Enkeln bekommen und mehr Gedichte in Altenheimen vorgetragen werden, könnte das (...) an Edeka liegen."

Dabei denkt sie lediglich an Fernsehzuschauer und nicht wie Felix SIMON an Internetplattformen. Nicht Einsamkeit, sondern kein Egoist sein zu wollen, sei das Motiv, das dem Werbefilm zur Verbreitung durchs Netz verholfen hat, meint SIMON.

KÖLNER STADT-ANZEIGER-MAGAZIN-Thema: Einsame Spitze.
An Festtagen wird Alleinsein oft als schmerzvoll empfunden - Vielleicht kann man ihm aber auch etwas Gutes abgewinnen

FLOSS, Julia (2015): Urlaub von den Anderen.
Einsamkeit ist Angst und Luxus zugleich - Ein Versuch, ein ambivalentes Gefühl zu erklären,
in: Kölner Stadt-Anzeiger Magazin v. 24.12.

2016

WEIDERMANN, Volker (2016): Poesie heilt.
Literatur: Ein Leseprojekt in Liverpool hilft vielen Kranken und Einsamen. Auf der Buchmesse in Leipzig präsentiert sich der deutsche Ableger,
in:
Spiegel Nr.11 v. 12.03.

SCHMIDT, Stephanie (2016): Die Geheimnisse der Einsamen.
Nachlasspfleger müssen über zahlreiche Fähigkeiten verfügen. Sie fahnden in aller Welt nach Erben und helfen, Mietverhältnisse abzuwickeln. Sie werden auch dann aktiv, wenn alleinstehende Menschen sterben - ein zunehmendes Problem in Großstädten,
in: Süddeutsche Zeitung
v. 15.04.

Stephanie SCHMIDT schildert eingangs den Fall eines Mannes, der seit 20 Jahren allein in einer Wohnung in einer Mietskaserne mit 60 Parteien lebte und 6 Wochen tot in der Wohnung lag. Nachlasspfleger werden gemäß Artikel häufig mit dieser Situation konfrontiert - Zahlen zur tatsächlichen Häufigkeit solcher Fälle bleibt der Artikel auf der Immobilienseite der SZ jedoch schuldet. Es geht SCHMIDT auch nicht um das einsame Sterben, sondern darum, was ein Vermieter in einem solchen Fall tun darf bzw. muss.

RÖTZER, Florian (2016): Sterberisiko Einsamkeit.
Soziale Isolation und Einsamkeit könnten das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko ähnlich wie Rauchen, Angst oder Stress deutlich erhöhen,
in:
Telepolis v. 21.04.

BERLINER ZEITUNG-Wochenthema: Alt werden in Berlin.
Heute: Die letzte Wohnung

BISCHOFF, Katrin (2016): "Mir fehlt nüscht".
Eva Staikowski wagte nach dem Tod ihres Mannes den Neuanfang. Als es ihr zu einsam wurde, zog sie ins Seniorenwohnhaus Singerstraße. Dort blüht die 88-Jährige auf,
in:
Berliner Zeitung v. 26.05.

HÖFLINGER, Laura (2016): Neue Nähe.
Psychologie: Viele Menschen verbringen mehr Zeit mit ihrem Smartphone,  bei Chat und Spiel, als mit ihrer Familie. Sind wir vernetzt wie nie - und versinken doch in Einsamkeit? Nein: Es geht uns gut,
in:
Spiegel Nr.27 v. 02.07.

RATZESBERGER, Pia (2016): Das Geld der Einsamen.
Sie fahndet Jahre nach Menschen, von denen sie nicht einmal weiß, ob es sie tatsächlich gibt: Sybille Wolf-Mohr ermittelt Erben - aber nur, wenn es um ein beträchtliches Vermögen geht,
in: Süddeutsche
Zeitung v. 09.07.

NIEBERDING, Mareike (2016): Nach zehn Jahren Einsamkeit bin ich wieder Teil von etwas Größerem. Hinter jeder Tür tut sich eine Geschichte auf,
in: Neon,
August

SCHOBIN, Janosch (2016): "Armenbestattungen" im modernen Sozialstaat.
Zeitliche Entwicklung, Ursachen und Probleme des Ordnungsbestattungswesens in deutschen Groß- und Mittelstädten,
in:
Zeitschrift für Sozialreform, Heft 3, S.301-329

Der Soziologe Janosch SCHOBIN beschäftigt sich in dem Beitrag mit den Gründen für die Zunahme von anonymen Armenbestattungen, die bislang vorwiegend ein Fall für reißerische Zeitungsberichte über einsames Sterben oder Berichte über die Kostenexplosion waren. SCHOBIN zitiert lediglich Zeitungsberichte seit dem Jahr 2007, obwohl das Thema schon länger akut ist. Peter Philipp SCHMITT bringt es z.B. 2004 in der FAZ mit Sozialstaatsreformen in Zusammenhang:

"Eine Beerdigung ist teuer: Im Schnitt zahlt ein Deutscher 5.000 Euro. Noch in den achtziger Jahren erhielten Angehörige, die für die Bestattung aufkamen, mehr als 4.000 Mark von der Versicherung des Verstorbenen. In den neunziger Jahren wurde das sogenannte Sterbegeld der gesetzlichen Krankenkassen mehrfach reduziert. Bis zum vergangen Jahr waren es dann noch rund 500 Euro. Am 1. Januar 2004 wurde der Zuschuß endgültig gestrichen. Zugleich stieg die Zahl der Toten, die von den Kommunen bestattet werden müssen, deutlich an: In Hamburg waren es 1998 rund 380, im vergangenen Jahr waren es schon mehr als 800.Und in den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden bereits 265 Tote ohne Angehörige auf dem dafür zuständigen Friedhof Öjendorf beigesetzt; allerdings läßt sich die Zahl nicht einfach mit drei multiplizieren, da in den Wintermonaten mehr Menschen sterben als im Sommer."

Die Ursachenanalyse zum Thema stößt jedoch auf ein gravierendes Datenproblem, denn es gibt keine systematische, und erst Recht keine bundesweite Erfassung von so genannten Ordnungsbestattungen. Wenn überhaupt, dann wird lediglich das Geschlecht festgehalten. Selbst in Großstädten oder gar Metropolen ist die Erfassung kaum und wenn, nur sehr lückenhaft. Wenig erstaunlich, dass sich SCHMITT auf Hamburger Zahlen bezieht, denn Hamburg gilt in Sachen Statistik als Pionier:

"Exemplarisch kann der zeitliche Verlauf am Fall der Stadt Hamburg erläutert werden, die Daten zu Bestattungen von Amts wegen schon seit 1994 erhebt. Es zeigt sich, dass das Problem der Bestattung von Personen ohne oder ohne bestattungswillige Angehörige Mitte der 1990er Jahre nahezu unbekannt war. Die Anzahl der ordnungsamtlichen Bestattungen stieg dann jedoch rapide an. Um 2004 herum stagnierten die absoluten Zahlen",

erklärt uns SCHOBIN. Der Artikel von SCHMITT würde also just in jene Zeit fallen, in der das Phänomen sich nicht dem Trend folgend ausweitet, sondern stagniert. Dies hängt jedoch gemäß SCHOBIN damit zusammen, vor allem damit zusammen dass seitdem jene Generation stirbt, die viele Kinder geboren haben und eine geringe Scheidungsrate aufwiesen. Dieser Trend kehrt sich zukünftig um. Auch SCHOBIN bringt das Phänomen der Armenbestattungen mit dem Wandel des Sozialstaats zusammen:

"Die Frage lautet nun, was passiert, wenn die Institutionen eines gewährleistenden, aktivierenden Wohlfahrtsstaates (Lessenich 2008, Vogel 2007), die ihre Rolle idealiter in der Mobilisierung und Entwicklung individueller Ressourcen und der Herstellung eines minimalen Sicherheitsniveaus sehen, zusehends mit den Anforderungen eines »fürsorgenden« Sozialstaates konfrontiert werden, der stellvertretend jenen Platz im Leben der Einzelnen einnehmen soll, den vorher normativ integrierte soziale Nahwelten wie Familien, Verwandtschaften und Nachbarschaften ausgefüllt haben. Die Legitimationslogiken, aber auch die Rechtspraktiken des aktivierenden, gewährleistenden Sozialstaats kommen dabei aus offensichtlichen Gründen an ihre Grenzen. Das Ordnungsbestattungswesen kann demnach als exemplarischer Ort der Erprobung eines neuen - oder vielleicht auch eines rückkehrenden - fürsorglichen Verhältnisses zwischen Staat und Individuum angesehen werden." (2016, S.302)

Man sollte SCHOBIN hier nicht missverstehen. Der Soziologe interessiert sich keineswegs für die Mittellosen, die Dementen oder Bindungslose, sondern im Gegenteil: Es geht ihm lediglich um die privilegierte Schicht des individualisierten Milieus, obwohl diese Gruppe eher nur einen kleinen Teil des Phänomens zu betreffen scheint - wirkliche Erkenntnisse muss die Studie aufgrund der Datensituation schuldig bleiben. SCHOBIN stellt 3 Ursachen heraus, die er anderen Studien entnimmt:

1) Effekt der Intersektion von Geschlecht, Armut und Kinderlosigkeit:

"Männer mit niedrigen Bildungsabschlüssen sind (...) eine der sozialen Gruppen mit besonders hoher Kinderlosigkeit (Schmitt 2004). Bei ihnen treten demnach oft zwei Konditionen gleichzeitig auf, die gute Prädiktoren für soziale Isolation sind und die zudem systematisch zusammenhängen: Armut und schwache Familienbindung (...). Zusammengenommen ist daher die Vermutung triftig, dass Männer verglichen mit Frauen deshalb so häufig vom Amt bestattet werden, weil sie häufig zugleich vereinsamt und verarmt sind." (2016, S.317)

SCHOBIN verweist darauf, dass bislang in erster Linie Frauen im Fokus der Einsamkeitsforschung stehen, was im Lichte dieser Erkenntnis revidiert werden müsste.

2) Scheidungsfolgen: Männer wurde im Zuge der feministischen Bewegung nach Scheidungen der Umgang mit Kindern seltener gestattet, wodurch es zu Entfremdung kommt. Kinder können gemäß SCHOBIN zwar zur Übernahme der Kosten, aber nicht zur Bestattung gezwungen werden.

3) Verschiebungseffekt: Durch die geringere Lebenserwartung von Männern sterben bereits  mehr Männer als Frauen aus den geburtenschwachen Jahrgängen.

SCHOBIN teilt die von Armutsbestattung Betroffenen in defizitäre Lebensformen (Kinderlose, Partnerlose, Geschiedene und sozial Isolierte) und selbstgewählte Lebensformen ein:

"Hoch individualisierte Einzelgängerinnen, Freundschaftszentrierte (...) und queere Menschen (...) etwa, die durchaus Kinder und Partner haben können, ihnen aber eine weniger prominente Rolle zuweisen" (2016, S.319).

Lediglich den Problemen dieser privilegierten Gruppe widmet sich SCHOBIN ausführlicher, nachdem er vier typische Fälle unterschieden hat:

1) Der/die Verstorbene hat keine gesetzlichen Angehörigen
2) Der/die Verstorbene hat Angehörige, aber sie können nicht rechtzeitig ausfindig gemacht werden
3) Die Angehörigen sind bestattungsunwillig
4) Die Angehörigen sind bestattungsunwillig aber mittellos, das Sozialamt weigert sich, die Kosten vorzustrecken, (oder agiert langsam,) und die Bestatter weigern sich, den/die Verstorbene/-n ohne eine klare Zusage der Übernahme der Kosten durch das Sozialamt zu bestatten.

Fall 1-3 stellt für Freundschaftszentrierte, um die sich SCHOBIN besonders kümmert, kein Problem dar, weil dies in der Regel informell gelöst werden kann.

"Hochproblematisch sind (...) Amtspraktiken, die den nicht-verwandten Hinterbliebenen die Möglichkeit verwehren, der Bestattung beizuwohnen und auf die Gestaltung der Beerdigung einzuwirken. Das wird sich häufig mit einsamen, namenlosen Begräbnissen decken. Der korrekte Grund für den Unmut der nicht-verwandten Hinterbliebenen ist dann aber nicht die »sittenlose« Art des Begräbnisses, sondern dass hier die verfassungs- und gewohnheitsmäßigen Rechte des Verstorbenen und seiner Hinterbliebenen verletzt wurden",

meint SCHOBIN. Handlungs- und Empörungsbedarf möchte er hinsichtlich des vierten Falles wecken, weil das Sozialgesetzbuch Ursache dafür ist, dass die "bestattungswilligen aber mittellosen Angehörigen systematisch zwischen Ordnungsbehörde und Sozialamt »zerrieben«" werden und sich dann mit einer unwürdigen Form der Bestattung abfinden müssen. Zusammenfassend sieht SCHOBIN hauptsächlich bei hochindividualisierten Einzelgängern, Freundschaftszentrierten und Geschiedenen Passungsprobleme zwischen gesetzlichen Regelungen und Lebenswirklichkeit.

Fazit: In dem Beitrag wird eher eine privilegierte Minderheit in den Mittelpunkt gestellt. Schuld daran hat auch die Datenlage, die eine systematische Erfassung des Phänomens derzeit unmöglich macht. Dies ist der eigentliche Skandal. Am ehesten gelangen Armutsbestattungen als Kostenfaktor in den Blickpunkt. Daneben haben am ehesten noch die Kirchen ein Eigeninteresse an dem Phänomen, inwieweit dies jedoch mit den Interessen der Betroffenen übereinstimmt, ist eine andere Sache. Kritisch wird das Phänomen von der Bestattungsbranche gesehen, der es in erster Linie um entgangene Profite geht. In dieser Sicht laufen Bestrebungen, dass Menschen ihre Bestattung möglichst frühzeitig selber regeln. Altersvorsorge ist nicht mehr nur eine Frage der Versicherungswirtschaft!

CLAUß, Anna/NEZIK, Anne-Kathrin/OLBRISCH, Miriam (2016): Die Sehnsuchenden.
Liebe: Die Partnerlosigkeit in Deutschland hat einen neuen Höchststand erreicht. Viele Singles fühlen sich beziehungsunfähig, doch ihr Problem ist die übergroße Auswahl - und ihr Selbstmitleid. Echten Grund zur Sorge hat nur eine Gruppe: Frauen ab Mitte Dreißig,
in:
Spiegel Nr.43 v. 22.10.

Einen stümperhaften Artikel haben CLAUß/NEZIK/OLBRISCH da zusammengebastelt. Fakten ist nicht das Ding dieser Autorinnen:

"Die neuesten Zahlen zur Partnerlosigkeit in Deutschland zeigen (...): In der Gruppe der 25- bis 35-Jährigen hat sie einen neuen Höchststand erreicht. (...)
Nach Auswertungen des Heidelberger Soziologen Jan Eckhard ist die Zahl der Singles in den vergangenen 20 Jahren um 50 Prozent gestiegen. Waren 1993 noch 23 Prozent der Deutschen ohne festen Partner, gaben 2014 35 Prozent der Befragten an, in keiner festen Beziehung zu leben."

Wollen die Autorinnen hier die Gruppe der 25- bis 35-Jährigen beschreiben oder Deutsche? Welche Deutschen wurden überhaupt befragt? Und wie ist Partnerlosigkeit definiert? Nichts davon lesen wir, stattdessen ein Schaubild, das fälschlicherweise mit "Solo" betitelt ist. In Wahrheit stellt es jedoch lediglich den Anstieg der Alleinstehenden (Einpersonenhaushalt als Hauptwohnsitz) dar - was mit Partnerlosigkeit wenig, mit Paaren ohne gemeinsamem Haushalt jedoch viel zu tun hat.

Dass ein Titel wie Generation Beziehungsunfähig von Michael NAST 11 Wochen lang auf der Spiegel-Bestseller-Liste stand, soll von uns als Qualitätsmerkmal gelesen werden. Es bedeutet jedoch eher, dass es gut geeignet für Small Talk ist - mit der Realität in Deutschland hat das eher wenig zu tun.

"Es klingt wie ein Satz aus Michael Nasts Kolumnensammlung".

Möglicherweise deshalb, weil die Kolumnensammlung das Auswahlkriterium für die vorgestellten Singles war?

Fazit: Fakten? Außer den zitierten, die keinen Aufschluss über Partnerlosigkeit in Deutschland geben: Keine! Stattdessen werden uns Singles präsentiert, die den Klischees entsprechen, die seit Ende der 1990er Jahre über Singles in den Mainstreammedien gepflegt werden.

 
     
 
       
   
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weiterführender Link

 
       
   

Einsamkeit - Vom Alleinsein in der paar- und familienorientierten Gesellschaft (Teil 4: 2017 - heute)

 
       
   
 
   

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Update: 02. Februar 2019